Protokoll der Sitzung vom 18.02.2009

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Dann ist es zu spät!)

aber das ist zu spät, denn die ist im letzten Kindergartenjahr.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Nein, die beginnen jetzt schon im vierten Lebensjahr! – Gegenruf des Abg. Claus Schmiedel SPD: Na und? Wann kommen die Sanktionen?)

Sie wissen ja, dass Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung ein großes Problem sind, vor allem in den ersten Lebensjahren.

Deshalb schlagen wir vor, statt dieses zahnlosen Tigers den Weg eines verbindlichen Einladewesens zu gehen, was aus gutem Grund fast alle anderen Bundesländer machen, z. B. Rheinland-Pfalz, Berlin oder Schleswig-Holstein. Liebe Kol leginnen und Kollegen, dieses Verfahren ist kein bürokratisches Monster und auch nicht aus datenschutzrechtlichen Gründen angreifbar. Aus Schleswig-Holstein ist zu hören, dass das Tracking-Verfahren insgesamt sehr zufriedenstellend läuft. Speziell die zentrale Stelle, die in Schleswig-Holstein Landesfamilienbüro heißt, läuft gut. Dadurch, dass die zentrale Stelle die Einladungen schreibt und sofort die Rückmeldungen erhält, werden auch keine Daten auf Vorrat gespeichert.

Wenn jemand trotz Einladung und Erinnerung die Früherkennungsuntersuchung nicht nachholt, wird das den Jugendämtern – nicht den Ärzten oder den Gesundheitsämtern – gemeldet. Die werden dann aktiv und entscheiden über geeignete Hilfen und geeignete Maßnahmen.

Das ist unserer Meinung nach der richtige Weg, um einen verlässlichen, wirksamen Kinder- und Jugendschutz in BadenWürttemberg zu gewährleisten, bei dem tatsächlich kein Kind verloren geht.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch bei diesem Punkt bitte ich einfach darum, den scharfen Ton herauszunehmen. Frau Kollegin Krueger und auch Frau Kollegin Wonnay haben gesagt: Wir sind uns einig. Kein Kind darf verloren gehen,

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aber der Weg dort- hin!)

und zwar in keiner Hinsicht verloren gehen. Über Wege zum Ziel kann man sich durchaus streiten, aber ich bitte darum, hier keine Zerrbilder aufzumachen.

Das unterschiedliche Denken hat Kollegin Krueger ja mit einem Zitat von mir, das ich jetzt nicht wiederholen will, aufgezeigt. Die Frage ist immer – da haben wir uns schon schwergetan –, ob wir die Verpflichtung zur Inanspruchnahme der U-Untersuchungen wirklich gesetzlich normieren sollten. Denn natürlich kann man zunächst einmal fragen: Was nützt es, wenn ich keine Sanktionen vorsehe? Aber umgekehrt steht unsere Haltung sehr im Einklang mit der des Verbands der Kinder- und Jugendärzte, der gesagt hat: „Wenn wir für diejenigen, die uns mit ihrem Kind nicht aufsuchen, zum Büttel der Staatsgewalt gemacht werden, dann halten wir das für kontraproduktiv.“ Das heißt: Statt Strafandrohung für den Fall,

dass man diese Gesetzesnorm nicht befolgt, muss es für die Inanspruchnahme der U-Untersuchungen Anreize geben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Es geht doch um das Kindeswohl, Kollege Noll! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Genau! Wo sind die Anreize?)

Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass es vieles davon schon gibt. Sie müssten sich einfach, so, wie ich es in Bezug auf meine vier Enkel tue, kundig machen, was die Krankenkassen – egal, ob private oder gesetzliche Krankenkassen – in diesem Bereich derzeit machen. Zunächst einmal werden alle Eltern jeweils angeschrieben und auf die Vorsorgeuntersuchungen hingewiesen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das ist doch okay!)

Dies ist, wie beim Thema Zahnprophylaxe, teilweise mit Anreizen verbunden.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Das ist aber kein pas- sender Vergleich!)

Warum sollten wir gesetzlich etwas vorschreiben, was von den Krankenkassen in der Tat schon gemacht wird?

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Was passiert mit de- nen, die nicht kommen?)

Zum Thema Mailing: Warum sollten wir parallel zu denen, die das ihren Versicherten ohnehin als Pflichtleistung anbieten, einen hohen bürokratischen Aufwand betreiben?

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Aber diejenigen, die nicht hingehen!)

Vieles von dem, was Sie vorschlagen, wäre ein Draufsatteln von Selbstverständlichem und von Maßnahmen, die schon gemacht werden. Trotzdem waren wir der Meinung, dass diese gesetzliche Norm – –

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was ist mit denen, die die Post gar nicht öffnen?)

Jetzt seien Sie doch nicht so unruhig, Herr Schmiedel! Ich weiß gar nicht, ob Sie überhaupt wissen, wie die Untersuchungen ablaufen. Ich habe z. B. in der Jugendzahnpflege im Rahmen des öffentlichen Gesundheitsdiensts sehr intensiv alles Mögliche gemacht.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Meine Zwillinge sind neun! Da brauche ich keine Enkel, um das beurteilen zu können!)

Manchmal habe ich das Gefühl, dass Sie noch gar nicht wissen, was alles schon möglich ist, und daher neue Gesetze fordern. Sie wissen nicht, dass vieles von dem, was Sie gesetzlich regeln wollen, schon gemacht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Rein- hold Gall SPD: Wir haben doch auch Kinder! Wir wissen doch auch, wovon wir reden! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Nicht jeder Opa weiß mehr als der Papa! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Auf diesem Niveau müssen wir wirklich nicht disku- tieren!)

Ich bin auch der Meinung, dass wir auf diesem Niveau nicht diskutieren sollten.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Warum haben Sie dann den Opa eingeführt?)

Ich bin der Meinung, dass wir vor allem eines einmal sagen sollten: Die ganz große Mehrzahl der Eltern nimmt nicht nur ihr Recht auf Erziehung wahr, sondern wird auch ihrer Erziehungspflicht gerecht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Aber um die geht es doch gar nicht!)

Der Staat muss sich auch in den Fällen zum Wächteramt nach Artikel 6 Abs. 2 GG bekennen, in denen dieser Pflicht zur Erziehung, der Pflicht zum Schutz des Kindes offenkundig nicht nachgekommen wird.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Genau! Um die geht es! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Und jetzt einmal ran!)

Um diese Fälle geht es. Da sind genau diejenigen gefragt, die – das sollten Sie auch einmal realisieren – Erstkontakt mit Eltern und Kindern haben – Kinderärzte, Hebammen, Personal in der Geburtsklinik, in den Kindertagesbetreuungseinrichtungen. Das sind diejenigen, die gemeinsam die ersten Zeichen erkennen können und müssen. Deswegen finde ich es gut, dass im Gesetzentwurf noch einmal darauf hingewiesen wird, dass dort keine Geheimhaltungspflicht mehr besteht – das ist übrigens schon Fakt –, wo das Kindeswohl gefährdet ist, wo Gefahr für Leib und Leben droht. Das wird in dem Gesetzentwurf noch einmal sozusagen deklaratorisch erläutert.

Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Dazu gehört für mich nach wie vor auch die Kultur des Hinschauens, und zwar aller, nicht nur der Professionellen.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Es geht aber nicht nur darum, hinzuschauen, sondern auch darum, Hilfen anzubieten und Hilfen zu organisieren. Das ist völlig richtig. Ich weiß, wie schwer das manchmal ist. Wahrscheinlich haben Sie es in ähnlicher Weise auch schon einmal erlebt: Den einen erscheinen die Eingriffe des Jugendamts als zu früh und möglicherweise auch nicht gerechtfertigt, den anderen kommen sie zu spät. Ich sage: Im Zweifel lieber zu früh als zu spät. Man muss handeln, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist; das ist überhaupt keine Frage. Da sollte sich auch niemand auf Datenschutz und Ähnliches berufen, sondern da geht es tatsächlich allein um die Kinder. Dazu bekennen wir uns.

Die Maßnahmen sind von der Kollegin Krueger alle nochmals aufgezählt worden. Es gibt die verschiedensten Hilfsangebote – eben nicht den strafenden Zeigefinger, sondern es geht um Angebote –; ich nenne hier nur das Programm „Guter Start ins Kinderleben“ oder das Programm STÄRKE, das in das Konzept ja auch eingebunden werden kann.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das ist ein Modell- projekt! Das ist jetzt abgeschlossen! – Glocke der Präsidentin)

Herr Abg. Dr. Noll, bitte kommen Sie zum Ende.

Ich komme zum Ende.

Wir haben in diesem Haushalt gemeinsam erstmals erreicht, dass Mittel für ein auch aus unserer Sicht sehr, sehr sinnvolles Projekt eingestellt werden – ich meine die Familienhebammen –, um dort ein breites Angebot und ein flächendeckendes Netz zu schaffen. Denn das sind diejenigen, die in der „GehStruktur“ als Erste von Verhältnissen Kenntnis erhalten, die möglicherweise problematisch sind.

Ich glaube, wir haben nach reiflicher Abwägung einen vernünftigen und – jetzt hören Sie bitte zu – zusätzlichen Baustein zu Gott sei Dank bereits vorhandenen, vielfältigen Strukturen, die den Familien in vernetzter Form zur Verfügung stehen, geschaffen. Es kann gut sein, dass das entsprechend den gewonnenen Erfahrungen noch weiter ausgebaut werden muss. Aber ich meine, im Moment sind wir mit diesem Schritt eines zusätzlichen Kinderschutzgesetzes auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Dr. Stolz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Zielrichtung des Gesetzes sind wir uns – ich denke, das haben auch die Ausschussberatungen gezeigt – einig; da stimmen wir überein. Nun wird ein Gesamtkonzept vermisst. Hierzu möchte ich noch einmal ausdrücklich auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, also auf die gesetzliche Kompetenzverteilung nach dem SGB VIII, und auf den Sinn und Zweck gesetzlicher Regelungen überhaupt hinweisen.

Nach dem SGB VIII ist die Kinder- und Jugendhilfe eine originär kommunale Aufgabe. Der erforderliche weitere Auf- und Ausbau früher Hilfen ist eine primäre Aufgabe der Träger der Jugendhilfe.

Dazu muss ich sagen: Wir können feststellen, dass diese Aufgabe von den örtlichen Trägern hervorragend wahrgenommen wird.