Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Zum Einkommensbegriff müsste man noch eine Vorlesung über Statistik halten. Es geht im Übrigen nicht um das Durchschnittseinkommen, sondern um das Medianeinkommen. Lassen wir das einmal dahingestellt sein. Der Einkommensvorteil für die Menschen in Baden-Württemberg ist jedenfalls in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut worden: 1998 lag er noch bei 6,7 %, im Jahr 2006 bereits bei 13,1 %. Für die Jahre 2007 und 2008 darf von einem weiteren Ausbau dieses Vorsprungs ausgegangen werden, zumal für 2008 die Einkommenssteigerungen bei 2,8 % liegen, die Kosten für die Lebenshaltung hingegen um 2,6 % – und das von einem niedrigeren Ausgangsniveau aus – gestiegen sind.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Aber auch nicht bei allen, Frau Kollegin!)

Jetzt hätte ich eigentlich erwartet, dass Sie sagen, dies hätte mit der Wirtschaftslage zu tun. Das hatte es auch. Jedenfalls war sie bis dato gut. Dies kommt nicht von ungefähr, denn auch dafür muss die Landespolitik Rahmenbedingungen setzen. Egal, wie: Unter dem Strich bewahrheitet sich auch an dieser Stelle erneut: Sozial ist, was Arbeit schafft.

Nun ist es notwendig – natürlich auch bedingt durch die Phase der Krise, der Finanz- und Wirtschaftskrise –, die Entwicklung der Einkommenssituation, der wirtschaftlichen Situation von Familien weiter zu beobachten.

Auch ohne – mit Verlaub – den von Ihnen geforderten Bericht und ohne weitere Bürokratie wissen wir doch ganz genau, wo die politischen Handlungsfelder liegen, welche Bevölkerungsgruppen, welche Familienformen im Sinn des sozialen Ausgleichs und ganz besonders im Sinn der Förderung von Bildungsgerechtigkeit für Kinder unterstützt und gefördert, vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch gefordert werden müssen.

Als solche Zielgruppen – das ist schon angeklungen – lassen sich unschwer neben den Kindern von Arbeitslosen und den Kindern von Alleinerziehenden vor allem Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sowie Kinder aus Familien mit drei und mehr Kindern ausmachen. Deshalb ist es auch nicht richtig, den Fokus allein und ausschließlich auf die Alleinerziehenden zu richten. Dies ist schlicht und einfach zu kurz gesprungen.

Natürlich haben Kinder aus Migrantenfamilien deshalb ein höheres Armutspotenzial, weil Risikofaktoren wie ungelernte Arbeitnehmer, höheres Risiko der Arbeitslosigkeit und Bildungsferne zusammentreffen. Wir stellen uns diesen Herausforderungen, weil wir den Familien und vor allem den Kindern in unserem Land zu noch größeren Zukunftschancen verhelfen wollen. Dazu gehören vor allem auch gute Bildungs chancen.

Vor diesem Hintergrund konzentrieren wir unsere Anstrengungen und investieren in den nächsten Jahren noch einmal weit mehr als eine halbe Milliarde Euro zusätzlich allein in Schule und Bildung und weitere 169 Millionen € in den Ausbau der Kinderbetreuung.

Mit dem flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulen, dem weiteren Ausbau der Kleinkindbetreuung, aber auch Programmen wie STÄRKE und dem neuen Landeserziehungsgeld als sozialpolitischer Leistung stärken wir eine familiengerechte Infrastruktur in unserem Land.

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Diese kommt auch ganz unmittelbar den stärker armutsgefährdeten Alleinerziehenden zugute. Denn die gut ausgebaute Betreuungsinfrastruktur ermöglicht ihnen natürlich auch eine höhere Erwerbsbeteiligung. Das ist, wie gesagt, nach wie vor die beste Vorsorge gegen Armut.

(Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)

Wir wollen, dass es den Menschen in unserem Land auch weiterhin besser geht als anderswo. Deshalb arbeiten wir gerade auch in diesen schwierigen Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise mit Hochdruck an der weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen für Kinder, Jugendliche und Familien

und mit einem Milliardeninvestitionsprogramm an der Sicherung von Arbeitsplätzen.

Ihr Ruf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, lautet ohne Rücksicht auf die Gesamtzusammenhänge stets nur: Noch schneller, noch weiter, noch höher! Aber, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Wir sind hier nicht bei einer Olympiade der Dopingspezialisten. Wir sind Marathonläufer,

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Wir sind aber auch nicht in einer Märchenstunde!)

und unser Ziel besteht darin, unser Land heute und in Zukunft solide auf Erfolgskurs zu halten. Da können sich die Menschen im Land auf die CDU verlassen.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/ DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Gute Rede!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold für die FDP/DVP-Fraktion.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Vorrednerinnen haben die finanzielle Situation von Familien, die Situation der Alleinerziehenden in Baden-Württemberg schon ausreichend dargelegt und auch die nötigen Zahlen zur Kinderarmut genannt. Das müssen wir schon zur Kenntnis nehmen. Wir nehmen auch zur Kenntnis, dass gerade für Familien mit mehreren Kindern und eben auch für Alleinerziehende die Bedingungen in den vergangenen Jahren offensichtlich schlechter geworden sind. Sie sind – das sagen uns die Statistiken – einem größeren Armutsrisiko ausgesetzt.

Die zentrale Rolle bei der Bekämpfung dieser Familienarmut, aus der dann auch die Kinderarmut resultiert, spielt für uns der Zugang zur Erwerbsarbeit, vor allem auch für Mütter mit kleineren Kindern.

Ich möchte Sie einmal bitten, gemeinsam einen Blick auf das europäische Ausland zu werfen. Empirische Daten der OECD aus dem Jahr 2005 liegen vor. Sie belegen, dass die Länder mit den höchsten Quoten der Betreuung von Kindern unter drei Jahren nicht nur die höchsten Müttererwerbsquoten, sondern auch die geringste Kinderarmut verzeichnen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das müssen Sie in Richtung CDU sagen! Da müssen Sie nicht uns an- schauen!)

Das heißt, die Erwerbstätigkeit von Müttern mit kleineren Kindern ist offensichtlich ein ganz wesentlicher Bestandteil der Vermeidung von Familienarmut. Das liegt auch auf der Hand. Gerade in einer Zeit, in der die Familien der größten finanziellen Belastung ausgesetzt sind, geht das Einkommen unter Umständen zurück, weil die Frauen eben nicht oder nur noch teilweise arbeiten.

Auch hier noch einige Zahlen aus dem europäischen Ausland, die das direkt belegen. Die Zahlen stammen auch aus dem Jahr 2005, sind also nicht die neuesten.

Bei uns in Deutschland lag die Quote der Betreuung von Kindern unter drei Jahren im Jahr 2005 bei 9 %. Im europäischen Ausland lag sie bei mehr als 30 %.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Ich hoffe, die Kol- legin Krueger hat das auch gehört!)

Entsprechend verhielt es sich auch mit der Erwerbsquote der Frauen. In Deutschland lag sie bei 36 %, im europäischen Ausland, vor allem in Skandinavien, bei 63 %.

Das spiegelt sich ganz direkt in der Kinderarmut wider. In den skandinavischen Staaten lag ihr Anteil bei 7,2 %, während er in Deutschland im Jahr 2005 bei 12,8 % lag. Das ist noch einmal ein Beleg für den engen Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit von jungen Frauen und Müttern und Familienarmut.

Ich denke, wir werden das vonseiten des Ministeriums noch ausgeführt bekommen. Wir sind hier in Baden-Württemberg auf einem guten Weg. Wir haben in den vergangenen Jahren immense Anstrengungen unternommen – wir werden das auch weiter tun –, um die Betreuungssituation gerade für Kleinkinder in unserem Land deutlich zu verbessern. Das packen wir an, und das werden wir auch umsetzen.

Ich möchte noch auf zwei Punkte hinweisen: Natürlich müssen wir uns auch Gedanken über Regelungen im Steuersystem im Hinblick darauf machen, wie wir die Situation von Familien verbessern können. Wir möchten, dass der Kinderfreibetrag genauso hoch ist wie der Erwachsenenfreibetrag.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zurufe der Abg. Hagen Kluck und Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Wir müssen uns auch der Frage widmen, ob das Ehegattensplitting, das wir noch immer in unserem deutschen Steuersystem haben, wirklich noch zeitgemäß ist.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Es ist nicht zeitge- mäß!)

Denn es begünstigt natürlich – das wissen wir alle – die traditionelle Rollenverteilung: hier der Alleinverdiener, dort in der Regel die Frau und Mutter, die die Kinder erzieht und wenig oder gar nichts verdient. Auch das sollte auf den Prüfstand kommen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Abschaffen! – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Gehört das zu Ihrem Bundestagswahlkampf?)

Abschließend – auch das ist schon angesprochen worden –: Natürlich sind Armut und Kinderarmut nicht nur durch finanzielle und materielle Rahmenbedingungen verursacht.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Abg. Dr. Arnold.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielmehr müssen wir uns klarmachen – das wurde auch schon angesprochen –: Armut geht auch über die materielle Situation hinaus. Wir müssen Kinder nicht nur materi

ell, sondern auch emotional gut versorgen. Wir müssen darauf schauen, dass Familien in der Lage sind, Kinder so zu erziehen, dass sie auch emotional und seelisch reich werden. Auch dafür haben wir Maßnahmen auf den Weg gebracht. Das Programm STÄRKE ist eine davon. Auch hier sind wir auf einem guten Weg.

Zum Schluss noch einen Satz zum Beschlussteil der Anträge. Frau Krueger, Sie haben das ausführlich dargelegt. Das muss ich nicht wiederholen. Auch wir sehen keine Notwendigkeit, eine zusätzliche Armutsberichterstattung auf den Weg zu bringen. Die Familienberichterstattung erfüllt so, wie sie in Zukunft durchgeführt werden soll, die Bedarfe, die wir hier haben, voll und ganz.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Dr. Stolz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Armutsgefährdung ist in Baden-Württemberg glücklicherweise kein Massenphänomen. Aber ich stehe zu meiner Aussage, dass jedes Kind, das in Armut lebt, ein Kind in Armut zu viel ist und dass wir diese Armut verhindern müssen. Das ist auch in Baden-Würt temberg eine ständige Herausforderung für die Politik. Denn Armutsgefährdung heißt gerade bei Kindern, dass ihre Entwicklungschancen vermindert sind. Das heißt für dieses Land, dass wir damit auch unsere Zukunftschancen einschränken.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen – das ist verschiedentlich angesprochen worden –, dass die üblichen Definitionen der Armutsgefährdung – also der Betrag, der sich aus 60 % des Medianeinkommens errechnet – keinen sicheren Anhaltspunkt dafür liefern, ob tatsächlich Armut vorliegt. Die Wissenschaft spricht daher von einer „relativen Armut“. Was das für Baden-Württemberg heißt, hat Frau Kollegin Krueger dargestellt.

Damit wird auch klargestellt, dass es in unserem demokratischen Sozialstaat, wenn wir von Armut reden, Gott sei Dank nicht um existenzielle Not geht – um das Fehlen von existenziellen Dingen wie Essen, Trinken, Unterkunft und Kleidung –, sondern dass es bei der Armutsgefährdung um eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben auf dem in unserer Gesellschaft üblichen Niveau geht. Bei Kindern geht es vor allem auch um Beeinträchtigungen der Chancengleichheit.

Dabei ist offenkundig: Eine prekäre finanzielle Lage von Kindern und Jugendlichen hängt zentral von den Einkommensverhältnissen und den Vermögensverhältnissen ihrer Eltern ab, wobei die Vermögensverhältnisse in den Armutsberichten gar nicht dargestellt werden können. Es geht um die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern oder des alleinerziehenden Elternteils. Davon hängt die Lage der Kinder und Jugendlichen ab. Sie hängt auch wesentlich davon ab, wie es um die soziale und kulturelle Kompetenz der Familien und Eltern steht. Sie wissen, dass wir an dieser Stelle mit unserem Programm STÄRKE derzeit bundesweit vorbildlich wirken.

Das beste Mittel gegen Armutsgefährdung ist – das hat die Familienforschung Baden-Württemberg kürzlich in ihrem Report über die ökonomische Lage der Familien in Baden-Würt temberg erneut bestätigt – ein ausreichendes Erwerbseinkommen von Familien; denn dann können sie am ehesten den Bereich der Armutsgefährdung verlassen. Es ist auch schon erwähnt worden: Sozial ist, was Arbeit schafft. An dieser Weisheit hat sich auch in der heutigen Zeit nichts geändert.