Protokoll der Sitzung vom 10.06.2010

Vielfach nutzten die Schüler diese Angebote zum Erwerb ei nes höherwertigen allgemeinbildenden Abschlusses. Darüber hinaus entschlossen sich zahlreiche Absolventen eines dualen Ausbildungsberufs, sich beruflich weiterzubilden, z. B. zum Techniker oder zum Meister, und erwarben damit betriebliche Aufstiegschancen, damit sie am Ende der Krise auch gut ge rüstet sind.

Ferner wurde mit dem Programm „Azubi transfer – Ausbil dung fortsetzen“ die Übernahme von Auszubildenden aus Ausbildungsbetrieben, die in die Krise gekommen sind oder wegen Schließung bzw. Stilllegung vorzeitig die Ausbildung beenden mussten, durch andere Ausbildungsbetriebe unter stützt. In einer gemeinsamen Erklärung des Wirtschaftsminis ters, der Sozialpartner, des Sozial- und des Kultusministeri ums sowie der Bundesagentur für Arbeit wurde an die Unter nehmen appelliert, ihre Auszubildenden möglichst zu über nehmen.

Zusätzlich wurden Optionen eingeräumt, dass Arbeitgeber für im eigenen Unternehmen ausgebildete junge Menschen bei einem anschließenden Arbeitsverhältnis Kurzarbeitergeld be antragen können. Das ist ein Beleg für das Funktionieren ei nes Ausbildungspakts. Es wäre schön, wenn sich die Gewerk schaften ebenfalls daran beteiligen würden.

Zudem wurden im Jahr 2009 zahlreiche ESF-finanzierte Maß nahmen zur Integration von Schulabgängern in Ausbildung und Beruf durchgeführt.

Im Ländervergleich liegt die Bundesrepublik mit einer Quo te von derzeit 6,5 % jedoch erfreulich weit unter dem Durch schnitt der EU. Dem Anschein nach haben wir uns also in ei ner außergewöhnlich schweren Krisensituation doch recht gut behaupten können. Als Beispiel möchte ich auch das Bundes programm WeGebAU nennen, bei dem Module von Ausbil dungsbetrieben übernommen oder angeboten werden können, um dadurch Menschen einer Ausbildung zuzuführen. Durch die Lösungshilfen wurde im Land für viele durch die Krise freigesetzten Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigung nach der Krise möglich.

Aktive Schulleitungen, das Kultusministerium und Betriebe reagierten sehr schnell auf die veränderte Situation. Speziell in Baden-Württemberg gibt es eine Zahl aktueller Meldungen, die man in diesem Kontext durchaus als erfreulich bezeich nen kann. So ist die Arbeitslosenquote insgesamt zum vierten Mal in Folge zurückgegangen. Im Bundesvergleich schneiden wir also sehr gut ab.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Motivation unserer nach wachsenden Kräfte frühzeitig deshalb gefährdet wird, weil diese nicht beschäftigt werden können. Wir benötigen die jun gen Menschen dringend als Fachkräfte für den Arbeitsmarkt von morgen.

Die gegenwärtige Krise sehen wir aber auch als Chance für die Zukunft. Die CDU-Fraktion hat deswegen eine Initiative ergriffen, damit für die Umsetzung der Empfehlungen der En quetekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche Schulen, Aus- und Weiterbildung“ des Landtags Mittel in Höhe von bis zu 10 Millionen € für das Jahr 2011 in den Nachtragshaushalt eingestellt werden können. Die En quetekommission wird der Landesregierung konkrete Hand lungsempfehlungen unterbreiten, um auch die duale Ausbil dung im Land noch viel attraktiver zu machen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Für die SPD-Fraktion darf ich Herrn Abg. Kaufmann das Wort erteilen.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! „Die Krise ist jung“, wurde vorhin ge sagt. Damit ist die Situation durchaus zutreffend beschrieben. Denn die Wirtschaftskrise betrifft insbesondere die jungen Menschen, weil die Verantwortlichen in unserem Land deren Ausbildung vernachlässigen und weil das Recht der Jugend auf eine adäquate Ausbildung in unserem Land fehlt. So ein fach ist das.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Albrecht Fischer: Unglaublich!)

Es gibt eben kein Recht auf Ausbildung. Ein solches Recht wäre dringend nötig.

(Zuruf der Abg. Katrin Schütz CDU)

Deshalb entsprechen die Übergänge von der Schule in die Ausbildung und von der Ausbildung in den Beruf weder den

Bedürfnissen der jungen Menschen noch den gesellschaftli chen Notwendigkeiten, um den entsprechenden Fachkräfte bedarf in unserem Land sicherzustellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Das lässt sich an zwei Beobachtungen, die unabhängig von der Krise sind und bei uns seit Jahren schon offensichtlich sind, darstellen. Erstens: Das Durchschnittsalter beim Eintritt in die klassische Lehre ist bei uns mittlerweile von 16 Jahren auf über 19 Jahre gestiegen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist richtig! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Damit hat die Lehre in gewisser Weise schon den Charakter der Erwachsenenbildung angenommen und ist nicht mehr das, was den jungen Absolventen, den Schulabgängern, gerecht wird.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Beruhigen Sie sich! – Was bedeutet es, wenn ein junger Mensch im Durchschnitt erst im Alter von 19 Jahren in die Lehre eintritt? Das bedeutet, dass wir ein aufwendiges Über gangssystem in Form von Warteschleifen installiert haben. Ein solches System gibt es in dieser Form im übrigen Europa nicht. Deswegen sieht bei uns auch die Jugendarbeitslosen quote anders aus. Denn die potenziell Arbeitslosen sind bei uns eben in der Warteschleife. Das muss man bei einem sta tistischen Vergleich immer berücksichtigen.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Genau! – Abg. Albrecht Fischer CDU: Wir haben die meisten Abschlüsse!)

Unsere beruflichen Schulen könnten aber berufsqualifizierend ausbilden, wenn man sie nur machen ließe. Von der Möglich keit, auch die dort erworbenen Kompetenzen auf eine späte re Lehre anrechnen zu lassen – das wurde vorhin schon vom Kollegen Lehmann gesagt –, hat die Landesregierung keinen Gebrauch gemacht. Sie hat es versäumt, die im Berufsbil dungsgesetz eingeräumten Spielräume offensiv im Sinne der Jugendlichen zu nutzen. Sie ist vor der Wirtschaft eingeknickt. Das lag, wie vorhin zutreffend beschrieben wurde, an der Blo ckade des Wirtschaftsministeriums.

(Beifall des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das stimmt nicht!)

Die zweite Bemerkung: Meine Damen und Herren, die Hälf te aller Absolventen einer betrieblichen Ausbildung arbeitet fünf Jahre nach dem Abschluss der Lehre in einem anderen als dem erlernten Beruf. Darauf hat der Sozialwissenschaft ler und Berufsforscher Martin Baethge im März dieses Jahres noch einmal deutlich hingewiesen. Die Frage, ob man in ei nem erlernten Beruf auch später qualifiziert beschäftigt wird, ist sicher für viele junge Menschen bei der Berufswahl ent scheidend. Deshalb trägt dieser Sachverhalt auch dazu bei, dass für viele junge Menschen die duale Ausbildung in be stimmten Berufen nicht mehr attraktiv ist und dass sich des halb dort auch keine Bewerber finden.

Die beruflichen Schulen könnten auf diese Situation aber an gemessen beispielsweise mit Angeboten einer beruflichen

Grundbildung für ganze Berufsfelder oder mit der Verzahnung der Berufskollegs mit der dualen Ausbildung reagieren; das wäre ebenfalls ein zukunftweisendes Angebot. Trotzdem kann sich die Landesregierung nicht zu einer positiven Weiterent wicklung der dualen Berufskollegs durchringen. Sie wissen: Das ist ein Schulversuch, der im Jahr 2011 beendet werden soll.

Hinzu kommt noch, dass man die Bedingungen für die Ju gendlichen dort verschlechtert hat. Denn der berufsqualifizie rende Abschluss am Berufskolleg ist nur noch in Verbindung mit der Fachhochschulreife zu erwerben. Das bedeutet, dass für die etwas Anspruchsloseren, die die Fachhochschulreife nicht erwerben können, die Option Berufsqualifizierung weg fällt. Das war vor zwei Jahren noch anders. Damals war das eine gleichwertige Option und nicht nur an die Fachhoch schulreife gebunden. Das hat auch dazu geführt, dass be stimmte Förderungen durch die Arbeitsagentur weggefallen sind.

(Abg. Albrecht Fischer CDU: Sie wollen doch auch höhere Abschlüsse! Oder seid ihr gegen höhere Ab schlüsse?)

Meine Damen und Herren, vorhin wurde auf das Spitzenge spräch zur Ausbildungssituation eingegangen. Dazu will ich zwei Dinge erwähnen. Das war natürlich ein zaghafter Appell, Frau Schütz: viel schöngeredet, aber nur ein zu zaghafter Ap pell.

(Abg. Katrin Schütz CDU: Nein!)

Wo blieb der Hinweis, dass in Baden-Württemberg im letzten Jahr jeder fünfte Ausbildungsplatz verloren ging und dass die nach dem Ausbildungspakt neu geschaffenen Ausbildungs plätze nur zwei Drittel der verlorenen Ausbildungsstellen er setzt haben? Neue Ausbildungsplätze sind halt keine zusätz lichen Ausbildungsplätze. Das darf man einfach nicht schön reden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Norbert Zeller SPD: So ist es!)

Das Zweite ist der Hinweis, dass im Mai 2010 die Statistik zu den Unversorgten ganz gut ausgesehen hat. Man muss aber dazusagen: Nur jeder zweite Bewerber bei der Bundesagen tur für Arbeit um eine Lehrstelle hat auch eine Lehrstelle ge funden oder mündete in ein entsprechendes Lehrverhältnis ein. Wo war der Rest? Der Rest war im Übergangssystem oder hat sich aus Frust schon von der Bundesagentur verabschie det

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

und wird nicht mehr mitgezählt. Deshalb bleiben nur wenige Unversorgte in der Statistik übrig, aber viele sind halt entwe der im Übergangssystem, oder sie gehen irgendwelchen Jobs nach. Das wissen Sie, wenn Sie die Praxis kennen und die Pra xis einfach zur Kenntnis nehmen. Ein Drittel der nicht studi enberechtigten Schulabgänger durchlaufen mittlerweile min destens eine Maßnahme des sogenannten Übergangssystems. Was das dann – wenn man die statistischen Zahlen zur Jugend arbeitslosigkeit vergleicht – für Auswirkungen hat, hatte ich eben schon dargestellt.

Deshalb kommen wir an der Tatsache nicht vorbei: Wenn ein Schulentlassener seinen Wunsch nach einer dualen Ausbil dung nicht realisieren kann, dann benötigt er eine schulisch organisierte Grundausbildung in einem bestimmten Berufs feld, auf die er dann entsprechend aufbauen kann. Das könn ten auch zweijährige vollzeitschulische Ausbildungsgänge mit einbezogenen Betriebspraktika sein, die einen späteren Auf stieg durch Weiterqualifizierung ermöglichen.

Wir, die SPD, verlangen für die jungen Menschen eine Aus- und Weiterbildungsgarantie, wie ich das vorhin gesagt habe. Das muss das Land garantieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Glocke des Prä sidenten)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ja, Herr Präsident. – Letzter Satz: Die wirtschaftliche Prosperität unseres Landes steht auf dem Spiel, wenn wir den jungen Menschen keine besseren Qualifizierungsangebote machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Frau Abg. Berroth das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich musste mich gerade wirklich in den Arm zwicken, um feststellen zu können, dass ich noch in Ba den-Württemberg bin.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Jawohl!)

Das Szenario, das Sie aufmachen, mag vielleicht für manche südeuropäischen Staaten gelten. Aber hier, wo die Jugendar beitslosenquote im Mai 3,5 % betrug, eine solche Angst un ter jungen Menschen zu verbreiten ist schlicht in hohem Maß unverantwortlich.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU zu Abg. Gunter Kaufmann SPD: Herr Kauf mann, das stimmt! – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Schönrederei!)

Herr Kaufmann, was, bitte, würde ein Recht auf Ausbildung bringen? Sie wollen am laufenden Band irgendwelche Rechts ansprüche generieren.