Herr Rülke, meine Damen und Herren, dass sich ausgewiese ne Verfassungsrechtler mit dem Missbrauchsvorwurf weitge hend zurückhalten, hat natürlich einen triftigen Grund: Der Vorwurf geht ins Leere.
Der Entwurf des Kündigungsgesetzes – das ist bekannt – wur de im Kabinett mit Stimmenmehrheit beschlossen. Ich bin si cher: Diejenigen, die für diesen Entwurf gestimmt hätten, wä ren froh, wenn das Gesetz bereits hier im Parlament eine Mehrheit fände.
Die Mehrheit in der Regierung will dieses Gesetz. Der Minis terpräsident hat über diese Mehrheit und darüber, wie die Ent scheidung zustande gekommen ist, sowie über das Abstim mungsergebnis auch öffentlich informiert. Er hat in einer Pres sekonferenz klipp und klar gesagt, wie im Kabinett abge stimmt wurde. Mehr Transparenz geht nicht.
(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das heißt, Sie wollen keine Volksabstimmung?)
Warum es missbräuchlich sein soll, wenn die Landesregierung einen Gesetzentwurf in den Landtag einbringt, dem sie mehr heitlich und aus Überzeugung zugestimmt hat, erschließt sich mir nicht.
Natürlich wissen wir, dass die Chancen, im Landtag eine Mehrheit für dieses Gesetz zu finden, nicht besonders groß sind. Dies ist aber nicht deshalb so, weil irgendein Mitglied dieses Hauses aus taktischen Gründen gegen seine Überzeu gung stimmen würde oder stimmen müsste, sondern deshalb, weil die Mehrheit – anders als die Mehrheit in der Landesre gierung – das vorgeschlagene Gesetz aller Voraussicht nach nicht will. Jeder stimmt hier so ab, wie es seiner Überzeugung entspricht.
Wenn ich die Debatte richtig gewertet habe, dann werden die Fraktionen der SPD, der CDU und der FDP/DVP den Gesetz
Meine Damen und Herren, sollte es tatsächlich so kommen – damit ist zu rechnen –, dann haben wir genau die Situation, die der Verfassungsgeber als Basis für eine Volksabstimmung im Blick hatte. Die Landesregierung will – nochmals: aus Überzeugung – ein Gesetz, das die Mehrheit im Landtag – ebenfalls aus Überzeugung – ablehnt. Da wird also nichts missbraucht, sondern vielmehr eine von der Verfassung aus drücklich vorgesehene Möglichkeit im Sinne der Verfassung genutzt.
Vielleicht fragt sich jetzt mancher: Wenn alles so klar ist, wo her kommt dann diese Missbrauchsdebatte, die Sie auch jetzt wieder angeheizt haben? Da kann ich Ihnen nur sagen: Sie kommt aus der vorangegangenen Legislaturperiode. Denn die damalige Landesregierung war bekanntlich gegen einen Aus stieg.
Hätte sie unseren heutigen Gesetzentwurf gegen ihre Über zeugung vorgelegt, dann wäre der Vorwurf des Missbrauchs möglicherweise gerechtfertigt gewesen. Aber heute, meine Damen und Herren, ist das nach dieser Landtagswahl Gott sei Dank anders.
Im Verlauf der vergangenen Wochen und auch in der heutigen Debatte ist von verschiedenen Seiten die Kostenfrage ange sprochen worden. Der Gesetzentwurf schweige sich zu den Kosten aus, ist auch hier vorgetragen worden. Dann müssten Sie bei Gelegenheit, wenn Sie Zeit haben, Herr Rülke, viel leicht doch einmal die Begründung im Einzelnen lesen, etwa Seite 10 der Landtagsdrucksache, wo zu den Kosten Stellung genommen wird.
Aber, meine Damen und Herren, eines müssen wir auch im Blick haben: Die Frage nach der Höhe etwaiger Erstattungs forderungen gegen das Land kann Ihnen heute niemand ver lässlich beantworten. Dies erklärt sich daraus, dass sich bis heute erst einer der Vertragspartner des Landes, nämlich die Deutsche Bahn, zur angenommenen Höhe der ihr drohenden Ausstiegskosten geäußert hat. Hierüber wird im Gesetzent wurf berichtet und dazu Stellung genommen. Kollege Her mann hat dies bereits ausgeführt. Die Bahn geht von rund 1,5 Milliarden € aus. Schon darüber allerdings, was an der ge nannten Zahl wirklich dran ist, besteht keine Klarheit mehr. Die Beurteilungen der drei eingeschalteten Wirtschaftsprü fungsgesellschaften liegen hier weit auseinander.
(Abg. Tanja Gönner CDU: Zwischen 1 und 1,5 Mil liarden €! – Abg. Peter Hauk CDU: Die niedrigste bei 1 Milliarde €!)
Dabei geht es nur um die Einschätzung der Ausstiegskosten der Deutschen Bahn. Damit ist noch kein Wort zu der Frage gesagt, von wem diese Kosten dann zu tragen sind und wie sie sich der Höhe nach auf die Vertragspartner verteilen. Das
hängt letztlich auch von den Rechtsgrundlagen ab, auf die dann eine mögliche Kündigung im Einzelnen gestützt wird. Hierzu hat sich aber bisher keiner der Vertragspartner des Lan des geäußert. Das ist auch nachvollziehbar, da es gar nicht so leicht ist, hierfür eine tragfähige Rechtsgrundlage zu finden, weil dies wiederum von dem in Anspruch genommenen Kün digungsrecht abhängt.
Herr Minister Sti ckelberger, Sie haben vorhin gesagt, aus der Annahme dieses Gesetzes ergebe sich für die Landesregierung keine Kündi gungspflicht, sondern nur ein Kündigungsrecht. Heißt das, dass es beispielsweise auch sein kann, dass dieses Gesetz von der Bevölkerung angenommen wird und die Landesregierung trotzdem nicht kündigt?
Der Gesetzeswortlaut enthält eine eindeutige Regelung dazu. Darauf verweise ich. Das kann man im Gesetz nachlesen. Dann wird man das wei tere Verfahren durchführen.
Wenn Sie einen Vertrag haben, in dem das Kündigungsrecht ausdrücklich ausgeschlossen ist – ein solcher liegt hier vor –, dann können Sie aus dem Vertrag nur noch aussteigen, wenn Sie sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Wenn Sie sich darauf berufen, dann haben Sie aber das Prob lem, dass in dem Vertrag für den Fall, auf den Sie sich jetzt berufen, eine Regelung existiert, nämlich eine Sprechklausel im Fall von Kostensteigerungen. Wie kann es sein, dass Sie sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen, wenn der Fall, den Sie dem zugrunde legen, im Vertrag selbst gere gelt ist? Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage: Wenn Sie sich auf den Wegfall der Ge schäftsgrundlage berufen, gibt es keine Schadensersatzpflicht. Vertreten Sie, weil Sie sich auf den Wegfall der Geschäfts grundlage berufen, die These, dass das Land nicht schadens ersatzpflichtig ist?
Herr Kollege Müller, ich weiß: Wenn Sie eine einfache Frage ankündigen, enthält das ein hohes Drohpotenzial.
Es gibt – das habe ich bereits vorhin ausgeführt – außerver tragliche Kündigungsgründe. Wenn in einem Vertrag Kündi gungsgründe nicht enthalten sind, bedeutet das rechtlich noch lange nicht, dass nicht andere außervertragliche Kündigungs rechte zum Zuge kommen können. Das ist ganz klar.
Was die einzelnen Kündigungsgründe angeht, werde ich nach her speziell zum Thema Demokratieprinzip etwas sagen. Ich bin sicher, dann sehen Sie bei dieser Frage klarer.
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wir bedan ken uns für die präzisen Antworten! – Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU: Es ist wirklich schwierig! – Glo cke des Präsidenten)
Derzeit, meine Damen und Herren, ginge damit jede Schät zung zu den dem Land drohenden Kosten letztlich ins Blaue. Ich denke nicht, dass man der Landesregierung zum Vorwurf machen kann, sich auf eine solche wacklige Schätzung einzu lassen. Die einigermaßen belastbaren Zahlen wird der auf merksame Leser im Übrigen schon in der Gesetzesbegrün dung erfahren. Man muss die Gesetzesbegründung halt auch gründlich lesen.