Protokoll der Sitzung vom 09.12.2009

Ich finde, damit haben wir die vorhandene Unsicherheit beseitigt. Wir werden das zu einem guten Schluss führen.

Dem Kollegen Sakellariou möchte ich sagen: Baden-Würt temberg ist in Sachen Integration ein Musterland. Schauen Sie sich einmal die Verhältnisse in Berlin und anderswo an,

(Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

dann sehen Sie, dass hier, obwohl wir beispielsweise in Stuttgart einen deutlich höheren Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund haben, so etwas nicht passiert. Das heißt, hier wird sehr viel geleistet.

Sie werden mich sicherlich darin unterstützen, wenn ich sage: Dies hat noch mehr Kraft und mehr Energie bekommen, seit wir im Jahr 1996 im Zusammenhang mit der Regierungsbeteiligung der FDP/DVP auch das Amt des Integrationsbeauftragten der Landesregierung eingeführt haben.

(Beifall bei der FDP/DVP – Unruhe)

Der Landesbeauftragte für Integration hat hier gerade vor mir noch einmal deutlich gesagt, was da gemacht wird. Die SPD kann das auch in der Stellungnahme zu ihrem Antrag, der hier auch zur Debatte steht, lesen. Dort ist klargestellt, dass sich auch die neue Bundesregierung kräftig bemüht, jetzt ein bisschen mehr Fahrt in die Sache zu bringen.

Wir wollen Sprachförderung, Integrationsverträge, eine nationale Integrationspartnerschaft, die leichtere Anerkennung ausländischer Abschlüsse,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Hättet ihr schon lan- ge machen können! – Gegenruf des Abg. Dr. Fried- rich Bullinger FDP/DVP: Wer hat denn elf Jahre in Berlin regiert?)

die Verhinderung von Zwangsheirat. All dies ist doch auf dem richtigen Weg und wird gemacht. Baden-Württemberg war schon immer in vielem Vorreiter und hat die neuen Entwicklungen vorangetrieben. Denken Sie daran, wie man uns in Sachen Zwangsheirat anfangs ausgelacht hat. Jetzt ist es so weit, dass alle Leute einsehen, dass hier eklatante Verstöße gegen ein elementares Menschenrecht vorliegen, gegen die man etwas tun muss.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Herr Wölfle, Sie sagen, christliche Werte würden Menschen ausgrenzen. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie sollten einmal wieder ins Neue Testament schauen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Hat der doch gar nicht!)

Dann sehen Sie, dass christliche Werte niemanden ausgrenzen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sakellariou.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe vorhin etwas zum Umgang mit Menschen mit Migrationshintergrund und mit Ausländern gesagt und möchte noch eine Personengruppe ergänzen, weil wir hier auch über universelle Werte reden. Es handelt sich um die Personengruppe der ausländischen Frauen, die deutsche Männer heiraten und erst ab Vollendung des zweiten Ehejahrs ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen. Das führt zu der verheerenden Situation, dass viele deutsche Männer genau wissen, unter was für einem Druck die Frauen stehen, dass sie kurz vor Ablauf dieser Aufenthaltszeit zum Landratsamt gehen und mitteilen, dass die Ehe aufgelöst werden soll, und dass dann automatisch ein Abschiebebescheid erlassen wird.

Jetzt kommt das Ungeheuerliche – das sage ich jetzt auch in Richtung Justizminister –: Solche Frauen bekommen dann nicht einmal Beratungshilfe. Das heißt, sie sind darauf angewiesen, anwaltlichen Schutz von jemandem zu finden, der sie kostenlos vertritt.

Diese Personengruppe gehört auch zu dem Teil, bei dem etwas geändert werden muss, jedenfalls dann, wenn man universelle Werte auch in diesem Land, auch auf Frauen bezogen und auch im Umgang mit Menschen anderer Herkunft ernst meint. Das ist ein Handlungsauftrag.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Schutz vor Schein- ehe, genau!)

Zweitens: Auch ich möchte mich beim Kollegen Palm für die Formulierung bedanken, dass wir – auch im eigenen Interesse – ein Einwanderungsland sind. Es ist für die CDU eine wichtige Erkenntnis, dass das auch mit einer Bereicherung verbunden ist

(Abg. Ingo Rust SPD: Das hat lange genug gedau- ert!)

und dass in der Vergangenheit auch Fehler gemacht worden sind. Wenn das jetzt auf dem Tisch liegt, dann können wir anfangen, darüber zu diskutieren. Denn im Grunde ist alles gesagt worden. Wenn nämlich die Erkenntnis lautet, dass wir Einwanderer brauchen, und wenn man aufgrund dieser Erkenntnis integrieren will, dann muss man an der richtigen Stelle ansetzen, nämlich bei der Bildungspolitik. Die Bildungspolitik ist nun wirklich ein Bereich der Politik, für den wir als Land originäre Zuständigkeiten haben.

Punkt 1: Anteil von ausländischen Kindern an Sonderschulen. In Baden-Württemberg haben 25 % aller Kinder an Sonderschulen einen ausländischen Pass. Das ist die allerhöchste Quote in der ganzen Republik. Dieser Anteil hat sich seit 25 Jahren nicht geändert. Er ist weder in Berlin so hoch noch in Rheinland-Pfalz, noch in anderen vergleichbaren Ländern. Dies darf nicht sein.

Dann haben wir bei den ausländischen Schülern die niedrigste Quote von Abiturienten. Nur 3,7 % der ausländischen Schüler schaffen in Baden-Württemberg überhaupt das Abitur. Das ist die rote Laterne. Hier besteht ein Handlungsbedarf, der einer Lösung zugeführt werden muss.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP)

Bei den Jugendlichen insgesamt liegt der Anteil derer, die keinen Hauptschulabschluss haben – die Zahlen sind vorhin schon genannt worden –, zwischen 5 und 6 %. Aber bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund, das heißt bei den Jugendlichen mit Potenzialen, die wir noch heben können, beträgt der Anteil 17 %. Dieser Anteil ist bei dieser Personengruppe viel zu hoch. Über Bildung könnten wir diese Personengruppe wieder erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, eines möchte ich noch ansprechen, weil diese 78 %, die mit Ängsten an dieses Thema herangehen, leider oft durch politische Schaukämpfe in diese Situation gekommen sind. Herr Professor Pfeiffer hat eine Analyse darüber gemacht, wie Gewalt, Bildung und soziale Integration zusammenhängen, und zwar anhand der Personengruppe der jungen Türken in den Städten München, Hamburg und Schwäbisch Gmünd. Bei dieser Personengruppe liegt der Anteil derer, die Hartz IV beziehen, in München bei 8,1 %, in Hamburg bei 24 % und bei uns in Schwäbisch Gmünd bei 20 %. Der Anteil derjenigen aus dieser Personengruppe, die das Gymnasium besuchen, liegt in München bei 15 %, in Hamburg bei 8,4 % und – jetzt kommt Baden-Württemberg – in Schwäbisch Gmünd bei 4,1 %. Das ist die niedrigste Quote in diesem Vergleichszeitraum.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Hört, hört! – Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Jetzt zur Gewaltbereitschaft und zur Gewalttätigkeit innerhalb dieser Personengruppe. Dort, wo der Gymnasialanteil am höchsten ist, in München, liegt die Gewaltbereitschaft bei 24,1 %, in Hamburg liegt sie bei 33,1 % und in Baden-Würt temberg, in Schwäbisch Gmünd

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Ja?)

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Das alles sind Daten des Statistischen Landesamts.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU – Gegenruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Zimmer- mann, zuhören! – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Wann war denn die Umfrage? War das im letzten Jahr? – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Das alles sind Daten des Statistischen Landesamts. Dieser Zusammenhang müsste Ihnen zu denken geben. Denn damit steht leider fest, dass es bei uns keine gleichen Startchancen für alle gibt. Die Möglichkeiten für diese Personengruppe, zu partizipieren, sind hier am schlechtesten.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sie haben versagt!)

Wir haben leider keine gleichen Startchancen für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund, so wünschenswert das wäre.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Da stel- len Sie Ihrem Parteikollegen Leidig aber ein schlech tes Zeugnis aus!)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Palm das Wort.

Vielen Dank. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Ihnen noch meine Bemerkungen zum Schweizer Volksentscheid schuldig. Diese Entscheidung ist für ganz Europa und speziell auch für Christen in islamischen Ländern eine schwierige Entscheidung. Sie darf aber nicht dazu führen, mit dem Finger auf die Schweiz zu zeigen. Das gilt für uns, und, meine Damen und Herren, das gilt in verstärktem Maße für Vertreter von Ländern, die die Religionsfreiheit in der Praxis gar nicht kennen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Es ist richtig, dass die Situation in der Schweiz mit der in Deutschland aus unterschiedlichen Gründen nicht vergleichbar ist. Verehrter Herr Kollege Kluck, der Kernbereich unseres Grundgesetzes und der Landesverfassung, zu dem die Religionsfreiheit zweifelsfrei gehört, ist nicht disponibel. Er darf nicht verändert werden und schon gar nicht in einem Volksentscheid zur Abstimmung gestellt werden.

Meine Damen und Herren, das Frappierendste am Schweizer Votum ist doch die große Kluft zwischen der deutlichen Ablehnung des Verbots von Minaretten in den Umfragen und der 58-prozentigen Zustimmung zum Minarettverbot in der Abstimmung. Das bedeutet, dass es eine offizielle und eine verdeckte Diskussion gibt. Hier müssen wir ansetzen. Dazu gehört, dass wir die Debatte nicht zwischen den Extremen führen: Das sind auf der einen Seite die Apokalyptiker, die Eu ropa kurz vor der Machtübernahme durch den Islam sehen, auf der anderen Seite diejenigen, die sagen, das einzige oder größte Problem bei der Integration sei der Rassismus, Herr Kollege Wölfle. Beide Positionen halte ich für falsch.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP)

Wir müssen weiter an einem Klima der Offenheit arbeiten. Es muss möglich sein, dass in einem Klima des Respekts und der Toleranz jeder nicht nur seine Wünsche und Erwartungen, sondern auch seine Ängste formulieren und aussprechen darf – dies wohlgemerkt immer in respektvoller Art und Weise. Wenn uns dies gelingt, wird es bei der Integration noch mehr Gewinner auf allen Seiten geben. Wenn uns dies nicht gelingt, wird es nur einen Sieger geben: Das sind die Extremisten auf beiden Seiten.

Lassen Sie uns also die verbreitete Sorge vor einer Islamisierung ernst nehmen. Lassen Sie uns gleichzeitig die aufgeschlossenen Kräfte, die es in einer großen Mehrheit unter den Muslimen gibt, durch einen intensiven Dialog stärken.

Meine Damen und Herren, wenn man z. B. weiß, wer in einer Moschee predigt und was er predigt, dann ist schon ein großes Stück des Weges gegangen. Das muss vor Ort geschehen. Das ist ganz klar. Aber diese Offenheit fordern wir auch ein.

Herr Kollege Wölfle, man muss sich auch des Öfteren mit aufgeklärten Muslimen über das Thema unterhalten, die zum Teil eine Position zum Moscheebau und auch zum Minarettbau einnehmen, die deutlich von dem abweicht, was politischer Mainstream speziell bei den Grünen ist.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau so ist es!)