Ich glaube, statt darüber zu lamentieren, was die EU alles nicht machen soll – sie hat ja gar keine Rechtsetzung betrieben, das haben Sie richtig dargestellt –, wäre es doch sinnvoll, wenn aus dem Land Baden-Württemberg entsprechende Impulse kämen.
Wo ich ein bisschen allergisch bin – das muss ich zum Schluss einfach noch loswerden, Herr Theurer –, ist: Wenn die Botschaft gebetsmühlenartig immer wieder heißt, wir müssten das Arbeitsrecht verschlechtern,
heißt das doch – ich bin gleich fertig – entbürokratisieren, und dafür gibt es immer tausend Beispiele. Ihr jetziges Beispiel heißt, bei der Insolvenz sei das Arbeitsrecht zu hinderlich und zu bürokratisch.
Dann haben Sie die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes nicht mitgekriegt. Dann haben Sie nicht mitgekriegt, dass das Insolvenzrecht neu geregelt wurde, und zwar mit der Aufgabenstellung, Perspektiven für das Unternehmen oder Teile des Unternehmens weiterzuentwickeln.
Insofern möchte ich bitten, nicht mit Ideologie an das Thema heranzugehen, sondern mit der ernsthaften Absicht – diese Aufgabe müssen wir in Baden-Württemberg lösen –, ordentliche Perspektiven für die Menschen und die Wirtschaft zu entwickeln.
Herr Hausmann, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass gerade beim Insolvenzrecht der § 613 a BGB nicht geändert wurde?
Da sind vielleicht nicht alle Ihre Vorstellungen geregelt. Aber Sie wissen, dass wir eine Regelung getroffen haben – jetzt werde ich einmal konkreter –, bei der die Sozialplanregelung in der konkreten Umgestaltung viel einfacher sein kann. Man hat eine Insolvenzregelung getroffen, die nicht mehr die Abwicklung eines Unternehmens im Vordergrund hat, sondern die dem Insolvenzverwalter in seiner Funktion wirklich die Perspektive bietet, das Unternehmen konstruktiv weiterzuführen.
Sie wissen – das ist eigentlich nicht mein Thema –, dass wir eine ganze Menge Regelungen getroffen haben, durch die es heute möglich ist, über Beschäftigungsgesellschaften sozusagen flankierende Maßnahmen zu treffen. Da, denke ich, hätten Sie in Ihrer langen Regierungszeit auf Bundesebene etwas tun können.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier einen Antrag der FDP/DVP. Die einzige Botschaft, die ich von Ihnen verstanden habe, ist, Europa solle sich nicht einmischen. Sie haben kritisiert, dass mit dem Grünbuch ein Regelwerk vorgelegt worden sei. So steht es zumindest in der Begründung des Antrags der FDP/DVP. Nachdem die Landesregierung Sie darauf hingewiesen hat, dass es lediglich um einen Impuls für eine ergebnisoffene Diskussion geht, haben Sie das hier korrigiert. Ich hoffe, dass Sie diesen Impuls, der von der Europäischen Kommission ausgeht, positiv bewerten.
Sie haben gesagt, das Grünbuch sei auf große Resonanz gestoßen. Ein modernes Arbeitsrecht ist tatsächlich sehr wichtig, gerade auch für Baden-Württemberg, weil wir hier eine hoch internationalisierte Wirtschaft haben. 42 % machen die Exporte an unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung aus. Daran hängen, wie Sie alle wissen, Millionen Arbeitsplätze. Wenn wir hier von Internationalisierung der baden-würt tembergischen Wirtschaft sprechen, bedeutet dies in erster Linie Europäisierung. 69 % aller Exporte aus Baden-Württemberg gehen in andere europäische Länder, und Export bedeutet eben nicht nur Warenexport, sondern da findet auf vielen Ebenen eine Vernetzung statt. Unsere Mittelständler sind mit vielen Niederlassungen, Tochterfirmen oder Vertretungen im
europäischen Ausland präsent. Deshalb ist mehr Transparenz im Arbeitsrecht innerhalb Europas sicherlich auch im Interesse unserer Unternehmen und im Interesse des Wirtschaftsstandorts.
Wir könnten hier sicherlich eine interessante Debatte darüber führen, welche Impulse dieses Grünbuch der EU-Kommission für ein modernes Arbeitsrecht und gerade für die Debatte über das deutsche Arbeitsrecht geben kann. Wir haben das Problem, dass das deutsche Arbeitsrecht im Vergleich zu den allermeisten anderen Rechtsgebieten extrem unübersichtlich und zersplittert ist. Das Arbeitsrecht ist nicht in einem einheitlichen Gesetzbuch zusammengefasst. Die arbeitsrechtlichen Regelungen finden sich in einer Vielzahl von Einzelgesetzen. Es gibt zudem eine Vielzahl von Gerichtsurteilen. Das alles bedeutet, dass das Arbeitsrecht sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer nicht mehr übersichtlich ist.
Es ist sehr schwierig geworden, die Rechte, die sich aus dem deutschen Arbeitsrecht ergeben, in Anspruch zu nehmen. Nicht umsonst ist bei einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags herausgekommen, werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP/DVP – das müsste Sie doch interessieren –, dass gerade das Arbeitsrecht in Deutschland für die Unternehmen eine große Behinderung darstellt. 42 % sagen, dass das Arbeitsrecht sie in ihrer wirtschaftlichen Aktivität behindert. Im Vergleich dazu sagen dies nur 34 % vom Steuerrecht.
Deshalb wäre es dringend nötig, für Deutschland ein modernes Arbeitsrecht zu schaffen, das zu einer Vereinheitlichung und zu einer Vereinfachung führt und das eine faire Vertragsgestaltung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmerinnen ermöglicht.
Ich möchte Ihnen hier kurz einen Diskussionsentwurf von den Professoren Henssler und Preis vorstellen, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ein neues Arbeitsvertragsrecht entworfen haben. Dieser Entwurf ist in einen breiten Diskussionsprozess eingebettet, und eine Debatte wie die heutige würde mehr Sinn machen, wenn wir uns konkret damit beschäftigen würden, statt einfach nur zu fordern, dass sich die EU heraushalten soll.
Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ – dies ist der Titel des Grünbuchs der Europäischen Kommission, mit dem sich der Antrag der FDP/DVP-Fraktion befasst. Dieses Grünbuch, lie
ber Kollege Hausmann, stellte lediglich 14 Fragen, um einen ergebnisoffenen Diskurs zu Fragen des Arbeitsrechts anzuregen. Sie haben einzelne Punkte angesprochen, beispielsweise die illegale Beschäftigung. Wie in den Grünbüchern der EU üblich, enthält es keine Lösungs- und Regelungsvorschläge.
Die Stellungnahme des Arbeits- und Sozialministeriums zum Antrag der FDP/DVP ist deshalb angemessen. Die allerbeste Antwort zum Thema Arbeitsmarkt sind übrigens, wenn man für Baden-Württemberg konkret werden will, lieber Herr Kollege Hausmann, die neuesten Arbeitsmarktzahlen, Stand Ende November dieses Jahres. Wir sind gegenüber dem Vormonat noch einmal besser geworden und liegen mit 4,3 %, liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Dezember 2000 bundesweit an der Spitze.
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Abg. Rudolf Haus- mann SPD: Ist daran das Arbeitsrecht schuld?)
Das sind die Zahlen, die die Menschen im Land interessieren: die niedrige Jugendarbeitslosigkeit – minus 21 % gegenüber dem Stand von vor einem Jahr – und die niedrige Zahl der älteren Arbeitslosen – Gott sei Dank sind wir so weit: minus 25 % gegenüber dem Stand von vor einem Jahr.
Das Land hat sich an der öffentlichen Konsultation im Rahmen der Stellungnahme des Bundesrats übrigens maßgeblich, um nicht zu sagen federführend, zusammen mit NordrheinWestfalen beteiligt. Erfreulicherweise, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unsere Stellungnahme auf fruchtbaren Boden gefallen.
Unsere Bedenken, lieber Kollege Röhm, gegen weitere gesetzgeberische Schritte der EU auf dem Gebiet des Arbeitsrechts wurden von der EU in vollem Umfang aufgegriffen.
Wie bereits der Presse, lieber Herr Kluck, zu entnehmen war, will Kommissar Spidla nun endgültig davon absehen, dem Grünbuch legislative Akte folgen zu lassen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, diese Erkenntnis der Kommission ist aus meiner Sicht ein großer Erfolg für den Standort Deutschland.
Denn wie die meisten in diesem Hohen Haus bin ich der festen Überzeugung, dass nur die Mitgliedsstaaten selbst passgenaue Lösungen bzw. Regelungen treffen können, weil sich die nationalen Arbeitsmärkte innerhalb der EU allzu sehr unterscheiden. Ich glaube, ich brauche das nicht näher auszuführen. Die Stichworte sind vom Kollegen Theurer und vom Kollegen Hausmann genannt worden: das Arbeitszeitrecht, die Schwarzarbeit, die Teilzeit- und die Leiharbeit. Dem könnte man noch mehr hinzufügen. Ich will das aber mit Blick auf die Zeit nicht tun.
Dennoch meine ich, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dass das Grünbuch aus Sicht der EU kein Fehlschlag oder gar Misserfolg war. Denn auch wenn der deutsche Arbeitsmarkt mit seinen Besonderheiten am sinnvollsten auf nationaler Ebene reguliert werden sollte, bedeutet dies nicht, dass wir in Europa nicht voneinander lernen können. Kreativität entsteht nicht, wenn man nur im eigenen Saft schmort. Wenn ich gezwungen bin, meinen eigenen Standpunkt mitzuteilen, und versuche, den Standpunkt anderer zu verstehen, entsteht manchmal etwas Innovatives.
Meine Damen und Herren, der Umstand, dass mehr als 450 Stellungnahmen im Rahmen der öffentlichen Konsultation abgegeben wurden, und die Tatsache, dass wir uns heute mit dem Thema „Europäisches Arbeitsrecht“ befassen, zeigen, dass die Kommission ihr erstes Ziel erreicht hat, nämlich einen offenen Diskussionsprozess, und dies auch ohne dass es nun neue Richtlinien oder Verordnungsentwürfe geben würde – was ich übrigens sehr sympathisch finde.