Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Es ist sinnvoll, dass wir jetzt zu einem einheitlichen Landesgesetz in Form eines durchgängigen Gesetzbuchs aus vier Gesetzbüchern kommen.

Die fehlende Paragrafenfolge ist problematisch, weil man immer auf unterschiedliche Bücher Bezug nehmen muss. Das hat sich nun nicht ändern lassen. Wir Juristen werden damit leben können.

Es ist gut, dass der Jugendstrafvollzug in freien Formen festgeschrieben wird. Es ist noch besser, dass der Strafvollzugsbeauftragte nunmehr im Gesetz selbst geregelt ist. Das ist letztlich zu begrüßen.

Aber die Probleme bleiben. Ich will zunächst einmal sagen, warum wir das Gesetz letztlich ablehnen. Wir haben auch schon die Einzelgesetze abgelehnt.

Der Privatisierung wird durch § 12 des ersten Buches des Gesetzes Tür und Tor geöffnet. Die ersten Erfahrungen aus Offenburg machen mir wirklich Sorgen. Ich will das an vier Punkten deutlich machen.

Erstens: Wir stellen fest, dass im ersten teilprivatisierten Gefängnis in Baden-Württemberg in Offenburg eine extrem hohe Fluktuation bei den Beschäftigten zu verzeichnen ist.

Wir stellen zweitens fest, dass durch diese hohe Fluktuation die Personen, die mit Strafgefangenen arbeiten, praktisch nicht mehr eingearbeitet werden. Während sie früher noch vier Wochen eingearbeitet werden konnten, bevor sie mit den Gefangenen arbeiteten, erfolgt jetzt gar keine Einarbeitung mehr. Jetzt heißt es im privatisierten Strafvollzug in Baden-Würt temberg: Learning by Doing. Da kann man doch nur sagen: Die Richtung stimmt nicht. Deswegen können wir da nicht mitgehen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Die Gefangenen ha- ben ihr Leben lang in ihrer kriminellen Karriere kein Learning by Doing gemacht!)

Der dritte Punkt, der wirklich hoch problematisch ist: Wir stellen fest, dass in der teilprivatisierten Anstalt, für die wir vertraglich festgeschrieben haben, dass die Strafgefangenen einer Arbeit nachgehen sollen – idealerweise natürlich einer sinnvollen Arbeit –, dies nicht der Fall ist. Was sieht man, wenn man dort hinkommt? Die basteln nur noch. Die machen keine Arbeit mehr.

(Abg. Karl Zimmermann CDU, das in der JVA Heims heim gedruckte Gesetzbuch in die Höhe haltend: Die haben doch das ganze Gesetz gemacht! Gedruckt und sauber gebunden! Gucken Sie doch das an!)

Das ist doch aus Heimsheim. Die JVA Heimsheim ist doch nicht privatisiert, sondern öffentlicher Strafvollzug. Ich rede von Offenburg. Jetzt bringen Sie gerade etwas durcheinander.

In Offenburg werden die Leute mit Bastelarbeiten beschäftigt, anstatt dass sie einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen. Warum? Weil natürlich in dem Vertrag steht, dass die „Firma Kötting“ eine Strafe zahlen muss, wenn sie die Leute nicht anständig beschäftigt. Aber Basteln ist keine sinnvolle Beschäftigung der Gefangenen im Strafvollzug.

(Beifall der Abg. Rainer Stickelberger und Helen He- berer SPD)

Der vierte Punkt ist, dass nunmehr 21 schwarze Sheriffs, also private Aufseher, dort tätig sind – 21 an der Zahl, aber in Wirklichkeit fehlen fünf Beamte für hoheitliche Tätigkeiten. Wenn man sich diese Relation anschaut, dann erkennt man, dass die Privatisierung auf dem falschen Weg ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Karl Zim- mermann CDU: Jetzt warten wir doch ein paar Jahre ab!)

Das brauchen wir gar nicht abzuwarten. Das sind schon die ersten Ergebnisse, die wir hier haben.

Jetzt kommen wir zu dem zweiten Punkt, der mich wirklich ärgert. Herr Zimmermann, Sie haben die Vorschrift nicht vollständig zitiert. Deswegen will ich es tun und will es auf der Zunge zergehen lassen. Es geht um das vierte Buch, § 2 Abs. 2. Wir haben in den Ausschussberatungen gemeinsam mit den Grünen – es war damals ein Antrag von uns – schon einmal dafür gestimmt, diese Vorschrift wegzulassen, allerdings mit einer anderen Begründung als die Grünen. Ich zitiere die Vorschrift, die jetzt im Gesetzbuch steht:

Die jungen Gefangenen sind in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jawohl! Zu Recht! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Was ist da jetzt schlecht?)

Das ist gut. Aber es kommt zu spät. Meine Damen und Herren, wenn dieselbe Landesregierung, die die Verantwortung für Schüler und Jugendliche hat, die die Verantwortung für Polizei und Jugendsozialarbeit hat, diese Grundsätze überall missachtet und erst dann, wenn die jungen Menschen im Strafvollzug sind, kommt und den großen Zeigefinger heraushält, dann kann ich nur sagen: Das ist zu spät; und das ärgert mich.

(Beifall bei der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Das ist doch § 1 Abs. 2 des Schulgesetzes! Das ha- ben wir doch in der Landesverfassung drin! Überall ist das drin! Was kommt da zu spät?)

Es bestreitet doch niemand, dass diese Grundsätze wichtig und richtig sind. Aber schauen Sie sich doch den Personenkreis an, den es dort zu behandeln gilt. Da hätte man früher tätig werden müssen. Der Kollege Stickelberger hat es schon gesagt: Es kann nicht sein, dass man bei der Schulsozialarbeit einspart und das Ergebnis mit solchen hohen Zielen konfrontiert.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Deshalb wollen Sie es streichen?)

Das ist zynisch.

Wir lehnen das Gesetz ab.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Oelmayer das Wort.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Der hat wahrschein- lich den Änderungsantrag diktiert! – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Die Gefahr droht!)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben die Zweite Beratung des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der Föderalismusreform im Justizvollzug.

Die Föderalismusreform I hatte die Zielsetzung, dass wir als Landesparlamente zusätzliche Kompetenzen zugeordnet bekommen, damit wir auf der Kompetenzseite nicht ausbluten. Die Föderalismusreform I hat dazu geführt, dass der Justizvollzug auf die Länder übertragen worden ist.

Insofern muss man es zunächst prinzipiell begrüßen, wenn sich nun die Landesregierung daranmacht, alle gesetzlichen Grundlagen zum Justizvollzug in einem gemeinsamen Gesetzbuch zusammenzufassen. Dann weiß jeder, wo er nachschauen kann. Dann kann jeder zunächst einmal davon ausgehen, dass er all das, was mit Strafvollzug zu tun hat, in einem Gesetzbuch wiederfindet.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: So ist es!)

Wir haben in der ersten Lesung bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Gesetzentwurf um eine Fleißaufgabe gehandelt hat; vielleicht bleibt es das auch, weil die Umsetzung aus den schönen Büchern in das Gesetzblatt, die nun erfolgen muss, auch spannend werden könnte und ebenfalls zu einer Fleißaufgabe für diejenigen Menschen wird, die diese Arbeit tun müssen.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Lassen Sie mich jedoch noch zwei oder drei inhaltliche Gründe benennen, weshalb wir das Gesetzesvorhaben ablehnen.

Der erste Punkt: Wir haben bereits vor einem Jahr über die Novellierung des Justizvollzugs im Hinblick auf jugendliche Straftäter in unserem Land diskutiert. Laut den Ergebnissen der hierzu durchgeführten Anhörung und der Diskussionen mit Betroffenen in den Justizvollzugsanstalten – und zwar sowohl mit Vertretern der Anstaltsleitungen als auch mit Vertretern von Personen, die dort einsitzen, mit Jugendlichen – muss sich der Jugendstrafvollzug primär am Erziehungsgedanken

orientieren. Wir sind nach all den Informationen, die wir eingeholt haben, jedoch zu der Auffassung gelangt, dass sich das Jugendstrafvollzugsgesetz primär am Gedanken der Strafe orientiert. Schon deswegen haben wir damals zahllose Änderungsanträge erarbeitet. Wir haben eine intensive Debatte geführt, jedoch leider keinen Erfolg damit erzielt. Schon allein deswegen müssen wir dieses Gesetzesvorhaben heute insgesamt ablehnen.

Wir haben Ihnen, Herr Minister, sowie auch den Kolleginnen und Kollegen im zuständigen Ausschuss die Arbeit erspart und haben all diese Änderungsanträge nicht nochmals eingebracht. Der Geist, der uns trägt, basiert jedoch auf der Überzeugung, dass Menschen, die im jugendlichen Alter Defizite aufweisen und straffällig werden, unsere Hilfe brauchen, dass sie den Erziehungsgedanken und nicht primär den Strafgedanken brauchen. Dieser Aspekt kommt uns im vorliegenden Gesetzentwurf jedoch zu kurz.

(Beifall bei den Grünen)

Der zweite Punkt – Kollege Sakellariou hat es zu Recht angesprochen – ist die Privatisierung im Strafvollzug. Wir sind nicht diejenigen, die fundamental vorgehen und sagen: Es darf überhaupt kein Privater in die Strafvollzugsanstalt kommen.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Da sind sie ja auch schon drin!)

Stattdessen haben wir gesagt: Überall dort, wo es um Eingriffe in Grundrechte geht, wo Menschen, die durch den Wegschluss in eine Strafvollzugsanstalt sowieso schon Grundrechtseingriffe in großem Umfang akzeptieren müssen – die sie logischerweise selbst verschuldet haben –, darf die Betreuung nur durch hoheitliche – sprich durch verbeamtete – Beschäftigte wahrgenommen werden. Diese Tätigkeiten sind nicht privatisierbar; das gibt unsere Verfassung aus unserer Sicht nicht her. Auch deswegen sind wir gegen dieses Gesetzesvorhaben.

Beim dritten Punkt geht es um die Frage, welche finanziellen Möglichkeiten dem Justizvollzug und den dort Beschäftigten zur Verfügung stehen. Darüber werden wir in Kürze im Rahmen der Beratungen zum Staatshaushaltsplan wieder diskutieren. Wenn wir Gedanken, wie sie durchaus an der einen oder anderen Stelle im Strafvollzugsgesetzbuch auftauchen, umsetzen wollen, wenn wir die Resozialisierung in den Mittelpunkt dieses Gesetzesvorhabens stellen wollen, dann müssen wir das auch materiell unterfüttern. Das hat in den vergangenen Jahren, solange ich diesem Haus angehöre, jedoch nie eine solche Reputation erlangt, als dass wir nun sagen könnten: Wir haben dort personell etwas getan, und wir haben auch inhaltlich etwas getan. Insbesondere in den Ausbildungsstätten innerhalb der Justizvollzugsanstalten gibt es Defizite.

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Ich komme zum Ende, Herr Präsident.

Auf einen Punkt muss ich jedoch noch eingehen. Im Ausschuss sind Sie ja förmlich über uns hergefallen, als es – der Kollege Sakellariou hat es auch schon erwähnt – um die Fra

ge ging, in welchem Geist wir straffällig gewordene Jugendliche, Menschen, die in der Justizvollzugsanstalt einsitzen, erziehen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Im Geiste des Rechts!)

Es kann nicht sein, dass wir alle Häftlinge nach den Regularien zu erziehen versuchen, die dem Christentum verhaftet sind, obwohl wir genau wissen, dass bis zu 50 % der Menschen, die sich im Strafvollzug befinden, von einem anderen Gott ausgehen,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Was?)

dass sie möglicherweise einem anderen Volk angehören. Das ist für uns ein Widerspruch.