Protokoll der Sitzung vom 19.12.2007

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten bei den Metropolregionen landesregierungsseitig von der Rhetorik zur Substanz kommen.

(Abg. Ute Vogt SPD: Ja!)

Deswegen ist es wichtig, dass dann, wenn die nächste Förderperiode der Europäischen Union anbricht, tatsächlich einmal die Erwartungen, die im Land geschürt werden, auch erfüllt und gesonderte Mittel für die Metropolregionen bereitgestellt werden. Es bricht keinem anderen ein Zacken aus der Krone, wenn in Baden-Württemberg die großen industriellen und wissenschaftlichen Zentren

(Zuruf des Abg. Gundolf Fleischer CDU)

ihre europäische Rolle einnehmen, Herr Staatssekretär Fleischer.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen eine Strategie der Kooperation in Europa. Dies geschieht im Mittelmeerraum – Herr Sarkozy hat da eine Ankündigung gemacht –, dies geschieht im Ostseeraum. Ich bin dafür, dass Baden-Württemberg eine besondere Chance sucht, dass wir die Integration im Donauraum herstellen. Die Ko operation entlang der Donau ist wichtig für die Zukunft Baden-Württembergs. Dafür haben wir mit dem Donaubüro in Ulm auch eine gute Voraussetzung.

Meine Damen und Herren, die Haushaltsrevision der EU wird dazu führen, dass sich bereits im Jahr 2008 Weichenstellungen ergeben. Die Landesregierung sollte sie nicht verpassen.

Meine zweite Bemerkung thematisiert die Frage, wie wir Europa mental annehmen.

(Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Haben Sie noch Rede- zeit?)

Der Kollege Müller hat dazu das Stichwort geliefert. Schelte ist ein schlechter Ratgeber, ob von Herrn Rau gegenüber der OECD oder von uns gegenüber der Kommission. Das zeigt eigentlich nur, dass man keinen wirklichen Zugang zu den Entscheidungszentren hat. Ich bin dafür, dass die baden-würt tembergische Politik Zugang zu den Entscheidungszentren haben sollte, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der FDP/DVP – Abg. Franz Untersteller GRÜ- NE: So ist es!)

Der amerikanische Autor Jeremy Rifkin hat ein Buch mit dem Titel „The Age of Access“ geschrieben. Man muss seine Auffassungen nicht unbedingt alle teilen. Tatsache jedoch ist, dass es nicht mehr nur allein um den Besitz geht, sondern um den Zugang zu Wissen und zu Gestaltungsmöglichkeiten. Subsidiarität darf in diesem Sinne nicht zu einem Kampfbegriff werden, Herr Müller. Subsidiarität ist eine Gestaltungsaufgabe und keine Abwehraufgabe für das Land.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Oswald Metzger (fraktionslos) – Abg. Ingo Rust SPD: Sehr richtig!)

Wenn Sie anführen: „Auch wenn ihr recht habt, so ist es doch nicht eure Sache“, dann bezweifle ich, dass man damit in der modernen Welt wirklich bestehen kann. Ich sehe die moderne Welt so – und ich meine damit nicht, dass von allem Vorherigen Abschied genommen werden muss; wir müssen aber die Entwicklung erkennen –: Wir entwickeln uns von Strukturen hin zu Netzwerken. Wir entwickeln uns von Zuständigkeiten hin zu Kompetenzen. Wir entwickeln uns von festen Aufgaben hin zu Projekten. Das ist der Trend. Das heißt nicht, dass etwas anderes nicht existieren würde. Aber diesen Trend zu übersehen, Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ist etwas, was wir uns nicht leisten können. Wer sich gegen die neue Welt stellt, wird von dieser neuen Welt überrollt werden. Und diese neue Welt existiert bereits in Europa, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Walter GRÜNE – Abg. Ingo Rust SPD: So ist es!)

Auch andere Länder haben Regionen, die sehr selbstbewusst auftreten, ob das nun Katalonien oder die Lombardei ist. Nach allem, was ich dort sehe, sind diese Regionen jedoch in der Lage, tatsächlich eine proaktive Politik zu machen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Zum Schluss sage ich noch eines – und ich kann mich bei dieser Subsidiaritätsdebatte nicht des Gefühls erwehren, dass dies der Fall ist –: Wenn man über zwei Jahrzehnte hinweg lediglich dem marktradikalen Zeitgeist applaudiert, dann jedoch glaubt, man könne durch den Rückzug in das „Schneckenhaus Subsidiarität“ sozusagen alles für erledigt erklären, dann ist man auf dem Holzweg.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Walter GRÜNE – Abg. Ingo Rust SPD: So ist es!)

Wir als SPD gehen voran, und wir ziehen gern auch die Regierung mit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Sehr gut!)

Für die Fraktion GRÜNE erhält Herr Abg. Walter das Wort.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Reden Sie wie- der zum Wald?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Ausführungen des Kollegen Müller sagen. Ich frage Sie, Herr Müller: Wie wollen Sie beispielsweise das Dopingproblem im Sport in Baden-Württemberg in den Griff bekommen? Ihr bekommt es hier doch gar nicht in den Griff. Wenn ich etwa an Freiburg, an den Olympiastützpunkt denke, dann sehe ich, dass ihr das Problem nicht einmal hier im Griff habt.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das ist über- haupt nicht in den Griff zu kriegen!)

Ein Thema von solchen geradezu industriellen Ausmaßen – der Sport ist ja schon eine Art Industrie geworden, die europaweit und sogar weltweit operiert – kann doch nicht in Länderparlamenten allein erledigt werden. Es ist also völlig richtig, dass sich die EU des Themas Sport annimmt.

Das Zweite: Die EU redet uns doch nicht rein und sagt uns, wie wir den Sportunterricht oder wie wir unsere Olympia stützpunkte zu gestalten haben. Da geht es doch insgesamt um die Frage: Wie halten wir es mit dem Sport in Europa?

Das zweite Beispiel, das Sie genannt haben, ist die FFH-Richtlinie. Das ist nun ein Musterbeispiel für das Versagen der Länderparlamente bzw. der Landesregierungen. Wie oft musste von Brüssel aus angemahnt werden, dass wir nun endlich die auch für uns so wichtigen Biotope an die EU melden?

(Abg. Thomas Blenke CDU: Parzellenscharf!)

Auf der rechten Seite des Hauses wurde ja bei den Bürgermeis tern Stimmung gegen die bloße Existenz dieser FFH-Richtlinie gemacht. Wenn man sich jedoch zu einem gemeinsamen Europa bekennt, muss man sich auch zu einem gemeinsamen Naturschutz und zu einem gemeinsamen Umweltschutz bekennen. Die FFH-Richtlinie ist ein Segen. Sie hat schon so viel Unfug verhindert; sie hat verhindert, dass ganz viele Bio tope in Europa unwiederbringlich zerstört werden.

(Zuruf des Abg. Karl Rombach CDU)

Was heißt denn eigentlich Subsidiarität? Der Ministerpräsident redet beim Flächenverbrauch zwar von einer Nulllösung, aber wenn man sich einmal anschaut, was mit den Flächen tatsächlich passiert, stellt man fest, dass das doch gar nicht wahr ist und wir weit davon entfernt sind. Die FFH-Richtlinie war ein großer Segen; sie ist nach meiner Ansicht eines der besten Dinge, die je aus Europa gekommen sind.

(Beifall der Abg. Franz Untersteller und Bärbl Mie- lich GRÜNE)

Meine Damen und Herren, wir hatten doch lange beispielsweise über die Frage diskutiert, wie es angehen kann, dass manche Pestizide in einem Land zugelassen sind und in einem anderen wiederum nicht. Es muss, damit wir einheitliche Verhältnisse und – in diesem Fall für die Landwirte – gleiche Chancen haben, doch Vereinheitlichungen auf europäischer Ebene geben. All diese Dinge müssen doch geregelt werden.

Zum Thema Umweltschutz verweisen Sie auf die Feinstaub richtlinie. Was haben denn die nationalen Regierungen gemacht? Die EU wird oft auch dann tätig, wenn die nationalen Regierungen nichts auf die Reihe bringen.

Herr Müller, wir sind uns einig: Wir wollen weniger Bürokratie, wir wollen weniger Zentralismus. Aber wir wollen eine Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse, so weit es geht. Natürlich soll jedes Land das behalten, was zu seinem Image und zu seiner Identität gehört. Daran zweifelt ja niemand. Aber wir brauchen bei vielen Standards – im Sozialbereich, im Umweltbereich – eine Vereinheitlichung. Das ist eben nur möglich, wenn sich die EU dieser Themen auch annimmt.

Kollege Hofelich hat zu Recht gesagt, Subsidiarität dürfe kein Kampfbegriff sein, mit dem wir alles abwehrten. Vielmehr muss Subsidiarität hier vor Ort angewandt werden – bei Dingen, bei denen dies notwendig ist.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Walter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Blenke?

Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Kollege Walter, sind Sie der Ansicht, dass beispielsweise in Ihrer Heimatstadt Asperg die Gestaltung der Bürgersteige eine Aufgabe ist, bei der die Stadt der Nachhilfe durch die Europäische Kommission bedarf? So steht es im Grünbuch zur Stadtverkehrspolitik.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ich habe geglaubt, der stellt eine intelligente Frage! Aber das war wieder nicht der Fall!)

Man kann natürlich die blödesten Beispiele bringen, um die Leute wieder verrückt zu machen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Darin gibt es aber noch mehr!)

Ich habe doch nicht gesagt, wir sollten alles, was in dem Grünbuch steht, im Verhältnis 1 : 1 übernehmen.

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Ich habe schon in der ersten Runde darauf hingewiesen: Es geht darum, dass wir uns in die Diskussion einbringen, dass wir sagen, was uns wichtig ist. Da muss nicht jeder Blödsinn, der in dem Grünbuch steht, übernommen werden. Das ist doch selbstverständlich.