Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

(Heiterkeit bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ute Vogt SPD: Im BVJ? – Unruhe)

Ich rede im Moment von der Berufsfachschule und vom Berufskolleg, Frau Vogt. Das Wort „Warteschleife“ muss hier einfach getilgt werden. Viele Jugendliche wollen diese zusätzliche Ausbildung, und viele Personalchefs sagen im Zusammenhang mit Bewerbungen: Wenn ihr in die Berufsfachschule oder in das Berufskolleg geht, könnt ihr anschließend bei uns einen Ausbildungsplatz bekommen. Das ist die Realität.

(Zurufe von der SPD)

Wo ich aber mit Herrn Kaufmann einig bin, ist, dass der Jugendliche, wenn er nachher eine Ausbildung durchläuft, die schulischen Qualifikationen, die er in der Vollzeitschule erworben hat, auf die Ausbildungszeit angerechnet bekommen sollte. Da sind wir uns einig.

(Abg. Gunter Kaufmann und Abg. Stephan Braun SPD melden sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke des Präsidenten)

Frau Abg. Netzhammer – –

(Lachen bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Da sind wir gespannt, wie lange das geht! – Weite- re Zurufe von der SPD – Große Unruhe bei der SPD)

Jetzt kommen wir zum Thema Berufsvorbereitungsjahr. Wir haben in der Hauptschule natürlich teilweise auch Schüler, die deutliche Qualifizierungsnachteile haben: Da haben an den BVJs – Herr Lehmann ist ja auch an einer solchen Schule tätig – bisher viele Lehrer in der Konzeption von weiteren Formen wirklich harte Arbeit geleistet. Die Landesregierung wird das BVJ in zwei Arten weiterentwickeln, nämlich in die so genannten Kooperationsklassen – zweijährig, Hauptschule/Berufsschule – für Schüler ohne Hauptschulabschluss und in ein so genanntes Berufseinstiegsjahr für Jugendliche mit Hauptschulabschluss, wo ganz gezielt die leistungsschwachen Schüler gefördert werden, damit sie dann auch leichter zu vermitteln sind.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Schlimm genug, dass das notwendig ist! – Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Wir haben zusätzlich das Programm „Jugendbegleiter“ geschaffen, bei dem diese Jugendlichen begleitet werden, und wir haben noch ein Sonderprogramm der Landesstiftung, bei dem eine individuelle Förderung dieser benachteiligten Jugendlichen erfolgt.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Schlimm genug, ja!)

Ich glaube, mit einer so dezidierten Förderung helfen wir den leistungsschwachen Schülern mehr, als wenn wir – wie es manchmal gefordert wird – eine ganze Schulart wie die Hauptschule über den Haufen werfen. Ich kann Ihnen auch sagen: Viele Hauptschullehrer und Hauptschulrektoren sind es auch leid, dass immer summa summarum die Hauptschule schlechtgeredet wird.

(Abg. Gunter Kaufmann SPD: Wer macht das? – Abg. Ute Vogt SPD: Das macht kein Mensch!)

Es gibt nach wie vor viele Hauptschüler, die gute Abschlüsse erzielen und gute Ausbildungsplätze belegen können. Hier sollte die Diskussion einfach etwas differenzierter sein.

(Beifall des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Dann komme ich noch zum Thema „zusätzliche Ausbildungsplätze“. Frau Vogt möchte den Unternehmen ja immer „auf die Füße treten“. Vielleicht kann sie auch den Gewerkschaften einmal auf die Füße treten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Wir haben nämlich das Problem, dass gerade in den großen Unternehmen, die unterdurchschnittlich ausbilden, oft tarifvertragliche Bindungen zusätzliche Ausbildungsplätze nicht zulassen, weil es im Tarifvertrag einfach heißt: „Es wird nur so viel ausgebildet, wie übernommen wird.“ Wir haben hier eine andere Meinung. Wir sagen: Ausbildung geht vor Übernahme.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das steht doch in kei- nem Tarifvertrag! – Abg. Alfred Winkler SPD: Be- haupten Sie doch nicht so etwas! Das stimmt doch überhaupt nicht! – Abg. Ute Vogt SPD: Auch ein Betriebsbesuch wäre einmal zu empfehlen! – Wei- tere Zurufe von der SPD)

Es wäre sehr hilfreich, wenn die Gewerkschaften hier etwas beweglicher, etwas flexibler würden. Dann könnten auch große Unternehmen ihre Ausbildungsleistung steigern. Wir haben nämlich bisher eine überdurchschnittliche Ausbildungsleistung der kleinen und der mittelständischen Unternehmen.

Im Ergebnis halten wir fest, dass die Landesregierung in den letzten Jahren wirklich sehr viel getan hat und die Instrumente ständig weiterentwickelt.

(Abg. Thomas Knapp SPD: „War stets bemüht“!)

Wir von der CDU-Fraktion sind zuversichtlich, dass auch zum Ende dieses Jahres die Lehrstellenbilanz sehr positiv aussehen wird. Sie wird natürlich auch im Bund-LänderVergleich wieder vorbildlich sein.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Lehmann.

Eines muss ich vorwegschicken: Herr Minister Pfister, so, wie Sie mich da interpretiert haben, habe ich das nicht gesagt. Die erwähnte Position haben wir als Grüne noch nie vertreten. Dafür bin ich als Berufsschullehrer auch zu lange im Geschäft, als dass ich nicht wüsste, wie notwendig und wichtig das duale Ausbildungssystem und die praktische Ausbildung im Betrieb sind. Ich weiß auch, dass eine vollschulische Ausbildung nie eine duale Ausbildung ersetzen kann. Das ist ganz klar.

Aber wir müssen einfach registrieren – das muss auch das Land endlich einmal registrieren –, dass es nicht angehen kann – da spreche ich wirklich aus der Praxis –, dass es Schüler gibt, die aus der Hauptschule kommen, bei uns zwei Jahre lang auf der Berufsfachschule sind und dann keinen Ausbildungsplatz bekommen. Was machen sie dann? Sie gehen in das Berufskolleg. Super! Dann gehen sie zwei Jahre bei uns aufs Berufskolleg, und hinterher sagt der Ausbildungsbetrieb: „Wir rechnen nichts an. Jetzt mach deine drei Jahre.“ Dann sind wir bei sieben Jahren. Diese Fälle gibt es.

(Abg. Alfred Winkler SPD: So ist es! – Abg. Ute Vogt SPD: Genau!)

Das ist das Problem, das wir haben.

(Abg. Ute Vogt SPD: Ja!)

Das ist eine wahnsinnige Ressourcenvergeudung. Sie müssen sich einmal überlegen: Was bedeutet das für einen jungen Menschen, und was passiert in einem jungen Menschen, wenn er eine solche Biografie hat?

(Abg. Alfred Winkler SPD: Was ist daran noch dual?)

Er bekommt dann womöglich nach vier Jahren bei uns an der Schule gesagt: „Dich brauchen wir nicht.“ Er ist dann als junger Mensch schon ganz schnell ein Langzeitarbeitsloser. Das können wir uns nicht leisten.

Wir müssen uns auch die Frage nach der Qualität stellen. Wenn Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung gesagt haben: „Wir tun das vielleicht; ihr könnt das anerkennen; wir empfehlen das usw., aber es darf an dem, was wir da eingerichtet haben, eigentlich nichts verändert werden; es dürfen keine neuen Profile eingerichtet werden“,

(Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD)

dann muss ich Ihnen einfach einmal sagen: Im Gewerbe haben wir ja auch die BKs eingeführt. Das bezieht sich auf die technische Kommunikation. Die Absolventen nennen sich dann „Technischer Kommunikationsassistent“. Jetzt frage ich Sie: Wer braucht junge Leute mit dieser Ausbildung und diesem Profil? Schon darin liegt ein Konstruktionsfehler. Wenn wir sagen: „Daran soll nichts geändert werden“, sind wir schon auf der Verliererstraße. Wir brauchen neue, zukunftsfähige Qualifikationen.

Im Gewerbe brauchen wir meines Erachtens ein zweijähriges Berufskolleg für Mechatroniker, das dann durch eine einjährige berufspraktische Ausbildung im Betrieb ergänzt wird, damit in den zukunftsfähigen Bereichen der Industrie Nachwuchs mit herangezogen wird.

Wir haben auch den Vorteil – das müssen wir ganz klar sehen –, dass wir damit Ressourcen sparen. Wir können unheimlich viele Ressourcen sparen. Da kann das Land angesichts dieser Haushaltslage doch nicht sagen: „Das schert uns nicht; wir sind lieber hasenfüßig gegenüber den Kammern.“ Denn das ist eigentlich der Punkt. Wir nehmen ein Recht, das wir haben, nicht in Anspruch, sondern wir sind hasenfüßig und lassen das einfach weiterlaufen und meinen, irgendwann werde sich das Problem aufgrund des demografischen Wandels erledigt haben. Aber dann haben wir als Bundesland verloren, wenn wir das nicht entsprechend angehen und junge Leute nicht in einem Bereich ausbilden, wo es wirklich notwendig ist.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich bitte Sie, Herr Pfister: Es ist ja schön und gut, wenn im Gaststättengewerbe vielleicht 10 oder 20 % mehr junge Leute ausgebildet werden. Aber Sie wissen genau, was da passiert und wie viele Abbrecher es in diesem Bereich gibt. Was passiert dann mit diesen jungen Leuten? Es gibt in diesem Bereich eine hohe Zahl von Abbrechern und eine geringe Zahl von Übernahmen. Ich bin wirklich froh um jeden Ausbildungsplatz, aber wir müssen uns auch überlegen, wie die Qualität in der beruflichen Ausbildung aussieht und ob wir den jungen Menschen mit der Ausbildung, die sie da erhalten, auch wirklich eine Perspektive für die Zukunft mit auf den Weg geben. Darauf muss die Landesregierung eine Antwort geben.

Es gibt sinnvolle Programme, und – da gebe ich Ihnen, Frau Netzhammer, völlig Recht – alle Instrumente liegen auf

dem Tisch. Nur werden sie entweder nicht genutzt oder nur einmal kurz in die Hand genommen wie etwa ein Skalpell. Dann sieht man: „Aha, das ist sehr scharf, das schneidet ja richtig“, und legt es wieder weg, weil man Angst hat, es könnte vielleicht zu einer zu großen Nachfrage kommen, wie es jetzt bei dem Programm zur Förderung der Ausbildungsreife in Hauptschulen der Fall war. Da wird dann einfach abrasiert.

Bei uns im Landkreis Konstanz hat ein Thema wirklich für Furore gesorgt: Es gab sehr viel Skepsis im Bereich Jugendberufshilfe. Wir haben mit einem Jugendberufshelfer angefangen und haben in unserem Landkreis jetzt vier. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Wenn man sich anschaut, was landauf, landab gemacht wird, stellt man fest, dass viele Potenziale nicht genutzt werden.

Wenn uns das Thema so wichtig ist, Herr Pfister – und da gebe ich Ihnen völlig Recht; das ist eines der wichtigsten Themen, die wir haben: dass der Jugend eine Zukunft gegeben wird –, dann können wir uns nicht darauf beschränken, zu sagen: „Na ja, dann nehmen wir halt ESF-Mittel; dafür nehmen wir kein eigenes Geld in die Hand.“ Wir brauchen dringend Schulsozialarbeit, um die Ausbildungsreife zu verbessern, und wir brauchen auch eine Stärkung der Jugendberufshilfe.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Rülke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können feststellen, dass wir uns in diesem Hause in der Zielsetzung einig sind, dass es aber in der Frage, wie wir zum Ziel kommen wollen, große Unterschiede gibt. Während die Regierungsseite auf Kooperation mit der Wirtschaft setzt, stelle ich fest, dass die Opposition eher einen Konfrontationskurs fährt.

(Abg. Gunter Kaufmann SPD: Oh! – Abg. Ute Vogt SPD: Konfrontation sieht aber anders aus! – Zurufe der Abg. Reinhold Gall SPD und Brigitte Lösch GRÜNE)

Das lässt sich anhand der Maßnahmen, die wir vorschlagen, und der Bewertung dieser Maßnahmen durch Sie sowie durch Ihre Gegenvorschläge eindrucksvoll darstellen.