Protokoll der Sitzung vom 19.12.2007

Ich habe schon in der ersten Runde darauf hingewiesen: Es geht darum, dass wir uns in die Diskussion einbringen, dass wir sagen, was uns wichtig ist. Da muss nicht jeder Blödsinn, der in dem Grünbuch steht, übernommen werden. Das ist doch selbstverständlich.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Darum soll sich der Stoiber kümmern!)

Herr Kollege Blenke, so bringen wir Europa nicht voran.

(Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Wir müssen uns im Europaausschuss einmal ernsthaft darüber unterhalten – ich verweise auf das, was der Kollege Hofelich gesagt hat –, wie wir mit der europäischen Frage mental umgehen.

Herr Abg. Walter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Bachmann?

Wenn er sich anstrengt, ja.

Gern. – Ich möchte an die Frage des Kollegen Blenke anschließen. Sind Sie der Meinung, dass die Frage, ob in einer Stadt in Baden-Württemberg eine City-Maut eingeführt werden soll, europaweit geregelt werden muss, oder meinen auch Sie, dass diese Frage jede Kommune besser selbst entscheiden kann?

Kollege Bachmann, es geht nicht darum, wer diese Frage entscheidet. Vielmehr geht es darum, eine Diskussion anzustoßen.

(Zuruf des Abg. Ulrich Müller CDU)

Diese Diskussion ist längst überfällig. Es zeigt sich doch, dass wir in Baden-Württemberg in dieser Frage bisher nichts auf die Reihe bekommen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Klaus Herrmann CDU: Warum soll man denn diskutieren, wenn man etwas nicht will?)

Für die FDP/DVPFraktion erteile ich Herrn Abg. Theurer das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will mich auf drei Bemerkungen beschränken.

Erstens: Der Europaausschuss trägt mit dazu bei, dass Vorhaben, die auf europäischer Ebene vorbereitet werden, hier frühzeitig diskutiert werden. Der Europäische Vertrag sieht nach seiner Veränderung nun die Möglichkeit der Subsidiaritätskontrolle, der Subsidiaritätsrüge und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit, wobei wir ja eine Achtwochenfrist haben, vor. Wenn wir dies wirklich sicherstellen wollen, dann ist der Europaausschuss die einzige Möglichkeit, auch den Landtag damit zu befassen. Denn der Bundesrat muss ja als nationale Vertretung entscheiden. Da stellt sich die Frage: Kann man eine parlamentarische Beteiligung überhaupt noch sicherstellen?

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Theurer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Stickelberger?

Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Kollege Theurer, Sie haben gerade die Notwendigkeit des Europaausschusses sehr deutlich beschrieben. Könnten Sie mir dann erklären, warum Sie sich mit Ihrer Fraktion zehn Jahre gegen die Einrichtung dieses Ausschusses gewehrt haben.

Die FDP/DVP-Fraktion hat bereits in den Achtzigerjahren die Einrichtung eines eigenständigen Europaausschusses gefordert. Wir sind froh, dass es in dieser Legislaturperiode gelungen ist,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wer hat da gebremst?)

auch unseren Koalitionspartner von der Notwendigkeit eines Europaausschusses zu überzeugen. Es gab in den Jahren zuvor Gründe, keinen Europaausschuss einzusetzen.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Sie waren dagegen!)

Jetzt gibt es sehr gute Gründe für einen Europaausschuss. Das Wichtigste aber ist, dass wir den Europaausschuss mit Leben füllen. Hier sehe ich schon mit großer Sorge, dass andere Ausschüsse bei bestimmten Punkten, die eigentlich in die Zuständigkeit des Europaausschusses fallen, die Federführung an sich ziehen. Immer dann, wenn mehrere Ausschüsse betroffen sind oder wenn es um ein originär europäisches Thema geht – wie bei der Verteilung der EFRE- und der ESF-Mittel –, dann muss der Europaausschuss der federführende Ausschuss sein. Ich habe im Ausschuss klar zum Ausdruck gebracht, dass ich erwarte, dass in Zukunft auch die zuständigen Fachminister den Abgeordneten im Europaausschuss Rede und Antwort stehen.

Ich will als Zweites auf die Projekte eingehen. Wir brauchen in einem vereinten Europa leistungsfähige Verkehrsbeziehungen. Baden-Württemberg braucht nach der deutschen Einheit und der europäischen Einigung leistungsfähige Ost-WestVerkehrsverbindungen bei den Straßen, aber auch bei den Schienen, Stichworte: Baden-Württemberg 21, Magistrale Straßburg–Stuttgart–München–Budapest, aber auch entsprechende Zulaufstrecken zur NEAT – die Rheintalbahn und die Strecke Mailand–Zürich–Singen–Stuttgart–Nürnberg–Berlin.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir sollten darüber hinaus, wie es der Kollege Hofelich angedeutet hat, den Donauraum mit Leben erfüllen und natürlich auch dafür sorgen, dass die EU hierfür die notwendigen Mittel bereitstellt. Der Donauraum, die Erweiterung nach Osten mit Blickpunkt auf Serbien, Bulgarien, Rumänien, die Ukraine und auch Moldawien

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Georgien!)

sind notwendig und genauso wichtig wie Ostsee- und Mittelmeerraum.

Zum Abschluss die Frage der Zuständigkeit: Während Europa vor 20 Jahren Außenpolitik bedeutete, ist Europa heute Innenpolitik. Man kann sich trefflich darüber streiten, was auf europäischer Ebene und was vor Ort geregelt werden soll. Wir

sind der Auffassung, dass wir die Gefahr abwenden müssen, dass man alles, was man im Landtag oder im Bundestag nicht durchbekommt, dann auf die europäische Ebene zerrt. Deshalb brauchen wir auch keine europäische Stadtverkehrspolitik. Das können wir selbst regeln.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Thomas Blenke CDU)

Wir brauchen kein Europa, das entscheidet, ob wir eine CityMaut einführen oder wie hoch die Bürgersteige sein sollen.

Was wir aber brauchen, ist ein funktionierender Binnenmarkt. Deshalb sind wir hinsichtlich der Drittstaatenregelung der Auffassung, dass ein funktionierender Arbeitsmarkt erforderlich ist und dass wir eine europäische Regelung brauchen, die die Zuwanderung begrenzt und eine gesteuerte Zuwanderung ermöglicht. Denn wir haben allein in Baden-Württemberg einen Fachkräftemangel von 60 000 Menschen. Das Wirtschaftsministerium hat deutlich gemacht, dass dadurch eine Wertschöpfung von 3,5 Milliarden € ausfällt und damit Wohlstands chancen ausfallen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass hier eine europäische Mindestregelung sinnvoll und notwendig ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatsminister Stächele das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen für ihr Engagement in Sachen Europapolitik und insbesondere auch für die Würdigung des Europaberichts herzlich danken. Ich will ausdrücklich auch dem Europaausschuss danken. Ich habe am 18. Dezember in der Presse gelesen: „Die Europäer“ – und damit war ja der Europaausschuss gemeint – „kämpfen um Beachtung“.

Dass hier die Zuhörertribüne leer ist,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Liegt an dem Zeit- punkt!)

hat nichts mit einem erfolglosen Kampf zu tun,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Lag an Herrn Theurer! Die sind danach alle gegangen!)

sondern liegt, so habe ich den Eindruck, mehr am Zeitmanagement der Landtagsverwaltung. Vielleicht sollte man tatsächlich zu einem so wichtigen Tagesordnungspunkt wieder Gruppen hereinkommen und zuhören lassen. Ich freue mich, dass die Kollegen aus der Schweiz uns die Treue halten und bei dieser Debatte dabei sind.

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

Denn das, was im Moment an den leeren Zuhörerrängen sichtbar wird, entspricht beileibe nicht der tatsächlichen Zustimmung unserer Bevölkerung zur Europäischen Gemeinschaft. Der Kollege Walter hat das aktuelle Barometer zitiert. Es gibt weitere Zahlen. Sehr erfreulich ist, dass die Zustimmung zur

EU-Mitgliedschaft wiederum gewachsen ist und nun bei 67 % liegt. Das heißt, die Entwicklung im Zeichen der deutschen Ratspräsidentschaft hat sich fortgesetzt. Erfreulich ist auch, dass man durchaus erkennt, und etwa 60 % sagen dies – in einem Exportland wie Baden-Württemberg wären die entsprechenden Werte wahrscheinlich noch höher –, dass die EU-Mitgliedschaft sehr zum Vorteil des eigenen Landes ist. Drittens sagt man durchaus: Deutschland hat ein positives Gewicht in der Europäischen Gemeinschaft. Es sind immerhin 79 %, die dies sagen.

Kollege Walter, zugegeben: Die Institutionen haben es auch in Europa schwer. Wenn für die Institutionen die Zustimmung nur bei 52 % liegt, dann möge für die Europäer vielleicht Trost sein, dass für das nationale Parlament die Zustimmung nur bei 41% liegt. Das Phänomen kennen wir natürlich, dass zum Grundgedanken zwar Zustimmung besteht, dass aber gegenüber den Handelnden, den Akteuren da und dort gewisse Zweifel bestehen. Aber das ist natürlich unser politisches Brot tagein, tagaus.

Meine Damen und Herren, es wäre schon gut, am Ende dieses Jahres noch einmal zu schauen, was in diesem Jahr alles passiert ist. Ein Kollege hat den Jahrestag der Römischen Verträge im März angesprochen. Aber allein die Ereignisse der letzten vier Wochen weisen bereits auf ganz wichtige Etappen in der europäischen Integrationsentwicklung.

Zuerst wurde am 12. Dezember die Charta der Grundrechte in Straßburg proklamiert. Dann wurde am 13. Dezember der Vertrag von Lissabon unterzeichnet. Schließlich fand am 14. Dezember in Brüssel ein normaler Regierungsgipfel mit brisanten Themen statt – ich nenne nur das Kosovo und den Balkan, aber es gab noch weitere Themen. Ferner schließt sich – auch das gehört in diese Reihe – am 21. Dezember die Erweiterung des Schengener Abkommens an.

Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir über Europa reden, einfach einmal aufzuzeigen, wie weit wir in 50 Jahren gekommen sind. Man kann mit Fug und Recht, ohne zu euphorisch zu werden, immer wieder sagen: Europa ist eine Erfolgsgeschichte. Es ist wirklich eine Erfolgsgeschichte.