Protokoll der Sitzung vom 10.02.2010

So sieht die Realität aus.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Baden-Württemberg ist nicht das beste Land bei der Verschuldung, sondern das schlechteste.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch nicht eingearbeitet, dass das Landesvermögen permanent vernachlässigt wird.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Das ist so!)

Allein der Sanierungsstau bei den Landesstraßen oder bei den Hochschulgebäuden summiert sich im Land auf mehrere Milliarden Euro. Wenn man die Abschreibungen hierfür mit einrechnen würde, wenn man es betriebswirtschaftlich betrachten würde, meine Kollegen von der FDP/DVP, dann wäre festzustellen, dass das Land längst Bankrott hätte anmelden müssen.

(Abg. Alfred Winkler SPD: Bankrottgefahr! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Davon verstehen nur Sie et- was! – Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Deshalb nützt es nichts, ein schönes Bild zu zeichnen, das mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat.

Herr Kollege Herrmann, Sie haben Rheinland-Pfalz mit seiner Verschuldung angesprochen. Sie müssen aber die Pensionslasten berücksichtigen. Das Land Rheinland-Pfalz legt seit 1996 Mittel in einen Pensionsfonds zurück. Natürlich hat das Land Rheinland-Pfalz dadurch eine höhere Neuverschuldung. Wenn wir nichts zurücklegen und dafür weniger Schulden aufnehmen, stehen im Haushaltsplan zwar de facto weniger Schulden, aber in der Realität haben wir höhere Zukunftslasten. Das können Sie nicht wegdiskutieren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE – Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Dann noch einige Worte zu den verschiedenen CDs – vielleicht sind es auch DVDs –, die uns angeboten werden. Man kann zu den rechtlichen Fragen stehen, wie man will.

(Zuruf von der FDP/DVP: Das kann man eben nicht!)

Ich möchte nur zwei Anmerkungen machen. Die erste ist – Herr Kollege Herrmann, das haben Sie richtig gesagt –: Welches Signal geben wir den anständigen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, wenn wir jetzt davor zurückschrecken, die se Daten über Steuerhinterzieher zu kaufen? Das ist ein Signal, liebe Kolleginnen und Kollegen, das wir vor den einfachen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht verantworten können.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: „Einfach“ oder „an- ständig“? – Abg. Reinhold Gall SPD: Dazu hat der Landtag am letzten Freitag einen guten Beschluss ge- fasst!)

Dann noch einige Worte zu der Sitzung am vergangenen Freitag. Da hat der Landtag hierzu einen Beschluss gefasst. Ich möchte auch die neue Landesregierung bitten, diesen Beschluss zu respektieren.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Das tun wir immer!)

Was uns aber schon sehr verwundert hat, Herr Finanzminister, ist, dass Sie, obwohl wir hier über den Ankauf von CDs, von Daten diskutiert haben, hier im Haus keinen einzigen Ton dazu gesagt haben, dass Sie darüber Bescheid wissen, dass auch Baden-Württemberg solche Daten angeboten werden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Un- möglich! Unglaublich!)

Herr Minister, hier wurde in der Diskussion darüber, ob es überhaupt zulässig ist, über unseren Antrag zu beschließen, argumentiert, dass dies Bundessache sei und schon entschieden sei. Im gleichen Moment wussten Sie, dass es eine für Baden-Württemberg spezifische Sache ist und eine ganz konkrete Entscheidung für Baden-Württemberg ansteht. Wir hätten sofort den Antrag ändern und ganz konkret auf die in Baden-Württemberg angebotene CD beziehen können. Da kann es doch nicht sein, dass Sie hier keinen Ton dazu sagen. Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Winfried Kretsch- mann GRÜNE – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullin- ger FDP/DVP)

Zum Schluss möchte ich noch einen Appell loswerden. Wir führen in diesem Haus immer wieder sehr intensive Diskussionen, auch rein vom zeitlichen Anspruch her. Zu wichtigen Fragen der Bildungspolitik, zur Innenpolitik haben wir Enquetekommissionen und Sonderausschüsse gebildet. Ich möchte an uns alle appellieren, dass wir uns in diesem Haus, auch wenn in einem Jahr schon wieder eine Wahl ansteht, dringend mit dem Thema auseinandersetzen, was wir den folgenden Generationen an Lasten mit auf den Weg geben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Einverstanden!)

Es sind alles wichtige Fragen, die wir hier in den einzelnen Politikfeldern behandeln. Wer hat in der Bildungspolitik, in der Energiepolitik und in der Innenpolitik das beste Konzept? Ich finde es wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen. Das ist unsere Aufgabe. Aber eines unserer größten Probleme in der Zukunft wird sein, dass wir diese gute Politik in den vielen Fachbereichen finanzieren müssen. Es wird keine gute Bildungspolitik, keine gute Kulturpolitik, keine gute Energiepolitik und keine gute Innenpolitik geben, wenn wir nicht eine solide Finanzpolitik haben, meine Damen und Herren.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Was ist mit der Sozi- alpolitik?)

Das gilt auch für die Sozialpolitik, Herr Kollege Kluck. – Wir sollten uns einmal intensiv mit diesem Thema beschäftigen; am liebsten wäre es mir, dies geschähe über alle Fraktionsgrenzen hinweg.

Vielleicht sollten wir über die Einrichtung einer Arbeitsgruppe oder eines Sonderausschusses, einer Enquetekommission diskutieren, die sich mit dem Thema beschäftigt: Was laden wir den zukünftigen Generationen an Lasten auf? Was können wir ihnen zumuten? Wie schaffen wir es, liebe Kolleginnen und Kollegen, den hohen Schuldenberg, den wir auch in Baden-Württemberg angehäuft haben – in Verbindung mit den Pensionslasten und dem Landesvermögen, das wir verkommen lassen –, abzubauen, damit in der Zukunft noch Spielräume für eine gute Bildungspolitik, eine gute Sozialpolitik und eine gute Innenpolitik bestehen?

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Schlachter das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Mappus, wir gratulieren Ihnen zu Ihrer Wahl und zur neuen Aufgabe. Sie bekommen diese Aufgabe in schweren Zeiten, in einer Finanz- und Wirtschaftskrise, wie wir sie vor vier oder fünf Jahren eigentlich nicht erwartet hätten – wir alle nicht. Ihr Amtsvorgänger hat dem Landtag den Satz mitgegeben: „Nach der Krise wird nichts mehr so sein, wie es vorher war.“ Ich denke, er hat recht. Ich denke, dass jeder Versuch scheitern wird, die Uhr wieder auf vormalige Zeiten und vormalige Weltbilder zurückzudrehen.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Sehr gut!)

Wir erwarten von Ihnen, Herr Mappus, jetzt als Ministerpräsident, dass Sie diese Veränderungen aktiv aufnehmen, dass Sie nach vorn blicken und den Kurs auch über die nächste Stromschnelle hinaus benennen. Seien Sie dabei aber bitte mehr Kolumbus als nur der Neckarhafenkapitän der CDU.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen)

Haben Sie bitte den Mut, unser Bundesland zu neuen, weiten Ufern zu führen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Franz Untersteller GRÜNE: „Neckarhafenkapitän“! – Ge- genruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Der kommt doch von der Enz! – Zuruf des Ministerpräsidenten Stefan Mappus)

Wir von den Grünen werden Sie dabei kritisch, aber konstruktiv begleiten und werden unser Querschnittsthema, die Nachhaltigkeit, in allen Politikfeldern einfordern. Nachhaltigkeit ist dabei nichts, was an der Vergangenheit festhält, sondern etwas, was sich aus der Zukunft herleitet. Nachhaltigkeit ist die Landkarte für eine veränderte Welt, mit der man ankommt, während man mit der alten Landkarte nur in der Sackgasse stecken bleibt. Eine Politik der Nachhaltigkeit ist die Architektur für eine Veränderung.

Der Maler und Visionär Kandinsky hat Anfang des 20. Jahrhunderts, noch vor dem Ersten Weltkrieg, gesagt, er hoffe, das 20. Jahrhundert werde nicht das Jahrhundert des Entwederoder bleiben, sondern werde zum Jahrhundert des Und. Aber erst jetzt, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, zeichnet sich ab, dass alte Polaritäten schwächer werden. Das betrifft z. B die Themen „Ost – West“, „Kapital – Arbeit“, „Links – rechts“. Gerade in der Bankenkrise musste man sich bisweilen die Augen reiben, was an Staatsinterventionismus von Leuten vorgetragen wurde, die kurz zuvor noch plakatiert hatten: „Weniger Staat!“ Da hat sich einiges verschränkt.

Ich will Ihnen einige Beispiele und Erfordernisse für dieses Und in der Landespolitik nennen. Da geht es z. B. um Familie, Männer, Frauen. Sie wollen nicht mehr entweder Familie oder Beruf, sondern sie wollen Familie und Beruf. Hier in Baden-Württemberg hat die CDU Frau von der Leyen gebraucht, um auf die Spur zu kommen. Aber in dieser Liga sind wir noch immer ganz weit hinten.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Hier werden wir investieren müssen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Kernthema der sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit. Sehen Sie also unseren Haushaltsantrag zur Stärkung der Kinderbetreuung bitte vor diesem Hintergrund.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Der demografische Wandel zeigt ein weiteres, erfreuliches Und: alt und aktiv. Die Älteren haben wieder Konjunktur.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Danke! Danke!)

Einerseits scheint der Jugendwahn in der Wirtschaft abgeklungen zu sein;

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das schadet nichts!)

andererseits wollen die Menschen im Ruhestand, auch wenn manche Älteren eine Einschränkung oder Behinderung haben, mitten in der Gesellschaft aktiv bleiben oder wieder aktiv sein. Daher ist es für uns wichtig, dass wir unsere Einrichtungen und unsere sozialen Infrastrukturen darauf ausrichten, dieses neue Und, nämlich „Aktiv im Alter“, zu fördern. Das geht bis hin zu den sehr Betagten. Sehen Sie bitte unseren Haushaltsantrag zu Modellprojekten in der Pflege exakt vor diesem Hintergrund.

(Beifall bei den Grünen)

Das dritte Und, das ich benennen möchte, betrifft Markt und Staat. An dieser Stelle möchte ich ein Erfolgsmodell aus der gesellschaftlichen Schnittmenge von Markt und Staat positiv hervorheben, nämlich die öffentlich-rechtlichen Sparkassen Baden-Württembergs.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Hast du die Fahne ge- wechselt?)

Die regionale Orientierung und die Bindung des öffentlichen Auftrags dort, wo er ernst genommen wurde, waren offenbar eine stabile, nachhaltige Orientierung mitten in dieser Finanzmarktkrise. Dort, wo diese Orientierung durchbrochen wurde, wie bei der Landesbank Baden-Württemberg, hat die Krise tiefe Spuren hinterlassen.

Die Schlussfolgerung heißt daher für mich: Auch die LBBW soll sich künftig an die bewährte Orientierung der Sparkassen halten.