Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Vor dem Hintergrund, dass die Personaldecke der Polizei nicht eben üppig ist, sind das alles große Herausforderungen. Dennoch warne ich davor, auf jede neue Aufgabe reflexartig mit neuen Personalforderungen zu reagieren,

(Zurufe der Abg. Ursula Haußmann SPD und Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

wie dies vonseiten mancher Politiker und auch von Gewerkschaftsseite immer wieder geschieht. Ich darf den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Herrn Freiberg, zitieren. Er hat zu Recht beklagt, dass in Deutschland in den letzten fünf Jahren 12 000 Personalstellen bei der Polizei weggefallen sind. Er sagt, löbliche Ausnahme sei der Südwesten, der Stellen schwerpunktmäßig verlagere, aber kaum abbaue.

Wir werden diesen Herausforderungen weiterhin große Aufmerksamkeit widmen müssen. Ich werde in der zweiten Runde noch zu perspektivischen Aussagen in Richtung Bund und Land kommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Gall.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte hat genau so begonnen, wie ich es eigentlich vermutet habe: mit Selbstlob, Herr Kollege Blenke, wo eigentlich aufgrund der vorliegenden Zahlen Selbstkritik angebracht wäre, zumindest aber eine objektive Reflektierung der Zahlen der Kriminalstatistik 2006.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Selbst in den Bereichen, in denen die Statistik – übrigens zum ersten Mal seit Jahren – einen leichten Rückgang der Zahl der Straftaten erkennen lässt, besteht kein Anlass zur Selbstgefälligkeit. Auch der minimale Rückgang der Gesamtzahl in der Kriminalstatistik bedeutet, dass es im Jahr 2006 immer noch 610 000 Straftaten in Baden-Württemberg gegeben hat. Das darf auch nicht den Blick dafür verstellen, dass es in Teilbereichen dramatische Zuwächse gegeben hat. Wir hatten immerhin 344 Tötungsdelikte zu verzeichnen.

Selbst die Aufklärungsquote von etwa 60 %, die wir anerkennen wollen, bedeutet im Umkehrschluss, dass es nach wie vor 40 % unaufgeklärte Straftaten in Baden-Württemberg gibt. Deshalb meine ich, dass es auf Detailentwicklungen in der Statistik letztendlich gar nicht ankommt.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Da müssen Sie sich aber die Deliktsfälle anschauen! Das hängt von den De- liktsfällen ab!)

Selbst der Innenminister sagt ja, dass die Statistik nicht allein den objektiven Kriminalentwicklungen geschuldet ist oder aus diesen gespeist wird, sondern natürlich häufig auch von den

Schwerpunkten, die die Polizei vor Ort setzt, bestimmt wird. Mangels Personal werden diese Schwerpunkte häufig nur noch – das haben Sie selbst gesagt – nach subjektiven Wahrnehmungen der Bürgerinnen und Bürger gesetzt.

Worauf es ankommt, meine Damen und Herren, ist: Wir müssen uns die Ursachen bestimmter Entwicklungen einmal genau anschauen, diese erkennen und dann natürlich auch entsprechend reagieren.

Die Kinder- und Jugendkriminalität will ich hier als Beispiel nennen, denn sie resultiert, wie wir denken, hauptsächlich aus den sozialen Problemlagen, die es bei uns gibt. Gerade die Kinder- und Jugendkriminalität muss uns mit Sorge erfüllen, meine Damen und Herren, weil mit diesen Straftaten häufig auch kräftiger Alkoholmissbrauch verbunden ist; Sie haben das angeführt, Herr Kollege Blenke.

Gerade deshalb eignet sich dieser Bereich massiv für präventive Maßnahmen, weil diese sich dort nachhaltig zugunsten der Kriminalstatistik niederschlagen würden. Diese präventiven Maßnahmen können allerdings nicht allein von der Polizei geleistet werden.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE)

Was aber tut die Landesregierung in diesem Bereich, meine Damen und Herren? Sie streicht die Mittel für die Schulsozialarbeit. Sie kürzt massiv im Bereich des Sports und bei Jugendprojekten – ohne Zweifel Bereiche, in denen engagiert versucht wird, Kindern und Jugendlichen Halt und Orientierung zu geben und ihnen Werte zu vermitteln. 70 000 Kinder und Jugendliche, die als Tatverdächtige oder als Täter auffällig geworden sind, bedürfen der Hilfe, bevor man ihnen mit Strafe droht oder bevor Strafen folgen müssen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Hinzu kommt, dass die präventiven Maßnahmen, die durchgeführt werden, ausschließlich von der Landesstiftung anstatt solide durch den Haushalt unseres Landes finanziert werden. Dass Sie, meine Damen und Herren, solche Entwicklungen und solche Zahlen häufig mit der Forderung nach einer Verschärfung von Strafen in Verbindung bringen, lenkt eigentlich nur von Ihren eigenen Versäumnissen in diesem Bereich ab. Dass es Versäumnisse gibt, kann man erkennen. Sie müssen es daran erkennen, dass die Unzufriedenheit bei der Polizei zunimmt. Es gibt eine Unzufriedenheit mit der Personalentwicklung, mit der Überalterung bei der Polizei, damit, dass in vielen Dienststellen nur noch mit personeller Mindestausstattung gearbeitet werden kann und somit flexibles Handeln vor Ort nicht mehr stattfinden kann, sowie damit, dass nur noch wirklich zwingend Erforderliches gemacht wird.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das ist die Wahr- heit!)

Unzufriedenheit besteht auch mit der technischen Ausstattung in den Bereichen Kommunikation und Technik. Ersatzbeschaffungsmaßnahmen dauern zu lange, und häufig können sie erst nach einem Kompetenzgerangel durchgeführt werden. Es besteht eine Unzufriedenheit mit dem Budgetspielraum,

der bleibt, weil bei den unteren Dienststellen letztlich nur noch ein geringer Teil ankommt.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Aber beim Digitalfunk sind Sie mit im Boot!)

Trotz alledem will ich für die SPD-Fraktion sagen: Deutschland und die Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere auch Baden-Württemberg, sind sichere Länder. Das gilt im Vergleich innerhalb Europas und allemal, wenn wir über die europäischen Grenzen hinausblicken. Dies ist aber in erster Linie abhängig von den demokratischen Grundstrukturen, die wir in Deutschland haben. Es hängt davon ab, wie die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland verläuft, und es hängt letztendlich davon ab, wie unser Rechtswesen, unser Justizwesen funktionieren. Natürlich hängt es auch von der sozialen Balance ab.

Auch ich will besonders am heutigen Tag die Gelegenheit nutzen, um all jenen im Namen meiner Fraktion herzlich Dank zu sagen, die im Bereich der inneren Sicherheit engagiert sind. Das sind die Polizeibeamtinnen und -beamten, vom Anwärter bis hin zum Polizeipräsidenten, die tagtäglich, häufig mit großen Gefahren belastet, zu unserer Sicherheit beitragen. Deshalb sind wir heute auch bei dem Polizeibeamten, der noch um sein Leben ringt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Was die Landesregierung, was Sie, Herr Innenminister, tun sollten: Sie sollten unsere Polizei personell und sächlich so ausstatten, dass sie ihre Aufgaben auch wahrnehmen kann und dazu beiträgt, die Sicherheit im Lande weiter zu erhöhen. Sie, Herr Rech, als Innenminister sollten hier die Vorgaben machen, nicht der Finanzminister. Unsere Aufforderung an Sie, Herr Minister, lautet: Verspielen Sie nicht das Vertrauen der Polizei in die Politik. Demotivieren Sie unsere Polizei- und Sicherheitskräfte nicht weiter, sondern sorgen Sie für verlässliche Strukturen, sorgen Sie für Konzeptionen, die den Polizeibeamtinnen und -beamten ein hohes Maß an Planungssicherheit und Zukunftsperspektive gewährleisten, was ihre eigene Person anbelangt, vor allem aber auch was ihre Arbeit anbelangt.

Dies wäre Ihre Aufgabe. Was Sie nicht tun sollten, wird Ihnen Kollege Junginger in der zweiten Runde sagen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sckerl.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Polizeiliche Kriminalstatistik, Zahlen, Aufklärungsquoten. Gestern mussten wir leider zur Kenntnis nehmen, wie gefährlich der Polizeiberuf tatsächlich ist und was die Polizistinnen und die Polizisten im Notfall tagtäglich aufs Spiel setzen müssen. Der Dank unserer Fraktion gilt der Polizei in Baden-Württemberg für eine gute Arbeit in sehr vielen Bereichen. Heute ist nicht der Tag, an dem in diesem Zusammenhang einseitig Euphorie oder auch nur Lob angesagt wäre. Es gibt sehr wohl Anlass zu einer kritischen Betrachtung. Hierzu hat mein Vorredner schon vieles Richtige gesagt.

Unbestritten ist: Die Polizei leistet gute Arbeit. Die Bürgerinnen und Bürger sehen dies so; sie fühlen sich subjektiv sehr sicher. Das hat in entscheidendem Maß auch etwas mit der Präsenz der Polizei vor Ort – bis in die kleinen Gemeinden hinein – zu tun. Wir wollen, dass dies in den nächsten Jahren so bleibt, erkennen gegenwärtig aber nicht, dass die Landesregierung die dafür notwendigen Voraussetzungen schafft oder in Zukunft schaffen will.

Herr Innenminister, es nutzt uns wenig, bei der Vorlage jeder Kriminalstatistik gebetsmühlenartig zu hören: Wir in BadenWürttemberg haben die beste Polizei und können zufrieden sein.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Wollen Sie das bestrei- ten?)

Die Polizei selbst sagt: „Vielen Dank für das Lob, liebe Politiker. Aber jetzt müsst ihr auch die reale Situation einmal analysieren und etwas für uns tun.“ Da, Herr Kollege Blenke, geht es nicht um eine reflexartige Reaktion von Gewerkschaftsfunktionären, sondern um ein sehr ernstes Thema. Das erfahren Sie in jedem Präsidium, in jedem Revier, in der kleinsten Polizeidienststelle im Land. Man will diese Aufgaben lösen. Man ist sich der größeren Gefahr, des größeren Aufgabenspektrums bewusst, aber man sieht sich längst an die Grenzen des Möglichen herangekommen. Zum Teil sind diese Grenzen überschritten.

Wir haben im Durchschnitt aller Bundesländer den ältesten Polizeikörper. Wir haben massive Nachwuchsprobleme und müssen in dieser Hinsicht etwas tun. Herr Innenminister, wir werden nicht viele Jahre verbringen können, in denen 800 Polizistinnen und Polizisten in Pension gehen, aber nur 250 Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter neu eingestellt werden. Wir brauchen da eine deutliche Zunahme.

Es gibt einige Bereiche in der Polizeilichen Kriminalstatistik, die uns Sorgen machen. Diese Bereiche sind angesprochen worden. Das ist z. B. die zunehmende Gewaltbereitschaft bei jungen Leuten. Darauf kann die Antwort letztlich nicht „Polizei in den Schulhöfen“ lauten. Vielmehr heißt die Antwort „Prävention“, und sie heißt vor allem „Wiederaufnahme von Schulsozialarbeit“, meine Damen und Herren. Die Regierungsfraktionen bekommen im Laufe des heutigen Tages noch die Gelegenheit, ihre Position in dieser wichtigen Frage zu korrigieren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Internetkriminalität und hier insbesondere Kinderpornografie stellen ein ganz, ganz wichtiges neues Aufgabenfeld dar, Herr Innenminister, in das wir noch viel tiefer einsteigen müssen als bisher.

Auch der Bereich Wirtschaftskriminalität ist in Baden-Würt temberg kein Niemandsland. Das ist ein auffälliger, signifikanter Bereich der Weiße-Kragen-Kriminalität, dem wir uns in Zukunft stärker widmen müssen.

Für uns ist die politische Kriminalität oder die Gewaltbereitschaft bei politischen Auseinandersetzungen ein wichtiges Thema. Dieses Thema sollten wir in diesem Zusammenhang nicht vergessen.

Herr Innenminister, im Verfassungsschutzbericht und in einer Reihe von Erklärungen der letzten Wochen ist ein bisschen der Eindruck entstanden, das Problem des Rechtsextremismus sei zwar nicht gelöst, aber man habe es im Griff. Wir warnen vor dieser Einschätzung, die im Land dann auch zu falschen Schlussfolgerungen führt. Der Rechtsextremismus ist ein latentes Problem. Wir sind in Baden-Württemberg keine Insel der Glückseligen. Die Mitläufer im Zusammenhang mit dem Rechtsextremismus werden immer jünger. Das ist für uns in Zukunft auch eine Chance. Deshalb bitten wir Sie und fordern wir von Ihnen: Verstärken Sie die Aussteigerprogramme. Meine Damen und Herren, nehmen wir uns an diesem Punkt gemeinsam in die demokratische Pflicht, hier mehr zu tun und um junge Leute zu werben, bevor sie in die falschen Hände geraten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es geht letztlich um die richtigen Schwerpunkte. Machen wir uns da nichts vor: Das Risiko eines Bürgers, Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden, ist einige Tausend Mal geringer als das, Opfer eines Straßenraubs, von Internetbetrug oder Ähnlichem zu sein. Deshalb sind die bisherigen Schwerpunkte polizeilicher Arbeit wichtig und müssen so bleiben.

Zum Thema „Neue Herausforderungen“ sage ich in der zweiten Runde mehr.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kollege Gall hat recht, wenn er sagt: „610 000 Straftaten sind zu viel.“ Diese Auffassung teilt sicherlich jeder hier im Haus. Wir müssen dies eben nur ins Verhältnis setzen. Wir stehen im Vergleich relativ gut da. All die Kritik der Opposition an der Sicherheitspolitik in diesem Land wird doch durch die vorliegenden Zahlen Lügen gestraft. Das muss man einmal deutlich sagen. Wir haben eine sehr hohe Aufklärungsquote. Wir stehen im Ländervergleich hervorragend da. Natürlich können wir immer noch besser werden; daran wird ja gearbeitet. Aber das muss man hier auch einmal feststellen und anerkennen.