Wir stellen derzeit im Rahmen eines Einstellungskorridors 1 270 zusätzliche Polizeibeamte ein. Diese müssen jedoch zunächst ausgebildet werden. Sie kommen nicht aus der Schule heraus und sind fertig ausgebildete Polizisten; sie müssen erst ausgebildet werden. Im Jahr 2011 werden die Ersten von ihnen so weit sein, dass sie in die Reviere, auf die Posten kommen und dort Polizeidienst leisten können – 1 270 zusätzliche Polizeikräfte, die dann für die innere Sicherheit sorgen werden.
Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich noch einen weiteren Punkt ansprechen. Vielleicht schaffe ich es sogar, ohne dass mich Herr Gall dauernd unterbricht. Es geht dabei um das Thema „Kommunale Kriminalprävention“.
„Kommunale Kriminalprävention“ ist leider ein etwas sperriger Begriff. Auf Deutsch heißt das: Verbrechen vor Ort verhüten oder vermeiden. Dieses Projekt, das das Innenministerium in den Neunzigerjahren aufgelegt hat – vielleicht sogar noch unter Beteiligung eines Ministers von Ihnen, von der SPD; das weiß ich jetzt aber nicht genau –,
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was heißt Beteiligung? Er hat es entwickelt! – Abg. Walter Heiler SPD: Frie- der Birzele heißt er!)
ist ein sehr sinnvolles Projekt. Es ist sehr sinnvoll, dass vor Ort, zusammen mit den Gemeinden, Verbrechensverhütungsstrategien entwickelt werden. Da sind wir sehr erfolgreich. Die Amerikaner nennen das übrigens die „Broken Windows Theory“. Dabei schaut man vor Ort, also auch in der Kommunalpolitik, dass es nicht dazu kommt, dass irgendwo ein Fens ter kaputtgeht und andere dadurch provoziert werden, auch die anderen Fenster noch kaputt zu machen, dass man also vor Ort vorbeugt. Es ist letztlich diese Kultur des Hinschauens und nicht des Wegschauens, die wir brauchen. Die Amerikaner haben auch hierfür vielleicht einen besseren Begriff als das Wort „Kommunale Kriminalprävention“; vielleicht versteht man ihren Begriff besser: „Neighbourhood watching“.
Das bedeutet schlicht und einfach: Augen auf, ein bisschen schauen, was neben einem geschieht, und nicht nur auf den eigenen Garten schauen. Dann ist die Welt ein bisschen sicherer und ein bisschen besser. Deswegen ist das Thema Zivilcourage auch ein Thema der inneren Sicherheit.
Noch einmal: Schade, dass Sie – im Gegensatz zum Kollegen Sckerl – falsch an dieses Thema herangegangen sind und wieder einmal die alte Leier aufgelegt haben.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut! – Abg. Reinhold Gall SPD: Sie haben doch das Thema laufend angeschnitten! Doch nicht ich! – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Wenn er es nicht verstanden hat, kannst du doch nichts dafür, Rein- hold! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe im Leben gelernt, dass ich dann, wenn ich von anderen etwas einfordere, zunächst einmal selbst Vorbild sein muss, dass ich selbst vorleben muss, was ich von anderen erwarte.
Wenn ich also als Staat starke Bürger und Zivilcourage einfordere, muss ich zunächst einmal vorleben, dass auch ich ein starker Staat bin. Meine Damen und Herren, wenn ich mich in die Rolle eines Bürgers, der kein Politiker ist, versetze und die Vorgänge der vergangenen Tage in Nordrhein-Westfalen noch einmal Revue passieren lasse, dann muss ich sehr stark daran zweifeln, dass der Bürger in dieser Republik ernsthaft denkt, dass wir ein starker Staat sind.
Schläge, Schüsse und eine Granate in Nordrhein-Westfalen, eskalierte Gewalt zwischen verfeindeten Hells Angels und Bandidos. Ich zitiere aus „Spiegel Online“ vom 2. November 2009:
Die jüngste Attacke zeigt, wie organisiert die Rocker vorgehen und wie hilflos die Polizei bisweilen zusehen muss.
Es kam zu einer Auseinandersetzung. Die Polizei kam dazu. Nach 22 Uhr sammelten sich die Hells Angels und schlugen die Attacke ihrer Rivalen zurück. Ich zitiere weiter:
Offenbar sind sie im Gegensatz zu der überrascht wirkenden Polizei bestens vorbereitet. Beamte werden später berichten, dass die Rocker auf der L 60 kurzzeitig sogar Straßensperren errichtet und nur eigene Autos durchgelassen hätten.
Dann stehen sich in der Charlottenstraße etwa 60 Angels, 60 Bandidos und 30 Uniformierte gegenüber – mehr kann die örtliche Polizei in diesem Moment wohl nicht aufbieten. Die Streifenbeamten bleiben im Hintergrund. „Mir hat ein Rocker direkt ins Gesicht gesagt: ,Haltet euch da raus‘“, erinnert sich ein junger Kommissar im Gespräch mit Spiegel Online. „Und das haben wir auch so gemacht.“
Wenn wir uns mit diesem Thema befassen und von solchen Vorkommnissen lesen, dann muss ich sagen: Was in diesem Artikel steht, kann nicht unbedingt dazu führen, dass ein Bürger sagt: Bei Vorkommnissen, bei denen der Staat versagt, soll ich den Helden spielen. Ich will es drastischer formulieren: Hier fand überhaupt kein Staat statt, und das ist beängstigend.
Lassen Sie mich zu Baden-Württemberg zurückkommen. Ich bin der Auffassung – Herr Kollege Gall hat es bereits beschrieben –, dass sich der Staat oftmals nicht als starker Staat präsentiert.
Herr Innenminister, wir stellen gerade im kommunalen Bereich verstärkt fest, das nicht nur Bürger, sondern auch Gemeinderäte, dass auch Bürgermeister nicht mehr an den star ken Staat glauben. Sie sind davon überzeugt, dass die Polizei aufgrund ihrer Personalausstattung nicht mehr in der Lage ist, vor Ort ihre Aufgaben zu erfüllen. Herr Innenminister, ich nenne ein Beispiel aus dem Landkreis, in dem sich auch Ihr Wahlkreis befindet. Von diesen 32 Kommunen haben inzwischen neun Kommunen einen kommunalen Sicherheitsdienst eingerichtet.
Ich spreche jetzt nicht von Großstädten, sondern von Kommunen mit 10 000, 12 000 oder 14 000 Einwohnern. Sie haben vorhin gesagt, Ihrer Meinung nach beziehe sich das nicht auf die Sicherheit im öffentlichen Raum. Das ist jedoch falsch. In Ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage Drucksache 14/4113 haben Sie selbst geschrieben:
Anlass für die Beauftragung privater Sicherheitsdienste in diesen Gemeinden waren insbesondere Sachbeschädigungen und Ordnungsstörungen vor allem in den Sommermonaten an Baggerseen und an öffentlichen Plätzen.
Wenn Sie die Bürgermeisterkollegen vor Ort, die Sie alle persönlich kennen, nach der Ursache fragen, dann sagen Ihnen
diese Kollegen: Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Polizei ist gesunken und damit ganz empfindlich auch das Sicherheitsempfinden.
Bevor wir also hehre Appelle an die Bürger richten, Zivilcourage zu zeigen, müssen wir zunächst einmal dafür sorgen, dass in Baden-Württemberg die eigenen Hausaufgaben gemacht werden. Herr Innenminister, ich kann Ihnen von vielen Beispielen aus meiner täglichen Praxis berichten, bei denen Bürger bereits resigniert haben. Wenn sich Bürger im Rathaus beschweren, weil nachts wieder einmal gegrölt wurde, weil Unruhe herrschte und Ähnliches, und diesen Menschen gesagt wird: „Das ist Aufgabe der Polizei, rufen Sie bei der Polizei an“, dann bekommt man oft die Antwort: „Das hat doch keinen Wert.“
Das ist die Realität. Herr Innenminister, Sie können hier noch so viele Statistiken anführen. Sie kommen nicht daran vorbei, dass das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger vor Ort stark zurückgegangen ist.
Wir müssen dafür Sorge tragen – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, dass unsere Bürger die Polizei auf der Straße wieder sehen, und da sind Sie, Herr Innenminister, zu allervorderst gefragt. Sorgen Sie dafür, dass unsere Polizei personell wieder so ausgestattet wird, dass unsere Bürgerinnen und Bürger wieder Vertrauen gewinnen! Sorgen Sie dafür, dass auf diese Weise das Sicherheitsgefühl der Bürger wieder so wird, dass man den Staat auch als Vorbild erkennen und respektieren kann! Wenn dieses Vertrauen in die Polizei wieder da ist, dann sind – dieser Auffassung bin ich – Bürgerinnen und Bürger wieder verstärkt bereit, wieder Solidarität und Zivilcourage zu zeigen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt wird es vielleicht ein bisschen ungemütlicher; ich weiß es noch nicht. Denn dieses Selbstlob, Herr Minister, bei diesem Thema ist unangemessen. Wir – alle demokratischen Kräfte; da nehme ich uns nicht aus – haben im Bereich „Aktivierung von Zivilcourage, Kultur des Hinschauens“ Defizite. Wir sollten diese Defizite nicht immer mit diesen Erfolgsbilanzen und Statistiken übertünchen.
Sie haben gestern zum Thema Alkoholprävention die gleiche Vielzahl von Veranstaltungen herbeizitiert wie heute zum Thema Gewaltprävention. Verstehen Sie? Sie tauschen das beliebig aus. Wir haben doch aber überhaupt keine Programme in
diesem Land, die wirksam Zivilcourage fördern können. Das ist nicht die kommunale Kriminalprävention, das sind auch nicht die Antialkoholprogramme. Die haben wir nicht; die müssen wir neu auflegen.
Schauen Sie sich doch einmal die kümmerliche Beteiligung des Landes Baden-Württemberg an den wenigen Programmen des Bundes gegen Extremismus an. In anderen Bundesländern wurde das – natürlich mit dem Schwerpunkt bei den Bundesländern im Osten aufgrund der dortigen Gefahrenlage durch den Rechtsradikalismus – viel stärker weiterentwickelt, aber bei uns ist das in einem kümmerlichen Zustand. Es gibt nur wenige Pilotprojekte; einige wurden erst jetzt, im April dieses Jahres, angegangen. Das alles ist zudem sehr bürokratisch in den Ministerien angesiedelt, aber in der Fläche des Landes gar nicht vorhanden.
Es geht um eine Vielfalt von Projekten für Demokratie und gegen Extremismus für junge Leute. Da liegt eine Chance für mehr Zivilcourage. Diese Chance müssen wir ergreifen; darüber müssen wir uns auseinandersetzen, statt uns hier hinzustellen und zu sagen: Wir tun alles und haben bereits alle Möglichkeiten der Prävention ausgeschöpft. Das ist in BadenWürttemberg nicht der Fall.
Zivilcourage kann doch letztendlich auch nur der einfordern, der in dieser baden-württembergischen Gesellschaft ein Klima schafft, in dem Zivilcourage wachsen kann, in dem die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben: Wenn ich mich einmische, wenn ich Mut zeige, wenn ich selbstbewusst bin, dann habe ich Raum dafür und muss nicht befürchten, einen auf den Deckel zu bekommen.
Welches Klima haben wir denn im öffentlichen Dienst des Landes Baden-Württemberg, meine Damen und Herren? Ges tern hatten wir den Fall des Sonderschulrektors aus Oberschwaben, der zusammen mit 100 Kollegen mutig war. Das war eine moderne Form von Zivilcourage in Baden-Württemberg, im Landesdienst.
Das war Zivilcourage, sich hinzustellen und dieser Regierung aus der praktischen Erfahrung heraus zu sagen: Das Schulsys tem bringt es nicht mehr; wir brauchen etwas anderes. Das ist Zivilcourage! Was haben Sie gemacht? Anstatt auf diese Menschen zuzugehen, sich das anzuhören und mit denen zu diskutieren – die Menschen ernst zu nehmen und Zivilcourage zu fördern –, haben Sie sie einbestellt, abgekanzelt und ihnen dienstrechtlich gedroht.