Protokoll der Sitzung vom 26.07.2006

Klar muss sein: Für jeden, der sich in unserem Land aufhält, ob das nun „Schicksalsgemeinschaft“ oder anders genannt wird, gelten unsere gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grundlagen.

Integration findet in Baden-Württemberg statt. Nichts aber ist so gut, als dass es nicht noch verbessert werden könnte. Daran wird man arbeiten.

Klar ist: Wir brauchen bessere Bildungserfolge. Wir brauchen dazu aber auch eine Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern. Wir haben dieses Problem bei Deutschen genauso wie bei Migranten, aber bei Migranten in höherem Maße. Wir brauchen bessere Chancen für Zuwanderer auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Ich würde mir wünschen, dass auch Unternehmer mit Migrationshintergrund selbst verstärkt Bemühungen auf dem Ausbildungsmarkt unternehmen. Da gibt es noch große Defizite.

Wir brauchen das bürgerschaftliche Engagement von Migranten. Es findet in großem Maße schon in Vereinen statt. Das muss von Deutschen und von Migranten verstärkt werden.

Wir brauchen Überlegungen, wie wir eine verantwortungsvollere Mediennutzung bei ausländischen Kindern und Jugendlichen durchsetzen können.

Ich bin sehr froh – und das gilt für die ganze FDP/DVPFraktion –, dass nun endlich das Modellprojekt Islamunterricht starten wird. Wir müssen es intensiv begleiten und dann so schnell wie möglich ausdehnen, sodass wir den Religionsunterricht muslimischer Kinder aus den Hinterzimmermoscheen herauskriegen und diese Schüler ganz normal in deutscher Sprache von hier ausgebildeten und geprüften Lehrern unterrichtet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP, der SPD und den Grünen – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Sie müssen aber auch etwas dafür tun, dass eine Fakultät eingerichtet wird!)

Wir Liberalen wünschen uns auch eine repräsentative Vertretung der Muslime in unserem Land, damit der politische Dialog verbessert werden kann. Bisher gibt es als Ansprechpartner hundert verschiedene Gruppierungen, die sich untereinander befehden. Das hilft uns nicht weiter. Da müssen wir versuchen, etwas zu tun.

Ich will noch einmal sagen: Wir sind über jeden Einwanderer froh, der unsere Gesellschaft bereichern und unsere Wirtschaftskraft stärken will, der mit uns zusammen daran arbeiten will, dass Baden-Württemberg weiterhin das Bundesland Nummer 1 ist und diese Funktion als Motor auch innerhalb Europas weiter ausüben und stärken kann.

Wer sich nicht integrieren will, wer zur Integration nicht bereit ist, der hat bei uns keinen Platz. Das muss auch ganz klar sein.

(Beifall der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Denn wir wollen Menschen, die bewusst und gern in diesem Land leben und mit uns an diesem Land bauen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Justizminister Dr. Goll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil es in den vergangenen Jahren Zuwanderung in einigem Umfang in die Bundesrepublik und auch nach Baden-Württemberg gegeben hat, weil es immer noch Zuwanderung gibt, wenn auch in einem Ausmaß, das in der Regel gewaltig überschätzt wird – die Zuwanderung ist wesentlich geringer, als die meisten annehmen –, und weil wir dadurch hohe Ausländeranteile haben, zum Beispiel in Stuttgart einen Ausländeranteil im engeren Sinn von etwa 25 %, aber einen Anteil von Familien mit Migrationshintergrund von etwa 33 %, ist natürlich Integration ein Schlüsselthema der Politik der kommenden Jahre gerade in Baden-Württemberg.

Deswegen haben wir dieses Thema auch weiter aufgewertet. Wir haben die Position des Ausländerbeauftragten, den es schon seit zehn Jahren gibt, gestärkt. Wir haben nicht nur den Namen geändert; er heißt jetzt Integrationsbeauftragter. Es gibt auch erstmalig einen Kabinettsausschuss, der sich gezielt mit Fragen der Integration befassen wird.

Die Aufgabe des Integrationsbeauftragten ist nicht, zu versuchen, alles selbst zu machen, sondern im Gegenteil: Die Aufgabe ist Integration, die Aufgabe ist Zusammenarbeit, eine enge Zusammenarbeit vor allem mit dem Innenministerium, das einen Großteil der Fragen zu bearbeiten hat, die mit Integration zu tun haben. Aber weitere wichtige Ressorts kommen hinzu, ob es Bildung, Wirtschaft oder Soziales betrifft. Ich stelle erfreut fest, dass aus all diesen Ressorts im Moment Projekte hervorgegangen sind, die sich gezielt mit der Frage befassen: Wie bringen wir das Thema Integration voran? Wie können wir eine Bilanz weiter verbessern, die im Ländervergleich schon jetzt nicht schlecht ist?

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Schwäbisches Lob: „nicht schlecht“!)

Das muss man sehen.

Ich habe vorhin das Beispiel des Stuttgarter Raums genannt. Es gehört schon einiges dazu, solche Anteile zu verkraften, und das eigentlich weitgehend geräuschlos – ich erinnere daran, was zum Teil in anderen Bundesländern läuft.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Genau!)

Integration ist für uns deswegen ein Thema, weil wir bei uns im Land nicht Spannungen aufbauen wollen, sondern Spannungen abbauen wollen, wo diese drohen. Wir wollen Gettos verhindern. Wir wollen nicht zuschauen, wie sie entstehen, beispielsweise in Frankreich unter den Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund. Da wollen wir frühzeitig wachsam sein. Wir wollen umgekehrt klarstellen, dass in Baden-Württemberg jeder eine Chance hat, gleichgültig ob es ein Kind aus einer Familie mit Migrationshintergrund ist oder nicht. Jedes Kind, jeder Mensch soll in Baden-Württemberg seine faire Chance bekommen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Natürlich ist der Begriff Integration manchmal nicht leicht zu fassen. Ich halte Integration auch für einen zweiseitigen Prozess. Mit Recht ist vorhin vom Kollegen Heinz und vom Kollegen Rech betont worden, dass es auch eine Bringschuld ist. Wir erwarten etwas von den Migranten, und wir dürfen auch etwas von ihnen erwarten. Aber wir wollen ihnen auch Angebote machen. Wir müssen vor allem die Frage im Auge behalten, ob wir sie mit unseren Angeboten überhaupt erreichen. Denn flammende Appelle an die Migranten, ihren Beitrag zu leisten, nützen nichts, wenn sie die Migranten gar nicht erreichen. Wenn zum Beispiel eine Frau mit türkischem kulturellem Hintergrund zu Hause sitzt und die deutsche Sprache schlecht spricht, dann bekommt sie gar nichts mit; sie kennt unser Schulsystem gar nicht, und wenn sie ausgeht, läuft sie vielleicht stumm hinter ihrem Mann her. Deswegen nützt es natürlich nichts, zu sagen: „Wir verlangen von euch etwas, und wir können dies auch verlangen“, sondern wir müssen gleichzeitig schauen, dass wir mit unseren Angeboten das Ziel erreichen.

Dabei kommt auch ein wesentliches Merkmal der künftigen Integrationspolitik ins Spiel, nämlich die Einbeziehung der Eltern. Das wird ein starker inhaltlicher Akzent der kommenden Jahre sein: Wie kommen wir an die Eltern, an die Familien, an die türkische Mutter heran? Denn die Eltern sind natürlich in einer Schlüsselposition, gerade wenn es um die Förderung der Bildung ihrer Kinder geht.

Bildung wird in den kommenden Jahren ein zentrales Thema der Integrationspolitik sein. Wir haben festgestellt – das ist eigentlich überraschend –, dass sich der Bildungsstand der bei uns lebenden Ausländer nicht automatisch von Jahr zu Jahr verbessert; das wird nicht von Generation zu Generation besser. Vielmehr hatten wir hier Jahrzehnte des Stillstands. Diese sind übrigens dadurch gut erklärbar, dass man von einer Rückkehr dieser Personen in ihr Herkunftsland ausgegangen ist. Alle sind von einer Rückkehr ausgegangen.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Wir nicht!)

Die Familien sind selbst von einer Rückkehr nach einer bestimmten Zeit ausgegangen – und die aufnehmende Gesellschaft ist es auch. Dann ist jahrelang nicht viel passiert, was die Integration im Bildungsbereich angeht.

Die größte Herausforderung der kommenden Jahre liegt meines Erachtens darin, dass hier kein Zündstoff entstehen darf, dass wir in dem Bereich „Besserer Bildungszugang für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund“ keine Dissozialität erzeugen. Wir haben heute die Situation, dass die meisten Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund in die Hauptschule gehen

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Oder in die För- derschule!)

und sich die Hauptschule immer mehr zur Sackgasse entwickelt, von der dann keine Wege in ein Ausbildungsverhältnis führen. Darüber wird viel diskutiert.

Ich sage Ihnen: Ich glaube nicht, dass uns die Diskussion über ein gegliedertes Schulsystem weiterführt. Vielmehr liegt das eigentliche Problem darin, dass viele Kinder auf die Hauptschule kommen, die gar keine guten Schüler sein

(Minister Dr. Ulrich Goll)

können, weil sie die notwendigen Voraussetzungen nicht mitbringen. Wenn viele solche Schüler auf der Hauptschule sind, dann kann die Hauptschule nicht gut sein; das ist logisch. Aber man muss dort einen Zugang dadurch erreichen, dass man den Kindern vorher hilft. Hierzu benötigt man die Sprachstandserhebung. Man muss erst einmal wissen, wo die Probleme liegen, um gezielt auf die Familien zugehen zu können. Ich möchte die Familie sehen, die, wenn man sie darauf anspricht, dass bei ihrem Kind sprachliche Defizite festgestellt wurden, sagt, das interessiere sie nicht. Das werden die wenigsten Fälle sein, das werden Einzelfälle sein. Die meisten werden wir auf diese Art erreichen, und dadurch werden wir auch deren Bildungszugang verbessern.

Herr Kollege Braun hat uns zu einigem aufgefordert, mit dem wir eigentlich schon längst begonnen haben. Gerade bei der Verbesserung der Förderung von Kindern im Vorschulalter und der Sprachförderung läuft einiges. Nur ist mir bei Ihrer Aussage durch den Kopf gegangen: Wenn wir Ihre sonstigen Vorschläge alle verwirklicht hätten, hätten wir gar nicht das Geld für die jetzt von Ihnen geforderten Maßnahmen. Wir erhalten hierfür das Geld aus der Landesstiftung. Allmählich fangen Sie hinsichtlich der Landesstiftung ein bisschen an umzudenken.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Gar nicht wahr!)

Aber erstens machen wir schon, was Sie fordern, und zweitens hätten wir dafür kein Geld, wenn wir Ihre früheren Forderungen realisiert hätten.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Norbert Zeller SPD: Stimmt doch gar nicht! – Abg. Claus Schmie- del SPD: Ein Tropfen auf den heißen Stein! – Ge- genruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wir müssen auch Schulden tilgen!)

Das nur zum Thema Batterie, das Herr Kollege Braun angesprochen hat.

Wir müssen aus den verschiedensten Gründen gerade an das Thema eines verbesserten Bildungszugangs herangehen. Wir müssen überlegen, welches Potenzial dort brachliegt, auch für unsere Wirtschaft. Da geht es um starke Jahrgänge von Jugendlichen, die allerdings starke Defizite haben. Wenn wir diese Potenziale nicht nutzen, nutzen wir uns selbst am wenigsten.

Ferner liegt eine verbesserte Bildung natürlich auch im Sinne der Betroffenen. Es ist nicht nur ein Wirtschaftsthema, sondern es geht auch darum, dass eine verbesserte Bildung auch eine bessere Orientierung der Menschen in der Welt schafft. Weswegen bemühen wir uns selbst um Bildung? Um das Umfeld besser zu verstehen, um uns besser orientieren zu können, um besser zurechtzukommen und auch, um eine bessere Teilnahme am sozialen, am gesellschaftlichen Leben zu haben. Zu all dem ist Bildung der Schlüssel. Deswegen wird Bildung auch ein Schwerpunkt der kommenden Jahre sein.

Ich habe vorhin gesagt, die Maßnahmen lebten von Beiträgen vieler Ressorts. Im Fall der Bildung ist dies insbesondere das Ressort des Kollegen Rau, der gerade dieser Tage mit Experten ein Konzept erarbeitet bzw. fortgeschrieben

hat zu der Frage: Wie kommen wir früh genug und konsequent genug an die Kinder heran?

(Abg. Stephan Braun SPD: Wo ist er denn?)

All das soll in den kommenden Jahren zu einem Integrationsplan zusammengeführt werden. Es ist wichtig, dass wir die vorhandenen Aktivitäten transparent machen, dass wir sie erst einmal sichtbar machen, identifizieren und zusammensetzen. Denn gerade aus diesem Zusammenwirken kann natürlich auch eine neue Form von Stärke entstehen. Da erreichen wir in den Integrationsbemühungen eher eine neue Stufe, als wenn jeder nur sein Projekt betreibt. Wir wollen die verschiedenen staatlichen Ebenen zusammenführen, aber natürlich auch eng mit den Wohlfahrtsverbänden, den Vereinen – es wurde zu Recht bereits darauf hingewiesen, dass dort viel an Integration stattfindet –, den Migrantenorganisationen, den Kirchen, mit Privaten, die sich engagieren, zusammenarbeiten. Aus all diesen Aktivitäten wollen wir das Mosaikbild des Integrationsplans für das Land zusammensetzen. Natürlich kommt es dabei vor allem auch auf die Abstimmung der Ressorts der Landesregierung an – in der neu geschaffenen Arbeitsgruppe „Integration“ und darüber hinaus.

Auf dieser Grundlage werden wir uns natürlich – das hat ja schon angefangen – an den Aktivitäten des Bundes zur Integration beteiligen. Wir werden unsere eigenen Beiträge aus Baden-Württemberg einbringen, und ich bin sicher, dass wir hier wie auf anderen Gebieten beachtet werden. Denn wir haben woanders die Schrittmacherfunktion – in der Wirtschaft, bei den Arbeitsplätzen, bei den Universitäten –, und wir wollen sie auch beim Thema Integration haben. Denn, meine Damen und Herren, eines ist klar: Erfolgreiche Integration dient allen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle Debatte unter Punkt 1 der Tagesordnung abgeschlossen.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Ergänzungswahlen zum Staatsgerichtshof

Meine Damen und Herren, unter den Gästen auf der Zuhörertribüne begrüße ich besonders den Präsidenten des Staatsgerichtshofs, Herrn Eberhard Stilz.