Protokoll der Sitzung vom 04.02.2015

Wenn es sich hier um einen Strukturwandel handeln würde, meine Damen und Herren, der nur aus demografischen Grün den entsteht, dann könnte man sozial verträglich, u. a. durch Fluktuation, die damit zusammenhängenden Probleme rela tiv leicht lösen. Aber die politischen Entscheidungen, die Sie in der relativ kurzen Zeit seit 2011 getroffen haben, haben ge nau zu der Problemsituation geführt, vor der wir jetzt stehen. Ich will diese einmal aufzählen.

Es fängt damit an, dass die Verbindlichkeit der Grundschul empfehlung weggefallen ist und damit der Anteil der Schüler, die in die Hauptschule übertreten, von damals – also 2011 – 25 % auf mittlerweile ungefähr 10 % gesunken ist.

Durch das Konzept der regionalen Schulentwicklung kommt es zu einer gezielten Schulschließungsstrategie gerade bei Hauptschulen.

(Zurufe von der SPD: Was?)

Durch die Umwandlung von Hauptschulen und Werkrealschu len in Gemeinschaftsschulen entstehen für Hauptschullehrer zusätzliche Probleme, auf die ich im Einzelnen noch eingehe, nämlich zusätzliche Belastungen, gestiegene Ansprüche und Ungerechtigkeiten innerhalb der Lehrerschaft.

Durch das Zulassen einer Reihe von viel zu kleinen Gemein schaftsschulen wird das nächste Schulsterben schon wieder vor der Tür stehen, das heißt, die nächste Welle der Probleme steht bevor.

Und schließlich: Durch die Stellenstreichungen wird die Si tuation zusätzlich verschärft.

Was heißt das für die Lehrer? Das heißt, dass für diejenigen Lehrer, die nicht an einer Gemeinschaftsschule tätig sind, Stel len wegfallen, dass Schulen wegfallen, ja dass der ganze Schultyp Hauptschule wegfallen soll

(Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

und dass es insofern keine Perspektive mehr gibt, dass es zu Versetzungen kommt, auch zu Mehrfachversetzungen, und die Ungewissheit, was eigentlich geschehen soll, unerträglich ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Für die Hauptschullehrer, die an einer Gemeinschaftsschule tätig sind und dort übrigens immerhin 80 % des Unterrichts erteilen, ergeben sich andere Probleme, aber keine kleineren. Sie sollen eine neue Pädagogik übernehmen und anwenden. Sie haben es mit einer heterogeneren Schülerschaft zu tun, mit gestiegenen Anforderungen einschließlich von weiter gehen den Schulabschlüssen bis hin zum Abitur. Sie sollen den Auf gaben von Ganztagsbetreuung und Inklusion gerecht werden. Sie können nicht alle Fächer unterrichten. Sie werden schlech ter bezahlt als ihre Kollegen an derselben Schule. Im Maxi malfall liegt die Spannweite zwischen A 9 und A 14. Sie ha ben schlechtere Perspektiven, was Leitungsfunktionen anbe langt. Zudem werden sie nicht auf die Situation, in die Sie sie gestellt haben, vorbereitet, in Sonderheit nicht durch ein be rufsbegleitendes Weiterbildungskonzept, das Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten schaffen würde, das auf die neuen Herausforderungen vorbereiten würde, also beispielsweise ei nen entsprechenden Aufbaustudiengang. Das wäre das zent rale Instrument, das auch von den Lehrerverbänden gefordert wird – aber tatsächlich: tote Hose.

Wohlgemerkt, meine Damen und Herren von den Regierungs fraktionen und von der Regierung: Das sind die Lehrer, die Ihr Lieblingsprojekt Gemeinschaftsschule umsetzen sollen. Der Frust und der Krankenstand genau in diesem Teil der Leh rerschaft sind überdurchschnittlich. Die Probleme verschär fen sich quantitativ und qualitativ, wenn Sie jetzt auch noch an die Umwandlung der Realschulen so herangehen wollen, wie Sie das seit November 2014 auf den Tisch gelegt haben.

Das heißt insgesamt: Das alles waren und sind Probleme mit Ansage. Die waren klar vorhersehbar. Es sind Probleme, die Sie geschaffen haben; sie sind nicht vom Himmel gefallen. Wir haben sie frühzeitig thematisiert. Die Lehrerverbände kri tisieren und fordern Konzepte, und die Regierung steht mit leeren Händen da.

Die durch Sie geschaffenen Probleme lassen sich ganz be stimmt nicht auf einen Schlag lösen; das ist uns auch klar. Aber was man wirklich erwarten kann, ist der Einstieg in die Problemlösungen und eine Perspektive, um die tiefe Verunsi cherung zu überwinden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, man hat ja immer so den Eindruck: Die Union ist sozusagen eher der Typ Arbeitgeber, und die Sozialdemokraten sind der Betriebsrat der Gesellschaft.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Deswegen müssten Sie eigentlich für die sozialen Aspekte Ih res Handelns eine besondere Sensibilität haben. Die Wirklich keit ist tatsächlich eine andere. Man müsste von Ihnen eigent lich wenigstens dieselbe soziale Verantwortung erwarten kön nen, wie wir sie in der vergangenen Legislaturperiode, und zwar genau gegenüber diesem Personenkreis, bereits an den Tag gelegt haben.

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Was? Das ist etwas Neu es!)

Wir waren es – man höre –, die damals schon, vor 2011, we gen der besonderen pädagogischen Belastungen einen Beför derungskorridor im Umfang von 20 % für den Hauptschulbe reich geschaffen haben. Sie haben die Anforderungen und Be lastungen erhöht, aber diesen Korridor abgeschafft. Wie kann man das zu gleicher Zeit machen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Falls jetzt je die übliche alte Leier kommen sollte, dass das ja nicht durchfinanziert sei, will ich Ihnen nur zwei Dinge sagen – dies könnte man ebenso auf viele weitere Punkte beziehen, wenn Sie das Wort von der alten Leier auch an anderen Stel len bringen sollten.

Erstens: Auch bei uns wären es natürlich seit 2011 mindestens 35 % mehr Steuereinnahmen gewesen. Die Welt ist ja seit 2011 nicht stehen geblieben. Und zweitens: Die Vorstellung der Nachfolgeregierung, dass die Vorgängerregierung auch noch gleich eine Rücklage bildet, um bei einem mehrjährigen Programm die Durchfinanzierung zu gewährleisten, ist schon einigermaßen witzig.

Meine Damen und Herren, die Slogans, die Ihnen eigentlich sehr vertraut sind, fliegen Ihnen jetzt um die Ohren. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ – von wegen! Frau Sitzmann hat zwar gefordert, dass alle Lehrer, die an ein und derselben Schule tätig sind, das Gleiche verdienen müssten – eine The se, die ich jetzt nicht unbedingt unterstreiche, aber es ist ja Ih re These und Ihre Forderung, und Sie kommen ihr nicht nach. „Guter Lohn für gute Arbeit“ – von wegen! „Differenzierung abschaffen“ – bei den Schülern ja, bei den Lehrern nein. Ihre Slogans wenden sich gegen Sie selbst.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die Schlussfolgerung aus alledem: Wenn eine Firma durch Managementfehler Probleme mit den Beschäftigten hat, dann muss man einen Sozialplan machen. Wir dachten bisher, dass Sie bei allen Managementfehlern, die Ihnen bei der Firma „Schule Baden-Württemberg“ jetzt schon passiert sind, we nigstens kompetent im Erstellen eines Sozialplans sind – aber weit gefehlt! Darauf warten zigtausend Beschäftigte seit vier Jahren. Ich sage Ihnen ganz einfach dazu: Wir warten jetzt nur noch ein Jahr, und dann brechen hoffentlich wieder andere Zeiten an.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Oh-Rufe von der SPD)

Das Wort für die Frak tion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Lehmann.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich war schon gespannt, wie die Be gründung des vorliegenden Antrags erfolgt, der ja vor zwei Jahren gestellt wurde. Dieser gehört übrigens in eine denk würdige Kategorie von Anträgen. Man muss sich die Titel ein mal auf der Zunge zergehen lassen: „Was geschieht mit den Lehrern einer Schule, die es nicht mehr geben soll?“ Dann gab es noch einen Antrag mit dem Titel: „Was geschieht mit den Schülern einer Schule, die es nicht mehr geben soll?“ sowie einen Antrag mit dem Titel: „Was geschieht mit den Absol venten einer Schule, die es nicht mehr geben soll?“ Der Auf schlag, den Sie hier gemacht haben, war ja sehr fantasievoll.

(Zurufe der Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP und Manfred Lucha GRÜNE)

Was besonders bemerkenswert ist: Ihre Regierung, Herr Mül ler, hat 2010 die Lehrerausbildung reformiert, hat das Ver bundlehramt abgeschafft und ein eigenes Lehramt für Grund schulen sowie für Haupt- und Werkrealschulen und Realschu len eingerichtet. Was Sie aber nicht gemacht haben trotz Ih rer Ankündigung, Sie würden die tolle Leistung, die an den Hauptschulen erbracht wird, würdigen – – Das stimmt; diese wird so erbracht, aber die notwendigen Laufbahnregelungen haben Sie nicht getroffen. Die Lehrkräfte in den Haupt- und den Werkrealschulen sind, was Veränderungen angeht, sehr viel gewohnt, weil sie in der letzten Legislaturperiode zwei Reformen über sich ergehen lassen mussten. Sie haben im Prinzip zwei Reformen aufgesetzt, was die Haupt- und die Werkrealschule angeht. Die eine ist nicht einmal umgesetzt worden, da kam schon die nächste ins Land.

Sie haben damals bei der Lehrerausbildungsreform die Frage nicht geklärt, wie die Lehrer nachher besoldet werden, wenn sie dann ein gemeinsames Lehramt für Hauptschule, Werkre alschule und Realschule haben. Das haben Sie nicht geklärt, das haben Sie vernachlässigt.

(Abg. Georg Wacker CDU: Die waren doch gar nicht auf dem Markt!)

Wir werden das entsprechend umsetzen. Es ist klar, dass Leh rer, die eine gleiche Ausbildung haben, nicht unterschiedlich bezahlt werden können.

Sie tragen seit einigen Jahren immer nur den Begriff der Wert schätzung wie eine Monstranz vor sich her, Herr Müller. Wa rum bekommen denn die Hauptschullehrer weniger als die Realschullehrer? Das geht doch nicht auf Grün-Rot zurück, sondern auf Ihre Bildungspolitik.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Minister Franz Untersteller: Genau!)

Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass Sie festgelegt ha ben: „Wir haben hier Schüler an der Hauptschule, an der Re alschule und an den Gymnasien.“ Sie haben doch die gleiche Einteilung auch bei den Lehrkräften vorgenommen. Das muss man hier doch einfach einmal sagen. Das haben wir von Ih nen übernommen, und wir werden schrittweise diese Unge rechtigkeiten, die hier im Bildungssystem vorhanden sind, ab bauen.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Es ist klar, dass die Lehrer, die ein einheitliches Lehramt ha ben, auch die gleiche Bezahlung bekommen. Das ist selbst verständlich, und wir werden das umsetzen.

Herr Müller, wir haben uns, als wir die Gemeinschaftsschule eingeführt haben, sicher nicht leichtgetan mit der Frage, wie wir es mit der Besoldung halten. Es ist ja immer die große Fra ge, warum bei einem gleichen Arbeitsplatz und einer gleichen Tätigkeit nicht die Bezahlung gleich sein soll. Aber klar ist, dass wir in dem Zweisäulenschulsystem, an das wir uns hinentwickeln, auch, was die Bezahlung der Lehrer angeht, eine Konvergenz bekommen müssen. Das wird so kommen, Herr Müller.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Aber solche Fragen müssen doch früher geklärt werden!)

Das sagt gerade der Richtige. Bei Ihnen ist es die Gnade der späten Geburt. Ich habe Herrn Müller gesagt, dass wir diese ungelöste Frage, die uns die Vorgängerregierung hinterlassen hat, beantworten werden.

Es ist auch klar, Herr Müller, dass wir, wenn zusehends auch Lehrer mit einer Ausbildung für Haupt- und Werkrealschulen an Realschulen eingesetzt werden, ihnen auch Aufstiegsmög lichkeiten über Fortbildung schaffen werden. Das liegt auch in der Sache begründet.

Zu dem Mythos, den Sie seit Langem verbreiten, wir seien schuld am Sterben der Haupt- und Werkrealschulen:

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Fragen Sie einmal die Ihrer Partei angehörenden Bürgermeis ter im ländlichen Raum, was sie da machen. Die wollen die Gemeinschaftsschule. In Ihren Pressemitteilungen verbreiten Sie immer, sie wollten deswegen die Gemeinschaftsschule, weil sie den Schulstandort retten wollen.

(Zurufe der Abg. Georg Wacker und Dieter Hille brand CDU)

Herr Wacker, schauen Sie einmal in der Schulstatistik, wie viele Hauptschulen heute weniger als 16 Schüler in der fünf ten Klasse haben. Deren Zahl wird immer höher. Es ist völlig klar, dass wir mit der regionalen Schulentwicklung kein Schul schließungsprogramm gemacht haben, sondern mit der regi onalen Schulschließung auch im Flächenland – das war längst überfällig – eine Absicherung von Schulen im ländlichen Raum geschaffen haben.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Ja, „regionale Schul schließung“ war das!)