Protokoll der Sitzung vom 19.12.2007

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich meine, dass es auch wichtig ist, in diesen unsicheren Zeiten einmal zu erwähnen, was das an Wert für die Bür gerinnen und Bürger hier in Baden-Württemberg bedeutet. Deutschland ist eine Exportnation, und für Baden-Württemberg spielt der Export eine besonders wichtige Rolle. 60 % unserer Exporte gehen in die anderen europäischen Mitglieds

staaten. Daran sieht man die wirtschaftliche Bedeutung Europas für uns in Baden-Württemberg, für unsere kleinen und mittelständischen Betriebe, für die vielen Beschäftigten in unserem Land. Der Wohlstand unseres Landes ist sehr stark davon abhängig.

Deshalb ist es auch richtig, dass wir hier im Landtag einen eigenständigen Europaausschuss eingerichtet haben. Wir als Fraktion der FDP/DVP haben eine ganze Reihe von Initiativen gestartet. Ich erinnere an unsere Große Anfrage zur Lissabon-Strategie der Europäischen Union, die dann intensive Diskussionen im Europaausschuss ausgelöst hat.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Den demografischen Wandel im Schwarzwald nicht vergessen!)

Ich erinnere an die für die Automobilindustrie zentrale Frage der Regelungen zur CO2-Minderung von der Europäischen Union. Ich erinnere an die Bodenschutzrichtlinie, die die EU vorhatte – unnötig wie ein Kropf –, gegen die wir – CDU und FDP/DVP – uns gemeinsam gewehrt haben. Weil sich andere Bundesländer uns angeschlossen haben, konnten wir verhindern, dass die EU in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig geworden ist.

Wir haben das Thema Flexicurity aufgegriffen, weil wir der Auffassung waren und sind, dass insbesondere in diesem Bereich der Arbeitsmarktregulierung nicht alles auf europäischer Ebene geregelt werden muss. Wir haben uns auch anderer Themen angenommen, etwa den EFRE-Fördermitteln oder natürlich auch dem demografischen Wandel im Schwarzwald sowie der Verwendung der deutschen Sprache, weil wir uns wünschen, dass die deutsche Sprache als wichtige Sprache in der Europäischen Union auch den Stellenwert hat, der den deutsch Sprechenden hier zukommt. Vor allem ist es wichtig, dass die Übersetzungen zeitnah vorliegen.

In diesem Zusammenhang können wir in Baden-Württemberg auch stolz darauf sein, dass wir eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen haben, um die Europafähigkeit junger Menschen zu steigern. Ich erinnere an die Einführung von Englisch in der Grundschule, an die Einführung von Französisch in der Grundschule als Sprache des Nachbarn. Hier können wir feststellen, dass das Elsass, was den bilingualen Unterricht angeht – Deutsch und Französisch –, uns nach wie vor eine ganze Nasenlänge voraus ist. Ich meine, wir können auf dem, was wir da erreicht haben, aufbauen. Wir sollten aber in unseren Anstrengungen, was die Mehrsprachigkeit junger Menschen angeht, nicht nachlassen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Denn das ist die Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an Europa.

Alles andere in der zweiten Runde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Müller das Wort.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Oh!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich konzentriere mich ausschließlich auf die Themen Zuständigkeit, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, weil das wahrscheinlich der Themenbereich ist, der gerade bei der Europapolitik eines Bundeslandes, einer Landesregierung und eines Europaausschusses eher im Vordergrund zu stehen hat.

Der römische Dichter Juvenal hat einmal den Satz geschrieben: „Da ist es schwer, keine Satire zu schreiben.“ Ich will in Bezug auf das Thema Subsidiarität sagen: Da ist es schwer, keine euroskeptische Rede zu halten. Ich sage das vor dem Hintergrund dessen, dass ich als Mitglied einer Partei, die von Konrad Adenauer bis hin zu Helmut Kohl für Europa eingestanden ist wie kaum eine zweite, sehr wohl die Licht- und Schattenseiten sehe. Ich will mit diesem Hinweis auf Subsidiarität deutlich machen, dass es Grenzen gibt für Europa. Wenn die überschritten werden, findet das seinen Niederschlag im Eurobarometer, das Sie gerade beschrieben haben. Wenn nämlich die Bürger Europa nur noch als fernes bürokratisches Wesen kennenlernen, dann tun wir nichts Gutes für Europa und auch nichts Gutes für unser Land.

(Beifall bei der CDU)

Die Kernfrage ist: Was ist Sache Europas und was ist dessen Sache nicht? Sache Europas sind alle Fragen, die Europa als Ganzes, z. B. im Weltmaßstab, berühren. Sache Europas sind Fragen der Freizügigkeit, des Binnenmarkts, der ausgewogenen Entwicklung der einzelnen Teile Europas und alle Fragen, die grenzüberschreitende Wirkung haben. Da sind wir uns sicher einig: Das sind unzweideutig notwendige Aufgaben Europas.

Die Tatsache aber, meine Damen und Herren, dass irgendeine Frage – welcher Art auch immer; ich komme sofort auf einige konkrete Beispiele zu sprechen – überall in Europa vorliegt, begründet noch längst keine Zuständigkeit dieser Ebene.

Um das einmal an den Realitäten der letzten zwei, drei Jahre beispielhaft zu schildern: Weißbuch Sport, Bodenschutzrichtlinie, kommunaler Lärmschutz, Feinstaubrichtlinie, FFH- und Vogelschutzrichtlinie,

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr richtig! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Sag einmal!)

Blue-Card-Zuwanderung, Weißbuch Übergewichtige Kinder, Grünbuch Stadtverkehrspolitik – das alles sind Fragen, die man so oder anders entscheiden kann. Aber die entscheidende Frage ist, ob man sie auf europäischer Ebene entscheiden muss.

Ich will die Methode beschreiben, mit der Europa in immer neue Zuständigkeiten hineinkommt – man könnte schon beinahe sagen „sich einschleicht“. Das beginnt in der Regel mit einer Problematisierung, z. B. durch Grünbücher oder Weißbücher. Es werden Leitideen zur Diskussion gestellt. Es werden Fördermittel in Aussicht gestellt. Es werden Ziele formuliert. Es werden Berichtspflichten statuiert, und zum Schluss wird die Verantwortung für die Lösung der Probleme delegiert, in der Regel an die kommunale Ebene. Es ist interessant, dass in mehreren Punkten die kommunalen Landesver

bände darauf aufmerksam gemacht haben, dass man ihnen die Probleme nicht einfach vor die Füße legen kann, sondern dass es Europas Angelegenheit wäre, z. B. für das Bekämpfen von Ursachen etwa im Bereich von Feinstaub oder Lärm tatsächlich einen eigenständigen Beitrag zu leisten, anstatt einfach die Kommunen verantwortlich zu machen.

Nun ist interessant, wie die Öffentlichkeit, wie die Politik, wie die Verbände auf dieses Inanspruchnehmen europäischer Zuständigkeiten reagieren. Es gibt wenige, die die Zuständigkeitsfrage als solche ansprechen, sondern es greift eigentlich ein ganz anderer Mechanismus. Zu den wenigen, die die Zuständigkeitsfrage ansprechen, gehört der Europaausschuss dieses Landtags und gehört zum Glück auch die Landesregierung.

Es gibt in vielen Ländern Europas keine föderalistische Tradition. Es gibt in vielen Ländern Europas auch nicht die Faszination der kommunalen Selbstverwaltung, sondern es gibt dort die Faszination der einheitlichen und der zentralen Lösungen. Wenn etwas einheitlich und zentral ist, dann scheint es vielen die richtige Lösung zu sein, weil es einheitlich ist. Wir haben aus Überzeugung eine völlig andere Tradition.

Es gibt das Spielen über die europäische Bande. Fachpolitiker, die sich in den einzelnen Nationen nicht durchsetzen, versuchen mithilfe der europäischen Ebene das zu realisieren, was sie im eigenen Land nicht realisieren können.

Es gibt den Mechanismus, dass viele einfach in eine Diskussion einsteigen und deswegen etwas für eine europäische Frage halten, weil sie die Aussage der Europäischen Union für richtig halten. Aber die Frage, ob etwas richtig oder falsch ist, ist eine ganz andere Frage als diejenige, ob etwas Sache Europas ist oder nicht.

Es gibt natürlich auch das Hoffen auf Fördermittel. Es gibt dieses Hoffen gerade auch bei den etwas weniger entwickelten Ländern Europas, die sich sagen: Es ist besser, wenn Europa etwas tut, als wenn niemand etwas tut.

Ich glaube, meine Damen und Herren, wir müssen etwas lernen: die grundlegende Unterscheidung der Fragestellung, ob wir irgendeine These teilen, die von der Europäischen Kommission oder von wem auch immer kommt, von der Frage: Sind die eigentlich dafür zuständig? Man muss die These aufstellen können: Selbst wenn ihr recht habt, es ist nicht eure Sache. Oder: Selbst wenn ihr nicht recht habt, muss ich zugeben, es ist eure Sache. Das sind zwei unterschiedliche Fragen.

Das sagen wir nicht aus Formalismus. Das sagen wir auch nicht aus Egoismus, sondern wir sagen es, weil wir überzeugt sind vom Wert des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung. Wir sind davon überzeugt, weil Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung heißt: mehr Demokratie, mehr Subsidiarität, mehr Bürgernähe, mehr Sachbezogenheit, mehr Situationsabhängigkeit und mehr Wettbewerb. Das sind die Gründe, weshalb wir dieses Kriterium der Subsidiarität voranstellen. Das ist die Begründung, weshalb wir für sie kämpfen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Müller, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Jawohl. – Der Europaausschuss betrachtet sich als Wachhund in diesen Angelegenheiten. Bei der Bodenschutzrichtlinie hat er schon einmal ein bisschen Geschichte geschrieben.

(Zuruf von der SPD: Aber mehr kommt nicht raus!)

Wir haben heute einen Antrag zur europäischen Stadtverkehrspolitik vorgelegt. Wir formulieren diesen Antrag im Bewusstsein der Übereinstimmung mit der Landesregierung und übrigens auch einer entsprechenden Entschließung des Deutschen Städte- und Gemeindebunds.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen – ohne dass ich jetzt noch auf die Merkwürdigkeiten dieses Grünbuchs zur Stadtverkehrspolitik eingehe –, indem ich einfach noch einmal darauf aufmerksam mache: Wenn wir die Subsidiaritätsfrage voranstellen, dann tun wir das nicht aus Europafeindlichkeit. Vielmehr wollen wir Europa bewahren vor einem Gesicht, das es aus dem Blickwinkel vieler Bürger immer mehr bekommt. Kein Zentralismus, keine Bürokratie, keine schematischen Lösungen, kein Regulierungswahn, kein Formalismus – dafür müssen wir kämpfen, damit die Akzeptanz Europas steigt. Es gibt viele Gründe für Europa. Der Zentralismus gehört nicht dazu.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Meine Damen und Her ren, unter unseren Gästen auf der Zuhörertribüne gilt mein besonderer Gruß Herrn Regierungsrat Dr. Guy Morin, Regierungsvizepräsident des Kantons Basel-Stadt, und Herrn Regierungsrat Urs Wüthrich-Pelloli, Mitglied der Regierung des Kantons Basel-Landschaft.

Werte Gäste aus der Schweiz, ich heiße Sie im Landtag von Baden-Württemberg herzlich willkommen und wünsche Ihnen erfolgreiche Gespräche und weiterhin einen angenehmen Aufenthalt in Stuttgart. Herzlich willkommen!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Hofelich das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich persönlich sehe den Europaausschuss nicht primär als Wachhund. Aber wir können uns darüber gern einmal im Ausschuss austauschen.

Was muss sich im Land bewegen? Wie nutzen wir die Chancen Europas für Baden-Württemberg? Das ist die Überschrift des zweiten Teils meiner Stellungnahme. Ich will mich auf drei Punkte konzentrieren.

Erstens gehe ich auf die europäischen Projekte ein. Kolleginnen und Kollegen, uns stehen wichtige Weichenstellungen bevor. Eine Weichenstellung ist, dass wir das 7. Europäische Forschungsrahmenprogramm vor uns haben. Es muss das unbedingte Interesse des Landes Baden-Württemberg sein, dass sich unsere Hochschulen in möglichst viele europäische Projekte einbringen. Hier mahne ich proaktive Politik an.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Friedlinde Gurr- Hirsch CDU und Oswald Metzger (fraktionslos))

Dabei ist wichtig, dass wir auf die Bereiche, in denen wir noch Schwächen haben – nämlich beim Übergang von der Grundlagenforschung in die Anwendung und bei der Bildung einer Brücke von der universitären Forschung zur Anwendung bei den kleinen und mittleren Unternehmen –, ein besonderes Augenmerk legen, um unsere Schwächen künftig kompensieren zu können, damit wir nicht nur bei den Großunternehmen, sondern auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen das Land der Patente sind.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Oswald Metzger (fraktionslos))

Wir brauchen mehr industrielle Leuchtturmprojekte in BadenWürttemberg, und die Landesregierung sollte das stützen. Ich spreche einmal ein Thema an: Wir stehen in der Luft- und Raumfahrtindustrie in Baden-Württemberg gut da. BadenWürttemberg ist hier ein guter Standort in der Fläche insgesamt. Wir stehen einige Jahre vor dem Galileo-Signal. Was hindert uns eigentlich daran – auch die für die Förderprogramme verantwortlichen Minister –, dafür zu sorgen, dass unsere Unternehmen im Vorfeld eine Testumgebung schaffen mit Satelliten am Boden, damit wir jetzt schon alles testen können, was für dieses Galileo-Signal wichtig ist, dass wir Applikationen testen, die hier infrage kommen und bei denen sich unsere Forschungsunternehmen, unsere Industrieunternehmen einbringen können? Wir brauchen einen solchen Kraft akt für industrielle Leuchtturmprojekte. Ich vermisse dies derzeit im Land Baden-Württemberg.

(Beifall bei der SPD)