Protokoll der Sitzung vom 28.09.2011

Meine Damen und Herren, es reicht nicht aus, sich in der Wirt schaftskraft unserer Unternehmen zu sonnen.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wer macht denn das gerade?)

Diese stellen wir überhaupt nicht in Abrede. Wir wissen um die Leistungsfähigkeit der Unternehmen und Betriebe sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Baden-Württem berg.

Wir wissen aber auch – davor verschließen wir nicht die Au gen –, dass sich die Langzeitarbeitslosigkeit trotz der guten Konjunktur verfestigt. Über 70 000 Menschen im Land sind davon betroffen. 60 % der Arbeitslosen erhalten mittlerweile nur eine Grundsicherung. Auch dieser Anteil verfestigt sich.

Wir verschließen auch nicht die Augen davor, dass in BadenWürttemberg über 25 000 junge Menschen unter 25 Jahren Arbeit suchen. Im letzten Schuljahr haben sich etwa 12 000 Schülerinnen und Schüler im Berufsvorbereitungsjahr oder im Berufseinstiegsjahr befunden, weil sie keinen Ausbildungs vertrag in der Tasche hatten. 7 000 junge Menschen wurden in den berufsvorbereitenden Maßnahmen der Arbeitsverwal tung qualifiziert.

Der Werdegang von 40 % der Schüler eines Hauptschuljahr gangs mündet nicht direkt in eine Ausbildung. Fast 20 % – das ist jeder Fünfte – werden überhaupt nie eine Ausbildung machen. Das sind junge Menschen, die eine bessere Perspek tive brauchen, junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz und eine berufliche Zukunft verdient haben. Das ist für uns

Sozialdemokraten Grund genug, dem Thema Arbeit deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es die vorherige Lan desregierung in den letzten zehn Jahren getan hat.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, meine Damen und Herren, dass die Menschen in diesem Land, die arbeiten gehen, auch eine gute und eine si chere Arbeit haben. Deswegen werden wir Unternehmen und Beschäftigte mit einem Tariftreuegesetz schützen. Damit stär ken wir die Wettbewerbschancen der Unternehmen, die an ständige Tariflöhne zahlen. Die Zeit für ein Tariftreuegesetz ist überfällig. Die neuen Mehrheitsverhältnisse in diesem Par lament ermöglichen dies endlich.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Wir wollen auch, dass die vielen Menschen, die in prekären Arbeitsverhältnissen verhaftet sind, eine menschenwürdige Arbeit erhalten. Deshalb wollen wir die Leiharbeit zurück drängen und sie auf die Situationen begrenzen, für die sie ge dacht war, nämlich das Abfangen von Auftragsspitzen. Es darf nicht sein, dass mit Leiharbeit breit angelegtes Lohndumping betrieben wird.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Es darf nicht sein, dass 45 000 Menschen in Baden-Württem berg einer versicherungspflichtigen Arbeit nachkommen und trotzdem ergänzend auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Das belastet die Sozialkassen und ist der fleißig arbeitenden Frauen und Männer in unserem Land unwürdig.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb setzen wir uns für den gesetzlichen Mindestlohn ein. Auch bei diesem Thema haben wir mittlerweile einen Verbün deten in der CDU, zumindest in Berlin. Wir sind gespannt, wie lange Sie hier im Land brauchen, bis Sie die Notwendig keit des Mindestlohns begreifen und in Ihrer Partei dieses The ma zumindest denkreif machen. Oder wollen Sie sich auch hier, wie in der Bildungspolitik, in die Selbstisolation manö vrieren?

Meine Damen und Herren, beim Thema „Gute Arbeit“ ist für uns wichtig, dass wir den Menschen, die trotz guter Arbeits marktlage keine Arbeit haben, deutlich bessere Integrations chancen verschaffen. Wir wollen jedem Schulabgänger eine Ausbildung ermöglichen. Deshalb setzen wir uns im „Bünd nis für Ausbildung“ bei der Wirtschaft dafür ein, dass ausrei chend Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, auch um den zukünftigen Fachkräftebedarf zu sichern.

Für Jugendliche, deren Weg – aus welchen Gründen auch im mer – nicht in eine reguläre betriebliche Ausbildung mündet, müssen wir verstärkt eine geförderte Ausbildung anbieten. Da gibt es erprobte und erfolgreiche Modelle, z. B. in der assis tierten Ausbildung für Bildungsschwache mit Förderunter richt, für Zugewanderte mit Sprachförderung und Elternar beit, für junge Mütter in Teilzeit, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie herstellen zu können. Um diese Modelle in die Fläche zu bringen, ist jeder Euro, den wir in die Aus bildung junger Menschen stecken, richtig investiert und er spart uns in der Folge hohe Sozialausgaben.

Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, gilt es, die Integra tion von Langzeitarbeitslosen und arbeitsmarktfernen Perso nengruppen deutlich zu verbessern. Das ist die Zielgruppe, die die Bundesregierung in ihrer Arbeitsmarktpolitik völlig abgeschrieben hat.

Am letzten Freitag hat der Bundestag mit den Stimmen von Schwarz-Gelb gegen heftigen Widerstand der SPD und zahl reicher Arbeitsmarktpartner das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt verabschiedet. Schon der Titel dieses Gesetzes ist ein Hohn. Diese sogenannte Ins trumentenreform überwindet nicht die Spaltung am Arbeits markt, sondern gießt lediglich das Spardiktat des Bundesfi nanzministers in Gesetzesform. Arbeitsmarktferne Menschen werden weiter ausgegrenzt, und zahlreiche soziale Beschäfti gungsbetriebe sind – auch bei uns im Land – in ihrer Existenz gefährdet.

Deshalb machen wir uns dafür stark, dass trotz der massiven Kürzungen im Bund – immerhin 1,3 Milliarden € werden in Baden-Württemberg bis ins Jahr 2015 in der aktiven Arbeits marktpolitik fehlen – die restlichen Mittel zielgerichtet für die Arbeitsmarktintegration eingesetzt werden. Wichtig ist uns, die öffentlich geförderte Beschäftigung zu entwickeln und endlich einen sozialen Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg zu realisieren.

Meine Damen und Herren, es wäre doch logisch, dass Finanz mittel, die bisher als passive Leistungen ausbezahlt werden, aktiviert werden und als Zuschuss für sozialversicherungs pflichtige Arbeit in einen sozialen Arbeitsmarkt fließen.

(Beifall der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE – Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Frenetischer Beifall!)

Dazu brauchen wir die Arbeitsverwaltung als Partner, und des halb ist insbesondere auch der Bundesgesetzgeber gefragt. Bis in Berlin allerdings etwas Bewegung ins Spiel kommt, könn te Baden-Württemberg als Modellstandort entwickelt werden, an dem die Regionaldirektion gemeinsam mit der Landesre gierung diesen Passiv-Aktiv-Transfer erprobt. Es ist allemal besser, Arbeit anstatt Arbeitslosigkeit mit öffentlichen Mitteln zu fördern.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Um die genannten Vorhaben und weitere arbeitsmarktpoliti sche Notwendigkeiten voranzubringen, haben wir uns mit den Grünen im Koalitionsvertrag auf ein Landesarbeitsmarktpro gramm verständigt.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Das Land hatte bisher kaum eigene Gestaltungsmöglichkei ten in der Arbeitsmarktpolitik. Der alten Landesregierung war dies offensichtlich auch nicht wichtig. Deshalb wollen wir, wie andere Bundesländer auch, mit eigenen Mitteln landes spezifische Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration auf den Weg bringen. Unser Ziel lautet: Gute Arbeit in Baden-Würt temberg für alle, für die Qualifizierten und Leistungsfähigen, aber auch für beeinträchtigte und benachteiligte Menschen.

Bei den Zukunftsaufgaben der dringend erforderlichen Fach kräftesicherung und -entwicklung und einer gelingenden Ar beitsmarktintegration treffen sich beim Thema „Gute Arbeit“

die Wirtschaftspolitik und die Sozialpolitik – zwei Seiten ei ner Medaille, der wir zu deutlich mehr Glanz verhelfen wol len.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der CDU spricht nun Herr Kollege Klein. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPDFraktion bringt in der heutigen Aktuellen Debatte ein Thema in das Plenum ein, das für die CDU-Fraktion schon immer von großer Wichtigkeit war, das ich als Selbstverständlichkeit einer aktiven Politik des Landes ansehe und das auch der Po litik der von der CDU geführten Landesregierung in den letz ten Jahren entspricht.

(Beifall bei der CDU)

Gute Arbeit für möglichst viele auf der Basis von zwischen den Tarifpartnern vereinbarten Tarifen und Löhnen, ein ge rechter und zumindest zum Lebensunterhalt ausreichender Lohn und vor allem eine gute und qualifizierte Ausbildung für die jungen Menschen in unserem Land waren unsere Devise, und das haben wir meiner Ansicht nach auch erreicht.

Allerdings – hier besteht ein Unterschied – haben wir nicht nach dem Motto „Der Staat kann und weiß alles besser“ ge handelt, sondern wir haben die verfassungsrechtlich gewähr te Tarifautonomie gestärkt, wir haben sie respektiert, und wir haben sie, wo dies notwendig war, auch entsprechend geför dert.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wir vertrauen unserem Handwerk, wir vertrauen unserem Mit telstand, und wir vertrauen unseren Dienstleistern. Wir stellen diese Branchen nicht unter den Generalverdacht des Lohndum pings, was Sie eventuell mit dem von Ihnen geplanten Tarif treuegesetz beabsichtigen. Wir setzen auch weiterhin auf Ge spräche und Vereinbarungen mit den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern.

Wir haben in den letzten Jahren – das möchte ich unterstrei chen – ein weltweit anerkanntes Bildungs- und Berufsausbil dungssystem geschaffen und dieses den Bedürfnissen einer sich immer schneller verändernden Arbeitswelt angepasst.

(Beifall bei der CDU)

Dabei haben wir nachhaltige und durch Zahlen belegbare Er folge erzielt, an denen wir dann auch die grün-rote Landesre gierung messen werden. Wir werden ein sehr waches Auge darauf haben, wohin Grün-Rot dieses Land hier führen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Baden-Württem berg findet gute Arbeit auf der Grundlage eines tariflichen Lohnes statt. Mit 4,1 % haben wir die zweitniedrigste Arbeits losenquote aller Bundesländer hinter Bayern; die SPD-geführ ten Bundesländer folgen mit einem respektablen Abstand. Mit einem ausgezeichneten Wert von 2,4 % haben wir die nied

rigste Jugendarbeitslosenquote in Deutschland und europa weit.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Niemand hier in diesem Saal kann behaupten, dass wir in un serem Land nennenswerte Korruptionsprobleme hätten. Wir bekämpfen Dumpinglöhne und unsauberen Wettbewerb auf der Grundlage der bereits vorhandenen Gesetze. Dabei sind wir, meine ich, auch erfolgreich.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Auf der Basis des bereits vorhandenen sehr hohen Beschäfti gungsniveaus findet ein weiterer Beschäftigungsaufbau in Ba den-Württemberg statt.

Baden-Württemberg ist das Flächenland mit dem höchsten verfügbaren Einkommen je Einwohner. Deshalb haben die Baden-Württemberger auch das geringste Armutsrisiko. Fest zustellen ist, dass die Bruttolöhne derzeit Gott sei Dank wie der kräftig ansteigen. Das heißt, der Aufschwung kommt auch bei den Bürgern in Baden-Württemberg an.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Gerade in der Krise haben doch die Arbeitgeber und die Ar beitnehmer in ganz herausragender Weise zusammengearbei tet und unser aller Vertrauen gerechtfertigt. Das war, wie ich meine, eine Sternstunde der Mitbestimmung, das war auch ei ne Sternstunde unserer sozialen Marktwirtschaft.

(Vereinzelt Beifall)