Wir vertrauen den Menschen, die für Innovation in diesem Land stehen. Wir vertrauen den Menschen, die hinter unserer Verfassung stehen und für die Recht und Gesetz noch bindend sind. Wir vertrauen auf die Realisten und nicht auf die Egois ten und Tagträumer. Wir vertrauen auf die Menschen, die sich nicht von schönen Sonntagsreden einseifen lassen, sondern die Leistungen und Entscheidungen für das Wohl unseres Lan des wollen.
Wir vertrauen auf die Menschen, die sich der Zukunft dieses Landes stellen und nicht der Vergangenheit nachweinen. Wir glauben an die Menschen in Baden-Württemberg, an ihr Ur teilsvermögen und ihr Rechtsempfinden. Mit diesen Menschen stimmen wir am 27. November ab.
Meine Damen und Herren, für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Kollegin Sitzmann das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident, meine Da men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Hauk, Wahlergebnisse lassen sich nicht ignorieren. Am 27. März die ses Jahres haben sich die Wählerinnen und Wähler in BadenWürttemberg entschieden, einer neuen Regierung die Verant wortung für das Land anzuvertrauen. Sie haben Grün-Rot ei ne Mehrheit für den längst überfälligen Regierungs- und Po litikwechsel gegeben, und das ist gut so.
Das ist kein alter Hut. Die Wahl ist ja noch nicht so lange her. Aber es scheint, wie Sie jetzt gerade auch zugeben, dass von Ihrer Seite nicht nur die Wahlergebnisse vom 27. März ignoriert werden,
sondern auch alle Debatten, die in Sachen Stuttgart 21 statt gefunden haben, die Schlichtung, der Stresstest und viele wei tere Expertisen und Gutachten. All das ist spurlos an Ihnen vorbeigegangen, wie Sie in Ihrer Rede gerade deutlich ge macht haben.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Fried linde Gurr-Hirsch CDU: An Ihnen! – Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)
Meine Damen und Herren, wir, die Grünen und die SPD, sind zusammengegangen mit einem wichtigen, ambitionierten Re
formprogramm für Baden-Württemberg, aber auch in dem Be wusstsein, dass wir in einer wichtigen landespolitischen Fra ge unterschiedlicher Meinung sind. Für uns Grüne ist nach wie vor – wie in der Vergangenheit – klar, dass dieses Bahn projekt nicht hält, was es verspricht, und dass wir S 21 des halb vehement ablehnen und nicht unterstützen können.
Meine Damen und Herren, dieses Bahnprojekt hält nicht, was es verspricht. Das ist nach der Schlichtung, nach der Präsen tation der Ergebnisse des Stresstests durch SMA offensichtli cher denn je. Die Kostenrisiken sind hoch, und sie steigen wei terhin. Der Nutzen ist aber gering. Das heißt, wir bekommen viel zu wenig Bahnhof für viel zu viel Geld. Das findet nicht unsere Zustimmung.
Wir sind nach wie vor überzeugt, dass wir aus diesem Projekt aussteigen müssen. Deshalb werden wir als Fraktion dem vor liegenden Kündigungsgesetz mit Überzeugung und mit Herz blut zustimmen, meine Damen und Herren.
Die neuen Mehrheitsverhältnisse und auch die Tatsache, dass die Grünen als stärkere Regierungsfraktion die Mehrheit im Kabinett stellen,
haben diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, meine Da men und Herren. In einer Demokratie ist es selbstverständlich und muss es möglich sein, dass neue politische Mehrheitsver hältnisse auch zu neuen politischen Entscheidungen führen.
Es gibt viele Menschen, bei denen neue Informationen in der Sache zu neuen Haltungen und Entscheidungen führen. Bei Ihnen, Herr Kollege Hauk, ist das anscheinend nicht der Fall.
Aber wir setzen darauf, dass sich alle Abgeordneten dieses Landtags von Baden-Württemberg frei fühlen, dieses Gesetz zu beurteilen und sich so zu entscheiden, wie sie es nach ih rer jeweiligen Meinung für richtig halten. Deshalb möchte ich auch ausdrücklich um Zustimmung werben.
Da empfehle ich, Artikel 60 Abs. 3 der Landesverfassung von Baden-Württemberg zu lesen. Darin ist ausdrücklich die Mög lichkeit vorgesehen, das Volk abstimmen zu lassen, wenn ein Gesetzentwurf der Regierung nicht die Mehrheit im Parlament findet
und wenn mindestens ein Drittel der Abgeordneten daraufhin eine Abstimmung des Volkes beantragen. Also, wenn Sie un sere Verfassung fragwürdig finden, finde ich das äußerst frag würdig.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Nicht die Verfassung! – Zuruf des Abg. Tho mas Blenke CDU)
Meine Damen und Herren, es ist ein Novum – sollte der Ge setzentwurf hier tatsächlich abgelehnt werden –, dass die Bür gerinnen und Bürger dieses Landes in einer Sachfrage abstim men dürfen. Dass es ein Novum ist, ist gut und richtig so. Wenn es nach Grün und Rot gegangen wäre, dann hätte die Bevölkerung in Baden-Württemberg schon sehr viel früher und sehr viel häufiger die Möglichkeit gehabt, in wichtigen Sachfragen ihre Meinung zu äußern und ihre Stimme abzuge ben.
Wir rufen also alle Bürgerinnen und Bürger auf, die Chance zu nutzen, ihre Meinung kundzutun und endlich das, was die Bürgerschaft will, in Anspruch zu nehmen, nämlich abzustim men, wie sie dieses Projekt beurteilen, und in Baden-Würt temberg endlich mehr beteiligt zu werden, als es in der Ver gangenheit der Fall war. Wir hoffen, dass Sie in Zukunft auch bereit sein werden, entsprechende Gesetzesänderungen mit auf den Weg zu bringen.
Meine Damen und Herren, das Thema Kostenrisiken ist ent scheidend dafür, dass wir sagen: Es ist unabdingbar, diesen Vertrag zu kündigen. Der Verkehrsminister hat schon darauf hingewiesen, dass die Kosten und die Risiken seit Jahr und Tag in die Höhe gegangen sind. Ging man bei Abschluss des Vertrags im April 2009 noch von knapp über 3 Milliarden € Kosten aus, mussten im Dezember 2009 – also im gleichen Jahr – die Kosten bereits deutlich nach oben, nämlich auf über 4 Milliarden €, korrigiert werden.
Damit war vom ursprünglich geplanten Risikopuffer für die Bauzeit schon sehr viel aufgebraucht. Es war nicht einmal mehr ein Drittel übrig, obwohl alle Welt weiß, dass bei sol chen Großprojekten Kostensteigerungen normal sind. Nicht umsonst hat der Bundesrechungshof schon in seinem Bericht 2008 genau darauf hingewiesen, nämlich auf den Punkt, dass die Kosten deutlich über 5,3 Milliarden € liegen werden,
dass es üblich sei, dass bei solchen Projekten Preissteigerun gen von bis zu 60 % auftreten, und dass gerade bei Stuttgart 21 diese Risikofaktoren in besonderem Maß gegeben seien. Da kann man sich doch nicht hier hinstellen und sagen, es ge be überhaupt keine Kostenrisiken, meine Damen und Herren.
Dieser Puffer in Höhe von 1,5 Milliarden €, der für die Risi ken während der Bauzeit gedacht war, war dann um über 1 Milliarde € geschrumpft. Dieser Risikopuffer wird sich jetzt wegen Nachbesserungen aus der Schlichtung und Nachbesse rungen aus dem Stresstest weiter reduzieren. Das passiert, be vor die Bauzeit richtig begonnen hat, bevor die Maßnahme
vollends abgewickelt ist. Daran sieht man doch, dass dieser einst geplante Risikopuffer wie der Schnee in der Sonne schmilzt. Das ist ein Problem.
Das ist die Grundlage für dieses Kündigungsgesetz. Das ist die Grundlage dafür, dass wir sagen, dass die Geschäftsgrund lage nicht mehr gegeben sei.
Über 15 Jahre ist es jetzt her, meine Damen und Herren, dass das Projekt Stuttgart 21 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Planungen sind seit über 20 Jahren im Gang. Was haben diese Planungen gebracht? Sie haben ein Bahnhofsprojekt ge bracht, bei dem Kosten und Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis stehen. Sie haben Planungen gebracht, nach denen wir für zu viel Geld viel zu wenig Bahnhof bekommen, mei ne Damen und Herren.
Meine Fraktion ist gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern überzeugt, dass sich diese vielen Milliarden Euro für Stuttgart 21 nicht lohnen. Ich frage Sie: Was ist fortschrittlich, innovativ oder modern – wie auch immer Sie es genannt ha ben – an einem Projekt, dessen Planungsbeginn über 20 Jah re zurückliegt? Das ist weder innovativ noch modern. Es ist ein Projekt des letzten Jahrhunderts und kein Projekt für die Zukunft.
Jetzt war ich doch bass erstaunt, welche Behauptungen Sie aufgestellt und welche Vorteile von Stuttgart 21 Sie hier be schrieben haben. Diese Behauptungen gehören schon längst ins Reich der Fantasie, Herr Kollege Hauk. Die Schlichtung und die Bewertung des Stresstests haben genau das gezeigt: Diese Behauptungen sind falsch,