Protokoll der Sitzung vom 08.07.2009

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Aber Sie regieren doch! Das ist lächerlich! – Abg. Reinhold Gall SPD: Wir sind dafür, aber Sie lehnen es ab! – Zuruf des Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE)

Wenn wir ein einfacheres Steuerrecht hätten, dann könnten wir die in der Finanzverwaltung tätigen Personen für die Aufgaben einsetzen, für die sie da sind, und müssten sie nicht dauernd schulen, etwa für das, was sich jetzt im Steuerrecht an Komplikationen wieder neu ergeben hat.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

Wir machen Vorschläge für Effizienzpotenziale, z. B. beim Einkauf von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr, bei

der Organisation der Bundesagentur für Arbeit. Wir haben konkrete Kürzungen im Haushalt, Subventionsabbau und die Privatisierung von Bundesvermögen vorgeschlagen.

Der Ministerpräsident hat recht: Das geht nicht von jetzt auf sofort. Das haben wir auch nie behauptet. Aber man muss endlich damit anfangen. Das ist auch bei uns – genau wie Sie, Herr Kretschmann, es so schön erklärt haben – Voraussetzung dafür, dass wir eine Koalition überhaupt eingehen. Wir haben bei allen Koalitionsverhandlungen, nicht nur bei denen in Baden-Württemberg – in Bayern hat sich das zuletzt wieder erwiesen – ganz deutlich gezeigt, dass wir nur dann Koalitionen eingehen, wenn unsere Sachpositionen damit umsetzbar sind.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Zusammengefasst: Was bedeutet Glaubwürdigkeit? Glaubwürdigkeit bedeutet für uns, zu sagen, was man will, zu begründen, warum man das will, und zu erklären, wie man es umsetzen will. Das haben wir, denke ich, auch in dieser Rederunde deutlich gemacht.

Ich habe eine Schlussfrage an Sie: Gehen Sie eigentlich davon aus, dass eine Politik glaubwürdig ist, die suggeriert, die Steuerzahler müssten dem Staat nur genügend Geld in die Hand geben, dann würde schon alles gut? Ich sage Ihnen eines: Ein immer perfekterer Umverteilungsstaat, wie gerade Sie ihn wollen – das haben Sie jetzt wieder deutlich dargelegt –, kann nie bessere Ergebnisse erzielen, weil er für die Verteilung so viel Kapazität braucht und für so hohe Kosten aufkommen muss, dass von dem, was Sie verteilen wollen, gar nichts mehr übrig bleibt.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE: Wollen Sie jetzt den Staat abschaf- fen?)

Am Ende steht dann nur noch die Verwaltung des Mangels: ein bis vor 20 Jahren auf deutschem Boden existierender Staat hat das deutlich gezeigt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Innere Sicherheit – Erfolgsmodell Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der CDU

Es gelten die für eine Aktuelle Debatte üblichen Redezeiten: fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und fünf Minuten für die Sprecher in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Blenke.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Baden-Württemberg ist das Wohlfühlland Nummer 1. Die Menschen leben gern in unserem Land.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Jetzt habe ich gedacht, die gingen alle ins Elsass!)

Menschen aus anderen Bundesländern ziehen gern hierher. Das hat viele Ursachen. Eine davon ist sicherlich auch, dass sie hier objektiv sicher leben und sich auch subjektiv – das Sicherheitsgefühl – sicher fühlen. Eine gute Politik für die innere Sicherheit schafft deshalb auch Lebensqualität und ist ein Standortfaktor für unser Land.

(Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Gehen Sie einmal nach Bopfingen!)

Die Menschen erwarten vom Staat völlig zu Recht, dass er als Inhaber des Gewaltmonopols ein Maximum an Sicherheit gewährleistet.

Schauen wir uns zunächst die objektiven Zahlen an. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2008 ist die Zahl der Straftaten in Baden-Württemberg erneut leicht zurückgegangen; sie sank um rund 3 %. Die Aufklärungsquote liegt nach der Polizeilichen Kriminalstatistik weiter auf einem sehr hohen Niveau. Positiv ist auch zu vermerken, dass die Anzahl der Gewaltdelikte insgesamt zurückgeht und die Zahl junger Tatverdächtiger insgesamt ebenfalls sinkt.

Dieser bundesweite Spitzenplatz, der Platz im oberen Feld hat natürlich Ursachen. Er ergibt sich nicht von allein, sondern ist hart erarbeitet. Man sieht auch, dass beispielsweise Maßnahmen der Prävention deutlich wirken.

Meine Damen und Herren, das sind die objektiven Zahlen, das ist die positive Seite.

Ich will aber nicht schönreden: Es gibt natürlich auch bedenkliche Entwicklungen. Ich verweise hierbei nur auf das Stichwort Internetkriminalität.

Ich nenne einen Punkt, der mir besonders nahegeht: Das ist die zunehmende Zahl an Übergriffen gegen Polizeibeamte. Diese Übergriffe sind unerträglich.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Die zunehmende Zahl gewalttätiger Übergriffe gegen Polizeibeamte, die für unsere Sicherheit im Einsatz sind, ist unerträglich. Das ist bei großen Sportveranstaltungen, mittlerweile aber sogar auch bis in nachgeordnete Ligen hinein der Fall. Das ist bei größeren Menschenansammlungen und Festen bis hin zu kleineren Dorffesten der Fall.

Wir haben am vergangenen Wochenende ein solches schlim mes Ereignis in Bopfingen im Ostalbkreis erlebt, wo ein traditionsreiches Bürgerfest, zu dem Tausende von Menschen kamen, um friedlich zu feiern, friedlich beieinander zu sein, plötzlich von einigen chaotischen Gewalttätern, denen es nur darum geht, blind auf Polizisten einzuschlagen, umgekrempelt wurde.

Wir alle sind ratlos, was die Ursachen solcher blinden Gewaltausbrüche angeht. Aber hier sind wir gefordert; wir müssen uns da auch deutlich und schützend vor unsere Polizei stellen. Es darf nicht sein, dass die Polizisten solch blinden Gewaltorgien ausgesetzt sind.

(Beifall bei der CDU)

Hinzu kommt der Alkohol; das ist ein weiteres Thema. 70 % aller Gewalttaten Jugendlicher gegen Polizisten – vermutlich

war dies dort auch der Fall – erfolgen alkoholisiert. Wir haben deshalb mit dem Beschluss unserer Koalition zu einem nächtlichen Verkaufsverbot für Alkoholika sicherlich einen guten Lösungsweg – vielleicht nicht d i e Lösung, aber doch einen Weg dorthin – eingeschlagen,

(Beifall bei der CDU – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Aber das ist doch jetzt nicht auf der Tagesordnung!)

und ich möchte hierfür ausdrücklich meinen Dank an die Koa lition richten.

Meine Damen und Herren, die innere Sicherheit in BadenWürttemberg beruht im Wesentlichen auf drei Säulen: das Personal, die Ausstattung und die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten.

Ich möchte zunächst zum Personal etwas sagen: Wir haben bei unserer Polizei in Baden-Württemberg hervorragende Mitarbeiter, die exzellent ausgebildet und auch gut motiviert sind. Ich möchte an dieser Stelle dem neuen Landespolizeipräsidenten – er ist heute erstmals hier im Landtag dabei – sehr herzlich zu seinem Amt gratulieren. Herr Dr. Hammann, Sie haben die Führung über eine hervorragende Mannschaft übernommen. Ich wünsche Ihnen für diese verantwortungsvolle Tätigkeit viel Erfolg und auch viel Glück.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge- ordneten der SPD und der Grünen)

Wir haben im Bereich des Personals in Baden-Württemberg seit Jahren kontinuierlich, Stück für Stück Verbesserungen in der Besoldungsstruktur vorgenommen. Aktuell setzen wir in dieser Legislaturperiode einen Schwerpunkt bei der Verbesserung der Beförderungsmöglichkeiten im mittleren Dienst. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung auf Vorschlag des Ministerpräsidenten mit dem Einstieg in den atmenden Stellenplan beschlossen, dass 1 400 zusätzliche Beförderungen im mittleren Dienst stattfinden können. Ich sage hier vor dem Hohen Haus: Wir erwarten, dass dies im Lauf dieser Legislaturperiode auch wirklich so umgesetzt wird.

Meine Damen und Herren, die Personaldecke der Polizei ist zugestandenermaßen relativ dünn. Da muss man gegensteuern, und das tun wir auch. Wir haben im vergangenen Jahr einen Einstellungskorridor beschlossen, mit dem wir über mehrere Jahre hinweg jährlich 800 Neueinstellungen vornehmen können. 800 Neueinstellungen – das ist mehr als der eigentliche Ersatzbedarf, und das ist eine Vorsorge im Hinblick auf die künftig schwieriger werdende Altersstruktur. Wir erwarten, dass diese Beamten dann, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben und in den Dienst der Polizei eintreten, zielgerichtet insbesondere dort eingesetzt werden, wo die Engpässe am größten sind. Wir haben Bereiche im ländlichen Raum, in denen es zum Glück relativ friedlich ist. Aber wir wissen – Stichwort Bopfingen –, dass immer etwas passieren kann. Dort, wo die Personaldecke sehr dünn ist, erwarten wir, dass die Beamten zielgerichtet eingesetzt werden.

Ich will zu den beiden anderen Säulen, zur Ausstattung und zu den rechtlichen Handlungsmöglichkeiten, in der zweiten Runde Stellung nehmen und bedanke mich jetzt in der ersten Runde für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Gall.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Jetzt kommt die Wahrheit!)

Herr Präsident, werte Kolleginnen, werte Kollegen! Das Thema „Innere Sicherheit“ und insbesondere die Gewährleistung der inneren Sicherheit ist zweifelsohne eine Kernaufgabe, die der Staat zu erfüllen hat. Sie, Herr Innenminister, haben dieser Tage gesagt, dass sich unser Kontinent, dass sich Europa zu einem einheitlichen Sicherheitsraum hin entwickelt. Ich glaube, wir können unseren Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam sagen: Deutschland ist ein sicheres Land. Das gilt im Übrigen für alle Bundesländer und selbstverständlich auch für Baden-Württemberg.

Gleichwohl gibt es einiges zu verbessern – ich bin fast erstaunt, dass der Kollege Blenke dies bereits in der ersten Runde angesprochen hat –, gerade in Baden-Württemberg. Darauf will auch ich zu sprechen kommen.

Die Polizei und die Justiz auf der einen Seite tragen die Hauptlast dieser Arbeit, die dabei zu bewältigen ist und die letztlich aus der Verantwortung unseres Staates resultiert. Die Politik und insbesondere diejenigen, die sich in Regierungsverantwortung befinden, haben auf der anderen Seite die entsprechenden Rahmenbedingungen als Arbeitsgrundlage für die Polizei zu schaffen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen – das sollten wir in der Diskussion nicht vergessen –, dass eine Balance zwischen Freiheit auf der einen Seite und Sicherheit auf der anderen Seite zu gewährleisten ist, was zugegebenermaßen ein schwieriger Prozess sein kann. Der Grat, auf dem man sich da zu bewegen hat, kann schmal sein, insbesondere dann, wenn es um die Einschränkung von Bürgerrechten geht. Ich habe den Eindruck – wir haben es in diesem Haus in den zurückliegenden Monaten und Jahren ja häufig erlebt –, dass CDU und FDP/DVP diese Balance, die wir für dringend erforderlich halten, eben nicht halten können und – was noch schlimmer wäre; diesen Eindruck haben wir jedoch – auch nicht halten wollen,

(Beifall bei der SPD)

siehe die Verschärfung des Polizeigesetzes oder der massive Versuch, beim Versammlungsgesetz etwas zu verändern.

Unsere Polizei – das muss man sagen – trifft bei ihrer Tätigkeit auf eine Riesenbandbreite an Aufgaben, die zu bewältigen sind. Das geht vom Fahrraddiebstahl bis hin zum NATOGipfel. All diese Tätigkeiten, die in diesem Spektrum liegen, sind letztendlich zu bewältigen. Die Polizei hat sich um Kapitalverbrechen ebenso zu kümmern wie um die Aufnahme von Verkehrsunfällen. Sie hat sich mit Internetbetrügern auseinanderzusetzen, hat aber auch Schwertransporte zu begleiten. Sie ermittelt in Wirtschaftsdelikten, aber auch im Bereich der Kinderpornografie. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.