Protokoll der Sitzung vom 15.10.2014

Vielen Dank, dass Sie die Frage zugelassen haben. – Frau Sitzmann, es wurden jetzt in beiden Reden die verschiedenen Felder, bei denen man noch etwas tun muss, genannt. Sie haben jetzt korrekterwei se einige Beispiele dafür genannt, wo schon seit Langem et was passiert und wofür man gar keine neuen Forderungen stel len muss.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Frage!)

Von Ihrem Vorredner wurde die Technologiefolgenabschät zung als neues großes Thema benannt. Er sagte, da müsse mehr getan werden. Sie wissen wahrscheinlich, dass das ITAS des KIT und die Fraunhofer-Gesellschaft in Karlsruhe da schon viel tun.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Frage!)

Das ist schon seit Langem ein Thema. Das einfach als Erklä rung.

Im Jahr 2002 wurde beschlossen, die Akademie für Technik folgenabschätzung zu schließen.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Genau! Das FAW in Ulm auch!)

Die Frage an Sie: Ist Ihnen bekannt, welche Regierung das damals geschlossen hat und welcher Abgeordnete der Grünen sich damals vehement gegen diese fatale Entscheidung einge setzt hat?

(Beifall bei den Grünen)

Lieber Kollege Schmidt-Ei senlohr, ich danke Ihnen, dass Sie mich auf Aspekte hinwei sen, die ich in meiner Rede noch nicht angesprochen habe. Aber ich kann mich sehr gut an die Abwicklung der Akade mie für Technikfolgenabschätzung erinnern. Da war ich selbst bereits im Landtag. Es war natürlich die CDU-geführte Lan desregierung,

(Zurufe von den Grünen und der SPD: Aha!)

die das getan und zu verantworten hat. Es ist in diesem Zu sammenhang sicherlich noch ein wichtiger Hinweis, dass Technikfolgenabschätzung ein wichtiger Baustein ist, dessen wir uns auch annehmen sollten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Schmiedel das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Bevor ich auf einige wichtige Punkte der Regierungserklärung eingehe, muss ich einiges von dem zurechtrücken, was Sie, lieber Kollege Wolf, hier vorgetragen haben. Sie haben hier ausgerechnet das Spaceshuttle als Zu kunftsprojekt angeführt,

(Zuruf des Staatssekretärs Ingo Rust)

das 2011 eingestellt wurde – übrigens gleichzeitig mit der CDU-geführten Landesregierung in Baden-Württemberg.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grünen)

Sie haben die Forderung nach vernetzter Mobilität in der Re gion Stuttgart gestellt. Ich erinnere mich noch gut, dass Sie es in Ihrer Regierungsverantwortung in zehn Jahren nicht ge schafft haben, die Verkehrsleitzentrale von Ludwigsburg nach Stuttgart zu verlegen. Da musste erst Winne Hermann kom men, damit das vollendet wurde.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Sie haben Bayern als „leuchtendes Beispiel“ angeführt. Die se Woche hat Minister Söder eine Pressemitteilung herausge geben und sich dafür gelobt, dass Bayern jetzt 17 Millionen € Fördergelder unters Volk gebracht hat – 17 Millionen € bei dem bekannten Rückstand. Glückwunsch! Wenn Sie uns das als Vorbild präsentieren wollen, werden wir dem natürlich nicht nachkommen.

Ganz toll finde ich, dass Sie jetzt fordern, dass Baden-Würt temberg dem Krebs den Kampf ansagen müsse. Da sage ich von dieser Stelle aus: Herzlichen Glückwunsch an den Nobel preisträger Stefan Hell, der in Göttingen, aber auch im Krebs forschungszentrum in Heidelberg über sein digitales Mikros kop die Krebsforschung unglaublich weit vorangebracht hat, weil man jetzt genauer weiß, was in den Zellen drin ist.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Was in den Zel len passiert, nicht was drin ist!)

Also, passen Sie auf, dass Sie bei all den Attacken, die Sie ge gen die Regierung führen, das Land nicht schlechtreden. Das Land ist gut aufgestellt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf von der CDU: Entweder-oder!)

Meine Damen und Herren, der 27. September 1998 war ein guter Tag für Deutschland.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: War das jetzt schon alles?)

An dem Tag war Bundestagswahl, und Rot-Grün hat ein ful minantes Wahlergebnis eingefahren.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: War da schon digitale Revolution?)

Das hat den schwarz-gelben Reformstau in der Bundesrepu blik aufgelöst. Aber vor dem Hintergrund dieser epochalen Veränderungen in Deutschland blieb eine andere epochale Veränderung etwas unbemerkt, jedenfalls zunächst. Denn an demselben Tag ging im fernen Kalifornien Google online ans Netz, ein Garagenprojekt von wenigen – ich muss jetzt sagen: leider – jungen Männern, das nach 16 Jahren zwei Billionen Zugriffe verzeichnet, eine Milliarde Nutzer hat, 70 % des Weltmarkts abdeckt, 13 Milliarden Dollar Gewinn im letzten Jahr geschrieben hat und 60 Milliarden Dollar geschätzte Bar reserven hat.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Gigantisch!)

Wenn man Apple, Facebook, Amazon und Microsoft dazu zählt, dann sieht man: Diese fünf Unternehmen haben einen höheren Börsenwert als alle 30 deutschen DAX-Unternehmen zusammen. Das heißt, wenn man es global sieht, dann hat die Software die Hardware schon geschlagen.

Es wurde zu Recht von allen darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht nur um einen beispiellosen wirtschaftlichen Er folg handelt, sondern dass es um eine epochale Veränderung geht. Die Fragen, wie wir kommunizieren, wie wir leben, wie wir arbeiten, wie wir Teilhabe pflegen, wie wir unsere Demo kratie gestalten – all das ist berührt.

Wenn man es nicht mit der Erfindung des Buchdrucks, son dern mit der neueren Geschichte vergleicht, dann kann man es wohl nur mit der ersten industriellen Revolution verglei chen, die nachträglich unser Leben heute noch prägt, vor al lem in Baden-Württemberg, die eine unglaubliche wirtschaft liche Dynamik entfaltet hat, aber auf der anderen Seite zu nächst auch unglaubliches Elend produzierte, eine Verelen dung im Bereich der Arbeit, in der Gesellschaft.

Es waren nicht zuletzt die SPD und die Gewerkschaften – weil unsere Gründung eng damit zusammenhing –, die dafür ge sorgt hatten, dass wir diese negativen Seiten der Industriali sierung heute als besiegt anerkennen können, dass heute gu te Arbeit zum Standard gehört, dass Baden-Württemberg als nicht früh industrialisiertes Land diese Verelendung der Ar beit bei der Industrialisierung nie erlebt hat, sondern als spät industrialisiertes Land gute Arbeit, guten Umgang, Respekt vor den Arbeitnehmern, gute Ausbildung erlebt hat, die zu ei nem guten Leben führten. Was Baden-Württemberg geprägt hat, das soll unser Land auch weiterhin auszeichnen.

Deshalb sagen wir: Es ist eine Riesenherausforderung, dass über diese neue Technologie nicht wieder negative Arbeitsum stände eintreten, dass es nicht zu „Clickworkern“, „Cloudwor kern“ ohne feste Arbeitsstätte, ohne feste Arbeitszeit, ohne Ar beitsvertrag, ohne soziale Absicherung kommt, dass es nicht dazu kommt, dass einfach nur in der Cloud die Aufgabe ge stellt wird, sich dann alle daranmachen, aber nur der, der als Erster liefert, entlohnt wird, alle anderen aber in die Röhre schauen.

Natürlich droht nicht eine Verelendung wie im 19. Jahrhun dert – dafür haben wir den Sozialstaat –, aber wir wollen, dass auch unter den neuen digitalen Arbeitsbedingungen alle ihre Chance haben, gute Arbeit, gute soziale Absicherung und Re spekt bei der Arbeit zu genießen. Da ist wahrlich viel zu tun.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Es gibt übrigens auch noch größere Gefahren. Ich spreche sie nur an, denn der Landtag von Baden-Württemberg ist nicht die Plattform, um das zu lösen. Doch es kann natürlich nicht sein, dass diese Unternehmen, von denen ich gerade gespro chen habe, nur 1 % ihres Erlöses dort versteuern, wo die Wert schöpfung anfällt, und der Rest in Niedrigsteuerländer ver schoben wird. Wir brauchen im Kartellrecht, im Steuerrecht sowie im Arbeitsrecht neue Aufstellungen. Das heißt, es gibt unglaublich viel zu tun.

Deshalb ist es gut, dass die Landesregierung mit den zustän digen Ministerinnen, Ministern und dem Ministerpräsidenten auf der nationalen Ebene, aber auch auf der europäischen Ebe ne dafür sorgt, dass die notwendigen neuen Rahmenbedingun gen für diese digitale Wirtschaft so gestaltet werden, dass es eine soziale, vertretbare und keine ungefesselte Marktwirt schaft wird.

Wir wollen hier keine Angstdebatte führen, doch wir müssen eine sachlich kritische Debatte führen und darauf hinweisen, dass es noch viel zu regeln gibt, damit der Rahmen so gestal tet wird, dass die bewährten Prinzipien der sozialen Markt wirtschaft unter diesen neuen technologischen Herausforde rungen gewährleistet bleiben.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Es wurden vorhin mehrfach die Gefahren der Cyberkrimina lität angesprochen. Es ist wohl wahr und stimmt: Fast jedes zweite Unternehmen hatte schon einen Angriff zu verzeich nen, von Privatpersonen mal ganz abgesehen.

Deshalb ist es gut, dass die Polizei jetzt so aufgestellt ist – Vorbeugung ist immer wichtig und muss unterstützt werden, aber Vergehen müssen natürlich auch geahndet werden –, dass in allen Flächenpräsidien gewährleistet ist, dass in den Krimi naldirektionen eine schlagkräftige Abteilung Cyberkriminali tät aufgestellt ist. Das war früher gar nicht möglich.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Guido Wolf CDU: Fragen Sie mal die Leute!)

Ich habe im Rahmen meiner Besuche der Präsidien auch das Landeskriminalamt besucht, speziell die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich dort mit der Cyberkriminalität beschäf tigen. Das ist das Kompetenzzentrum.

Ich habe an dieser Stelle eine Bitte an die Landesregierung. Wer dort arbeitet, ist wissenschaftlich hoch qualifiziert. Es sind keine Vollzugsbeamten im üblichen Sinn. Es sind Wis senschaftler, die auch in einem Forschungslabor der Industrie oder einer Universität arbeiten könnten, darunter auch Infor matiker. Der Stellenkegel entspricht jedoch dem eines übli chen Präsidiums. Das wird der Aufgabenstellung nicht ge recht. Wenn wir diese hoch spezialisierten Kräfte dort halten wollen und eine Weiterentwicklung wollen, dann müssen wir, was den Stellenkegel anbelangt, auch diesen besonderen He rausforderungen des Landeskriminalamts gerecht werden und genau hinschauen.

Denn diese Fachkräfte schüttelt man nicht aus dem Ärmel. Das sind hoch spezialisierte Arbeitskräfte. Wenn sie woanders wesentlich mehr verdienen – das Gleiche kann man nie be zahlen –, wenn der Einkommensunterschied zu groß ist, dann

wandern sie ab, und es entsteht eine Lücke. Das können wir uns nicht leisten.

Deshalb müssen wir, so richtig die Strukturen nach der Poli zeireform sind, an dieser Stelle auch nachsteuern, damit si chergestellt ist, dass das hoch spezialisierte Kompetenzzent rum zur Bekämpfung der Cyberkriminalität voll leistungsfä hig ist. Wir wollen, dass diejenigen, die Cyberkriminalität be kämpfen, mindestens genauso gut, aber, wenn es geht, noch besser aufgestellt sind als die auf der anderen Seite, die gegen Recht und Gesetz verstoßen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)