Protokoll der Sitzung vom 27.07.2006

Ich sage Ihnen aber auch etwas anderes: Längst hat die Mehrzahl unserer Kommunen im Land erkannt, dass auch die Kinderbetreuung einen Standortfaktor darstellt. Unabhängig von der Finanzierung ist längst ein faktischer Druck vor Ort auf die Kommunen entstanden, und sie haben sich trotz angespannter Haushaltslage – das gilt auch für das Land Baden-Württemberg – dem steigenden Druck ausgesetzt. Erst in dieser Woche hat das Kabinett beschlossen, die in Baden-Württemberg vorgesehenen Mittel von 9,65 Millionen € um weitere 1,7 Millionen € aufzustocken.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Um schon vorhan- dene Anträge abzudecken! Also, jetzt!)

Jetzt langsam. Immer wieder wird von einer Versorgungsquote – ich komme noch einmal darauf zurück – bzw. einem Betreuungsbedarf von pauschal 20 % geredet.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Im Schnitt!)

Das ist uns zu unscharf. Wir sagen, wir wollen einen bedarfsgerechten Ausbau, das heißt die Zahl der Eltern ermitteln, welche auf ein Betreuungsangebot angewiesen sind, um dann lokal unterschiedlich, und zwar dort, wo der tatsächliche Bedarf besteht, entsprechende Angebote zu schaffen. Das, meine Damen und Herren, kann regional sehr unterschiedlich sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die Mehrzahl unserer Kommunen erhebt doch diese Zahlen und reagiert damit auch zeitnah auf entsprechende Anfragen.

Der Stellungnahme des Sozialministeriums können Sie außerdem entnehmen, dass auch von diesem Ministerium zusammen mit den kommunalen Landesverbänden derzeit eine entsprechende Umfrage durchgeführt wird und wir schon im nächsten Monat das Ergebnis erfahren können.

Abgesehen davon: Durch das KICK wird künftig im jährlichen Rhythmus eine umfassende, detaillierte Datenerfassung zu Betreuungsplätzen und zum Ausbauzustand der Kindertagespflege zu erwarten sein. Nebenbei bemerkt: Über Bürokratieabbau will ich heute gar nicht reden.

Mit Inkrafttreten der Verwaltungsvorschriften zur Förderung von Kleinkindbetreuung und Tagespflege in BadenWürttemberg – Sie haben es angesprochen – im Jahr 2003 wurden diese wohlweislich bis zum 31. Dezember dieses Jahres befristet mit dem Ziel, unter Berücksichtigung der Erfahrungen der ersten Jahre die Wirksamkeit zu überprüfen, um die Effektivität noch zu verbessern. Damit sind wir sicherlich auf dem richtigen Weg. Die Anhörung der betroffenen Verbände und Träger in den nächsten Wochen wird uns zeigen, ob wir uns hier auf dem richtigen Weg befinden.

Sie haben in diesem Zusammenhang sicherlich die Ausführungen des Rechnungshofs zur Kenntnis genommen, der künftig eine gezieltere Förderung will. Da könnte man zunächst einmal meinen, dass der ländliche Raum benachteiligt sei. Dem ist nicht so. Wir wollen in Zukunft dort fördern, wo Kinder sind, und nicht nach der Zahl der Einwohner. Wo kann man denn heutzutage noch eine solche Förderung durchführen?

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Ferner wurde vom Rechnungshof die Effektivität der Zuwendung zur Altersvorsorge von Tagespflegepersonen infrage gestellt. Dazu sage ich Ihnen heute, dass wir von der CDU-Fraktion diesen Beitrag erhalten wollen,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr gut!)

um unter anderem unsere Wertschätzung gegenüber den Tagespflegepersonen, auch wenn es sich nur um einen geringen Beitrag handelt, zum Ausdruck zu bringen.

Unstrittig dürfte für uns alle sein, dass wir nicht nur einen quantitativen, sondern auch einen qualitativen Ausbau der Betreuungsangebote anstreben, aber ohne dabei Hürden aufzubauen, die die auch im Bereich der Tagespflege eingetretene Dynamik – diese können wir nicht verleugnen – wieder bremsen würden.

Bezüglich der Fortführung des Landeserziehungsgelds gibt es in der Koalitionsvereinbarung die Aussage, dass mindestens 10 % für Betreuungsangebote eingesetzt werden sollen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wenig!)

Dies ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist für uns das Landeserziehungsgeld keine Fortsetzung des Elterngelds. Hier wollen wir schon unsere eigenen Duftmarken setzen und insbesondere unserer sozialen Verpflichtung gegenüber den Familien gerecht werden. Das müsste eigentlich auch Ihnen von der SPD sehr am Herzen liegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! Sehr gut! – Abg. Katrin Altpeter SPD: Sie verwechseln Äpfel mit Birnen!)

Frau Kollegin Lösch erhält das Wort für die Fraktion GRÜNE.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder aller Altersgruppen sind ein zentraler Baustein des Projekts „Kinderland Baden-Württemberg“ – so Ministerpräsident Oettinger in seiner Regierungserklärung vor vier Wochen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat ist es noch ein langer Weg zum Kinderland Baden-Württemberg. Wir befinden uns am Anfang dieses Wegs, vor allem was den Ausbau der Kleinkindbetreuung anbelangt. In dieser Beziehung ist das Kinderland Baden-Württemberg eher ein Kummerland als ein Kinderland.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Marianne Wonnay SPD – Oh-Rufe von der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt tun Sie uns aber weh! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Kum- merland ist abgebrannt!)

Sie können den langen Weg mit großen Schritten zurücklegen, und Sie können den langen Weg auch mit kleinen „Hennadäpperle“ zurücklegen.

(Abg. Dr. Christoph Palmer CDU: Sie sind jetzt aber sehr bemüht! – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Was heißt denn das, „Hennadäpperle“?)

Ich befürworte die großen Schritte und nicht die kleinen Schritte.

Dass die Kleinkindbetreuung eine Schlüsselrolle bei der Kinder- und Familienfreundlichkeit eines Landes spielt, darin sind wir uns, glaube ich, einig, Kollege Klenk. Dass es nicht ausschließlich auf die Kleinkindbetreuung ankommt, ist klar, aber eine bedeutende Rolle für die Zukunftsfähigkeit des Landes spielt der Ausbau der Kleinkindbetreuung.

Die Kinder- und Familienfreundlichkeit ist kein Selbstzweck, sondern eine Frage der Zukunftsfähigkeit. Wir können es uns nicht mehr leisten, auf das Wissen und Können einer gut ausgebildeten Frauengeneration zu verzichten. Um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen zu verbessern, müssen wir vor allem die Betreuungsangebote für Kleinkinder verstärkt ausbauen. Das ist jetzt kein Zitat aus einer Pressemitteilung der Kollegin Wonnay oder aus einer Pressemitteilung der Grünen, sondern so stand es in der Pressemitteilung, die vorgestern Mi

nisterpräsident Oettinger und Frau Sozialministerin Stolz herausgegeben haben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist auch rich- tig so!)

Jetzt haben wir hier wieder diese hehren Worte, die Ankündigungen, und wir warten auf die Umsetzung.

Sehr geehrte Frau Sozialministerin, jetzt hat der Ministerrat zusätzliche 1,7 Millionen € zur Verfügung gestellt,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ein gutes Zei- chen!)

und Baden-Württemberg steckt nun insgesamt 11,3 Millionen € in die Kleinkindbetreuung. Aber das reicht nur für knapp 8 300 Plätze. Das entspricht einer Betreuungsquote von 7,8 % im Schnitt. Wir reden hier immer vom Durchschnitt. Wir reden hier nicht von einer Pauschale von 20 % bzw. 7,8 %, sondern es geht immer um den Landesdurchschnitt. Mit dieser Betreuungsquote von 7,8 % weist das Betreuungsangebot in Baden-Württemberg nach wie vor ein großes Defizit auf. Wir sind weit von einem bedarfsgerechten Angebot entfernt. Alle Familienexpertinnen und -experten gehen von einer Quote von durchschnittlich mindestens 20 % bis zum Jahr 2010 aus. Das heißt nicht, dass die Quote in Biberach, in Stuttgart und in Freiburg überall 20 % betragen muss. Das heißt vielmehr, dass die Quote beispielsweise in Biberach 6 % und in Freiburg 35 % betragen kann.

(Zuruf von der FDP/DVP: Was?)

Also: Nicht pauschal, sondern prozentual im Durchschnitt wollen wir bis zum Jahr 2010 auf eine Betreuungsquote von mindestens 20 % kommen, so wie es das Kindertagesbetreuungsgesetz auch vorschreibt.

Anstatt jetzt in die politische Trickkiste zu greifen und bei gedeckelten Landesförderungen mehr Einrichtungen zu bedienen, indem Sie die Zuschüsse radikal reduzieren, wie es im Entwurf der Verwaltungsvorschrift für die Kinderkrippen vorgesehen ist, sollten Sie sich im Klaren sein, dass wir mehr originäre Landesmittel brauchen, um die Kleinkindbetreuung voranzubringen.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Marianne Wonnay SPD)

Wir wollen die örtlichen Jugendhilfeträger, also die Kommunen, bei der Erfüllung ihrer Aufgabe, wie sie das Kindertagesbetreuungsgesetz vorschreibt, unterstützen. Eine Betreuungsquote von 10 % ist zu wenig, und eine zehnprozentige Landesförderung bei den Betreuungskosten ist auch zu wenig. Das heißt, wir müssen die Betreuungsquote steigern, und wir müssen den Zuschuss steigern. Denn es ist in der Tat nicht nachvollziehbar, weshalb die Kleinkindbetreuung dem Land weniger wert sein soll als die Kindergartenbetreuung.

Jetzt kommen wir zur Finanzierung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Da möchte ich noch einmal wiederholen: Es ist Augenwischerei, zu glauben, dass man beide Instrumente der Förderung der Kleinkinder beibehalten kann. Das eine Instrument sind monetäre Transferleistungen aus dem Landeserziehungsgeld, und das zweite Instrument ist der Aus

bau der Infrastruktur. Sie müssen sich entscheiden, welches Instrument Sie nutzen. Man kann angesichts der begrenzten Finanzmittel nicht beides machen. Sie haben im Koalitionsvertrag ausgeführt, dass Sie mindestens 10 % der Mittel des Landeserziehungsgelds in die Kleinkindbetreuung umwidmen wollen. Wir fordern Sie auf, uns einen Stufenplan vorzulegen, der aufzeigt, wie Sie sich den Ausbau der Kleinkindbetreuung bis 2010 und die Umwidmung von mindestens 10 % der Mittel des Landeserziehungsgelds vorstellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie es tatsächlich ernst meinen mit dem Kinderland Baden-Württemberg, wenn Sie es tatsächlich ernst meinen mit der Schlüsselfunktion der Kleinkindbetreuung in Baden-Württemberg für die Familienfreundlichkeit, dann müssen Sie uns ein Konzept vorlegen, das aufzeigt, wie Sie sich den Ausbau der Kleinkindbetreuung vorstellen, und Sie müssen uns auch ein Konzept vorlegen, das aufzeigt, wie Sie das Landeserziehungsgeld für die Kleinkindbetreuung umwidmen wollen. Dieses Konzept sollen Sie nicht am Sankt-NimmerleinsTag, sondern so schnell wie möglich vorlegen.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort für die FDP/DVP-Fraktion erhält Herr Abg. Dr. Noll.

Verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es nützt, glaube ich, nicht so furchtbar viel, wenn man sich gegenseitig irgendwelche Zahlen um die Ohren schlägt, mit denen der eine beweisen will, wie viel schon passiert ist, und der andere beweisen will, dass zu wenig passiert sei.

(Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Vielmehr müssen wir uns einmal einig werden: Welches Ziel wollen wir erreichen? Wer hat es zu leisten? Wie können wir als Land da helfen?

Frau Wonnay, da muss man schon einmal daran erinnern: Es hilft natürlich nichts, im Tagesbetreuungsausbaugesetz gesetzlich zu normieren, dass 20 % der Plätze – im Schnitt, selbstverständlich – zu Ganztagsbetreuungsplätzen ausgebaut werden sollen,

(Zuruf der Abg. Marianne Wonnay SPD)