Wir möchten Sie dringend bitten, hier in eine Diskussion darüber einzusteigen – unser heutiger Antrag soll der Auftakt dazu sein –, dass wir diesen Widerspruch auflösen müssen.
Sie argumentieren jetzt, es sei nicht Ihre Aufgabe, den Schulträgern und den einzelnen Schulen vorzuschreiben, was sie als Lernmittel definieren und was nicht. Das halte ich für verfassungsrechtlich fragwürdig. Sie stehen sehr wohl in der Aufgabe, die Umsetzung eines verfassungsmäßigen Rechts zu überprüfen und dann festzustellen, ob Ihre Regelungen denn ausreichen, um eine verfassungsgemäße Umsetzung sicherzustellen. Das scheint mir, wenn ich mir den Schulalltag anschaue, hier absolut nicht mehr gegeben zu sein, und zwar nicht aus bösem Willen der Beteiligten, sondern einfach deshalb, weil hier eine strategische, inhaltliche und fachliche Führung und Diskussion nicht stattfindet.
Das soll hier jetzt kein Plädoyer dafür sein, Herr Wacker, das alles staatlicherseits bis ins Letzte regeln zu müssen. Aber Sie können auf die Fragen „Wie hoch ist denn die finanzielle Beteiligung der Eltern real?“ und „Wie wirkt sich denn die Lernmittelfreiheit real auf eine solche Beteiligung aus?“ doch nicht damit antworten, dass Sie sagen:
Weder dem Kultusministerium noch den kommunalen Landesverbänden liegen Erkenntnisse vor, wie hoch das finanzielle Engagement der Eltern ist.
Vielmehr ist es doch Ihre Aufgabe auch als Hüter der Umsetzung eines Gebots mit Verfassungsrang, hier ein System einzuführen, wie man in den Dialog mit den Schulträgern vor Ort, mit den Schulen vor Ort eintritt, um hier einmal stichprobenartig zu erfahren, wie es denn aussieht, und dann eine landesweite Diskussion darüber zu führen, wie Lernmittelfreiheit so umgesetzt wird, dass dem Verfassungsanspruch Rechnung getragen wird.
Mir geht es, wie gesagt, nicht darum, dass Sie das alles bis ins Detail regeln sollen. Wir stehen sehr zur Selbstständigkeit von Schulträgern und Schulen. Aber Sie müssen die moralische, die inhaltliche und die fachliche Diskussion zusammenführen, und Sie müssen sie immer wieder initiieren, denn nur dann können Sie sicher sein, dass das, was die Verfassung garantiert, in der Schullandschaft in Baden-Württemberg auch umgesetzt wird, dass die Bildungschancen für alle Menschen, für alle Schülerinnen und Schüler wirklich unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Status umgesetzt werden und dass es im Land nicht zu großen Ungleichheiten kommt und die jeweilige Situation nicht davon abhängt, an welcher Schule, bei welchem Schulträger man nun gerade seine Kinder versorgt sieht. Das muss Ihre Aufgabe sein.
Daher sind wir mit Ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag alles andere als zufrieden, die da sinngemäß heißt: „Es gibt doch ein paar Regelungen. Sie widersprechen sich zwar in einigen Punkten, aber eigentlich ist doch alles klar. Wir sind nicht die Entscheidenden, die das vor Ort umsetzen und alles genau regeln müssen. Wir wissen aber auch nicht, ob der Verfassungsanspruch hier wirklich erfüllt wird oder nicht. Daher haben wir damit nichts zu tun.“
Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, einen anderen Weg einzuschlagen. Ich fordere Sie auf, zu überlegen, wie man hier über Stichproben ein Stück weit ermessen kann, was da auf die Eltern zukommt, und dann auch entsprechende Korrekturen vorzunehmen – nicht dahin gehend, dass alles geklärt wird, aber dahin gehend, dass man eine Erwartung formuliert und auch versucht, eine Erwartung umzusetzen. Da, wo das nicht möglich ist, wird man auch das eine oder andere regeln müssen. Der 1-€-Wert, den der Städtetag vorgeschlagen hat, wäre eine gute Richtschnur. Die Diskussion darüber, ob man für alles leihweise Schulbüchersätze braucht oder ob man nicht in stärkerem Maße zu diesen Arbeitsmaterialien übergeht, die der Schüler dann auch für sich selbst verwenden kann, würde der pädagogischen Entwicklung Rechnung tragen. Das kann aber nicht auf dem Rücken der Eltern erfolgen.
Sie brauchen auch irgendein Messsystem, mit dessen Hilfe Sie die reale Belastung der Eltern ungefähr ermessen können. Denn sonst können Sie die Frage, ob der Verfassung hier Rechnung getragen wird, gar nicht beantworten.
Ihre Antwort ist auch unvollständig. Es gibt Umfragen aus den Neunzigerjahren aus Mannheim, sicherlich aber auch aus anderen Städten. Da haben Sozialverbände einmal ermitteln wollen: Wie hoch sind denn eigentlich die heimlichen Schulgebühren? Sie kamen zum damaligen Zeitpunkt noch auf mehrere Hundert D-Mark für eine Familie. Da fließen natürlich auch Landheimaufenthalte, Ausflüge und Ähnliches ein. Das ist jedoch ein Thema, das für mich hier gar nicht im Vordergrund steht. Mir geht es vor allem um das Material, das zur Erfüllung der Teilnahme am Unterricht absolut erforderlich ist. Hier gibt es einen erheblichen Nachsteuerungsbedarf.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Die CDU-Landtagsfraktion ist der klaren Meinung, dass die Lernmittelfreiheit eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass jeder junge Mensch die ihm nach der Verfassung zustehende, seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung erhält; die SPD-Fraktion hält die Lernmittelfreiheit nur für eine wichtige Voraussetzung.
Wir sollten dies alles nicht verkomplizieren. Das gilt auch für das, was der Kollege Mentrup vorhin gesagt hat. Wir meinen, um es vorwegzunehmen: Die jetzige Regelung ist praktikabel. Ich nehme auch vorweg, falls die SPD in einem weiteren Antrag eine entsprechende Forderung stellen sollte: Eine Änderung der bestehenden Regelung ist aus unserer Sicht nicht erforderlich. Der jetzt vorliegende Antrag der SPD-Fraktion stammt vom April 2008, und die Stellungnahme dazu wurde im Mai 2008 ausgegeben.
Schulgeld- und Lernmittelfreiheit bedeuten nicht, dass die Eltern von allen Kosten, die mit dem Schulbesuch zusammenhängen, freizustellen sind. Auch sind nicht alle Gegenstände, die im mittelbaren oder im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Schulbesuch stehen, Lernmittel. Ich meine hiermit Ausstattungsgegenstände der Schüler wie Schulranzen oder Sportkleidung. All diese Gegenstände sind dem persönlichen Bereich zuzuordnen.
Nach dem Schulgesetz nehmen die Gemeinden, die Landkreise, die Schulverbände die ihnen als Schulträger obliegenden Angelegenheiten als Pflichtaufgaben wahr. Der Schulträger beschafft die Lehr- und Lernmittel. Gesetzesadressaten der Bestimmungen zur Lernmittelfreiheit sind deshalb die Schulträger. Ihnen obliegt es, den Begriff „Gegenstände geringeren Werts“ auszulegen. Da es sich um die Unterhaltung von Schulen und um eine weisungsfreie Aufgabe handelt, ist eine Auslegung des Begriffs durch die Landesregierung oder durch das Kultusministerium nicht vorzunehmen.
Die Schulträger können natürlich im Rahmen der Auslegung des Begriffs „Gegenstände geringeren Werts“ Utensilien wie Papier, Hefte, Ordner, Schreib- und Malgeräte, Bleistifte, Buntstifte, Farbkästen usw. von der Lernmittelfreiheit ausnehmen. Aber die Höhe des finanziellen Engagements der Eltern an schulischen Kosten hängt ja von vielen, auch anderen Faktoren ab. Eine konkrete Handhabung der Lernmittelfreiheit an der einzelnen Schule hängt auch von der Bereitschaft der Eltern ab, inwieweit sie sich an solchen Kosten beteiligen. Bei außerunterrichtlichen Veranstaltungen ist ohnehin ein Spielraum gegeben.
Ich stelle aber klar fest, dass niemand verpflichtet ist, Kostenanteile zu zahlen, wenn die Gegenstände nicht von geringerem Wert sind. Wir sollten auch nicht so weit gehen, die Handhabung der Lernmittelfreiheit der Schulaufsicht zu übertragen. Schulen und Schulträger haben für ihre Kinder in der Praxis genügend Erfahrung und setzen hier die richtigen Maßstäbe an.
Wenn soziale Unterschiede bestehen – das ist ein wichtiger Punkt, auf den ich besonders hinweisen will –, können Regelungen vor Ort getroffen werden. Immer zu Beginn eines jeden Schuljahrs weist das Kultusministerium auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen hin.
Ich weise zusätzlich darauf hin, dass es bei Ausflügen nicht um Schulgeld- und Lernmittelfreiheit geht, sondern um eine allgemeine soziale Absicherung und darum, wie die einzelne Schule damit umgeht. Die Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt z. B. können aufgrund bestehender Gesetze Leis tungen dazu erhalten.
Die Schulen gehen in der Regel kostspielige Ausflüge, Schullandheimaufenthalte sehr sensibel an. Selten fliegen Schulklassen nach Mallorca oder dergleichen. An unseren Schulen gibt es aber für solche oder ähnliche Angebote auch Eltern initiativen und Fördervereine, die sich immer gut bewähren.
Erlauben Sie mir, kurz noch auf die im Antrag angesprochene Schülerbeförderung einzugehen. In den Satzungen der Landkreise steht auch, dass der Eigenanteil erlassen wird, wenn die Kostentragung für die Eltern oder den Elternteil aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse eine unbillige Härte darstellen würde.
Dazu zählen auch die Hartz-IV-Empfänger. In der dritten Neuregelung von Hartz IV steht auch, dass zu Beginn eines neuen Schuljahrs einmalige Leistungen für schulische Ausgaben von 100 € gewährt werden. Ursprünglich war 2008 in Berlin geplant, dies nur bis zur zehnten Klasse zu gewähren. Das Land Baden-Württemberg hat darauf gedrängt, diese Leis tungen bis zum Abitur auszudehnen, um sozial Benachteilig ten gleich gute Chancen für einen höheren Bildungsabschluss zu ermöglichen.
Das Konjunkturprogramm II vom März 2009 sieht zusätzlich im SGB II und im SGB XII eine deutliche Erhöhung der Regelsätze für sechs- bis 13-jährige Kinder vor. Die Regelleis tungen werden von 60 % auf 70 %, also von 211 € auf 251 € und damit um 40 € monatlich erhöht.
Letztlich verlangen viele Kreise – dies ist auch in meinem Heimatkreis so – für Grund- und Hauptschüler keine Kostenanteile für Schülerbeförderungen. Viele Gemeinden erstatten auch teilweise Fahrkosten für Kindergartenkinder oder befördern diese kostenfrei. Die CDU-Fraktion sieht aufgrund der vielen angepassten Regelungen keine Notwendigkeit, hier etwas gesetzlich zu ändern. Denn was gut ist, braucht nicht unnötig verkompliziert zu werden.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Der Gelehrte Alexander von Humboldt bemerkte einst zynisch:
In Deutschland gehören netto zwei Jahrhunderte dazu, um eine Dummheit abzuschaffen; nämlich eines, um sie einzusehen, das andere aber, um sie zu beseitigen.
Da liegen wir eigentlich noch ganz gut in der Zeit – könnte man meinen –, wenn man betrachtet, wo wir jetzt in BadenWürttemberg stehen, was den Auftrag der Verfassunggebenden Landesversammlung von 1953 betrifft. Dort wurde – damals noch mit den Stimmen der CDU – der klare Auftrag formuliert, schrittweise die Lernmittelfreiheit durchzusetzen. Dabei geht es nicht um die Frist im Sinne des Zitats von Humboldt, sondern es sollte der Zeitraum von fünf bis zehn Jahren berücksichtigt werden. Wir haben inzwischen in BadenWürttemberg zusätzliche Rechtsgrundlagen, die dafür sorgen, dass es eine Eindeutigkeit in der Regelung gibt.
Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof hat sich mit § 94 des Schulgesetzes befasst. Danach hat der Schulträger den Schülern alle notwendigen Lernmittel mit Ausnahme von Gegenständen mit geringem Wert leihweise zur Verfügung zu stellen. Was als geringer Wert zu definieren ist, würde so mancher Schulträger gern selbst entscheiden. Doch auch hier hat das Urteil eine ganz klare Vorgabe gemacht. Es wur
de nämlich festgestellt, dass eine einmal erreichte Stufe der Unentgeltlichkeit nicht mehr zurückgenommen werden darf. Die Grundlage dafür ist die in der Verfassung festgeschriebene stufenweise Verwirklichung der Lernmittelfreiheit. Den Schulträgern steht hier kein Beurteilungsspielraum mehr zu.
Auch bei der Entscheidung, welche Lernmittel für den jeweiligen Unterricht notwendig sind, haben die Schulträger keinen Ermessensspielraum. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat auch hierzu eindeutig Stellung bezogen. Es ist dem Fachlehrer überlassen, die notwendigen Lernmittel zu bestimmen. Dennoch müssen wir feststellen, dass der Versuch, die eindeutigen Regelungen einzuhalten, noch immer nicht gelingt. Denn oftmals werden die Eltern für die tatsächliche Finanzierung zur Kasse gebeten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich gewusst hätte, dass ich eines Tages hier stehe und zu dem Thema reden muss, hätte ich sicherlich alle Schreiben mit der Bitte zur Kostenübernahme für Lernmittel, die ich von den Schulen bekommen habe, abgeheftet. Da wäre einiges zusammengekommen. Just in der letzten Woche habe ich als Mutter ein Schreiben von der Schule auf den Tisch bekommen. Ich sollte unterschreiben, den grafikfähigen Taschenrechner GTR, der laut Bildungsplan Teil der Ausbildung ist, mitzufinanzieren. Der Rechner kostet 50 €, und die Schule bietet uns an, dass wir in einem sogenannten Bonusverfahren 30 € zahlen. 20 € würde die Schule übernehmen. Hier geht es um ein Lernmittel, das sogar per Bildungsplan gefordert ist und das die Lehrer einsetzen müssen.
Das Problem bei der Geschichte ist die Umsetzung, dass nämlich die Elternbeiräte immer wieder angehalten werden, den Eltern diese Briefe zu übergeben und die Briefe über die Kinder wieder an die Schulen zurückzuführen. Die Eltern müssen sich outen, ob sie finanziell in der Lage sind, das zu finanzieren, oder nicht. Genau hier liegt das Problem. Wenn wir über die finanzielle Seite reden, reden wir darüber, dass die Kommunen in Baden-Württemberg 80 Millionen € für Bücher, Taschenrechner und andere Lernmittel pro Jahr ausgeben. Das sind knapp 50 € pro Schüler und Schülerin.
Es kann nicht zu viel sein, wenn wir im Rahmen der Schulkarriere für die Schüler ungefähr 600 € für Lernmittel inves tieren würden. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Eltern bereits bei einer garantierten Lernmittelfreiheit weiterhin 10 000 € für die Schülerinnen und Schüler investieren müssen. Genau hier liegt das Problem. Bei den alarmierenden Ergebnissen der PISA-Studien war nämlich genau der Haken, dass die Kinder aus sozial benachteiligten Familien vom Bildungserfolg ferngehalten werden. Uns wundert es also nicht, wenn Herr Rau keine Lust mehr hat, an den PISA-Studien teilzunehmen; denn dabei ist nach dem derzeitigen Stand der baden-württembergischen Bildungspolitik tatsächlich nicht viel Gutes zu erwarten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen. Jeder, der seine Aufgabe gewissenhaft erledigen möchte, muss hierfür vernünftige Rahmenbedingungen haben.
Viele sehen sich gezwungen, das Geld über einen Förderverein oder ähnliche Organisationen zu akquirieren. Liebe Kollegen, wir haben im Mai dieses Jahres von der Landtagsverwaltung ein Schreiben erhalten – das haben Sie alle auf den Tisch bekommen – mit dem Inhalt, dass die Pauschale für die mandatsbedingten Aufwendungen in Höhe von zuvor 100 € monatlich auf nun 200 € pro Monat erhöht worden ist. Wir bekommen also pro Jahr, um unsere mandatsbedingten Aufwendungen abzudecken, also um unsere Aufgaben ordnungsgemäß und gewissenhaft erledigen zu können, eine Aufwandsentschädigung von 2 400 €. Wenn wir dagegen sehen, dass ein Schüler nur 50 € pro Jahr für einen vergleichbaren Zweck bekommt, dann meine ich, dass wir das, was wir uns leisten, was wir uns gönnen, durchaus auch den Schülerinnen und Schülern im Land zugestehen können.
Ich komme zum Schluss. Wir könnten diese Angelegenheit durchaus so regeln, dass wir die Landesregierung beauftragen, im Rahmen ihrer Rechtsaufsicht einen Brief an die Schulen zu versenden, in dem sie die Schulen beauftragt, es zu unterlassen, den Eltern Briefe des Inhalts zuzuschicken, dass sich diese an den Kosten beteiligen sollen. Hierdurch würde sie ihre Aufgabe, die in der Verfassung geregelt ist, wahrnehmen.