Hubert Hüppe, der ehemalige Beauftragte der Bundesregie rung für Menschen mit Behinderungen, stellte unmissver ständlich fest:
Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sich ein Herz fassen und in der zweiten Lesung mit uns für das Gesetz stimmen.
Die Welt bleibt nicht stehen; sie dreht sich weiter. All die Mäd chen und Jungen mit Behinderungen gehören in die Mitte die ser Gesellschaft, nicht an ihren Rand.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Herr Kultusminister, Sie machen es uns, der FDP/DVP-Fraktion, mit Ihrem Gesetzentwurf zur In klusion nicht leicht. Sonst tun wir uns ja mit Ihrer Bildungs politik häufig schwer, weil wir sie insgesamt für zu radikal, für zu überhastet und für zu ideologisch halten. Im heutigen Fall tun wir uns schwer mit Ihnen, weil wir das grundsätzli che Ziel der Inklusion zwar teilen, aber Ihren Gesetzentwurf für zu unzureichend halten.
Es ist deutlich zu spüren, dass der Gesetzentwurf mit heißer Nadel gestrickt wurde und viele Einzelheiten mit teilweise weitreichenden Konsequenzen nicht zu Ende gedacht wurden; andere wichtige Fragen wurden vollständig ausgeblendet.
Es war ein schwerer Fehler, Herr Kultusminister, dass Sie nicht an die Initiative Ihrer Vorgängerin Warminski-Leitheu ßer angeknüpft haben, das Thema Inklusion in einer interfrak tionellen Arbeitsgruppe zu bearbeiten. Die FDP/DVP-Frakti on hat Sie hierzu mehrfach aufgefordert. Aber Grüne und SPD wollten das lieber unter sich ausmachen.
Da Teile der Landesgrünen die Sonderschulen an sich am liebsten ganz abschaffen würden und man sich über die Fi nanzierung nicht einig werden konnte, verging viel Zeit, näm lich der Großteil dieser Legislaturperiode. Denn schon die CDU-FDP/DVP-Vorgängerregierung hatte die Abschaffung der Sonderschulpflicht ins Auge gefasst und fünf Modellregi onen zur Inklusion eingerichtet; da drohte Grün-Rot nun mit leeren Händen dazustehen. Da Sie aber sehr weitreichende Versprechungen im Wahlkampf gemacht und damit auch ho he Erwartungen geweckt hatten, musste nun auf Biegen und Brechen ein Gesetzentwurf her.
Der Gesetzentwurf ist mit dem Rücken zur Wand geschrieben und wird der großen gesellschaftlichen und bildungspoliti schen Aufgabe der Inklusion nicht gerecht. Das sieht im Üb rigen nicht nur die FDP so, sondern das zeigen auch die zahl reichen Stellungnahmen von Institutionen und Verbänden. Der Städtetag merkt beispielsweise an, dass der Gesetzentwurf – Zitat – „die Grundlage der Verhandlungen zwischen dem Land und den kommunalen Landesverbänden nicht widerspiegelt“,
und er knüpft seine Zustimmung zur Finanzierung der Inklu sion an ein – Zitat – „für die Städte und Gemeinden akzepta bles Inklusionsgesetz des Landes“.
Wenn nun schon die Städte, Gemeinden und Landkreise, al so die wichtigsten Partner des Landes, bei der Umsetzung der Inklusion mit der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs so unzu frieden sind, dann ist etwas schiefgelaufen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Grün-Rot.
Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aller Landtagsfraktionen und externen Experten hätte doch die Chance bedeutet, auf der Basis eines gemeinsamen Ziels alle wesentlichen Prob lembereiche eingehend zu beleuchten und Lösungen zu fin den. Das hätte auch der Auftakt für einen stabilen Schulfrie den werden können, wie ihn die FDP mit Nachdruck fordert, und vor allem hätte es den Betroffenen, den jungen Menschen mit Behinderungen und ihren Eltern, womöglich viel Unklar heit, Unsicherheit und politisches Gezerre erspart.
Woran mangelt es dem Gesetzentwurf? Es sind vor allem drei Aspekte, nämlich: Klarheit, Klarheit und nochmals Klarheit.
Die Unschärfe, die der Gesetzentwurf an den Tag legt, ist be sorgniserregend, und sie ist von großer Tragweite. Ich will Ih nen das an drei Punkten aufzeigen.
Unklar ist erstens die Zukunft der Sonderschulen. Zwar hat sich die Landesregierung dazu durchgerungen, die Sonder schulen weiterbestehen zu lassen. Das war ein wichtiges Er gebnis des ersten – und bisher leider einzigen – Schulfriedens gesprächs im vergangenen Dezember.
(Lachen bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das glauben Sie doch wohl selbst nicht! – Zuruf: Überheblichkeit!)
Die Bestandsgarantie für die Sonderschulen begrüßen wir Freien Demokraten ausdrücklich, denn ohne diese über Jahre gewachsene Expertise der Sonderschulen bei der Förderung von jungen Menschen mit Behinderungen ist für uns gelin gende Inklusion nicht vorstellbar, und mehr Wahlmöglichkei ten für die Eltern werden wir nur dann schaffen, wenn wir die Sonderschulen erhalten.
Zukünftig sollen die Sonderschulen „Sonderpädagogische Bil dungs- und Beratungszentren“ heißen. Dass die Sonderschu len zukünftig für die Beratung im Rahmen der Bildungswe gekonferenz zuständig sind, unterstützt die FDP/DVP aus drücklich; aber der Gemeindetag bemerkt zu Recht in seiner Stellungnahme – Zitat –:
Wir gehen... davon aus, dass mit der Änderung der Be zeichnung keine inhaltlichen Änderungen verbunden sein können. Die sonderpädagogischen Bildungs- und Bera tungszentren haben demnach auch statusrechtlich Schü ler, die dieser Schule zugeordnet sind. Wir müssen das in diesem Maße betonen, weil es unseres Erachtens in dem vorliegenden Gesetzesentwurf an Deutlichkeit fehlt.
Mit anderen Worten: Der Gesetzentwurf lässt es offen, ob die Sonderschulen nicht einfach ausbluten. Mehr noch: Da auch
die Verortung der Lehrkräfte an der Sonderschule oder an der Regelschule offengelassen ist, verstärkt sich die Gefahr des Ausblutens.
Wenn sie organisatorisch keine Schulen mehr sind, werden die SBBZ auch fachlich nicht mehr die sonderpädagogischen Kraftzentren sein können, die sie jetzt sind. Die FDP/DVPFraktion schlägt deshalb vor, die Sonderschulen bzw. SBBZ zu stärken, indem sie die Koordination und fachliche Betreu ung der Inklusion an den verschiedenen Standorten überneh men.
Unklarheiten bestehen zweitens hinsichtlich der Folgen des zukünftigen Elternwahlrechts. Es soll ja ein grundsätzliches Wahlrecht zwischen Sonderschule und allgemeiner Schule sein. Der Kultusminister betont, dass es keinen individuellen Anspruch auf Beschulung an einer bestimmten Schule geben wird. Wenn jedoch Eltern für die allgemeine Schule votieren und kein inklusives Angebot für den Förderschwerpunkt in erreichbarer Nähe besteht, bleibt möglicherweise nur eine Ein zelinklusion oder die Bildung gemischter Gruppen. Das stellt nicht nur die Schulen und Schulträger vor große organisato rische Probleme, sondern birgt auch das Risiko eines empfind lichen Qualitätsverlusts bei der Bildung und Förderung von Schülern mit Behinderungen. Diesen Qualitätsverlust gilt es im Interesse der Betroffenen wie auch des gesamten schuli schen Umfelds unter allen Umständen zu verhindern.
Die FDP/DVP-Fraktion tritt dafür ein, dass an den allgemei nen Schulen gruppenbezogene Angebote eingerichtet werden und die Eltern bei der Bildungswegekonferenz unter den be stehenden vorgeschlagenen Möglichkeiten an Sonderschulen wie allgemeinen Schulen auswählen können. So früh wie möglich Klarheit zu schaffen beugt Enttäuschungen vor.
Die FDP/DVP tritt dafür ein, dass eine Form der gruppenbe zogenen Angebote auch zukünftig die Außenklassen sein kön nen. Im Gesetzentwurf sind sie mittlerweile unter dem Stich wort „Kooperative Organisationsformen“ berücksichtigt.
Unklar ist schließlich vor allem die Finanzierung. Zwar liegt mit dem zweiten heute eingebrachten Gesetzentwurf ein Fi nanzierungsvorschlag für pauschale Pro-Kopf-Zuschüsse vor. Die FDP/DVP-Fraktion hat stets pauschalierte Zuwendungen im Sinne eines Budgets gefordert, deshalb begrüßen wir die hier eingeschlagene Richtung ausdrücklich. Es ist aber noch völlig offen, ob die Zuschüsse auch auskömmlich sind, wie der Städtetag zu Recht anmerkt, und es ist offen, ob es bei ei ner Inklusionsquote von 28 % der Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem sonderpädagogischen Förderbedarf bleibt oder ob nicht doch viel mehr Eltern als erwartet ein inklusi ves Angebot wählen. Dann entstünde ein deutlich höherer Fi nanzbedarf. Auch aus Gründen der finanziellen Mittel und ih res zielgerichteten Einsatzes sollte also das Konzept der grup penbezogenen Angebote verankert werden.
Auch bei der Bezuschussung der Schulen in freier Träger schaft konnte bisher offenbar keine zufriedenstellende Lösung gefunden werden. Die freien Schulen, die beispielsweise rund
30 % der Förderschulen stellen, rechnen nachvollziehbar vor, dass der gewährte Zuschlag von 5 % bei Inklusionsklassen nicht kostendeckend ist. Die FDP/DVP-Fraktion tritt hier für faire Bedingungen für staatliche wie für freie Schulen ein und fordert eine Überprüfung der Zuschussberechnung.
Insgesamt hoffen wir seitens der FDP/DVP-Fraktion, dass die zahlreichen Mahnungen zu mehr Klarheit im Gesetzentwurf dieses Mal bei Grün-Rot nicht ungehört verhallen. Ohne Än derungen an zentralen Punkten stellt der Gesetzentwurf aus unserer Sicht sonst keine Basis für eine gelingende Inklusion dar.
Ich schlage vor, die beiden Gesetzentwürfe Drucksachen 15/6963 und 15/6962 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport und den Gesetzentwurf Druck sache 15/6962 mitberatend an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft zu überweisen. – Dagegen erhebt sich kein Wi derspruch. Damit ist das so beschlossen.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungs bezügen in Baden-Württemberg 2015/2016 (BVAnpGBW 2015/2016) – Drucksache 15/6960
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 28. März 2015 haben sich die Tarifvertragsparteien für die Be schäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder auf eine An passung, eine Erhöhung der Tarifentgelte verständigt. Die Landesregierung stand damit vor der Aufgabe, einen Vor schlag zur Übertragung dieses Tarifergebnisses auf die Beam ten, Richter und Versorgungsempfänger des Landes zu ma chen. Dieser unser Vorschlag ist bekannt und wird jetzt mit diesem Gesetzentwurf umgesetzt.
Grundsätzlich gilt: Wir wollen eine inhaltsgleiche und sozial wie zeitlich gestaffelte Übertragung. Im Detail gestaltet sich die Staffelung folgendermaßen: Für die Besoldungsgruppen bis einschließlich A 9 und die Anwärter erfolgt die Anpassung ohne zeitliche Verzögerung zum 1. März 2015 bzw. zum 1. März 2016. Dies ist für uns auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Schließlich betreffen beispielsweise steigende Preise gerade diese Besoldungsgruppen relativ stark. Deshalb ist es gut, dass sie ohne Verzögerung in den Genuss der Erhö hung kommen.
Für die Besoldungsgruppen A 10 und A 11 erfolgt die Über tragung jeweils mit einer Verzögerung von lediglich vier Mo naten zum 1. Juli 2015 bzw. zum 1. Juli 2016. Für die übrigen
Besoldungsgruppen erfolgt die Anpassung jeweils noch im gleichen Kalenderjahr mit einer Verzögerung von acht Mona ten zum 1. November 2015 bzw. zum 1. November 2016.
Bei linearen Anpassungen der Besoldungs- und Versorgungs bezüge sind jeweils 0,2 Prozentpunkte der Erhöhung der Ver sorgungsrücklage zuzuführen, weshalb im Jahr 2015 eine An passung um 1,9 % und im Jahr 2016 eine Anpassung um 2,1 %, mindestens jedoch um 75 € monatlich abzüglich des darauf entfallenden Zuführungsbetrags zur Versorgungsrück lage, erfolgt. Die monatlichen Bezüge der Anwärterinnen und Anwärter erhöhen sich in den Jahren 2015 und 2016 jeweils um 30 €.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Vorschlag zur Über tragung des Tarifergebnisses hat in den letzten Wochen für Diskussionen gesorgt. Ich kann nachvollziehen, dass die Be amtinnen und Beamten selbstverständlich für eine inhaltsglei che Übertragung ohne zeitliche Verzögerungen sind. Zwei felsohne leisten die Beamtinnen und Beamten Tag für Tag her vorragende Arbeit, und dafür haben sie eine faire Besoldung verdient. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zu einem star ken Gemeinwesen, zur Stärke unseres Standorts. Deswegen haben sie ein Recht auf Teilhabe an der allgemeinen wirt schaftlichen Entwicklung. Das hat im Übrigen das Bundes verfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung immer wie der unterstrichen.
Auch deswegen wird es eine inhaltsgleiche Übertragung des Tarifergebnisses geben. Etwas anderes stand auch nicht wirk lich zur Debatte. Aber eines ist auch klar: Wir dürfen bei der Entscheidung über die Übertragung des Tarifergebnisses an dere wichtige Aspekte nicht außer Acht lassen.