Protokoll der Sitzung vom 10.06.2015

Dennoch habe ich manchmal den Eindruck, dass die gesam te Diskussion etwas zu kurz greift. Ich würde mir wünschen, dass wir in eine breitere Diskussion gehen, nämlich eine Dis kussion über die Situation der Ehe und der Familie insgesamt. Wir sehen, dass wir inzwischen auch in Baden-Württemberg an einem Tiefpunkt bei der Zahl der geschlossenen Ehen an gekommen sind: unter 50 000 Eheschließungen jährlich und inzwischen eine Scheidungsrate von über 40 %. Das zeigt schon, dass wir eine breitere Grundlage für diese Thematik brauchen. Was die Verpartnerung gleichgeschlechtlicher Paa re betrifft, so liegt der Anteil derer, die die Verpartnerung ein gehen, bundesweit bei nur wenigen Prozent. Das gehört, den ke ich, in dieser Diskussion mit dazu.

Es wurde in den letzten Jahren bereits viel erreicht, auch un ter der Union/FDP-geführten Bundesregierung 2009 bis 2013. Der Kollege Schmiedel hat an den § 175 erinnert. Wir haben dazu hier im letzten Jahr eine Debatte gehabt und einen ge meinsamen Beschluss gefasst. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld wurde gegründet, um sich u. a. mit der historischen Aufarbeitung der Verfolgung von Homosexuellen zu beschäf tigen. Beispielsweise bei der Erbschaftsteuer, der Grunder werbsteuer, beim BAföG, beim Beamten-, Soldaten- und Richterrecht sind Gleichstellungen vollzogen worden. Wenn man das vergleicht mit der Zeit von Rot-Grün von 1998 bis 2005, dann erkennt man, denke ich, dass dort seit dieser Zeit Erhebliches passiert ist und weitere Schritte in Richtung ei ner vollständigen Gleichstellung erfolgt sind.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir dürfen davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsge richt weitere Entscheidungen zur Ehe und auch zur Adoption treffen wird, die dann auch, denke ich, eine breite politische Basis finden können.

Ich glaube aber, für uns, für die Gesellschaft sollte das Ziel sein, den Respekt und die Anerkennung der Betroffenen als Anspruch ernst zu nehmen. Für viele Schwule und Lesben steht vielleicht gar nicht so sehr das Eingehen der Ehe – das ist mehr das Symbol – im Vordergrund, sondern sie wollen Respekt und Anerkennung im täglichen Leben. Das sollte uns auch gemeinsam antreiben. Ich möchte auch darauf hinwei sen: Es gibt nach wie vor viele Ängste und auch Vorurteile. Auch diese sollten wir ernst nehmen. Es ist eben kein Auto matismus, dass, wenn man jetzt die Ehe für alle beschließt, damit auch alle Herausforderungen gemeistert sind.

Die Diskussion – da komme ich auch auf den Kirchentag zu rück, aber unter einem anderen Aspekt – zum Aktionsplan zur sexuellen Vielfalt und auch die Diskussion zum Bildungsplan haben jetzt durch den Kultusminister gerade beim Kirchentag noch einmal neuen Zündstoff bekommen. Dies hat noch ein mal gezeigt, dass diese Sorgen und diese Thematik deutlich sensibler zu behandeln sind. Das Thema des Bildungsplans im Bereich der sexuellen Vielfalt wurde beim Kirchentag vom Kultusminister angesprochen, und dies hat auch gleich wie der Sorgen hervorgerufen.

Deswegen sollten wir aus der Akzeptanz sexueller Vielfalt ei ne Akzeptanz von Vielfalt machen. Wir brauchen ein Vielfalts management, zu dem neben dem Thema „Sexuelle Orientie rung“ auch die Themen Geschlecht, „Ethnische Herkunft“, Nationalität, Alter, Behinderung sowie Religion und Weltan schauung dazugehören. Da ist es gut, dass es die Freien De mokraten gibt, denn wir haben dazu gestern den Antrag „Viel falt in Baden-Württemberg als Chance“ eingereicht, der ge nau diese Thematik in ihrer ganzen Breite aufgreift,

(Zuruf des Abg. Manfred Lucha GRÜNE)

um Respekt und Anerkennung für die Vielfalt in unserem Land voranzubringen, die eben weit mehr als das Thema „Se xuelle Orientierung“ umfasst.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Klaus Bur ger CDU)

Für die Landesregierung erteile ich das Wort Frau Ministerin Altpeter.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Niemand darf wegen seiner geschlecht lichen Orientierung diffamiert werden, und niemand darf auf grund von persönlichen Eigenschaften und Überzeugungen benachteiligt werden. So steht es in unserer Verfassung, die nach der abscheulichsten Epoche der deutschen Geschichte und beindruckt von dieser niedergeschrieben wurde.

Es hat aber lange gedauert, bis der Geist dieser Verfassung in die Herzen der Menschen eingezogen ist. Lange gab es noch den § 175 im Strafgesetzbuch, und noch viel länger als dieser § 175 hielten sich Vorbehalte in einigen Kreisen der Bevölke rung und halten sich auch heute noch.

Dennoch bekennen sich heute Politiker aller Couleur zu ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Klaus Wowereit ging

mutig voran. Ole von Beust war der erste prominente Vertre ter der CDU. Selbst Guido Westerwelle hat inzwischen sei nen Partner geheiratet.

Aber die volle Gleichberechtigung, die volle Anerkennung in der Gesellschaft ist deshalb noch lange nicht erreicht. Denn immer noch gibt es haufenweise Vorurteile, abzulesen etwa an den Auseinandersetzungen der heutigen Debatte zur Ehe für alle. Allein der Begriff „Homoehe“ macht deutlich, wie diskriminierend heute vielfach noch gedacht wird.

Dabei sind wir aber – so meine ich – auf einem guten Weg, auf dem zu gehen ich die CDU hier im Land gern einladen würde.

Lieber Herr Wolf, es hilft uns nicht weiter, wenn Sie von ei ner „schrillen Kommunikation“ reden. Eine schrille Kommu nikation ist nicht durch die Regierung und die Regierungs fraktionen entstanden, sondern eine schrille Kommunikation ist im Land zum Teil dort entstanden, wo zu einer scheinba ren „Demo für alle“ aufgerufen wurde, an der sich – mit Ver laub – auch Ihre Leute beteiligt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit wir 2011 die Re gierungsgeschäfte übernommen haben, haben wir uns für die Rechte von LSBTTIQ-Menschen eingesetzt. Ich möchte hier nicht die ganzen Maßnahmen aufzählen. Wir haben aber bei all unserem Handeln eine klare Richtschnur. Diese Richt schnur heißt Akzeptanz und gleiche Rechte.

Überträgt man das auf gleichgeschlechtliche Lebensgemein schaften, heißt das gleiche Pflichten und gleiche Rechte auch für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Demgemäß werden wir uns dafür einsetzen, dass eingetragene Lebenspart nerschaften künftig in vollem Umfang mit der Ehe gleichge stellt werden. Ich denke, dass uns da kein Zacken aus der Kro ne bricht, wenn wir etwas herstellen, was in unserem Land ei gentlich schon längst gesellschaftliche Realität ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Gleichgeschlechtlichen Paaren ist bis heute die Ehe verwehrt, was zweifellos eine konkrete und auch eine symbolische Dis kriminierung von Menschen darstellt, die eine andere sexuel le Identität haben. Die eingetragene Lebenspartnerschaft hat zwar viel gebracht, sie war gesellschaftlich und auch recht lich ein Erfolg, aber letztlich – ich denke, das können wir ge rade auch nach den Diskussionen der letzten Wochen sagen – ist sie doch nur ein Übergangskonstrukt.

Deshalb haben wir in der vergangenen Woche die Wiederein bringung des Gesetzentwurfs zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts gemeinsam mit anderen Ländern im Bundesrat beantragt. Denn angesichts des gesellschaftlichen Wandels und der damit verbundenen Änderung des Eheverständnisses gibt es keine haltbaren Grün de, gleichgeschlechtliche und nicht gleichgeschlechtliche Paa re unterschiedlich zu behandeln.

Es gibt auch in der Bevölkerung eine klare Mehrheit dafür, die Diskriminierung von Menschen, die nicht heterosexuell sind, zu beenden. Bereits im Jahr 2013 ergab eine forsa-Um frage, dass drei von vier Bürgerinnen und Bürgern die völli

ge Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der tra ditionellen Ehe begrüßen würden.

Wenn wir heute von Familien reden, dann ist es, denke ich, wichtig, dass sich Familienpolitik von der Ideologie frei ma chen muss, dass die Institution der traditionellen Ehe allein durch rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften bedroht wür de.

Wenn wir heute über Familien reden in einem Familienver ständnis, das bedeutet, dass Menschen auch unterschiedlicher Generationen, unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts Verantwortung füreinander übernehmen, dann muss uns das aufgrund der in der Verfassung verbrieften Rechte auch ein ganz wichtiges Konstrukt sein, insbesondere dann, wenn wir das Kindeswohl im Auge haben. Denn ich bin mir sicher, das Kindeswohl hängt nicht davon ab, welchen Geschlechts die Person ist, die dieses Kind erzieht, sondern das Kindeswohl hängt ausschließlich davon ab, unter welchen Rahmenbedin gungen und mit welcher Liebe ein Kind aufwachsen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Aktions plan „Für Akzeptanz & gleiche Rechte“ wird die Landesre gierung die Gleichstellung von LSBTTIQ-Menschen weiter voranbringen. Wir wollen mit dem Aktionsplan deutlich ma chen, wo es noch Diskriminierungen gibt, und Menschen ei ne Stimme geben, damit Diskriminierung sichtbar wird, da mit ein Begriff wie die sogenannte „Homoehe“ eben nicht das Normale ist, sondern klar wird, dass wir uns auch in unserer Sprache und in unseren Maßnahmen der gesellschaftlichen Realität anpassen. Denn das Ziel muss sein, die bestehenden strukturellen Benachteiligungen gezielt abzubauen.

Deshalb wollen wir durch kontinuierliche Aufklärung dazu beitragen, dass Vorbehalte abgebaut werden. Denn die Gleich stellung des einen bedeutet noch lange keine Bedrohung der Rechte des anderen. Das gilt es deutlich zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Natürlich haben auch mich Schreiben von besorgten Eltern erreicht, die einen Werteverfall der Familie und unserer Ge sellschaft befürchten. Für mich ist das eine Aufforderung, die se Menschen mitzunehmen, deutlich zu machen, dass wir al le davon profitieren, wenn Diskriminierung in einer Gesell schaft nicht stillschweigend akzeptiert wird. Denn wenn wir von Familien reden, dann geht es darum, Familien überall dort zu unterstützen und zu stärken, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wurden in den Debatten ja schon einige Male Aussagen zitiert, die im Rah men des Kirchentags gemacht wurden. Für mich war eine Aussage sehr einprägsam – dies auch und nicht zuletzt mit Blick auf unser politisches Handeln –, nämlich die Aussage des EKD-Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm, der gesagt hat: Es ist doch eigentlich ein gesellschaftlicher Fortschritt, dass die Ehe nicht länger nur der ökonomischen Absicherung einer Partnerin oder eines Partners dient, sondern dass Men schen sehr bewusst füreinander einstehen, dass sie bereit sind, Verantwortung füreinander zu übernehmen, und bereit sind, dies auch zu besiegeln.

Ich finde, wenn uns das gelingt und wenn wir dazu die Ehe für alle auf den Weg bringen können, dann hat unsere Gesell schaft als Ganzes bestimmt gewonnen und hat einen weiteren großen Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung und zu mehr gegenseitigem Verständnis gemacht.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort in der zweiten Runde erteile ich für die Fraktion GRÜNE der Kollegin Sitzmann.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Eingangs sind ein sachlicher Tonfall und Respekt gelobt worden. Sie, Herr Wolf, haben aber auch von überzogener Polemik und schriller Konfrontation gespro chen. Dies hat in dieser Debatte hier im Haus nicht stattge funden, und das ist auch nicht der Tonfall oder der Tenor, mit dem Grüne und SPD oder diese Landesregierung argumentie ren und das Thema „Ehe für alle“ auf den Weg bringen wol len.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Sie haben von der eingetragenen Lebenspartnerschaft gespro chen. Die hat die damalige rot-grüne Bundesregierung 2001 auf den Weg gebracht und beschlossen. Das war ein richtiger und wichtiger Schritt, aber es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen. Es sind zwar, wie Sie gesagt haben, einige Veränderungen seit der Einführung der eingetragenen Le benspartnerschaften vorgenommen worden – auch zu Zeiten der CDU-geführten Bundesregierung –, allerdings immer nur auf Druck des Bundesverfassungsgerichts.

Herr Kollege Haußmann, auch das, was Sie aufgezählt haben – die Veränderungen, der Abbau von Diskriminierung und von Ungleichbehandlung – hat immer aufgrund von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts stattgefunden und leider nicht auf grund des politischen Willens von CDU oder FDP, meine Da men und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es wäre gut, wenn die nächste Veränderung, die ansteht, näm lich die Ehe für alle mit Adoptionsrecht, diesmal aufgrund von politischem Willen stattfindet und sich die Bundespolitik nicht erst durch vom Gericht erzwungene Entscheidungen bewegt. Deshalb unterstützen wir die grün-rote Landesregierung bei ihren Anträgen, die nächsten Freitag im Bundesrat eingebracht werden und dort hoffentlich auch eine Mehrheit finden, mei ne Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es hat sich einiges bewegt – richtig –, aber in aller Regel auf Druck des Bundesverfassungsgerichts. Und das, was in Ber lin vorgesehen ist, ist deutlich zu wenig, meine Damen und Herren.

Es ist eindeutig zu wenig, was die Bundesregierung an wei terem Abbau von Diskriminierung vorsieht. Deshalb die Fra ge an Sie, Herr Wolf: Sie haben gesagt, dass Sie selbstver ständlich gegen jede Art von Diskriminierung sind. Das ist gut und richtig; davon gehen wir aus. Aber wenn Sie diese Posi

tion vertreten, ist doch Handeln und Entscheiden angesagt. Handeln und Entscheiden, das vermissen wir bei Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir haben nicht gehört, welche Position Sie als Fraktionsvor sitzender vertreten oder welche Position die CDU-Landtags fraktion vertritt. Das können Sie gleich darstellen. Aber wenn man sich dafür einsetzt, Diskriminierung zu beenden, ist der erste und beste Schritt, dass der Staat es tut, dass der Staat gleiche Rechte und Pflichten für alle schafft und damit ein Zei chen dafür setzt, dass es keine Ungleichheit und keine Diskri minierung gibt. Das wäre die logische Konsequenz aus Ihren Ausführungen, und wir erwarten, dass Sie dazu Stellung be ziehen, Herr Wolf.