Ich wollte nur fragen, Herr Kollege Stickelberger: Ist Ihnen damals entgangen, dass das Präsidi um des Landtags auf ausdrückliche Ermunterung gerade der Sozialdemokraten und im Übrigen auch der Grünen genau dieses Verfahren gewählt hat?
Ihnen ist, glaube ich, entgangen, dass wir doch sehr viel Zeit gehabt haben, um diesen Gesetzentwurf zu beraten. Ich glau
be, Sie haben ihn vor etwa sieben Wochen bekommen. Wir haben jetzt eine Sondersitzung, in der die Argumente ausführ lich ausgetauscht werden können.
Was die Verkürzung der Anhörungsfrist von sechs auf vier Wochen angeht, kann ich Ihnen sagen: Die meisten Anhö rungsstellungnahmen lagen bereits nach zwei Wochen vor. Al so, alle haben es geschafft – Sie offensichtlich nicht.
Herr Rülke, ich kann verstehen, dass Sie sich beschweren. Sie hatten zu wenig Zeit. Sie haben sich mittlerweile auf das Feld der Eheberatung verlagert.
(Heiterkeit – Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das ist ein dankbares Feld!)
Aber eines möchte ich doch sagen: Wenn Sie in dieser Debat te, in der es um verfassungsrechtliche Fragen geht, von Tau ziehen, Tarnen, Tricksen und zynischer Pervertierung spre chen, dann kann ich Ihnen nur empfehlen: Rüsten Sie ab. Mit diesem Vokabular werden Sie auch die FDP nicht wieder ret ten.
Meine Damen und Herren, bei der Vorbereitung dieses Ge setzentwurfs sind zwei Punkte sehr deutlich geworden. Zum einen: Das Gesetzgebungsverfahren wirft zahlreiche interes sante Fragen des Verfassungsrechts auf. Zum anderen: Bei ei nem guten Teil dieser Rechtsfragen betreten wir Neuland. Herr Kollege Hauk, da stimme ich Ihnen zu; das haben Sie zutref fend gesagt. Da stimme ich Ihnen zu, im Weiteren allerdings nicht mehr.
Wir können in dieser Debatte zu diesem Gesetz nicht auf ei ne lange Reihe verfassungsrechtlicher Entscheidungen zu rückgreifen und uns auf sie stützen. Wir müssen vielmehr all gemeine Rechtsgrundsätze und anerkannte Methoden der Ver fassungsauslegung heranziehen. Eine echte Herausforderung war das natürlich für die an diesem Gesetzentwurf beteiligten Häuser und für alle, die sich mit Verfassungsrecht befassen oder sich zumindest dafür interessieren. Aber Sie kennen auch den Spruch: Zwei Juristen, drei Meinungen. Das gilt natürlich prinzipiell auch für Rechtsfragen, die sich mit einem Gesetz der vorliegenden Art befassen.
Hier gibt es – um bei unserem Thema zu bleiben – einige zen trale Weichen, die man so oder in entgegengesetzte Richtung stellen kann. Je nachdem, wie man diese Weichen stellt, wird man auch zu unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen kom men können. Einige dieser Weichen sind in der vorangegan genen Debatte bereits angesprochen worden. Diese Fragen ha ben auch in der Öffentlichkeit eine große mediale Beachtung gefunden. Ich möchte darauf im Einzelnen eingehen.
Da ist zum einen die Frage: Sind die Finanzierungsvereinba rungen zu Stuttgart 21 überhaupt wirksam? Das ist eine Fra
ge, die in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt hat. Muss man Verträge, die nichtig sind, dann noch kündigen? Das war ei ne Meinung.
Zum anderen sind Fragen der Gewaltenteilung und der Zuläs sigkeit von Einzelfallgesetzen aufgeworfen worden. Müsste die Landesregierung nicht allein über eine Kündigung einer Finanzierungsvereinbarung entscheiden? Warum schaltet sie da den Landtag ein? Zentraler Vorwurf von Ihnen war: Miss braucht die Landesregierung womöglich sogar ihr Initiativ recht, um überhaupt erst die Voraussetzungen für eine Volks abstimmung zu schaffen? Darüber hinaus: Steht dem Land in diesem Bereich überhaupt die Gesetzgebungskompetenz zu? Und: Kann sich die Landesregierung
zu einer Kündigung von Vereinbarungen verpflichten, wenn in den Vereinbarungen keine entsprechenden Kündigungs rechte vorgesehen sind?
(Heiterkeit – Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Gut! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Aber bitte alle drei Meinungen!)
Dieser Ausschnitt aus dem Katalog der Themen, über die dis kutiert wurde, wirft natürlich ein Licht auf die Schwierigkeit der Aufgabe, diesen Kündigungsgesetzentwurf zu erarbeiten. Dies ist eine Aufgabe, der sich die Regierung mit großer Ernsthaftigkeit und, wie ich meine, auch mit Erfolg gestellt hat. Sie können sicher sein, dass es sich bei dem Ihnen nun vorliegenden Gesetzentwurf nicht um einen unbedachten Schnellschuss handelt.
Die aufgeworfenen Rechtsfragen haben wir erfasst und aus führlich geprüft. Wir haben an diesem Gesetzentwurf gründ lich gefeilt und verfassungsrechtliche Risiken bewusst ausge räumt. Hierzu zählt, dass wir nicht vorgeschlagen haben, durch das Gesetz unmittelbar in die Finanzierungsvereinba rung zu Stuttgart 21 einzugreifen. Wir haben also kein Ein griffsgesetz vorgelegt. Das will ich an dieser Stelle nochmals ausdrücklich deutlich machen.
Hierzu zählt auch, dass mit dem Gesetz – das ist in der De batte bei Ihnen vielleicht etwas zu kurz gekommen – keine uneingeschränkte Kündigungspflicht begründet wird. Ziel ist ausschließlich eine Verpflichtung der Regierung zur Ausübung bestehender Kündigungsrechte. Eine Kündigungspflicht der Regierung entsteht dann, wenn damit entsprechende Kündi gungsrechte korrespondieren. Das kann auch ein Kündigungs recht sein – –
Das ist etwas schwierig. Ich kann verstehen, was für Sie schwer nachvollziehbar ist, Herr Mack. Ich kann es verstehen.
Ich schlage vor, ich trage das jetzt erst einmal im Zusammenhang vor. Falls doch noch Fragen offen bleiben, machen wir das dann am Schluss.
Diese von uns heran gezogenen Gutachter gehen davon aus, dass im Falle einer Volksabstimmung aus dem Demokratieprinzip ein Kündi gungsrecht für das Land erwachsen kann. Aber – ich sage das bewusst – auch unerwartete technische Probleme können da zu führen, dass sich das Land vom Vertrag lösen kann – Stich wort „Wegfall der Geschäftsgrundlage“; Kollege Hermann hat dazu schon vorhin einiges gesagt.
Das alles sind gesetzliche Kündigungsrechte, die durch die vertraglichen Vereinbarungen, wie Sie es vorhin dargestellt haben, gerade nicht ausgeschlossen werden. Ich räume aller dings ein, dass zur Verfassungskonformität auch andere Auf fassungen vertreten werden. Wir haben uns damit auseinan dergesetzt und sind nach dem Ergebnis dieser Prüfungen über zeugt: Das Initiativrecht der Landesregierung ist nicht über schritten. Es bestehen im Übrigen keine Gründe, die Verfas sungsmäßigkeit des von uns vorgeschlagenen Gesetzes ernst lich in Zweifel zu ziehen.
Zur Wirksamkeit der Finanzierungsvereinbarung hat die Lan desregierung eine eindeutige Position eingenommen. Die recht liche Wirksamkeit wird nicht in Zweifel gezogen. Sie findet ihren Niederschlag auch im Koalitionsvertrag.
Es handelt sich im vorliegenden Fall auch nicht um ein ver fassungsrechtlich unzulässiges Einzelfall- oder Maßnahmen gesetz, weil die Verfassung lediglich Grundrechtseingriffe durch Einzelfallgesetz verbietet, wenn Grundrechte betroffen sind. Die sind hier nicht berührt. Wir haben in dieser Finan zierungsvereinbarung keine Grundrechtsträger. Die Zulässig keit von Einzelfallgesetzen für Großprojekte ist in der Recht sprechung anerkannt. Beispiele sind das Landesmessegesetz und das Ethylen-Rohrleitungsgesetz, das diesen Landtag vor nicht allzu langer Zeit beschäftigt hat. Insbesondere kommen
Ich möchte nun auf den Vorwurf eingehen, wir würden mit dieser Gesetzesvorlage missbräuchlich handeln. Missbrauch war das Schlagwort, das mir in den Gesprächen zu den ver fassungsrechtlichen Fragen des Gesetzentwurfs am häufigs ten begegnet ist – interessanterweise weniger in Gesprächen mit Verfassungsrechtlern als vielmehr eher in Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit Journalisten und erst vor wenigen Tagen in einer Presseerklärung des Fraktionsvorsit zenden der CDU, von Ihnen, Herr Hauk: Die Landesregierung missbrauche mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ihr Recht, Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen, denn – so lautet der Vorwurf – es gehe gar nicht um das Gesetz an sich, son dern um eine Volksabstimmung über Stuttgart 21, die sich auf anderem Weg nicht erreichen lasse.