Aber ich sage auch: Unsere Gesellschaft muss sich vielleicht noch etwas mehr öffnen. Ich will ein Beispiel aus meinem eigenen Bereich geben, den ich relativ gut kenne: das DRK. Auf der einen Seite bemühen wir uns aktiv darum, Menschen aus dem Migrationsbereich zu bekommen, die in die Bereitschaftsdienste gehen und aktiven Dienst leisten, zum Beispiel als Sanitäter oder als Helfer auf dem Sportplatz. Aber wir sehen den Migranten auch als Kunden, denn wir haben in Deutschland mittlerweile 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Wir müssen sehen, dass auch diese Menschen altern, in Pflegeheime kommen oder ambulante Dienstleistungen brauchen. Wir wollen auch diese Gruppe als Kunden sehen.
Dieser Prozess wird sich nach meiner Meinung noch entwickeln, und deshalb müssen wir uns, muss sich die Gesellschaft bewegen. Wir müssen die Veränderungen, die bei uns geschehen sind, zur Kenntnis nehmen und entsprechende Angebote machen.
Ganz zum Schluss möchte ich noch sagen: Sie haben mir vorhin unterstellt, ich würde von Sanktionen sprechen. Aber ich denke, wenn all diese Maßnahmen, die wir anbieten und die ich zuvor aufgezählt habe, nicht helfen, muss es auch die Möglichkeit geben, dass jemand, der sich völlig verweigert und diese gesellschaftlichen Werte nicht mitträgt, sondern dagegen arbeitet, Sanktionen erfährt. Dazu stehen wir, und das eine gehört zum anderen dazu.
Integration ist also keine Einbahnstraße, sondern wir erwarten, dass sich beide Seiten aufeinander zubewegen. BadenWürttemberg ist ein weltoffenes Land. Wir leben schon immer mit Migrationsbewegungen. Im 19. Jahrhundert sind viele Leute ausgewandert, aber wir wollen auch, dass Leute hierherkommen – sie sollen sich aber integrieren. Wir sind dazu bereit und bieten Maßnahmen an. Zuwanderer sind hier willkommen, wenn sie sich hier engagieren und sich in unsere Gesellschaft mit einbringen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Frage, wie weit Baden-Württemberg bei der Zuwanderungsbegrenzung und -steuerung Schrittmacher in Deutschland in ausländerrechtlichen Fragen und Asylfragen ist, hat Ute Vogt sehr eindrucksvoll das kontrastiert, was Sie, Herr Minister, ausgeführt haben.
Ich wende mich nun der Frage zu, inwieweit unser schönes Bundesland Schrittmacher in Fragen der Integration und da vor allem im Bereich der Förderung der Sprachkompetenz ist. Denn wir sind uns ja darüber einig, dass das Zuwanderungsgesetz erstmals der Sprachkompetenz die zentrale Schlüsselfunktion zuweist, und das ist gut so. 600 Stunden verpflichtender Sprachkurs, 30 Stunden Orientierungskurs, nach fünf Jahren eine Prüfung, die über den weiteren Aufenthalt entscheidet – das ist auf der einen Seite ein Angebot des Staates, das vorwiegend vom Bund bezahlt wird.
Auf der anderen Seite besteht die Verpflichtung derjenigen, die aus Drittstaaten künftig zu uns kommen. Denn es geht bei diesem Zuwanderungsgesetz nicht um diejenigen, die bereits bei uns sind, nicht um diejenigen, die aus EU-Staaten kommen. Für diese Gruppen trägt das Land die politische Verantwortung, und zwar genau für die Gruppen, die häufig mit fehlenden Sprachkenntnissen, fehlenden Schulabschlüssen, einer hohen Schulabbruchquote, einer hohen Jugendarbeitslosigkeit und manchmal mangelndem Bildungsbewusstsein der Eltern identifiziert werden. Die Frage ist: Was haben Sie für diese Gruppen getan? Haben Sie den politischen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt?
Fangen wir bei den Kindertagesstätten an, also dort, wo die Kinder mit Migrationshintergrund unter Umständen das erste Mal intensiver mit der deutschen Sprache in Berührung kommen.
Es ist erstens festzustellen, dass die Ausbildung von Erziehern und Erzieherinnen diesen Umstand bis heute kaum berücksichtigt. Sie orientiert sich immer noch ausschließlich am deutschsprachigen Kind. Die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen, etwa der Sprachförderung oder der Sensibilisierung für bilinguale Lebenssituationen, verweigern Sie beständig. Schrittmacher sehen jedenfalls anders aus.
Zweitens: Ihnen fehlt bis heute ein schlüssiges Konzept für die Sprachförderung in Kindertagesstätten. Das Projekt der Landesstiftung „Sprachförderung im Vorschulalter“ ist bestenfalls eine Ergänzung, aber kein Ersatz für eine umfassende vorschulische Sprachförderung.
Wer einen besonderen Bedarf an der Förderung des Hörverstehens, des Sprechvermögens aufweist, darf doch nicht erst ein oder eineinhalb Jahre vor Schulbeginn Förderung erfahren. Da ist es um Längen zu spät. Darin sind wir uns doch im Grunde einig. Das wissen Sie so gut wie wir. Also
tun Sie etwas! Sie agieren bis jetzt sehr zögerlich und halbherzig. Das schadet unseren Kindern, und das schadet unserem Land.
(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. An- dreas Hoffmann CDU: Schon einmal etwas vom Orientierungsplan gehört?)
Sie beklagen häufig völlig zu Recht, dass viele Kinder bei der Einschulung hier bei uns in Baden-Württemberg eine verzögerte Sprachentwicklung aufweisen – 20 000 bis 25 000 Kinder Jahr für Jahr und beileibe nicht nur solche mit Migrationshintergrund. Dann sollten Sie aber in die Gänge kommen und wenigstens das umsetzen, was Sie selbst erkannt haben.
Kommen wir zu den Schulen. Auch die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern hält in diesem Bereich den Anforderungen der Wirklichkeit kaum stand. Schulungen im Bereich „interkulturelle Kompetenz, Umgang mit bilingualen Lebenssituationen“ sind nicht verpflichtend. Das kommt bestenfalls in „Orchideenfächern“ vor. Ein Blick in eine Hauptschulklasse reicht, um zu sehen, wie ungenügend dies ist.
Die Schulpraxis wird dem zweisprachigen Hintergrund von Migrantenkindern bei uns nicht gerecht. Das liegt an der Ausbildung der Lehrkräfte, am Abbau von Stütz- und Förderkursen und am Rückzug aus der Schulsozialarbeit. Die viel zu frühe Selektion schadet Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in ganz besonderem Maße. Denn für sie sind die vier Jahre Grundschule viel zu kurz, um sprachliche Defizite auszugleichen. Dies führt sie häufig in die Hauptschulen und die Förderschulen, weil ihre sprachlichen Defizite natürlich nicht nur in Deutsch, sondern auch in den anderen Fächern durchschlagen. Was für eine Vergeudung von Begabungen, auf die wir so dringend angewiesen wären, und wie ungerecht gegenüber diesen Kindern und Jugendlichen!
Was eine gezielte Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund angeht, so sind Sie wahrlich kein Schrittmacher, sondern stolpern hilflos und lustlos herum. Wie wäre es, wenn Sie Integration einmal als einen zweiseitigen Prozess erkennen würden, bei dem man nicht nur fordert, bei dem nicht nur jene mit Migrationshintergrund einen Beitrag zu leisten haben, sondern auch Sie? Wie wäre es, wenn Sie einmal anerkennen würden, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch über Erfahrungen und Begabungen verfügen, die man vielleicht noch nicht so erkannt hat, die sich möglicherweise von den unseren unterscheiden, aber die es zu entdecken, zu fördern und zu nutzen gilt, und zwar zugunsten dieser Menschen und zugunsten unseres Landes? Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, würden wir in Baden-Württemberg in diesem Bereich vielleicht zum Schrittmacher werden.
Heute können wir nur feststellen: Das Ziel, Schrittmacher in Sachen Integration, in Sachen Sprachförderung zu sein, ist gut. Der Weg dahin ist jedoch noch weit und die Batterie verdammt schwach.
„Zuzug und Begrenzung“, hat Herr Rech gesagt. Deswegen haben die Grünen schon vor Jahren ein Einwanderungsgesetz gefordert. Jetzt heißt dieses Gesetz „Zuwanderungsgesetz“ – das ist auch eine Botschaft, die dem Kompromiss geschuldet war.
Wenn wir – und Sie ja offensichtlich auch – nun so weit sind, wenn hier im Haus ein breiter Konsens besteht, dass das Ziel von Zuwanderung letztendlich nur dadurch erreicht werden kann, dass wir Einwanderung haben, dann sind wir uns, wenn alles klappt, einig. Ich bin mir auch sicher, dass, wenn diese Botschaft zwischenzeitlich einhellig durch eine breite gesellschaftliche Akzeptanz getragen wird, diejenigen, die jetzt zuwandern, es viel leichter haben werden als diejenigen, denen man jahrelang gesagt hat, sie seien hier eigentlich nur Gäste.
Einwanderung mit diesem Ziel – und da gibt es gar keinen Zweifel – ist auch eine Bringschuld; da gibt es bei uns keine Diskussion. Das heißt, die deutsche Verfassung, die deutschen Gesetze, die deutschen Normen sind einzuhalten.
Die Kehrwoche, auf die immer gerne hingewiesen wird, würde ich jetzt nicht dazu zählen. Ich freue mich darüber, wenn jemand sie macht, aber ich kenne auch genügend Deutsche, die sie nicht machen.
Was also ist nötig? Unstrittig die Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift – wie es etwa im Zeugnis heißt – und die Verfassungsakzeptanz. Aber warum kommen dann aus Ihrer Ecke auch gleich immer solche Begrifflichkeiten wie „Schicksalsgemeinschaft“? Warum wird immer noch so etwas hinzugefügt?
Das, meine ich, stört die Ernsthaftigkeit der Debatte massiv und lässt uns immer wieder daran zweifeln, ob die CDU es tatsächlich ernst meint. Man kann nicht von jemandem verlangen, sich zu integrieren, wenn man gleichzeitig Vorschläge wie den macht – Sie haben das heute erfreulicherweise nicht getan –, ein Migrant, der zum Hartz-IV-Empfänger wird, solle ausgewiesen werden. Es kann durchaus der Fall sein, dass sich jemand auf die Bestimmungen einlässt, die deutsche Sprache lernt, alle Gesetze und Normen akzeptiert und dennoch in die Arbeitslosigkeit gerät. Solche Begrifflichkeiten, solche Vorschläge stören ein positives Klima der Integration massiv. Es war ja bezeichnend, dass gleichzeitig mit dem gerade stattgefundenen Integrationsgipfel die Sanktionsdebatten aufkamen. Das ist, wie gesagt, aus unserer Sicht nicht erfreulich.
Gleichzeitig bin ich aber doch dankbar dafür, dass beim Zusammenzählen der vielen Millionen Euro – ob es nun
40 oder 41 Millionen € sind, die das Land Baden-Württemberg für die Integration aufbringt – die Aufwendungen, die wir für die Grundschule haben, nicht auch noch mit eingeflossen sind. Denn in der Grundschule gibt es ja auch viele Migrantenkinder. Man kann wirklich trefflich über die Frage streiten, ob wir dadurch nun Schrittmacher sind oder nicht.
Herr Rau hat – das war im Rahmen einer der ersten Debatten, denen ich hier im Landtag beigewohnt habe – zum Thema Bussing gesprochen. Dabei geht es um die Frage, wie wir das Problem lösen, dass in vielen Schulen ein sehr, sehr hoher Ausländer- bzw. Migrantenanteil besteht und kaum die deutsche Sprache gesprochen wird. Da wird zumindest akzeptiert, dass wir beim Ist ein großes Problem haben.
Darauf will ich jetzt aber gar nicht hinaus, sondern ich will noch einmal auf das eingehen, was die Debatte heute vielleicht bringen könnte. Das betrifft das Thema Bleiberecht. Ich habe verstanden, Herr Rech, dass der, der Pässe fälscht, falsche Angaben macht – ich habe mir nicht alles aufgeschrieben, was Sie gesagt haben –, also kriminell wird, ausgewiesen wird. – Zutreffend.
Sie haben leider nicht definiert – aber ich fasse es zusammen –, was erforderlich ist, um in den Genuss des Bleiberechts zu kommen. Erforderlich ist: sich selbst ernähren können, nicht auf Transferleistungen angewiesen sein, die deutsche Schule besuchen – und nicht nur besuchen, sondern erfolgreich durchlaufen –, die deutsche Sprache beherrschen, einen Arbeitsplatz haben. Ich kann der Familie, die dieses wunderschöne Skript realisiert hat – Arbeitsbescheinigung, Schulbescheinigung, positive Voten der Mitschüler, der Nachbarn –, sagen: „Sie dürfen Hoffnung haben. Herr Rech hat heute ausgeführt, dass Sie eigentlich alle Voraussetzungen erfüllen. Bis Herbst müssen wir noch durchstehen, und dann haben Sie ein Bleiberecht.“ Diese positive Zusammenfassung habe ich aus Ihrer negativen Beschreibung durch Umkehrung gewonnen. Insofern bin ich erfreut über die heutige Debatte.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Den Ausführungen meiner Vorredner kann ich entnehmen, dass wir alle gemeinsam etwas tun wollen, um die Integrationsfähigkeit zu stärken. Klar ist aber auch – und das, Herr Braun und Herr Wölfle, müssen Sie bitte bedenken –: Integrationsfähigkeit kann nur gestärkt werden, wenn der Wille zur Integration vorhanden ist. Das muss man noch einmal ganz klar sagen.
Klar ist auch: Solange es Dinge gibt wie Zwangsheirat oder „Ehrenmord“ – allein dieser Begriff ist unerträglich, man kann nicht im Namen der Ehre morden –, müssen wir dagegen angehen, und zwar in aller Konsequenz.
Klar muss sein: Für jeden, der sich in unserem Land aufhält, ob das nun „Schicksalsgemeinschaft“ oder anders genannt wird, gelten unsere gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen.