Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

Jetzt wurde gesagt, Baden-Württemberg sei eine Hochrisikoregion. Die Frage ist: Ist die Altersteilzeit, die geförderte Altersteilzeit, als Kriseninterventionsinstrument überhaupt geeignet? Auch das ist sie nicht, meine Damen und Herren, weil sie das Beschäftigungsvolumen in einem Betrieb gar nicht reduziert. Zu Änderungen kommt es nur hinsichtlich dessen, wer da beschäftigt ist. Ältere Beschäftigte werden in den Ruhestand geschickt, um olympiareife junge Mannschaften in diesen Unternehmen zu formen. Der Personalbestand bleibt also gleich. Er wird nur verjüngt.

Dies ist sicherlich kein gutes Instrument, um der Krise zu begegnen, denn diese Altersteilzeit wirkt gerade auch aufgrund des Blockmodells erst mit zeitlicher Verzögerung. Erst in zwei oder drei Jahren, wenn die Beschäftigten mit diesem Blockmodell in den Vorruhestand gehen, bewegt sich etwas. Erst dann werden Mittel der Bundesagentur für Arbeit fließen. Wir alle hoffen aber doch inständig, dass wir in drei Jahren die Krise auf dem Arbeitsmarkt weitgehend bewältigt haben.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje!)

Dann wird unser Problem der Fachkräftemangel sein. Das können wir uns aber nicht leisten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch in Zukunft brauchen wir diese hoch qualifizierten Beschäftigten in Baden-Württemberg ganz dringend. Deshalb können wir dem Antrag der SPD nicht zustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Dieter Hil- lebrand CDU – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr gut!)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Kollegen können einem in dieser weihnachtlichen Zeit fast leid tun,

(Zuruf des Abg. Stephan Braun SPD)

da sie bei diesem Thema so völlig allein zu Hause sind.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Wir wissen bei diesem Thema viele Menschen hinter uns! Da sind wir nicht allein!)

Ich möchte anerkennen – das ist jetzt ernst gemeint –, dass der Weihnachtsfrieden bei vielen Menschen in diesem Land, in diesem sogenannten Hochrisikoland, getrübt sein wird, weil wir natürlich von einem hohen Niveau aus gestartet sind und nun aufgrund der Exportabhängigkeit hohe Risiken haben, was die Arbeitsplätze betrifft.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Genau so ist es!)

Das spüren die Menschen draußen. Sie müssen nur einmal mit ihnen reden.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Aber!)

Das ist überhaupt keine Frage. Deswegen ist es legitim, alle Möglichkeiten, alle Programme daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig die richtigen Instrumente sind. Da haben nun Kollegin Sitzmann und Kollege Wolf Punkt für Punkt im Detail auseinandergesetzt, warum die Altersteilzeit nicht sinnvoll ist.

Ich will nur weniges noch einmal ansprechen. In der vergangenen Woche haben wir hier eine Demografiedebatte geführt,

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: So ist es!)

in der auch ich gesagt habe: Es ist ein Skandal, wenn ältere, kompetente, leistungsfähige Menschen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Wer macht das denn? 50 % der großen Betriebe haben keinen Arbeitnehmer mit über 50 Jahren; das ist also jeder zweite Großbetrieb.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: So ist es!)

Der Hauptkritikpunkt ist: Diese BA-geförderte Altersteilzeit unterstützt genau diese Tendenz. Das Geld fällt bei der BA ja nicht vom Himmel, sondern es sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie übrigens auch die Arbeitgeber in landwirtschaftlichen Betrieben und in kleinen Handwerksbetrieben, die dafür aufkommen.

Die Zahl ist genannt worden: Fast 90 % aller großen Betriebe nutzen die geförderte Altersteilzeit. Das führt doch nahtlos zu der Beobachtung, dass Großbetriebe genau diejenigen sind, die das, was wir wollen, nämlich dass man Ältere nicht vorzeitig aus dem Erwerbsleben drängt, bisher nicht begriffen haben. Sie haben nicht begriffen, dass wir angesichts der demografischen Entwicklung mittel- und langfristig auf die Kompetenz der Älteren angewiesen sein werden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf von der FDP/DVP: Sehr gut!)

Auch den Namen „Altersteilzeit“ trägt dieses Programm nicht zu Recht. Kollegin Sitzmann hat noch einmal darauf hingewiesen – oder war es Kollege Wolf? –: In 90 % der Fälle wird das Blockmodell angewendet.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE und Abg. Guido Wolf CDU: Beide!)

Beide haben es gesagt. – Das ist nichts anderes als ein auf Kosten der Solidargemeinschaft finanziertes Frühverrentungs programm und eben nicht das, was wir uns vorstellen und worüber wir uns, Herr Kollege Wolf – zu Recht, glaube ich – gemeinsam auch in der neuen Koalition in Berlin Gedanken machen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir einen gleitenden Übergang in den Ruhestand mit längerer Beschäftigungsmöglichkeit gewährleisten wollen. Hierfür kann dann die Altersteilzeit tatsächlich der richtige Weg sein. Dazu sind übri

gens, Herr Kollege Hausmann – ich kann es hier nur noch einmal wiederholen –, von Frau Nahles in letzter Zeit ein paar Vorschläge gemacht worden.

Unser Weg muss sein,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

dass wir nicht für einzelne Gruppen, sondern für alle gesetzlich Rentenversicherten einen Weg finden, um flexibel aus dem Arbeitsleben ausscheiden zu können,

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Genau!)

z. B. indem die Möglichkeit geschaffen wird, eine Teilrente zu beanspruchen und diese durch Erwerbstätigkeit in dem Umfang, in dem man es noch leisten kann und leisten möchte, aufzustocken. Das käme dann allen gesetzlich Rentenversicherten zugute.

Herr Kollege Wolf hat die Kosten angesprochen. Ich habe aus den Zahlen in der betreffenden Bundesratsdrucksache errechnet, dass die Bundesagentur zusätzlich 3,3 Milliarden € nur für diesen BA-geförderten Altersteilzeitbereich aufzuwenden hätte,

(Zuruf des Abg. Guido Wolf CDU)

und zwar zulasten derer, die in kleinen Betrieben arbeiten, die das alles mit ihren Beiträgen finanzieren müssen.

Abschließend würde ich sagen: Ihr Vorschlag ist eine gut gemeinte Überlegung, aber er widerspricht natürlich allen mittelfristigen Zielen, auch demografiebedingten Zielen, die wir mit flexibleren Übergängen von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand künftig erreichen wollen. Es lohnt sich, jetzt nicht hektisch irgendwelche Maßnahmen zu verlängern, sondern gemeinsam zu versuchen, auf der Basis der gesetzlichen Rentenversicherung sinnvolle Modelle zu finden, die einen flexibleren Übergang ermöglichen.

Als Letztes darf ich darauf hinweisen: Dieses Blockmodell bewirkt genau das Gegenteil davon.

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Wir wollen doch, dass die Menschen überhaupt befähigt werden, länger zu arbeiten. Dafür werden wir hier im Land, wo wir selbst die Verantwortung haben, Geld einsetzen,

(Abg. Reinhold Gall SPD: 6 Millionen €!)

weil wir bei verlängerter Lebensarbeitszeit versuchen müssen, ältere Menschen zu befähigen, länger zu arbeiten.

All die genannten Gründe zeigen: Sie stehen an dieser Stelle leider allein.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Aber da muss etwas Konkretes kommen, nicht nur warme Worte!)

Übrigens haben auch die zuständigen Bundesratsausschüsse empfohlen, diesen Gesetzentwurf nicht in den Bundestag einzubringen. Recht haben diese Ausschüsse.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dieter Hil- lebrand CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Sozialministerin Dr. Stolz das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Wichtigste vorweg: Baden-Württemberg wird diesen Gesetzesantrag morgen im Bundesrat nicht unterstützen.

Ich muss dazusagen, dass ich in dieser Debatte keine Argumente gehört habe, die die Regierung dazu bewegen könnten, diesem Gesetzesantrag zuzustimmen; im Gegenteil.

Ich glaube, alle Argumente sind ausgetauscht. Wir müssen schon einmal sehen: Zum einen geht es jetzt nicht darum, irgendwelche schönen, gefälligen Botschaften zu verteilen, sondern hier geht es um langfristige, nachhaltige Arbeitsmarktpolitik. Da müssen wir auch einmal ein nüchternes Fazit dessen, was bisher gelaufen ist, ziehen. Zum Zweiten müssen wir den Mut haben, etwas längerfristiger zu denken, gerade was den Arbeitsmarkt betrifft,