Protokoll der Sitzung vom 26.04.2007

Und doch wissen wir alle, dass es außergewöhnliche Situationen und Konstellationen in einem Leben geben kann, in denen es für eine Schwangere schwer sein kann, sich für das in ihr werdende Leben zu entscheiden.

Ich will aber in diesem Zusammenhang auch – nicht zu vergessen – den werdenden Vater nennen.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut! – Abg. Ute Vogt SPD: Ja! – Zuruf des Abg. Dr. Nils Schmid SPD)

Jedes Kind hat Mutter und Vater.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Stimmt!)

Wir sollten gemeinsam immer wieder deutlich machen, dass wir auch von den Vätern erwarten, dass sie auch in schwierigen Situationen zu ihrer Verantwortung stehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Tho- mas Knapp SPD: Sehr gut!)

Wenn Menschen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft in Not- und Konfliktsituationen geraten, ist es im Interesse des ungeborenen Lebens Aufgabe von Politik und Gesellschaft, Hilfestellung zu leisten. Dazu steht die Landesregierung, und dazu steht die CDU-Fraktion, und sie wird dem Gesetzentwurf deshalb auch zustimmen. Neben der Unterstützung, die die betroffenen Menschen hoffentlich in ihren Familien und ihrem persönlichen Umfeld finden, können sie sich in Baden-Württemberg auf ein gewachsenes, flächendeckendes und bewährtes Beratungsangebot stützen.

Wenn wir heute in erster Lesung den Entwurf des Gesetzes zur Ausführung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes beraten

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Gut! Fehlerfrei aus- gesprochen!)

schwierig, gell? –, dann deshalb, weil wir von dem bundesrechtlichen Gesetzesvorbehalt Gebrauch machen und die Finanzierung der Beratungsstellen landesrechtlich verankern und sichern. Damit sichern wir zugleich die ebenfalls damit gesetzten Standards – die Ministerin hat sie bereits genannt –: ein gesichertes, wohnortnahes und zugleich plurales Beratungs angebot mit einer Fachkraft je 40 000 Einwohner und eine 80prozentige Förderung der notwendigen Personal- und Sachkosten. All diese Standards sind in unserem Land bereits Rea lität.

Für uns als CDU-Fraktion steht bei alledem der Schutz des ungeborenen Lebens im Vordergrund. Dafür setzen wir uns ein. Denn es kann und darf uns nicht unberührt lassen, wenn wir wissen, dass in Baden-Württemberg jährlich ca. 14 % der ungeborenen Kinder nicht das Licht der Welt erblicken werden, das heißt jedes siebte Kind. Da tröstet es auch überhaupt nicht, dass der Bundesdurchschnitt mit ca. 18 % noch weit höher liegt. Von den Berliner Zahlen, die noch um etliches höher liegen, rede ich jetzt lieber erst gar nicht.

Wenn wir das wissen, dann ist es umso wichtiger, dass wir den Menschen gerade in schwierigen Lagen Wege aufzeigen zum Leben mit Kindern, und dies natürlich nicht nur, indem wir Beratungsstellen finanzieren, die Gott sei Dank auch präventiv tätig werden. Unser Ziel, unser Wunsch ist das „Kinderland“ Baden-Württemberg. Deshalb betreiben wir eine aktive Familienpolitik, die auch den Menschen in schwierigeren Lebenslagen das Ja zum Kind erleichtern soll: über die finanzielle Unterstützung von Familien durch das Landeserziehungsgeld, mit dem Ausbau der Betreuungsangebote auch für unter dreijährige Kinder und mit dem Ansatz, Familien in ihrer Er

ziehungskraft zu stärken und zu unterstützen, indem wir möglichst frühzeitig den Weg zu einschlägigen Bildungs-, Beratungs- und Hilfsangeboten eröffnen – schlicht weil wir wissen: Kinder sind unser höchstes Gut, unsere Zukunft und nicht zuletzt unsere Freude.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abg. Wonnay das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte die zur Verfügung stehenden fünf Minuten nicht dazu nutzen, jetzt allgemein über Politik für Familien zu reden, auch wenn wir uns in der Zielsetzung sicher einig sind, dass wir so viel Hilfen wie irgend möglich bieten müssen; aber das ist ein anderer Punkt. Heute geht es auch nicht um neue Aufgaben wie die Pränataldiagnostik. Dazu haben wir uns hier im Raum schon ausgetauscht, und da unterstützen wir den Ansatz der Ministerin, auf mehr Beratung, gerade auch psychosoziale Beratung, auch in dieser Konfliktsituation zu setzen und keine Verschärfung des Gesetzes zu wollen.

Ich möchte auf den heute vorliegenden Gesetzentwurf eingehen. Wir tragen als SPD-Fraktion den Gesetzentwurf, der ein ausreichendes plurales Angebot wohnortnaher Beratungsstellen und deren Förderung sicherstellen soll, grundsätzlich mit. Die 84 anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in freier, kirchlicher und kommunaler Trägerschaft benötigen für ihre Arbeit genau diesen verlässlichen Rahmen und die verlässliche Finanzierung.

Aber wir sehen schon, Frau Ministerin, Diskussionsbedarf, was an einigen Punkten den Inhalt des Gesetzentwurfs betrifft, aber vor allem bei der nach § 5 des Gesetzes zu erstellenden Verwaltungsvorschrift. Denn was uns dazu bisher an Entwürfen aus Ihrem Haus bekannt ist, das ist für uns überhaupt nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Zunächst zum Gesetzentwurf selbst: In § 2 ist geregelt, dass ein plurales und wohnortnahes Beratungsangebot dann sichergestellt ist, „wenn mindestens zwei Beratungsstellen unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung in zumutbarer Entfernung vom Wohnort der Rat suchenden Person erreichbar sind“. In der Gesetzesbegründung haben Sie dies konkretisiert. Ich möchte das zitieren:

Der Besuch dieser Beratungsstellen mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb eines Tages (Hin- und Rückfahrt) wird als zumutbar angesehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sprechen über Konfliktberatung, bei der zum Teil mehr als eine Beratung notwendig ist. Mit dem, was Sie in der Gesetzesbegründung schreiben, meine sehr geehrten Damen und Herren, könnte im Zweifel eine Ratsuchende aus meinem Wahlkreis Emmendingen auf eine Beratungsstelle in Stuttgart verwiesen werden. Sie werden sicher nicht bestreiten wollen, dass das Kriteri- um der Wohnortnähe, so aufgeweicht, ad absurdum geführt wird.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Deshalb halten wir es für sinnvoll, den Vorschlag der Verbände aufzugreifen und das Kriterium der Wohnortnähe zumindest so weit einzuschränken, dass Hin- und Rückfahrt in einem Zeitraum von höchstens sechs Stunden als zumutbar angesehen wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Das sind für Frauen in Konfliktsituationen immer noch weite Wege, aber es wäre ein einigermaßen vernünftiger Kompromiss, der den Interessen Rat suchender Frauen mehr gerecht wird als das, was bisher im Gesetzentwurf festgehalten ist.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Lassen Sie mich noch einiges aus der Verwaltungsvorschrift aufgreifen. Es fehlt ganz offenkundig die Erwähnung des Beratungsgrundsatzes der Ergebnisoffenheit. Dieser gehört jedoch wirklich zum Kern des Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Ich rufe Ihnen einmal § 5 Absatz 1 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes im Wortlaut ins Gedächtnis:

Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisoffen zu führen. Sie geht von der Verantwortung der Frau aus. Die Beratung soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden. Die Schwangerschaftskonfliktberatung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.

Wir halten es für unverzichtbar, dass der Beratungsgrundsatz der Ergebnisoffenheit auch in die Verwaltungsvorschrift aufgenommen wird.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Ein weiterer Punkt ist, dass die vorgesehenen Regelungen zur Unentgeltlichkeit der Beratung überdacht werden müssen. Es ist natürlich zwingend, dass Rat suchende Frauen bei einer Schwangerschaftskonfliktberatung keinen Eigenbeitrag leis ten müssen, dass diese Beratung in der Tat unentgeltlich ist. Aber bei der Schwangerenberatung ist bisher ein Eigenbeitrag vorgesehen. Das hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 3. Juli 2003 ausdrücklich so festgehalten. Diese Eigenbeiträge, die dort eingenommen werden, dienen dazu, dass auch Einrichtungen, die keine finanzstarken kirchlichen Träger im Hintergrund haben, ihre Eigenfinanzierung sichern können.

Ich habe einige Punkte herausgegriffen; es kommen noch andere hinzu. Frau Ministerin, wir bitten ausdrücklich darum, auch die Verwaltungsvorschrift im Ausschuss zu diskutieren. Wir haben einmal mehr die Situation, dass zwar das Gesetz eigentlich ganz freundlich daherkommt, sich aber in der Verwaltungsvorschrift wirklich auch kritische Dinge verbergen. Ich möchte Sie ausdrücklich bitten, dem im Ausschuss gemäß der Regierungserklärung unseres Ministerpräsidenten Rechnung zu tragen.

(Der Rednerin wird das Ende ihrer Redezeit ange- zeigt.)

Damit komme ich auch zum Schluss, Herr Präsident. – Der Ministerpräsident hat gesagt:

Wir werden auch unsere Zusage einlösen, die Rechtsetzung wieder zu stärken. Wichtige Fragen der Politik sollen von den gewählten Volksvertretern entschieden werden und nicht auf dem Verordnungsweg durch die Exekutive.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr gut!)

Wir bitten darum, das auch in diesem Punkt zu berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Klatsch, klatsch! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Dann klatsch doch!)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Abg. Lösch das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Entwurf des Gesetzes zur Ausführung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes wird den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juli 2003 und vom 15. Juli 2004 Rechnung getragen, das Vorgaben zu der angemessenen öffentlichen Förderung der Personal- und Sachkosten gemacht hat. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die staatliche Förderung von anerkannten Beratungsstellen mindestens 80 % der Gesamtkosten umfassen muss.

Ferner hat der Staat sicherzustellen, dass schwangere Frauen wohnortnah und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Weltanschauungen ein plurales Beratungsangebot vorfinden. Die Länder haben somit ein ausreichendes Angebot wohnortnaher Beratungsstellen sicherzustellen, und dabei haben die Beratungsstellen einen Anspruch auf eine angemessene öffentliche Förderung der Personal- und Sachkosten.

Mit dem vorliegenden Entwurf für ein Ausführungsgesetz zum Schwangerschaftskonfliktgesetz wird der Sicherstellungsauftrag der Länder für Baden-Württemberg konkretisiert. Die gewachsene und bewährte Beratungsstruktur im Land soll auch künftig aufrechterhalten werden, und eine wohnortnahe Bedarfsdeckung entsprechend dem gesetzlichen Versorgungsgrad soll weiterhin sichergestellt sein. Der vorliegende Gesetzentwurf kommt den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts in vollem Umfang nach. Deshalb haben wir bezüglich der Zielsetzung des Gesetzes keine Einwände und werden diesem Gesetzentwurf auch zustimmen.

Was wir aber zutiefst bedauern, ist, dass bisher keine der von den Verbänden und Institutionen im Anhörungsverfahren vorgebrachten Verbesserungs- und Konkretisierungsvorschläge in den Gesetzentwurf aufgenommen wurden, und das in einer Zeit, in der der Ansturm auf die Schwangerenberatungen zunimmt, in der auch die Aufgabenstellungen zunehmen. So ist die Zahl der Beratungsgespräche bei den Beratungsstellen seit 2000 um 53 % gestiegen; in absoluten Zahlen sind das 14 228 Beratungsgespräche. Begründung: Sehr viele Frauen und Familien stecken in schwierigen finanziellen und wirtschaftlichen Situationen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Hilfe kommt an. So wurden in den letzten Jahren so wenig Ein

griffe wie lange nicht mehr gemeldet. Wir haben einen Rückgang um 2,5 % auf 13 119 Eingriffe. Man muss feststellen, dass das so wenig Eingriffe sind wie in den vergangenen zehn Jahren nicht.

(Abg. Andrea Krueger CDU: Es gibt aber auch im- mer weniger Kinder!)

Deshalb glaube ich, dass für eine gute Beratungstätigkeit eine ausreichende Beratungskapazität der Beratungsstellen dringend notwendig ist und dass wir diese eher noch ausbauen müssen, weil die Aufgaben zunehmen. Die Frau Ministerin hat es angesprochen: Im Augenblick haben wir die Diskussion um Spätabtreibungen. Auch da wird darüber diskutiert, dass wir im Vorfeld, um Spätabtreibungen zu verhindern, die vorgeburtlichen Untersuchungen und die Beratungsgespräche bei den Beratungsstellen sowohl für werdende Mütter als auch für werdende Väter ausbauen müssen. Auch eine bessere Kooperation zwischen Ärzten und psychosozialen Beratungsstellen ist begrüßenswert. Aber auch die kostet Zeit; das muss ja jemand machen. Deshalb müssen wir die Beratungsstellen eher stärker und ausbauen und auch schauen, dass die Beratungsstellen gut erreichbar sind.

In diesem Zusammenhang geht es mir jetzt konkret um die Definition des Begriffs „Wohnortnähe“ in § 2 Abs. 3. Im Gesetzentwurf wird die Erreichbarkeit von mindestens zwei Beratungsstellen mit dem ÖPNV (Hin- und Rückfahrt) vom Wohnort aus innerhalb eines Tages als zumutbar festgeschrieben. Dies halten wir für zu weit gehend, da eine Schwangere im Bedarfsfall ja auch mehrmals die Beratungsstelle aufsuchen muss.

Deshalb unterstützen wir den Vorschlag der Verbände, den Begriff der Zumutbarkeit in der Form zu präzisieren, dass der Besuch einer Beratungsstelle mit dem ÖPNV einen Gesamtaufwand von sechs Stunden nicht übersteigen soll. Sechs Stunden sind zwar auch schon viel, aber einen ganzen Tag mit Ein- und Auspendeln halten wir nicht für vertretbar.

(Beifall bei den Grünen)