Protokoll der Sitzung vom 16.04.2015

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen sowie des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Etwas Probleme gibt es mit dem Modell des Bundesfinanz ministers.

(Zuruf: Aha!)

Dieses Modell enthält sicherlich einige mit unseren Vorstel lungen übereinstimmende Punkte, aber in ein paar Punkten weicht es eben ganz ordentlich davon ab, und zwar bei den personenbezogenen Freigrenzen von 20 Millionen € mit einer Bedürfnisprüfung auf Basis der individuellen Vermögensver hältnisse. Es ist auch eine komplizierte Unternehmensbewer tung vorgesehen. Bei den kleinen Betrieben müssen auch komplizierte Bewertungen vorgelegt werden, die den Steuer beratern viel Geld bringen. Wir meinen, das verfehlt den Schutzzweck, ist bürokratisch und schafft neue Ungerechtig keiten.

Einen Dissens in der Landesverwaltung kann ich nicht erken nen. Ich erkenne einen Dissens eher zwischen dem, was die CDU heute Morgen gesagt hat, und dem, was der Bundesfi nanzminister auf den Tisch gelegt hat. Da ist der Dissens. In der Landesverwaltung gibt es aber keinen Dissens.

Anscheinend sehen das auch die Betroffenen so. Der Präsi dent des Baden-Württembergischen Industrie- und Handels kammertags, Peter Kulitz, formuliert das so:

Finanzminister Nils Schmid... habe „sofort Schulter schluss mit den Familienunternehmen im Land gezeigt“,... Ministerpräsident Kretschmann bringe die Grünen der zeit als Wirtschaftspartei in Position.

Dies ist eine ganz eindeutige Aussage.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr deut lich! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Also!)

Die Zuständigkeit für die Reparatur des Erbschaftsteuergeset zes liegt aber beim Bund. Es liegt nun an Bundesfinanzminis ter Schäuble, sich für sein Land Baden-Württemberg einzu setzen und dessen gute Vorschläge – die Vorschläge liegen vor – ins Gesetz zu schreiben. Demnächst gibt es Verhandlungen dazu. Bei diesen Verhandlungen werden der Finanzminister und das Land Baden-Württemberg insgesamt eine wichtige Rolle spielen. Wir von der SPD-Fraktion wünschen unserem Minister und auch dem Ministerpräsidenten bei diesen wich tigen Verhandlungen viel Erfolg.

(Abg. Peter Hauk CDU: Was sagt denn die Koaliti on?)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister für Finanzen und Wirtschaft Dr. Schmid das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Für diese Landesregierung steht ein gemeinsames Ziel im Vordergrund:

(Abg. Andreas Deuschle CDU: „Gemeinsam“!)

Wir wollen Chancen schaffen, und zwar für alle. Wir wollen, dass es sich bei uns gut arbeiten lässt. Dies gilt sowohl für die Beschäftigten als auch für die Unternehmen. Wir wollen, dass möglichst viele Menschen einen Job haben. Wir wollen, dass sie für ihre Arbeit anständig bezahlt werden. Wir wollen vor allem, dass ihre Arbeitsplätze bei uns sicher sind. Dafür sor gen die baden-württembergischen Unternehmen mit ihrem weltweiten Erfolg. Dafür sorgen hervorragend ausgebildete Beschäftigte in unserem Land, die Tag für Tag Spitzenleistun

gen erbringen. Aber auch wir sind in der Pflicht, alles dafür zu tun, dass das so bleibt.

Das gilt auch für die Debatte über die Erbschaftsteuer. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundespolitik aufgefordert, bei der Erbschaftsteuer nachzubessern. Damit ist auch nur Nachbessern gemeint. Kollege Schäuble hat von „minimalin vasiven Eingriffen“ gesprochen. Damit sind die Verscho nungsregelungen und deren konkrete Ausgestaltung gemeint.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch eines sehr klar gesagt: Das Ziel des Arbeitsplatzerhalts rechtfertigt die beste henden Verschonungsregelungen. Das Problem in der Debat te ist, dass der Vorschlag des Kollegen Schäuble weder ein Nachbessern ist noch dem Arbeitsplatzerhalt dient, meine Da men und Herren. Der Vorschlag geht an den Bedürfnissen der baden-württembergischen Wirtschaft vorbei.

Baden-Württemberg ist das Land des Mittelstands. BadenWürttemberg ist das Land der Familienunternehmen. Hier gibt es regional verwurzelte Betriebe, die über Generationen hin weg für Wachstum und Wohlstand, für Beschäftigung in un serem Land gesorgt haben, weil sie eben nicht in Quartalen, sondern in Generationen denken. Das ist die Stärke von Ba den-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Problem ist – das zeigen die letzten Wochen ganz deut lich –: Bei denen, die seit Generationen Verantwortung für Ar beitsplätze im Land übernommen haben, kommt nur eine Bot schaft an: Schäubles Vorschlag ist ein Anschlag auf das Er folgsmodell in Baden-Württemberg.

(Zurufe von der CDU)

Er trifft sie ins Mark. Er macht den Generationenwechsel zur Sollbruchstelle von Familienunternehmen. Er öffnet Investo ren Tür und Tor,

(Zuruf von der SPD: Betroffenheit in den Gesich tern!)

statt diejenigen zu unterstützen, die Wachstum und Beschäf tigung sichern. Mir und der Landesregierung geht es in die ser Debatte darum, dass Familienunternehmen Familienun ternehmen bleiben und nicht Heuschrecken zum Fraß vorge worfen werden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der FDP/DVP)

Es geht mir bei dieser Frage nicht um die Jachten, die Villen, die Luxusautos, die in den Garagen stehen. Es geht mir nicht um die hohen privaten Vermögen, die Unternehmer und Pri vatpersonen haben. Es geht mir nicht um die Gemälde, um den Schmuck. Nein, es geht mir nur um das Betriebsvermö gen, nur und ausschließlich um das Vermögen, das dem Er halt von Arbeitsplätzen – und zwar von Zehntausenden Ar beitsplätzen – in Deutschland und in Baden-Württemberg dient. Diese gilt es ohne Wenn und Aber zu schützen. Das wol len wir, die Landesregierung von Baden-Württemberg, vor anbringen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das einhellig positive Echo aus der Wirtschaft, gerade auch aus der baden-württembergischen Wirtschaft, zeigt: Wir, die Landesregierung, sind auf dem richtigen Weg.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Was heißt hier „Landesregierung“?)

Unser Reformvorschlag beinhaltet eine vernünftige Lösung im Sinne des Karlsruher Urteils. Er sichert Tausende Arbeits plätze. Er verhindert, dass die baden-württembergischen Fa milienunternehmen das Nachsehen haben. Er sorgt dafür, dass es sich auch bei uns in Baden-Württemberg weiterhin gut schaffen lässt – für Beschäftigte und für Unternehmen. Denn genau diese bewährte Sozialpartnerschaft, dieses Miteinander in den Betrieben macht die Stärke Baden-Württembergs aus. Das sorgt in den großen und in den kleinen Betrieben dafür, dass die Menschen und ihre Familien ein sicheres Einkom men haben können.

Es ist schon eine besondere Ironie, dass ausgerechnet die FDP/ DVP diese Debatte beantragt und sich zum Vorkämpfer für ei ne bestimmte Ausgestaltung der Verschonungsregelungen macht.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Jetzt hast du einen Unterstützer! Sei doch froh! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Sie wären froh, wenn der Ministerpräsident Sie so unterstützen würde!)

Sie haben einen Nachteil, lieber Kollege Rülke: Sie sind nicht mehr im Bundestag vertreten. Deshalb ist die Position der FDP in der Erbschaftsteuerdebatte bislang untergegangen. Die Position der FDP ist nämlich die folgende: Sie wollen gar keine Verschonungsregelung für Betriebsvermögen. Sie wol len alle Vermögen gleich besteuern. Sie wollen einen Einfach steuersatz für die Erbschaftsteuer und wollen damit das, was wir in Baden-Württemberg besonders brauchen, nämlich ei ne Verschonung, die an den Erhalt von Arbeitsplätzen ge knüpft ist, abschaffen. Damit schaden Sie dem Wirtschafts standort Baden-Württemberg. Deshalb ist der Vorschlag der FDP falsch.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Deshalb ist in dieser Debatte auch jegliche Polemik vonsei ten der FDP völlig falsch. Wir können gern die Details der Ausgestaltung

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

ausgehend vom Verfassungsgerichtsurteil und der Bestätigung der Verschonungsregelungen diskutieren. Man kann auch da rüber diskutieren, wo genau wir die Grenze ansetzen, welche Mechanik dahintersteckt, wenn man beim Unternehmenswert ansetzt, wenn man beim Erwerber ansetzt.

Meine Positionierung, die Positionierung für die weiteren Ver handlungen ist klar. Wir, die Landesregierung, wollen sehr substanziell und mit viel Sachverstand an diese Diskussion herangehen. Deshalb haben wir in die laufenden Verhandlun gen der Finanzminister von Bund und Ländern, die Anfang Mai fortgesetzt werden, konkrete Vorschläge eingebracht. Deshalb werden der Herr Ministerpräsident und ich ein Ex pertengespräch durchführen,

(Lachen des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Zwei!)

natürlich auch unter Beteiligung von Herrn Hennerkes, um auch mit den direkt Betroffenen zu reden.

Wir können gern mit Ihnen heute auch über Ihre Vorschläge diskutieren. Es würde mich interessieren, was genau Sie sich vorstellen. Die offizielle FDP-Position lautet: Abschaffung der Verschonungsregelungen. Das hielte ich für interessant.

Eines ist für die weitere Diskussion aber auch klar – diese Ehr lichkeit müssen wir gerade auch gegenüber der Wirtschaft im Land aufbringen –: Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt, dass die Verschonungsregelungen zu weit gehen. Das heißt im Umkehrschluss: Die neuen Erbschaftsteuerregelun gen werden weniger Verschonung für den Einzelfall vorsehen und werden auch dazu führen, dass ein Unternehmen im Ein zelfall mehr Erbschaftsteuer zahlen muss. Das ist eine klare Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Die Vorga ben werden stringenter und strenger. Das gehört zur Ehrlich keit auch dazu.

Interessant ist, dass die Unternehmensvertreter – ich hatte vie le Gespräche mit Unternehmensvertretern – dies wissen. Des halb gibt es begrüßenswerterweise auch eine Reihe von sehr realistischen Vorschlägen aus dem Bereich der Wirtschafts verbände, die wir in die laufenden Verhandlungen einspeisen.

Sie wissen ganz genau, dass für die gesellschaftliche Akzep tanz der Erbschaftsteuerreform auch die klare Orientierung am Arbeitsplatzerhalt und natürlich auch das Aufgreifen der Debatten über die Gerechtigkeit der Besteuerung allgemein in Deutschland dazugehören.

Deshalb war es richtig, dass diese Landesregierung das unge rechte Steuerabkommen mit der Schweiz verhindert hat, das Sie bis zum Schluss mit Zähnen und Klauen verteidigt haben. Deshalb ist es auch richtig, dass wir darüber diskutieren, nach der Einrichtung des automatischen Informationsaustauschs zwischen europäischen Ländern die Abgeltungsteuer auslau fen zu lassen und dann wieder eine individuelle Besteuerung auch von Kapitalerträgen vorzunehmen. Auch all dies gehört zur Akzeptanz von Verschonungsregelungen zugunsten von Arbeitsplätzen. Denn eine gerechte Steuerpolitik ist eine Vo raussetzung für gelingendes Miteinander in unserer Gesell schaft.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Seien Sie also unbesorgt. Diese Landesregierung verfolgt ein klares gemeinsames Ziel; wir sind uns einig. Ich mag einen gespaltenen Zahn haben und werde deshalb heute das Plenum etwas früher verlassen müssen; aber in der Sache, bei der Erb schaftsteuer, ist bei der Landesregierung hohe Einigkeit fest zustellen. Wir kämpfen für die Absicherung von Arbeitsplät zen. Wir kämpfen für den Standort Baden-Württemberg. Da für arbeiten wir gemeinsam – auch in der Bundespolitik. Des halb ist es gut, dass Kretschmann und ich, Grün und Rot in Baden-Württemberg an einem Strang ziehen – zugunsten der Unternehmen hier im Land.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wenn man schon Aktuelle Debatten mit plakativen Fragen be antragt, ist doch eher die Frage: Was nun, liebe CDU? Wie halten Sie es denn mit den Vorschlägen von Herrn Schäuble bei der Erbschaftsteuer?

(Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)