Wo ist denn der Ausbau? Der Ausbau ist deswegen einigermaßen gelungen, weil Sie sich auf die Privatgymnasien verlassen haben. Hier haben wir in den letzten fünf bis sechs Jahren einen Zuwachs der Schülerzahl um 251 %. Bei den allgemeinbildenden Gymnasien beträgt der Zuwachs nur 22 %.
202 öffentliche berufliche Gymnasien im Jahr 2004/05 sind im Jahr 2008/09 zu 210 Gymnasien geworden. Im privaten Bereich sind aus elf Gymnasien 41 geworden. Daher kann doch von einem bedarfsgerechten Ausbau im Bereich des öffentlichen Schulwesens nicht die Rede sein. Vielmehr haben Sie sich in den letzten Jahren darauf verlassen können: Die jungen Leute sind bereit, Schulgeld zu zahlen.
Das Zweite: Wenn ich sage: „Liebe Eltern, die Realschule ist okay, denn anschließend können eure Kinder auf das berufliche Gymnasium wechseln“, dann brauche ich einen Übergang, der mit dem Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen vergleichbar ist. Die Eltern melden ihre Kinder an und können die Sicherheit haben: Wenn die Kinder die Voraussetzungen für den Besuch des Gymnasiums erfüllen, erhalten sie einen Platz an einem Gymnasium, weil man sich am Bedarf orientiert und nicht an dem, was ursprünglich einmal geplant war.
Bei den beruflichen Gymnasien ist es genau umgekehrt. Die Hälfte der Kinder, die da angemeldet werden, erhalten zunächst einmal den Bescheid: „Obwohl ihr die Voraussetzungen erfüllt, können wir euch zunächst keinen Platz anbieten.“ Da, Herr Minister, ist es schon ein bisschen zynisch, dass man viele dieser jungen Menschen seit Jahren von März bis September im Grunde auf der Wartehalde hält, ohne ihnen zusagen zu können, dass sie im Herbst einen Platz bekommen. Das
führt dazu, dass sie sich mehrfach bewerben. Das führt auch dazu, dass sie sich um Alternativen bemühen. Jetzt nimmt man genau diese Anpassungsleistung dieser Familien und dieser Schüler als Begründung dafür, dass man keine ausreichende Zahl an Plätzen bereitstellen müsse. Das ist wirklich eine zynische Argumentation.
Wenn man ernst nimmt, dass das ein gleichwertiges Angebot sein soll, dass wir sozusagen, Herr Futter, das fünfte Rad holen und als viertes Rad an den Wagen montieren, dann müssen wir hier auch gleichwertige Sicherheiten schaffen, damit jeder die Sicherheit hat, dieses Ziel zu erreichen, und dürfen uns nicht auf die Ausweichbewegungen zurückziehen, die in den letzten Jahren notgedrungen erforderlich waren, wenn es darum geht, zu begründen, dass man dem Bedarf nicht hinterherfahren will.
Der dritte Punkt ist die Unterrichtsversorgung. Wir haben im beruflichen Bereich schon strukturell eine Unterversorgung von 7 % bis 8 %, was mit der 13. Stunde zu tun hat, die beim dualen System in Baden-Württemberg einmalig als Kann leistung angerechnet wird. Das heißt, Sie sind von vornherein mit 92 % zufrieden, weil Sie wissen: Die zwölf Stunden bekommen Sie dadurch aufgefangen. Wenn ich aber in diesen Berufsschulzentren einen zunehmenden Anteil an Schülern habe, die ein berufliches Gymnasium oder auch andere Teil- oder Vollzeitschulausbildungsgänge absolvieren, dann muss ich auch an dieser Stelle endlich 100 % zur Grundlage nehmen.
Wenn ich merke, dass es hier ein Defizit gibt, dann muss ich das Angebot attraktiver machen. Ich muss vor allem schon dann werben, wenn sich die jungen Leute zu Beginn ihres Studiums entscheiden, ob sie Ingenieur werden wollen oder auch noch etwas Pädagogisches dazunehmen, ob sie an die Universität gehen, um Physik zu studieren, oder sich auch eine Berufsschullehrerkarriere vorstellen können. An dieser Stelle könnte man seit Jahren werben. An dieser Stelle könnte man seit Jahren die Voraussetzungen verbessern. Dem sind Sie bisher nicht gefolgt und nicht nachgegangen. Es ist Ihr Job, uns jetzt zu erklären, wie das gemacht werden muss. Sie dürfen auch diese Notlage, die Sie selbst herbeigeführt haben, nicht als Begründung dafür nehmen, dass man den Ausbau einfach so vor sich hin dümpeln lässt. Damit können Sie sich nicht aus der Verantwortung ziehen.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wie? Da waren doch noch tausend Fragen an den Kultusminister! – Ge- genruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Wir sind doch jetzt nicht bei der Fragestunde! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Klasse!)
Abschnitt I des Antrags der Fraktion GRÜNE, Drucksache 14/2617, enthält ausschließlich Berichtsersuchen und kann daher mit der Beantwortung der gestellten Fragen für erledigt erklärt werden. Ist das richtig? – Das ist der Fall. Danke.
Jetzt kommen wir zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 14/4218, der von Abschnitt II des Antrags der Fraktion GRÜNE, Drucksache 14/2617, am weitesten abweicht. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/ DVP zustimmt, der möge bitte die Hand erheben. –
(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ei, nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Da drüben ist je- mand aufgeregt!)
Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit hat die Mehrheit des Hauses diesen Änderungsantrag Drucksache 14/4218 angenommen.
Über Abschnitt II des Antrags der Fraktion GRÜNE, Drucksache 14/2617, und den Änderungsantrag der Fraktion GRÜNE, Drucksache 14/4206, müssen wir nicht mehr abstimmen, weil diese durch die Abstimmung über den Änderungsantrag Drucksache 14/4218 erledigt sind.
Der Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 14/4068, ist ein reiner Berichtsantrag. Dazu wurde vorhin beantragt, ihn zur weiteren Beratung an den Schulausschuss zu überweisen. Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. – Dann ist die Überweisung beschlossen.
Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Wegerechtsgesetz zur Realisierung der geplanten Ethylen-Pipeline in Baden-Württemberg – Drucksache 14/3701
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sieben namhafte Unternehmen der chemischen Industrie haben sich zusammengetan.
Sie wollen eine Pipeline für Ethylen, den wichtigsten Grundstoff der Kunststoffchemie, durch Baden-Württemberg bauen, um den Oberrhein mit den Chemiestandorten in Bayern zu verbinden. Die Investition ist logistisch gut. Sie verbessert die Wertschöpfung. Sie bringt erheblich mehr Sicherheit gegenüber Eisenbahn- und Lastwagentransporten, und sie stärkt das Chemiedreieck Karlsruhe–Mannheim–Ludwigshafen.
Baden-Württemberg ist standortpolitisch der Gewinner. Wir sind auch besonders darauf angewiesen: für die leistungsfähige chemische Industrie, für die Kunststoffhersteller, darunter viele Mittelständler, für die Automobilindustrie usw. Die
Pipeline steht als Common Carrier jedem zur Verfügung. Jedes Unternehmen im Streckenbereich kann sie nutzen, auch Neuansiedlungen. Wir bekommen ein Stück wertvollster Infrastruktur. In der Investorengemeinschaft sind baden-würt tembergische Unternehmen und Unternehmen außerhalb von Baden-Württemberg.
Es ist wie eine große Überlandwasserleitung mit dem Unterschied, dass die Versorgung nicht für private Haushalte bestimmt ist, sondern für die Industrie, und dass es einen privaten Investor und Netzbetreiber gibt. Weil es ein Privater ist, braucht er dazu ein Wegerecht. Er kann nicht machen, was er will. Das Wegerecht bekommt er nicht geschenkt, sondern er muss es von den Eigentümern der Grundstücke kaufen,
die aber trotzdem Eigentümer der Grundstücke bleiben. Um das Wegerecht notfalls gegen erpresserische Forderungen
Die Investoren der Ethylen-Pipeline Süd sollen bei ihren Erwerbsgesprächen teilweise unwirsch aufgetreten sein.
Heute geht es aber um die Hausaufgabe des Landes. Wegerechte braucht man in vielen Fällen – jeder Bürgermeister weiß das –: Straßenbau, Gehwege, Wasserleitungen, Bauland umlegungen, Flurbereinigungen, Breitbandversorgungen, Flussrenaturierungen usw. Das ist immer mühsam. Meistens klappt es, aber nur deswegen, weil es das rechtliche Instrumentarium dafür gibt. Die allermeisten machen sowieso mit, aber es gibt das rechtliche Instrumentarium, es notfalls durchzusetzen. Sonst könnten einzelne spekulative Verweigerer alles verhindern. Jeder, der 1 m Strecke besitzt, würde zum Monopolisten dieses einen Meters.
Solche Dinge rasch und eindeutig zu klären, meine Damen und Herren, gehört überall zur Kunst des Regierens, eigentlich zum Normalgeschäft des Regierens. Deshalb gibt es auch einige Ethylen-Pipelines in Europa: durch Niedersachsen bis zur Küste, durch Holland, das Ruhrgebiet und das Rheinland bis nach Ludwigshafen.
Jetzt soll eine durch Süddeutschland gebaut werden. Wir wissen von Karlsruher Unternehmen, die darauf warten, um in neue Kunststofffertigungen zu investieren. Dieses Stück politisches, gesetzgeberisches Management muss das Land beisteuern. Aber das, meine Damen und Herren, schaffen wir nicht.
(Abg. Johannes Stober SPD: Die Regierung nicht! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Die Regierung nicht! W i r schaffen es!)
Das schaffen wir nicht, weil die Regierung nichts macht. Die Investoren haben darauf vertraut. Alle sieben haben sich ver
pflichtet: „Wenn die Pipeline bis zum 31. März 2010 gebaut ist, bleiben wir alle dabei; darüber hinaus sind wir nicht verpflichtet.“ Bayern und Rheinland-Pfalz haben ein Wegerechtsgesetz in Kraft gesetzt. Die Investoren haben gottlob schon angefangen zu bauen. Die Einzigen, die die Hände in den Schoß legen, sind wir – die Regierung natürlich.
(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Wer die Hände in den Schoß legt, braucht nicht untätig zu sein! – Zu- ruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)
Die Zeit ist schon sehr knapp. Deswegen haben wir unseren Antrag gestellt. Wenn das Gesetz im Sommer nicht in Kraft tritt, wird alles wackelig werden. Man hört, die Investoren sollten erst einmal 90 % aus eigener Kraft erwerben; dann machen wir vielleicht ein Gesetz für die letzten 10 %. Das heißt, die letzten 10,1 % der Anlieger brauchten sich nur zu einem Kartell zusammenzuschließen – dazu fordern wir sie geradezu auf –, dann könnten sie alles diktieren.