Bringen Sie damit zum Ausdruck, dass Sie mit der derzeitigen Konstellation und Arbeit dieser Außenklassen nicht zufrieden sind?
Wäre es dann nicht zielführender, die Außenklassen so zu be lassen, wie sie jetzt kooperativ und zum Wohle der Kinder ar beiten, als jetzt von einer Weiterentwicklung Richtung Inklu sion zu sprechen? Ist es nicht das, was die Kinder im Moment brauchen, wie es im Moment praktiziert wird?
Ich habe ja gesagt: „Zwi schenschritt“. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das ist das Erste, was die grundsätzliche Organisationsform an geht.
Der Zweite ist: Es ist tatsächlich so, dass sich in einzelnen Fäl len und in zunehmender Zahl von Fällen die Außenklassen in klusiv weiterentwickeln, also langsam übergehen.
Es ist aber natürlich schwierig – das werden Sie mir zugeste hen –, dass diese Kinder per Definition weiterhin nicht die Kinder der Schule sind, an der sie unterrichtet werden, son dern von einer anderen Schule sind, von der sie geschickt wor den sind. Das ist eben noch keine Inklusion, sondern das ist ein Schritt dahin. Deswegen möchten wir da eine Weiterent wicklung haben.
Für die Schnittstelle zur Eingliederungs- und Jugendhilfe, für die nicht schulbezogene Assistenz, gibt es eine Verständigung
mit den kommunalen Landesverbänden. Das Land leistet hier für hohe Ausgleichszahlungen. Der Minister hat darüber ge sprochen.
Die aktive Rolle der Schulämter wird es Eltern künftig erleich tern, ihre Ansprüche geltend zu machen und durchzusetzen.
Für uns ist das ein erster Schritt hin zu einer Ideallösung, bei der alle Leistungen aus einer Hand, nämlich in Bezug auf die Schule bei der Schulverwaltung, gewährt werden. Modell- und Pilotversuche werden dafür ausdrücklich ermöglicht.
Auch für die Lehrerinnen und Lehrer erweitern wir die Wahl möglichkeiten. Sonderpädagoginnen und -pädagogen, die in klusiv an einer allgemeinbildenden Schule unterrichten, kön nen entscheiden, ob sie primär an diese Schule angebunden sein wollen oder an ihr bisheriges sonderpädagogisches Bil dungs- und Beratungszentrum. Zugleich erhalten allgemein bildende Schulen das Recht, Sonderpädagoginnen und -päd agogen direkt bei sich anzustellen.
Die Ausstattung inklusiver Angebote mit Lehrkräften wird künftig ohne bürokratische Umwegschleifen direkt durch die Schulverwaltung erfolgen. Dafür stellen wir in einem ersten Schritt für das kommende Schuljahr den Schulämtern zusätz lich 200 Stellen zur Verfügung, mit denen inklusive – z. B. gruppenbezogene – Lösungen gestaltet werden können. Selbstverständlich werden wir dazu die freigemeinnützigen Privatschulen partnerschaftlich ins Boot holen.
Die Befürchtungen, die von dieser Seite kommen – Frau Kol legin Stolz hat es zitiert –, werden und müssen durch unter gesetzliche Regelungen ausgeräumt werden. Das ist natürlich der Wille des Gesetzgebers und somit auch meiner Fraktion.
Langfristig – das zeigen internationale Erfahrungen – ist ein inklusives Schulsystem nicht zwingend erheblich teurer. Es entstehen Ressourcengewinne, wenn Doppelstrukturen abge baut werden und eine regionale Schulentwicklung auch für die Sonderschul- und Förderschulstandorte umgesetzt wird. Doch für den Übergang – auch das wurde nie bestritten – be nötigen wir zusätzliche Stellen.
Die weitere Ausstattung wird nicht zentralistisch gedeckelt – wie Sie es suggeriert haben –, sondern entsprechend der regi onalen Bedarfsentwicklung angepasst. Denn Inklusion ist für die Fraktion GRÜNE im Landtag kein Sparmodell. Unsere Kriterien sind Qualität, Verlässlichkeit, Transparenz, sogar ei ne Ressourcengarantie, die bei den Schülerinnen und Schü lern tatsächlich ankommt.
Parallel zur Schulgesetzänderung bringen wir eine inklusions bezogene Lehrerinnen- und Lehrerausbildung mit den Inhal ten „Individuelle Förderung“ und „Zieldifferenter Unterricht“ sowie gute Fortbildungsangebote für alle Regelschulpädago ginnen und -pädagogen auf den Weg. Die differenzierte Qua lität der Sonderpädagogik bleibt erhalten und wird künftig in klusiv ausgerichtet. Das heißt: Das, was Sie jetzt hier an zen tralistischen Fantasien hatten, beantworten wir dadurch, dass wir die Akteure vor Ort stärken, dass wir ihre Kompetenz stär ken und dass wir sie entsprechend unterstützen. Das „Ja, aber“, das Sie, Frau Stolz, hier an vielen Stellen formuliert ha ben, ist eigentlich ein Nein, und ich finde, es wäre an der Zeit,
dass Sie sich von Ihrer Problemtrance lösen, sich die Anhö rungsergebnisse anschauen und feststellen, dass Sie eigent lich im positiven Sinn Farbe bekennen können.
Wenn Sie die UN-Behindertenrechtskonvention ernst nehmen und wenn Sie, wie wir, eine fachlich stimmige, regional ab gestimmte, dezentrale und organische Entwicklung unter der Regie unserer Schulverwaltung ermöglichen wollen, dann ma chen wir Ihnen mit diesem Gesetzentwurf ein Angebot, dem Sie ohne Bedenken zustimmen können.
Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Kolleginnen und Kollegen! Dies ist nicht die erste Schulgesetzänderung, die diese Landesregierung vollzieht, und doch ist der heutige Tag ein ganz besonderer. Mit der heu te stattfindenden Einbringung des Gesetzentwurfs wird die Sonderschulpflicht in Baden-Württemberg schon bald der Ge schichte angehören. Mädchen und Jungen in unserem Bun desland werden die allgemeine Schule besuchen dürfen, auch wenn sie einen Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bil dungsangebot haben. Sie werden nicht mehr länger aussor tiert, wenn sie dies nicht wollen. Wenn sie oder ihre Eltern sich doch für die bisherige Form entscheiden und auch künf tig lieber die Sonderschule besuchen wollen, dann wird auch das möglich sein.
Die schulische Inklusion ist ein sehr wichtiger Bestandteil des Aktionsplans zur Inklusion; diesen hat unsere Sozialministe rin Katrin Altpeter bereits in der vergangenen Woche vorge stellt.
An dieser Stelle und gleich zu Beginn möchte ich all jenen danken, die mit ganzer Kraft und Überzeugung für dieses Ge setz gearbeitet haben – beinahe hätte ich gesagt: gekämpft ha ben –, zuvorderst unserem Kultusminister Andreas Stoch und dem SPD-Landesvorsitzenden und Finanz- und Wirtschafts minister Nils Schmid, der ehemaligen Stabsstelle im Kultus ministerium, namentlich Norbert Zeller und Daniel HagerMann. Norbert Zeller war Inklusion ein Leben lang ein Her zensanliegen, persönlich und beruflich. Ein Dank geht auch an Sönke Asmussen, Referatsleiter Sonderschulen, und an den Chefjuristen des Kultusministeriums, Felix Ebert. Ganz be sonders danke ich dem Behindertenbeauftragten des Landes, Gerd Weimer, der für den Inklusionsgedanken geradezu brennt. Danken möchte ich auch den Mitstreitern im Staatli chen Schulamt Tübingen und den Sonderschulen in meinem Umfeld für ihre konstruktive Begleitung in den vergangenen Jahren. Last, but not least danke ich schließlich unserem Ko alitionspartner für die zielführende Zusammenarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist ein Mei lenstein in der Schulgeschichte unseres Bundeslands, und es macht mich stolz, dass ich als Mitglied einer Regierungsfrak tion daran mitwirken durfte. Es ist ein Meilenstein, auch weil
damit mehr verbunden ist als die bloße Änderung des Schul gesetzes. Es ist ein Signal, das weit über den Bildungsbereich hinausgeht. Denn Inklusion ist eine Aufgabe für alle. Inklusi on bedeutet, Berührungsängste abzubauen, alte Denkschab lonen abzulegen, sich für Neues zu öffnen.
Das novellierte Schulgesetz ist nicht der Endpunkt einer äu ßerst komplexen und in Teilen kontroversen Debatte über die Herausforderungen und Ansprüche an ein inklusives Schul system. Es ist ein notwendiger erster rechtlicher Schritt, der nun mit Leben erfüllt werden will.
Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass wir erst am Anfang stehen würden. Nicht nur in den Modellregionen, sondern im ganzen Land kommen Schulleitungen und mit ih nen die Lehrerinnen und Lehrer schon seit Langem den Wün schen nach inklusiven Bildungsangeboten nach. Sie suchen pragmatische, unbürokratische Lösungen und sind gleichsam Pioniere der Inklusion.
Durch das heute eingebrachte Gesetz wird dieses Tun nun gleichsam legalisiert und bekommt einen verbindlichen Rah men, der einen größeren Handlungsspielraum ermöglicht.
Wie kontrovers die Debatte bisweilen geführt wurde, zeigen die Positionen an beiden Enden des Inklusionsgedankens. Da steht auf der einen Seite der Philologenverband, der eine ziel differente Beschulung am Gymnasium generell infrage stellt. Demgegenüber positioniert sich beispielsweise die Elternini tiative „Gemeinsam leben – Gemeinsam lernen“ mit ihrer Ma ximalforderung nach einer vollständigen Abschaffung des Sonderschulwesens. Doch wer mit Extremen hantiert, erweist dem Inklusionsgedanken einen Bärendienst. Niemals werden wir alle Kinder über einen Kamm scheren können.
Inklusion ist eine Aufgabe für alle Schularten. Wir möchten, dass sich alle Schulen von dieser gesellschaftspolitischen Fra ge angesprochen fühlen und nicht nur wenige Schwerpunkt schulen die alleinige Verantwortung übernehmen.
Ich kann es nachvollziehen, wenn für viele Schulen und Schulträger der Respekt vor dieser Aufgabe enorm ist. Den noch möchte ich sie alle ermutigen, sich mit Inklusion zu be schäftigen, vor allem die Schulleitungen sowie die Lehrerin nen und Lehrer.
Letztere sind jene, die den Inklusionsgedanken Tag für Tag umsetzen und leben. Ich verspreche ihnen: Wir lassen sie mit dieser großen Aufgabe nicht allein.
Ich bin sicher, dass durch die Reform der Lehrerbildung die Akzeptanz und das Selbstverständnis gegenüber diesem The ma wachsen werden. Die Erfahrungen an meiner eigenen Schule bestärken mich darin. Als vor einigen Jahren die ers ten Kinder mit Inklusionsbedarf bei uns anklopften, standen meine Kolleginnen und Kollegen dieser Aufgabe noch mit großem Respekt und eher skeptisch gegenüber. Gemeinsam mit der Förderschule und dem Staatlichen Schulamt haben wir dann aber nach Lösungen gesucht, wie Inklusion gelingen kann. An Assistenten und Sonderpädagogen im Unterricht mussten sich die Lehrerinnen und Lehrer erst gewöhnen. Sie stellten dann aber den Mehrwert für alle Kinder fest. Heute sind die Lehrerinnen und Lehrer – nicht nur an meiner Schu le, sondern an vielen Schulen – davon überzeugt, dass es nur diesen Schritt in die Zukunft, den Schritt in ein inklusives Schulwesen geben kann.
Die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf sind keine Last für die Klassen, sie sind eine Bereicherung.
(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der FDP/DVP und des Abg. Dr. Patrick Rapp CDU)
Spätestens seit dem von der letzten Landesregierung einge führten Schulversuch zur Inklusion wissen wir, dass es Inklu sion nicht zum Nulltarif geben kann. Insofern bin ich der CDU für den Schulversuch beinahe dankbar. Er hat unmissverständ lich vor Augen geführt, dass der Wunsch nach Inklusion mehr Personal und mittelfristig auch mehr Sach- und Investitions mittel erfordert.
Den Inklusionsgedanken, der seitens der CDU-geführten Lan desregierung vorherrschte, kann ich jedoch nur in Ansätzen nachvollziehen. Für uns ist es keine Frage, dass die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zum Klassenteiler zählen. Wir sehen auch die Notwendigkeit, zusätzliche Lehr kräfte einzustellen. Es wurde schon gesagt – wir haben es von Minister Stoch gehört –, dass wir in diesem Jahr bereits 200 Stellen schaffen und auch im nächsten Jahr und fortlaufend weitere Sonderpädagogen einstellen.
Ohne den Schulterschluss mit der kommunalen Seite kann In klusion jedoch nicht gelingen, kann ein Inklusionsgesetz nicht verabschiedet werden. Einmal mehr ist es unserem Kultusmi nister gelungen, hier eine gemeinsame Grundlage zu erarbei ten. Nach der regionalen Schulentwicklung und der Ganztags schule nun die Inklusion. Andreas Stoch hat dies mit den kom munalen Landesverbänden in nur wenigen Monaten geschafft – allerdings in harten Verhandlungen.
Bis zu 100 Millionen € stellt das Land den Kommunen für die kommenden Jahre zunächst als Ersatzleistung in Aussicht. Für den Fall, dass die Praxis zeigen sollte, dass diese Mittel nicht ausreichen, ist ein weiterer Zuschlag bereits vereinbart. Für den Schulbau gilt Konnexität. Für die übrigen Felder wie Schülerbeförderung oder Eingliederungshilfe gilt die Zusage des Landes, dass bei einer Abweichung um mehr als 10 % ge genüber den Ansätzen nachverhandelt werden kann.
An die Adresse der Schulträger sei gerichtet: Nicht an jeder Schule müssen bauliche Voraussetzungen für Inklusion ge schaffen werden. Begleitung und gegebenenfalls Assistenz werden wir den Schulen jedoch nach Bedarf an die Hand ge ben, damit Inklusion gelingen kann.
Noch kann niemand genau sagen, wie sich die Inklusion im Land entwickeln wird. Diese Entwicklung ist maßgeblich mit der Nachfrage seitens der Eltern nach inklusiven Schulange boten verknüpft. Im Schnitt zeigen die Modellregionen, dass die Nachfrage bei 28 % aller Kinder mit sonderpädagogi schem Förderbedarf gegeben ist. Die Zukunft wird zeigen, ob dieser Wert der Realität entspricht.
Angesichts dieser Unsicherheit ist es klug, die weitere Ent wicklung zu evaluieren und 2018, 2019 Bilanz über die erfor derlichen Nachbesserungen zu ziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend will ich Ihnen verraten, dass es ein CDU-Abgeordneter war, der mir mit zwei Sätzen aus der Seele sprach.
Hubert Hüppe, der ehemalige Beauftragte der Bundesregie rung für Menschen mit Behinderungen, stellte unmissver ständlich fest: