Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich Herr Mi nisterpräsident Winfried Kretschmann, Herr Minister Rein hold Gall und Herr Minister Andreas Stoch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute einen Ju bilar in unserer Runde: Unser Kollege Ulrich Müller feiert heute einen runden Geburtstag. Im Namen des Hohen Hauses darf ich Ihnen, Herr Kollege Müller, dazu herzlich gratulie ren.
Aktuelle Debatte – Auf den Anfang kommt es an – der grünrote Ausbau der Kleinkindbetreuung – beantragt von der Fraktion der SPD
Das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtrede zeit von 40 Minuten mit der üblichen Abfolge festgelegt. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.
Ich verweise auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung, wonach die Aktuelle Debatte in freier Rede zu führen ist.
Herr Präsident, meine sehr ver ehrten Damen und Herren! „Auf den Anfang kommt es an.“ Das ist ein richtig schöner, ein griffiger, ein richtiger und wichtiger Slogan. Dieser kommt in politischen Reden oft flüs sig daher, aber wirklich ernst genommen, wirklich zum Pro gramm gemacht, wirklich systematisch in politische Praxis umgesetzt wurde der Aspekt der U-3-Betreuung und der Früh förderung von dieser grün-roten Landesregierung. Deswegen jetzt vorab auch hier einmal herzlichen Dank dafür.
Vom Himmel gefallen ist das alles nicht. Dazu notwendig wa ren ein jahrelanger Paradigmenwechsel und eine ganz muti ge finanzpolitische Schwerpunktsetzung dieser Regierung.
Zunächst zum Paradigmenwechsel: Im Jahr 1899 – long, long ago – hat ein Arzt den damaligen Mainstream in einem Satz formuliert, der lautet:
Danach waren dann die Aufsichtsdamen in Kinderkrippen ge halten, möglichst nicht zu reagieren, wenn die Kinder schrei en, und sämtliche Anforderungen von außen irgendwie fern zuhalten.
Meine Damen und Herren, es soll auch noch heute den einen oder anderen geben, der frühkindliche Bildung als ein tragi sches Missverständnis oder auch – das habe ich gelesen – als kollektive Kindesmisshandlung betrachtet. Aber im Großen und Ganzen ist diese Debatte vorbei. Die Zeit ist über solche Anschauungen hinweggegangen. Wir wissen aus der Entwick lungspsychologie und aus der Hirnforschung: Babys und Kleinkinder brauchen sensible Erwachsene, die feinfühlig auf ihre Bedürfnisse reagieren, und dazu ein Umfeld, das reich an Anregungen ist.
Jetzt kann man natürlich fragen: Ist es gut, oder ist es schlecht, ein kleines Kind für einen Teil des Tages in einer Kita oder bei einer Tagesmutter unterzubringen? Der britische Entwick lungspsychologe Jay Belsky wurde auch oft in dieser Weise gefragt. Er hat genervt eine Gegenfrage gestellt:
Denn es kommt darauf an, was man in diesen Restaurants zu sich nimmt, wie es gekocht wird, wie viel man davon isst. Ich möchte diese Metapher nicht überstrapazieren. Richtig ist: Es ist für Kinder gut, wenn sie sich an Bezugspersonen binden können, die sie kennen, die verlässlich verfügbar sind und die auch auf die Bedürfnisse der Kinder reagieren können, auch auf die Bedürfnisse nach Bildung. Es gibt viele Familien, die diese Bedürfnisse selbst nicht oder nicht in vollem Umfang erfüllen können.
Genau hier, meine Damen und Herren, setzt unsere politische Verantwortung ein, und zwar sehr, sehr facettenreich: bildungs politisch, sozialpolitisch, familienpolitisch, gesellschaftspoli tisch bis hin zu wirtschaftspolitischen Aspekten.
Der Nachholbedarf war in den vergangenen Jahren enorm groß. Wir haben uns sehr konsequent auf einen Weg begeben. Dieser ist noch nicht zu Ende, aber er hat schon jetzt eine er kennbare Erfolgsspur hinterlassen. Wir haben die Schluss lichtposition verlassen, wir sind im Ranking weit nach vorn
gekommen. Wir haben vielen geholfen, Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren zu können. Wir haben die Kommunen in die Lage versetzt, ihrer Verantwortung auch wirklich gerecht werden zu können. Dafür waren große An strengungen notwendig. Wir reden von 1 Milliarde € in Sum me.
Erst durch den Pakt für Familien mit Kindern hat die früh kindliche Betreuung in diesem Land so richtig Fahrt aufge nommen. Das war überfällig, und zwar, weil erstens der Aus bau der frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsstrukturen zu einem immer wichtiger werdenden Standortfaktor gewor den ist und weil zweitens damit ein Beitrag – das ist mir als Bildungspolitiker besonders wichtig – zu mehr Bildungsge rechtigkeit und zu früherer Sprachförderung geleistet wird. Ich meine das in Bezug auf die Familien sowohl ergänzend als auch kompensatorisch.
Bei diesem Pakt ist es nicht geblieben. Im aktuellen Doppel haushalt werden die Mittel für die Kleinkindbetreuung um weitere 190 Millionen € erhöht. Damit beträgt die Landesbe teiligung an der Kinderbetreuung 660 Millionen € im Jahr 2015 und 795 Millionen € im Jahr 2016. Zudem wird im nächsten Jahr ein Landesinvestitionsprogramm in Höhe von insgesamt 50 Millionen € aufgelegt. Zwei Drittel der Betriebs ausgaben werden gefördert. Dazu stehen wir. Wir lassen die Kommunen nicht im Stich.
So werden wir es schaffen, mittelfristig über 100 000 neue, zusätzliche Betreuungsplätze in diesem Land bereitzustellen.
Nun zum Rechtsanspruch: Das ist zugegebenermaßen ein nicht ganz einfaches Thema. Die befürchtete Klagewelle ist – bis auf Einzelfälle – ausgeblieben. Der Ausbau im Land geht insgesamt gut voran, wenn auch gerade in Ballungsgebieten wie hier in Stuttgart noch weitere große Anstrengungen not wendig sind.
Zum letzten Stichtag – der war im März dieses Jahres – wur den hier 76 000 Kinder unter drei Jahren betreut. Das ist eine Steigerung um 8 000 Plätze innerhalb eines Jahres. Damit liegt Baden-Württemberg beim Ausbautempo deutlich über dem bundesweiten Schnitt. Zur Erinnerung: 2006 war Baden-Würt temberg nach Zahlen des Statistischen Bundesamts Schluss licht. In kurzer Zeit gab es also einen deutlichen Sprung nach vorn. Auch das ist ein Erfolgsindikator.
Die quantitative Seite ist das eine, die qualitative das andere. Hier spielt die Frage nach der Gewinnung von Fachkräften ei ne ganz besondere Rolle. Ich erinnere nur – weil wir das hier schon oft behandelt haben, kann ich es kurz machen – an die praxisintegrierte Ausbildung. Über 1 400 Schülerinnen und
Schüler werden im Schuljahr, im Ausbildungsjahr 2014/2015 diese Ausbildung begonnen haben. Die Zahlen steigen, sie steigen weiter, und sie zeigen eines: Dadurch können auch zu sätzliche Gruppen für diesen Beruf begeistert werden, z. B. auch Männer. Ich meine, das ist eine gute Botschaft.
Natürlich gilt auch für uns: Wer schnell viele Plätze schafft, der darf die Frage nach der Qualität nicht aus den Augen ver lieren. Denn nur qualitativ wirklich gute Angebote erfüllen ih ren Zweck, ihren pädagogischen Zweck, ihren familienpoli tischen Zweck und ihren gesellschaftspolitischen Zweck. Die Forderungen nach noch mehr Ganztagsbetreuung und nach noch mehr Inklusion werden uns zusätzliche Anstrengungen abverlangen.
Mit dem Flexibilisierungspaket haben wir gemeinsam einen Weg gefunden, Ausbau und Qualität in einer gewissen Weise auszutarieren. Das war ein nicht ganz einfacher Balanceakt. Aber verstecken, meine Damen und Herren, müssen wir uns auch nicht.
Baden-Württemberg ist im U-3-Bereich mit einem Betreu ungsschlüssel von 3,3 Kindern pro Vollzeiterzieherin und -er zieher nach Bremen bundesweit führend. Das ist insgesamt eine sehr gute Ausgangsposition. Auch das ist ein Erfolgsin dikator.
Nun komme ich zu meinem letzten Stichwort, zur Kindertages pflege. Beim Ausbau der frühkindlichen Entwicklung spielt sie eine wichtige Rolle, die immer wichtiger wird. Die Zahl der Tagesmütter und der Tagesväter steigt, auch die Zahl der von ihnen betreuten Kinder steigt. Laut KVJS waren es in die sem Jahr erstmals über 20 000.
Im Bereich der öffentlichen Kinderbetreuung der unter Drei jährigen werden fast 14 % von der Tagespflege abgedeckt.
Bild und Selbstverständnis von Kindertagespflege haben sich stark gewandelt. Hier ist die Arbeit des Landesverbands nicht hoch genug zu veranschlagen. Wir werden deshalb seitens der Fraktionen den Landesverband im kommenden Doppelhaus halt finanziell fördern, und zwar mit einer Summe von 50 000 € jährlich.
Ich möchte schließen mit einer persönlichen Bemerkung, ei ner Bemerkung, die mir am Herzen liegt. Es geht in vielen Debatten – in bildungspolitischen ganz besonders – immer um ein Mehr und um ein Besser. Deswegen glaube ich, es stünde uns Politikerinnen und Politikern, und zwar nicht nur den Fachpolitikerinnen und -politikern, immer gut an, bei jedwe der Möglichkeit auf die hervorragende Arbeit der Erzieherin nen und Erzieher hinzuweisen und im gleichen Atemzug auch eine angemessene Vergütung einzufordern. Das möchte ich hier an dieser Stelle ausdrücklich tun.
(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch und Karl-Wilhelm Röhm CDU und Dr. Timm Kern FDP/DVP)
Meine Damen, meine Herren, mit dem systematischen Aus bau der Kindertagesbetreuung befinden wir uns auf einer Er folgsspur. Auf dieser Spur gehen wir weiter. Wir werden da bei den Qualitätsaspekt nicht aus den Augen verlieren, und
wir werden in einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Bund, Land und Kommunen vielen Kindern einen noch besseren Start ins Leben ermöglichen. Wir werden die Familien entlas ten, wir werden die soziale Infrastruktur im Land weiter ver bessern. Alles in allem ist das ein Glanzlicht dieser Regierung.