Protokoll der Sitzung vom 02.04.2008

(Beifall des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Für uns ist klar: Nach wie vor haben tarifliche Lösungen Vorrang.

(Zurufe der Abg. Rudolf Hausmann und Claus Schmiedel SPD)

Ein gesetzlicher Mindestlohn hebelt selbstverständlich die Tarifautonomie aus. Ein Mindestlohn wird eben gesetzlich festgelegt – nicht mehr von den Tarifparteien.

(Zuruf des Abg. Karl-Wolfgang Jägel CDU – Unru- he)

Außerdem bringt ein allgemeiner, flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn einige Probleme mit sich. Ist er zu niedrig angesetzt, dann hilft er nicht. Ist er zu hoch, besteht – –

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Ruhe bitten. Die Rednerin ist sonst kaum zu verstehen.

Liegt der gesetzliche Mindestlohn zu hoch, besteht die Gefahr, dass Arbeitsplätze vernichtet werden und dass Aufträge in die Schwarzarbeit abwandern.

(Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Natürlich ist richtig: Wer arbeitet, muss davon auch leben können. Es gibt aber auch regionale Unterschiede. Es ist ein Unterschied, ob ich im mittleren Neckarraum, ob ich in Stuttgart lebe oder in der Mecklenburgischen Seenplatte. Diese regionalen Unterschiede berücksichtigt ein gesetzlicher Mindestlohn nicht. Er berücksichtigt auch keine Unterschiede zwischen den Branchen. Deshalb halten wir davon nichts und setzen weiterhin auf tarifliche Lösungen, die unseres Erachtens Vorrang vor gesetzlichen Regelungen haben.

Klar ist aber auch, dass das Flächentarifsystem in Deutschland, insbesondere in den neuen Bundesländern, zunehmend an Bedeutung verliert. 1996 waren nach Angaben des IAB noch 69 % der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen tätig. 2006 waren es gerade noch 57 %. In den neuen Bundesländern liegt die Quote mittlerweile bei 40 %.

Dafür tragen wir als Politiker natürlich Verantwortung, und wir müssen uns fragen, wie wir die Beschäftigten, die nicht in tariflich gebundenen Betrieben arbeiten, tatsächlich schützen können. Dabei setzen wir auf andere Regelungen als einen gesetzlichen Mindestlohn. Wir setzen auch auf andere Regelungen als die, die Kollege Wolf vorgeschlagen hat; er sprach von der Aufstockung mit Arbeitslosengeld II.

Weil Sie, Herr Kollege Wolf, von Bürokratie gesprochen haben: Wenn etwas bürokratisch ist, dann ist es das Arbeitslosengeld II oder die Beantragung von Unterstützung bei den Kosten für die Unterkunft. Das ist wirklich Bürokratie. Außerdem werden die Leute da schon arg gegängelt, obwohl sie Beschäftigung haben. Insofern ist das für uns keinesfalls der richtige Weg. Vielmehr schlagen wir vor, dass die Tarifparteien Mindestlöhne vereinbaren und diese auf Antrag ins Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen werden, sodass auch Beschäftigte, die nicht tarifgebunden arbeiten, entsprechend bezahlt werden.

Klar ist für uns, dass nur für Branchen, in denen es keine oder zumindest keine ausreichenden Tarifstrukturen gibt, andere Lösungen gefunden werden müssen. Wir schlagen da eine Mindestlohnkommission nach britischem Vorbild vor. Darin sitzen die Sozialpartner mit Vertretern der Wissenschaft zu

sammen und erarbeiten Empfehlungen, die branchenspezifisch und regionalspezifisch sind. Damit können auch diese Beschäftigten vor Dumpinglöhnen geschützt werden. Das ist unseres Erachtens der wesentlich bessere Weg als ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn oder eine Aufstockung über das Arbeitslosengeld II.

Klar ist auf jeden Fall, dass Wirtschaft und Politik in der Verantwortung und in der Pflicht sind, dass Menschen, die arbeiten, auch ihre Existenz sichern können. Da muss ich an die Regierungsfraktionen und insbesondere die Fraktion der CDU gerichtet sagen: Wir sehen die Signale in Richtung einer sozialen Absicherung bei Ihnen nicht.

Wir hatten vor einem knappen Dreivierteljahr einen Antrag zum Thema „Bekämpfung von Armutslöhnen in Baden-Würt temberg“ behandelt. Damals wurde von Ihnen auf die Vereinbarung im Koalitionsausschuss vom Juni 2007 verwiesen: Einbeziehung weiterer Branchen in das Entsendegesetz. Ferner ging es um die Möglichkeit, sich bis zum 31. März 2008 – also vorgestern – zu bewerben. Da geht es explizit auch um die Zeitarbeits- und Weiterbildungsbranche, deren Vertreter ja jetzt tatsächlich den Antrag gestellt haben. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich dafür einsetzen, dass die Politik verlässlich ist, und dass Sie die Vereinbarung, die die CDU/CSU und die SPD getroffen haben, einhalten …

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

… und sich dafür einsetzen, dass die Branchen, die jetzt beantragt haben, in das Entsendegesetz aufgenommen zu werden, auch tatsächlich die Möglichkeit haben, aufgenommen zu werden.

Insgesamt ist es wichtig, die Unsicherheit und die sozialen Probleme, die viele Menschen haben, ernster zu nehmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Dr. Stolz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir beraten heute zwei Anträge, die in ihrer Zielsetzung höchst unterschiedlich sind: zum einen den Antrag der Fraktion der SPD, der die Landesregierung auffordert, eine Initiative zur flächendeckenden Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zu unterstützen, und zum anderen den Antrag der Fraktion der FDP/DVP, der die Frage stellt, ob ein Mindestlohn den Abschied von der sozialen Marktwirtschaft bedeutet.

Ich muss vorab feststellen: Der Antrag der Fraktion der SPD hat sich zwischenzeitlich erledigt. Denn der Bundesrat hat am 12. Oktober 2007 mit der Stimme Baden-Württembergs beschlossen, den von Rheinland-Pfalz gestellten Gesetzesantrag nicht in den Bundestag einzubringen. Ich möchte mich deshalb auf die aktuelle Lage beim Mindestlohn beschränken. Denn Rheinland-Pfalz hat seinen Gesetzesantrag zu einem Zeitpunkt in den Bundesrat eingebracht, zu dem die Berliner

Koalition bereits einen Kompromiss zum Mindestlohn gefunden hatte. Dieser Kompromiss besteht darin, Möglichkeiten zur Einführung branchenspezifischer Mindestlöhne zu schaffen. Dafür sollen das Arbeitnehmerentsendegesetz und das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen angepasst werden.

Man kann durchaus der Meinung sein, dass es in Ausnahmefällen notwendig sein kann, dass der Staat in die Lohnfindung eingreift, beispielsweise durch die Aufnahme einer Branche in das Arbeitnehmerentsendegesetz oder durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags. Beides ist bisher schon möglich, und es hat sich ja auch in Einzelfällen durchaus bewährt. Aber solche Regelungen dürfen keine sozial- und wirtschaftspolitischen Flurschäden verursachen.

Deshalb denke ich, dass die Gesetzentwürfe des Bundesarbeitsministeriums, die zu diesem Thema auf dem Tisch liegen, kategorisch abgelehnt werden müssen, und zwar aus gutem Grund. Denn die Gesetzentwürfe von Bundesminister Scholz weichen an ganz maßgeblichen Stellen vom gefundenen Kompromiss ab und gehen sogar weit darüber hinaus. So räumt sich z. B. in diesen Gesetzentwürfen das Bundesarbeitsministerium fast schon die Stellung eines Lohnzensors ein.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Vor allem greifen die Entwürfe massiv in die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie ein. Nach den Entwürfen soll es möglich sein, durch Rechtsverordnungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz und dem Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen andere Tarifverträge zu verdrängen.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Dabei wäre es sogar möglich, dass ein Minderheitentarifvertrag auf eine Mehrheit von Arbeitsverhältnissen erstreckt werden kann. Das Ganze hat nicht nur auf Schwäbisch gesagt ein „Gschmäckle“, das ist noch viel mehr.

Vielmehr wäre die Umsetzung dieser Gesetzentwürfe aus meiner Sicht verfassungsrechtlich bedenklich und hätte auch unabsehbare Folgen für das Wirtschaftsgeschehen und den Wettbewerb insgesamt. Wie es mit solchen schlechten Regelungen geht, sehen wir bei der Festsetzung eines Mindestlohns in der Briefdienstleistungsbranche. Das ist ja ziemlich danebengegangen.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Der Postmindestlohn hat gezeigt, wie das wirtschaftliche Gefüge einer Branche hierdurch ins Schwanken geraten kann. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht Berlin die Erstreckung der Postmindestlohnverordnung für Briefzusteller auf die gesamte Branche schlichtweg für rechtswidrig erklärt. Vor dem Hintergrund dieses Gerichtsurteils sollte der Herr Bundesarbeitsminister seinen Gesetzentwurf nochmals grundlegend überarbeiten, um nicht nach dessen Umsetzung auch wieder aus einem schönen Traum in die Realität zurückgeholt zu werden.

Die Lohnfindung muss die Angelegenheit der Tarifvertragsparteien bleiben und darf nicht in den Aufgabenbereich des

Staates übergehen. Es ist für mich unverständlich, wie auch Gewerkschaften diese Gesetzentwürfe letztlich positiv begleiten wollen. Diese Entwürfe müssten eigentlich die stärksten Verfechter eines gesetzlichen Mindestlohns zum Nachdenken bringen. Denn wenn es erst einmal Mindestlohngesetze gibt, könnten sich diese auch kontraproduktiv auf die Bereitschaft der Arbeitgeber auswirken, überhaupt Tarifverträge abzuschließen. Denkbar wäre es, dass die Arbeitgeber nach und nach aus den Verbänden austreten und nach Auslaufen eines Tarifvertrags keine Tarifbindung mehr für sie besteht. Tarifvertraglich festgelegte höhere Löhne müssten dann letztlich nicht mehr bezahlt werden.

Ich dachte immer, es sei die Auffassung und auch die Aufgabe von Tarifvertragsparteien, ordentliche Löhne und auch möglichst hohe Löhne auszuhandeln. Diese Entwürfe hebeln jedoch ureigene Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrechte aus. Ich denke, auch die SPD sollte kritisch begleiten, was hier der zuständige Minister auf den Weg bringt, und sollte hinterfragen, ob es wirklich auch den Arbeitnehmern zugutekommt.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Unterhaltungen nach außerhalb des Plenarsaals zu verlegen.

Ich habe den Einruck, dass verschiedene Tarifvertragsparteien momentan diese Entwicklung durchaus sehen und deswegen auch keinen Antrag auf Aufnahme ins Arbeitnehmerentsendegesetz stellen. Die Resonanz ist schon angesprochen worden: Statt der erhofften zehn bis zwölf Branchen haben nur acht recht kleine Branchen einen Antrag auf Aufnahme ins Arbeitnehmerentsendegesetz gestellt.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Die Leiharbeitsbranche ist klein? Ich lache mich gleich zu Tode! Da geht es um ein paar Hunderttausend Beschäftigte!)

Das zeigt eigentlich, dass das keine gute Lösung ist. Das sollte dann auch nicht schöngeredet werden. Gerade die größeren Branchen haben sich diesem Ansinnen nicht gestellt.

Gestern lautete die Überschrift in der Presse „Mindestlohn droht zum Flop zu werden“. Der schöne Ausdruck „totes Pferd“ ist hier im Plenum genannt worden. Um einen weiteren Flop für alle Beteiligten zu vermeiden, hoffe ich, dass die aktuellen Gesetzentwürfe des Bundesarbeitsministers, wenn sie schon nicht komplett gestoppt werden – was auch kein Fehler wäre –, zumindest grundlegend überarbeitet werden. Die Landesregierung wird auf jeden Fall wie bisher die Einführung von Mindestlöhnen sehr kritisch begleiten und in der Tendenz auch ablehnen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Aber in Berlin mitma- chen!)

Durch das ganze Geschehen fühlen wir uns auch mehr bestätigt als nicht bestätigt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hausmann.