Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

Ich sage Ihnen, ich kann mir nicht vorstellen, dass in der Zukunft ein Geselle seine Gesellenprüfung bei der Handwerkskammer macht, aber in der ganzen Zeit nicht einmal einen Betrieb von innen gesehen hat.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Lassen Sie mich noch einen Punkt, der mir ganz große Sorgen macht, ansprechen. „Warteschleife“ war ein Stichwort. Junge Leute, die vor einem Jahr, vor zwei Jahren, vielleicht vor drei Jahren aus der Schule gekommen sind und die immer wieder versucht haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen – vielleicht eine Einstiegsqualifizierung gemacht haben, vielleicht ein Praktikum gemacht haben –, sind noch immer nicht auf dem klassischen Ausbildungsplatz gelandet. Das wollen wir ja alle nicht.

Genau für diese Gruppe – übrigens oft auch mit Migrantenhintergrund, wie wir wissen – habe ich jetzt, geltend vom 1. Juni an, als ein weiteres Instrument noch einmal 2 Millionen € als Sofortmaßnahme zur Verfügung gestellt, um ganz gezielt den mittelständischen Betrieben – für Leute, die mindestens ein Jahr in der so genannten Warteschleife sind – ein zusätzliches finanzielles Angebot zu machen, jedenfalls dann, wenn sie bereit sind, einen weiteren zusätzlichen Ausbildungsplatz anzubieten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, die Debatte hat mir eigentlich bis jetzt ganz gut gefallen. Es geht nicht darum, jemanden zu beschimpfen. Ich bin dankbar dafür, dass sich die badenwürttembergische Wirtschaft, ich sage das einmal so allgemein, in einer nach wie vor konjunkturell labilen Situation – jedenfalls in den vergangenen zwei Jahren; es wird besser; das gibt mir aber auch Hoffnung für diesen Bereich – gewissermaßen bei ihren Ausbildungsbemühungen von der allgemeinen Arbeitsplatzpolitik abgekoppelt hat, das heißt also begriffen hat, dass sie sich im Grunde den eigenen Ast absägt, auf dem sie sitzt, wenn sie ihre Ausbildungsbereitschaft nicht überdeutlich unter Beweis stellt. Ich sage noch einmal: Wir sollten alle mit unseren Kräften zusammen mit denjenigen, die ausbilden, alle Möglichkeiten bündeln, damit diese Ausbildungsbereitschaft auch im Jahr 2006 so gut ist wie 2005 oder ein Stück weit noch besser.

Die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das ist wahr. Aber dieser Standort hängt insbesondere von der Fähigkeit der jungen Leute, von ihrer Ausbildungsfähigkeit, von ihrer Ausbildungsqualität ab. Deshalb mein herzlicher Appell an alle, die notwendigen Maßnahmen jetzt noch einmal mit Verve bis zum Jahresende einzuleiten, damit unter dem Strich jeder Jugendliche in Baden-Württemberg versorgt ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kaufmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In einem Punkt hat in der Diskussion Einigkeit bestanden: Wer sich heute, auch in Baden-Württemberg, um einen Ausbildungsplatz bemüht, hat es nicht leicht.

Das Problem liegt auf der Hand: Wir haben zu wenige Betriebe, die in unserem Land ausbilden. Es sind nur noch 28 % – ein Lob an die betreffenden Betriebe. Aber das ist eine Tatsache, mit der wir uns langfristig nicht abfinden können.

Das Erlebnis junger Menschen, nicht gebraucht zu werden, führt zu Resignation, schlägt auf ihre Ausbildungsmotivation, und wir laufen Gefahr, hier auch ein Arbeitskräftepotenzial zu verspielen, das wir in Zukunft brauchen.

Weil die Zahlen am Ende eines Jahres besser aussehen

(Abg. Veronika Netzhammer CDU: Deutlich bes- ser!)

deutlich besser; ja, richtig –, fragt man sich: Wo verbleiben die jungen Leute? Das Ergebnis ist: Die Zahl der Ausbildungsstellen wächst nicht. Vielmehr befinden sich die jungen Leute in dem Übergangssystem – in den beruflichen Vollzeitschulen. Damit landen die Kosten dieser Entwicklung bei der öffentlichen Hand. Wir haben hier im Land in der Vergangenheit sehr viel getan, um dieses Übergangssystem auszubauen. Es ist die Frage, ob dies permanent so aufrechterhalten werden kann und ob wir uns nicht überle

gen müssen, wie die Mittel, die wir in die beruflichen Vollzeitschulen investiert haben, besser eingesetzt werden könnten.

Hier bietet in der Tat das novellierte Berufsbildungsgesetz eine Chance. Das Berufsbildungsgesetz legt die Verantwortung ja ausdrücklich in die Hand der Länder. Das war schon einmal ein Beitrag aus der Föderalismusdiskussion. Die Länder werden gefordert, und jedes Land kann durch Rechtsverordnungen bestimmen, inwieweit eine Anerkennung der Ausbildung in beruflichen Vollzeitschulen auf die Lehre erfolgt und inwieweit Qualifikationen, die an den beruflichen Schulen erworben werden, auch zu einer Kammerprüfung führen können.

Ich weiß, da haben wir auch viel Gegenwind. Ich kenne die Position der Verbände dazu. Aber es führt schließlich kein Weg daran vorbei, dass wir uns überlegen: Was bei uns in den beruflichen Schulen vermittelt wird, welche Qualifikationen dort erlangt werden, das muss von den Firmen, in der Ausbildung auch entsprechend anerkannt und berücksichtigt werden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Da muss ich auf die Vereinbarung der Landesregierung mit der Wirtschaft vom März dieses Jahres zurückkommen. Diese Vereinbarung wird ja sehr gelobt. Aber ich habe sie mir im Detail angesehen. Wenn ich einmal von den Berufsfachschulen absehe, wo ein Jahr anerkannt werden kann, muss ich sagen: In weiten Bereichen besteht lediglich Empfehlungscharakter.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: So ist es!)

Meine Damen und Herren, die Landesregierung ist hier gefordert, eine entsprechende Verbindlichkeit einzuführen. Jetzt haben Sie durch die Änderung des Berufsbildungsgesetzes die Möglichkeit, Rechtsverordnungen zu erlassen, sodass auch eine Garantie auf Anerkennungen besteht. Das schafft Luft, verkürzt die Lehre, schafft auch Kapazität an den beruflichen Schulen. Denn meines Erachtens ist, wie gesagt, die Effizienz der Mittel, die wir hier einsetzen, deutlich zu steigern.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Auch die von Ihnen angesprochene Förderung der neuen Ausbildungsplätze nach dem ESF-Programm – 2 Millionen € an ESF-Mitteln; ich weiß nicht, wer dies vorhin angesprochen hat;

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

das ist ja Geld, das wir von der Europäischen Union bekommen, wenn ich es richtig sehe – hat in der Regel – ich habe dazu nichts gehört – keine Nachhaltigkeit. Ich weiß nicht, über welchen Zeitraum das Programm läuft und ob wir die Mittel auch nachhaltig einsetzen können. Aber wenn man es umrechnet, ergibt sich: 2 Millionen €, mit denen Sie ein halbes Jahr die Ausbildungsvergütung zahlen – rechnen Sie es um –, führen zu, glaube ich, 500 bis 600 Ausbil

dungsplätzen. Ich bin froh, dass wir die haben, aber es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das muss man hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe darauf hingewiesen, dass das Berufsbildungsgesetz uns herausfordert, dass die Länder gefordert sind. Der Ball liegt auf unserem Feld. Also ist hier die Landesregierung gefordert. Wir sollen das im Interesse unserer Jugendlichen, im Interesse der Menschen, die auf einen Ausbildungsplatz warten, fördern. Sie haben dabei unsere Unterstützung.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Netzhammer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Drexler hat vorhin gesagt: Lassen Sie den Rauch weg. Ich möchte diese Worte eigentlich an die Opposition zurückgeben. Ich glaube, die Diskussion hat gezeigt, dass am Anfang doch etwas zu viel Rauch in das Thema geblasen wurde und jetzt im Endeffekt nichts mehr übrig bleibt.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Rauchverbot! Dafür bin ich!)

Ich glaube, die Diskussion hat zum Zweiten gezeigt, dass sich dieser Landtag und diese Landesregierung

(Abg. Ute Vogt SPD: Es bleiben 30 000 Jugendli- che übrig! Also bitte!)

auch schon vor der Ära Vogt mit dem Thema „Lehrstellensuche und Besetzung von Lehrstellen“ befasst haben.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Aber unzurei- chend!)

Vorhin wurde gesagt, das Bündnis für Ausbildung habe in Baden-Württemberg nichts gebracht. Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, können Sie feststellen, dass in all den Jahren mehr als 3 000 Ausbildungsplätze und mehr als 3 000 Praktikumsplätze zusätzlich gewonnen wurden. Auch das ist ein großer Erfolg dieses Bündnisses für Ausbildung.

Ich glaube, die Diskussion hat aufgezeigt: Berufssuche und Berufsfindung für junge Menschen sind nicht einfach und waren noch nie einfach. Das ist in Deutschland nicht einfach, aber in Baden-Württemberg ist es doch deutlich einfacher als in anderen Bundesländern. Wenn wir uns an den Ergebnissen orientieren, Frau Vogt, und nicht an Wasserstandsmeldungen, zählt für mich nach wie vor die Zahl vom letzten Dezember. Wenn bei 75 000 vermittelten Ausbildungsplätzen 1 058 Auszubildende unversorgt bleiben, sind das zwar immer noch 1 058 zu viel, aber dann relativiert sich die Zahl.

(Abg. Ute Vogt SPD: Aber das BVJ ist doch keine Versorgung, Mensch! Seien Sie doch einmal ehr- lich!)

Einen Moment, Frau Vogt, Sie sind gleich dran bzw. Sie sind nicht mehr dran; Sie haben Ihre Redezeit schon verbraucht.

(Heiterkeit bei der CDU – Zuruf des Abg. Wolf- gang Drexler SPD)

Jetzt zwei andere Punkte. Es geht immer wieder um das Thema „Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden, gehen in das berufliche Schulwesen“. Frau Vogt, Sie können noch etwas lernen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Oh-Rufe von der SPD)

Ich wehre mich wirklich nachhaltig gegen den Begriff „Warteschleife“.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Aber doch nicht bei sol- chen Argumenten! Nichts anderes ist es doch als eine Warteschleife! – Unruhe – Glocke des Präsi- denten)

Wenn Sie sich einmal mit den Schülern an den beruflichen Schulen unterhalten, wenn Sie sich mit den Lehrern unterhalten und wenn Sie sich mit den Personalchefs in den Unternehmen unterhalten, werden Sie feststellen, dass wir inhaltlich sehr gute Konzepte in den Berufsfachschulen und Berufskollegs haben und dass sich die Qualität einfach herumgesprochen hat.

(Abg. Ute Vogt SPD: Waren Sie schon einmal in einer BVJ-Klasse?)

Liebe Frau Vogt, ich habe 20 Jahre in diesem Bereich unterrichtet.

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ute Vogt SPD: Im BVJ? – Unruhe)