Protokoll der Sitzung vom 23.07.2008

Es ist so, wie der Ministerpräsident gesagt hat: Sie wollen den Leuten damit zum x-ten Mal Ihren alten, steinalten, verkommenen Ladenhüter Gesamtschule andrehen. Heute heißt das Ganze Gemeinschaftsschule; sie ist aber weiterhin nichts anderes als eine romantische Illusion. Sie werden damit keinen einzigen Standort retten. Im Gegenteil: Das, was Sie von uns fordern – vierzügige Einheitsschulzentren –, ist der Tod der weit verbreiteten Schule im ländlichen Raum, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: So ist es!)

Deshalb sage ich wie der Ministerpräsident auch: Die Grundschule gerade im ländlichen Raum bleibt unangetastet. Wir wollen, dass ländliche Schulstandorte so weit wie irgend möglich erhalten bleiben. Wir werden deshalb die Bildungslandschaft partnerschaftlich mit den Städten und Gemeinden, nicht zentral von Stuttgart aus, weiterentwickeln.

Meine Damen und Herren, zum guten Schluss will ich Ihnen nochmals ein Zitat präsentieren. Ich verrate nur so viel: Es stammt von einem Sozialdemokraten. Ich zitiere:

Mit dem Ausbluten der Hauptschule ist das dreigliedrige Schulsystem... am Ende; dem dreigliedrigen Schulsystem ist insgesamt auf... Dauer nicht... zu helfen.

Meine Damen und Herren, dieses Zitat stammt vom SPD-Abgeordneten Lang in der Plenarsitzung dieses Hauses vom 5. April 1973.

(Heiterkeit – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Prophetisch! – Abg. Ute Vogt SPD: So lange haben Sie gebraucht! – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Das Staatsarchiv kön- nen wir auflösen! Das können Sie übernehmen! – Zu- ruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Das heißt, Sie versuchen nunmehr seit – –

(Unruhe)

Ich kann Ihnen nur sagen: Im Fundus der CDU-Fraktionsgeschäftsstelle geht nichts verloren; da brauchen Sie keine Sorge zu haben.

(Zurufe von der SPD)

Ich glaube Ihnen, dass Sie das aufregt. – Aber damit sind wir auch beim Punkt: Sie versuchen seit 35 Jahren, die Hauptschule in diesem Land kaputtzureden. Das ist Ihnen nicht gelungen, und das wird Ihnen nicht gelingen, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU: Bravo! – Unruhe bei der SPD – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Herr Lang hat mehr Format als Sie! – Abg. Thomas Blenke CDU: Das, was die SPD macht, ist Politik gegen den ländlichen Raum!)

Wir in Baden-Württemberg sind mit dieser Systematik die Nummer 1 in der Bundesrepublik. Wir werden diese Systematik weiterentwickeln und fortführen. Die Gesamtschule, die Sie fordern, ist gescheitert. Weil wir schon vor 35 Jahren nicht auf Sie gehört haben, stehen wir heute besser da als alle anderen Bundesländer.

Die Fakten geben unserer Bildungspolitik recht. Das badenwürttembergische Schulwesen ist leistungsfähig, differenziert und vor allem durchlässig. Es gibt keinen Abschluss ohne Anschluss. Wir haben die wenigsten Schulabbrecher in Deutschland. Wir haben die meisten Abiturienten aller Flächenländer. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit in ganz Europa.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber nicht wegen der Landesregierung!)

Wer das schafft, macht die richtige Politik. Wir werden den Ministerpräsidenten und den Kultusminister weiterhin darin unterstützen, auf diesem Weg zu bleiben.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schmiedel.

(Zuruf von der FDP/DVP: Jetzt kommt ein Bildungs- politiker!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Ministerpräsident, eigentlich dachte ich, ich könnte Sie heute zu Beginn der Aussprache loben.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Ja, gern! Nur zu! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das wäre ein redlicher Zug! – Abg. Jörg Döpper CDU: Also mach und geh! – Heiterkeit – Unruhe)

Das wäre am Ende dieser Runde ja auch gar nicht schlecht. Der Titel Ihrer Regierungserklärung „Qualitätsoffensive Bildung“ legt nahe, dass man Tatbestände und Mängel erkennt, gegen die man mit einer Qualitätsoffensive vorgehen will.

Sie sind aber der alten Versuchung erlegen, wieder alles schönzumalen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Es ist schön!)

Deshalb muss ich mich, bevor ich mich mit der Qualität der Qualitätsoffensive beschäftige, erst noch einmal mit der Realität beschäftigen und Ihnen den Spiegel der Realität vorhalten, und zwar aus Ihrem Heimatkreis Ludwigsburg.

(Der Redner hält einen Zeitungsartikel hoch.)

Hier sind die Schüler der Klasse 9 b der Uhlandschule, einer Hauptschule in der Stadt Ludwigsburg, abgebildet: „Wir sind die Schüler der 9 b. Nur zwei von uns haben eine Lehrstelle.“

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das nur als Beispiel! – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Der Rest geht weiter zur Schule! – Abg. Stefan Mappus CDU: Wie viele gehen auf weiterführende Schulen? Lesen Sie das auch einmal vor! – Unruhe)

Das ist die Realität.

(Unruhe bei der CDU und der FDP/DVP)

Wenige Tage später, in derselben Zeitung, Ihrer Heimatzeitung: „In der Region Stuttgart gibt es einige Tausend freie Lehrstellen.“ Wieso haben denn die Kinder der 9 b fast keine Chance? Es wird nicht bei den zwei Schülern bleiben – das weiß ich auch –, sondern am Ende werden drei oder vier eine Lehrstelle haben.

(Lachen des Abg. Jörg Döpper CDU)

Da stehen wir an der Schnittstelle, am Übergang von der Hauptschule in das duale System. Weshalb haben diese Kinder denn trotz freier Lehrstellen keine Chance?

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Weil sie mittlere Reife machen wollen, möglicherweise! – Ge- genruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das ist der dümmste Zwischenruf, den ich heute gehört habe!)

Wenn Sie bereit sind, einen Dialog zu führen, dann möchte ich Sie doch bitten, nicht nur das ernst zu nehmen, was wir sagen, sondern auch das, was die Beteiligten selbst sagen, insbesondere die Eltern. Heute lesen Sie in den „Stuttgarter Nachrichten“ von der Landeselternbeiratsvorsitzenden:

Die Eltern in Baden-Württemberg sind so toll,

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Abg. Stefan Mappus CDU: Die Eltern sind toll, ja!)

aber nicht das Schulsystem.

(Beifall bei der SPD – Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Sie loben sich für etwas, wofür Sie gar keine originäre Verantwortung haben.

(Beifall bei der SPD – Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es! – Lachen des Abg. Stefan Mappus CDU)

Ich lese Ihnen, Herr Mappus, einmal kurz vor, was die Landeselternbeiratsvorsitzende, mit der Sie ja einen Dialog führen wollen – Sie haben gesagt, Sie seien bereit zum Dialog –,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Wir haben es doch gelesen!)

zur Analyse der Situation in Baden-Württemberg sagt:

Der Südwesten schneide in Bildungsstudien wie PISA deshalb vergleichsweise gut ab, weil viele Eltern finanzkräftiger und besser ausgebildet seien und ihre Kinder unterstützen könnten.

(Abg. Ingo Rust SPD: So ist es! – Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Das ist die Realität!)

Weiter sagt sie:

Dort, wo sie es nicht tun können, versagt jedoch auch unser Schulsystem.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Stefan Mappus CDU: Absoluter Quatsch!)

Das ist die haarscharfe Analyse.