Protokoll der Sitzung vom 16.09.2011

(Abg. Peter Hauk CDU: So viel zum Thema Trans parenz! – Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Lassen Sie mich jetzt noch auf einen Gesichtspunkt eingehen, der in der verfassungsrechtlichen Diskussion auch eine Rolle gespielt hat, auch wenn es darum nicht heute, sondern zu ei nem späteren Zeitpunkt geht. Es hieß, es dürfe letztlich keine Volksabstimmung stattfinden, weil wir es mit einem Haus haltsgesetz zu tun haben.

Ich möchte mich auf Artikel 60 Abs. 6 der Landesverfassung beziehen. Er regelt ausdrücklich, dass das Staatshaushaltsge setz von einem Volksentscheid ausgenommen ist. Im Übrigen werden in der Bestimmung pauschal noch Abgaben- und Be soldungsgesetze genannt. Aus dieser Systematik ergibt sich, dass Haushaltsgesetze oder Gesetze mit allgemeinem Haus haltsbezug nicht gemeint sein können. Denn sonst wäre die

Erwähnung von Abgaben- und Besoldungsgesetzen überflüs sig, weil sie immer ein haushaltswirksames Element beinhal ten. Im Übrigen hat Baden-Württemberg im Ländervergleich – wir haben das einmal mit anderen Landesverfassungen ver glichen – mit Artikel 60 Abs. 6 der Landesverfassung die engste Fassung für die Ausschlussklausel, weil eben dezidiert vom Staatshaushaltsgesetz die Rede ist.

Sollte man auf die bloße Haushaltswirksamkeit einer Ent scheidung abstellen, wäre wohl kaum Raum für eine Volks abstimmung; zumindest bestünde insoweit eine komplette Rechtsunsicherheit. Ich glaube nicht, dass die Väter und Müt ter unserer Landesverfassung dies im Auge gehabt haben.

Wir sehen uns auch durch die Rechtsprechung des Sächsi schen Verfassungsgerichtshofs zu diesem Thema bestätigt. Der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat sich dazu noch nicht geäußert.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch auf einen weiteren Punkt eingehen – er ist schon ange klungen –, dem für das heutige Gesetzgebungsverfahren be sondere Bedeutung zukommt, nämlich das Demokratieprin zip. Demokratie setzt eine freie Auseinandersetzung zwischen sozialen Kräften, Interessen und Ideen voraus. In dieser Aus einandersetzung klären sich politische Ziele. Sie bestimmen die öffentliche Meinungsbildung. Dazu gehört auch, dass die Entscheidungsverfahren der Hoheitsträger und die jeweils ver folgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und vertretbar sind. So lautet die Rechtsprechung des Bundesver fassungsgerichts.

Die Entscheidungsverfahren um das Bahnprojekt Stuttgart 21 haben sich über Jahre erstreckt. Sie waren komplex und schwer zu überschauen. Zahlreiche vielschichtige Fragen waren zu klären. Einige dieser Fragen – auch das ist heute schon ange klungen – sind derzeit noch offen.

Die Öffentlichkeit war je nach Entscheidungssituation einge bunden. Dennoch erlebten wir bei Beginn der Bauarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof eine große Protestbewegung. Viele Menschen in unserem Land fühlten sich bei der Entscheidung für Stuttgart 21 übergangen, ja nicht einmal hinreichend in formiert. Die konkreten Inhalte und politischen Zielvorstel lungen des Projekts waren bis dahin vielleicht nicht hinrei chend allgemein sichtbar und verstehbar geworden, so, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert.

Aber hier hat sich, meine ich, seit dem vergangenen Herbst vieles verändert. Die Diskussion über Stuttgart 21 hat dazu beigetragen, wieder den Blick für gelebte Demokratie zu öff nen. Dazu zählt, dass man nicht nur die gesetzlich vorge schriebenen Einsichts- und Stellungnahmerechte gewährt, sondern dass man aktiv auf die Bürgerinnen und Bürger zu geht, dass man sie nach ihrer Meinung fragt und ihnen früh zeitig Informationen anbietet, und zwar in einer Form, die wahrgenommen und verstanden wird.

(Abg. Winfried Mack CDU: Was ist mit der Bürger initiative „Pro Stuttgart 21“?)

In diesem Zusammenhang bedaure ich nochmals ausdrück lich, dass Sie einer Änderung der Verfassung zur Senkung des Quorums für Volksentscheide nicht zugestimmt haben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Karl Klein CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, je wichtiger eine Entschei dung für das Land ist, desto näher wird es liegen, dass auf of fene und breite Diskussion angelegte Gesetzgebungsverfah ren in Gang gesetzt werden. Es geht um ein transparentes Ver fahren, das allen politischen Kräften die Möglichkeit eröffnet, ihre Haltung zur Diskussion zu stellen. Ganz entscheidend ist dabei auch die Begleitung durch die Medien, so, wie wir das jetzt auch in Bezug auf das Projekt Stuttgart 21 erlebt haben.

Mit dem Entwurf eines Kündigungsgesetzes zu Stuttgart 21 setzt die Landesregierung bewusst und gezielt auf das Demo kratieprinzip. Die Landesregierung legt dem Gesetzgeber ei nen Vorgang zur Entscheidung vor, über den sie möglicher weise auch selbst entscheiden könnte. Diese Landesregierung wählt diesen Weg nicht, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.

(Zurufe von der CDU: Doch! – Abg. Tanja Gönner CDU: Um das Koalitionsproblem zu lösen!)

Das tut sie gerade nicht. Sie sorgt für eine Entscheidung, die aufgrund ihrer breiten demokratischen Fundierung ein hohes Maß an Akzeptanz erwarten lässt.

(Zurufe von der CDU)

Denn ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten zum Pro jekt Stuttgart 21 an sich ist es ein zentrales Anliegen dieser Regierungskoalition, die Auseinandersetzung um das Projekt zu befrieden und eine Lösung zu finden, die als Ergebnis ei nes demokratischen Verfahrens von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden kann.

(Abg. Tanja Gönner CDU: Das merkt man bei jedem Auftritt des Kollegen Hermann!)

Die vorangegangene lebhafte Debatte zeigt mir, dass unser Ansatz richtig ist. Sie zeigt auch, dass wir ein Thema beraten, das nicht unbedingt zu den Alltagsgeschäften eines Parlaments gezählt werden kann. Nutzen wir also die besondere Chance der heutigen Debatte, um für das Land die passende Lösung zu finden. Nutzen wir die Chance, einen die Bürgerinnen und Bürger überzeugenden Beitrag zu einem neuen demokrati schen Selbstverständnis in Baden-Württemberg zu leisten.

(Glocke des Präsidenten)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Herr Minister Stickelberger, es gibt noch eine Nachfrage des Herrn Kollegen Müller. – Bitte, Herr Abgeordneter.

Herr Minister, ich probiere es noch einmal mit zwei weiteren Fragen, nachdem meine ersten Fra gen keine Antwort gefunden haben.

Stimmen Sie mit mir in Folgendem überein? Wenn man sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft, dann ergibt sich daraus zunächst einmal kein Kündigungsrecht,

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: So ist es!)

sondern eine Anpassungsverpflichtung, die darin besteht, dass sich die beiden Vertragspartner zusammenzusetzen haben. Erste Frage.

Zweite Frage: Sie haben in einer sehr nebulösen Weise davon gesprochen, dass es ein Kündigungsrecht aufgrund des De mokratieprinzips geben könnte.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Das haben wir noch nie gehört!)

Schließen Sie daraus, dass sich der Staat – weil er ja ein de mokratischer Staat ist – grundsätzlich nicht an Verträge zu hal ten hat?

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Herr Minister, ich muss Ihnen eines sagen: Mir tun die Beam ten im Justizministerium leid, die sich blöder stellen müssen als Jurastudenten im zweiten Semester.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der CDU: Bravo! – So ist es! – Zuruf von den Grünen: Das ist ungeheuerlich!)

Ich kann mich auf mei ne Beamten im Justizministerium – Gleiches gilt natürlich auch für die Beamtinnen – in hervorragender Weise verlassen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das hat man gemerkt!)

Sie haben sich sehr intensiv mit allen verfassungsrechtlichen Fragen befasst. Wenn Sie von der Opposition nur einen Bruch teil dieser Mühe aufgewendet hätten – nur einen Bruchteil des sen! –, dann könnten Sie nicht solche Aussagen machen, wie Sie sie heute hier zum Besten gegeben haben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Andre as Schwarz GRÜNE: Ja! So ist es! – Abg. Ulrich Müller CDU: Sagen Sie noch etwas zu meiner Fra ge? – Abg. Peter Hauk CDU: Sie haben vier Monate gebraucht! Fünf Monate! Wir hatten drei Tage Zeit!)

Herr Hauk, ich weiß nicht, warum Sie eine solche Eile an den Tag legen. Ich kann Ihre Eile ja verstehen. Sie möchten jetzt halt unbedingt auf der politischen Bühne mitspielen,

(Abg. Peter Hauk CDU: Sie haben den Entwurf erst vor drei Tagen vorgelegt, Herr Stickelberger! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie sollen antworten!)

und wenn Sie sich allzu sehr verweigern, dann findet diese Debatte ohne Sie statt. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Herr Kollege Müller, Sie verengen die rechtliche Betrachtung von Kündigungsgründen auf das Thema „Wegfall der Ge schäftsgrundlage“.

(Abg. Peter Schneider CDU: Nein! Das tun Sie doch! – Abg. Peter Hauk CDU: Das haben Sie doch gesagt!)

Ich habe es schon mehrfach gesagt: Die Arten von Kündi gungsgründen sind vielfältig. Das habe ich bereits am Anfang meiner Ausführungen erwähnt.

(Zurufe von der CDU)

Die Landesregierung wird die Kündigungsgründe sicher noch im Einzelnen genau prüfen

(Lachen des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

und hier dann entsprechend tätig werden.

Was das Demokratieprinzip angeht, Herr Kollege Müller: Wir haben zu diesem Thema namhafte Professoren befragt, und sie haben Gutachten erstellt. Die Gutachten, auf die Sie sich berufen, haben Sie zu Ihrer Regierungszeit eingeholt. Diese sind völlig überholt. Sie sind nicht auf dem Stand der Diskus sion.