Protokoll der Sitzung vom 16.07.2015

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Landesrichter- und -staatsan waltsgesetzes – Drucksache 15/7135

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Minister Rainer Stickelberger. – Bitte, Herr Minister.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf heute einen Gesetzentwurf ein bringen, der ein wichtiges Reformvorhaben dieser Regierung darstellt, nämlich die weitere Stärkung der Mitbestimmungs rechte der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwäl tinnen und Staatsanwälte in der baden-württembergischen Jus tiz – ein Vorhaben, das die Regierungsparteien bereits im Ko alitionsvertrag vereinbart haben.

Ein wichtiges Etappenziel haben wir allerdings schon im Jahr 2013 erreicht. Wir haben damals das Gesetz geändert und die Mitbestimmungsrechte der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in personellen An gelegenheiten im Rahmen der in Baden-Württemberg gelten den Präsidialverfassung schon deutlich ausgebaut. Wir haben damals ein Beteiligungsrecht insbesondere bei den Entschei dungen über Erprobungsabordnungen eingeführt – ein The ma, das in den letzten Jahren immer Streitpunkt war. Wir ha ben das geklärt. Ich bin dem Landtag dankbar, dass er damals dieses Vorhaben einhellig unterstützt hat.

Mit den damaligen Formen haben wir die Richterschaft in ih ren Mitwirkungsrechten durchaus gestärkt, und wir haben da mals für unsere Novellierung einen intensiven Dialog mit der Richterschaft und den Staatsanwälten geführt. Im Rahmen der Diskussion über die damalige Novellierung ist die Forderung erhoben worden, nicht nur im personellen Bereich die Mit wirkungsmöglichkeiten der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu stärken, sondern eine Stärkung auch für die allgemeinen und sozialen Angele genheiten vorzunehmen.

Bisher findet eine solche Beteiligung etwa in allgemeinen und sozialen Angelegenheiten nur auf der örtlichen Ebene eines Gerichts bzw. einer Staatsanwaltschaft statt, nicht aber auf der Ebene der Obergerichte oder der Generalstaatsanwaltschaft.

Das führt z. B. zu dem Ergebnis, dass wir im Hauptpersonal rat ein Gremium haben, das dem Justizministerium zugeord net ist und in allen wichtigen Angelegenheiten mitspricht, aber eine solche oberste Vertretung der Richter und Staatsanwälte in sozialen und allgemeinen Angelegenheiten nicht besteht.

Diesen Impuls, der damals aus der Diskussion entstanden ist, haben wir aufgegriffen und haben uns darangemacht, hier ein Gesetzesvorhaben zu initiieren. Das war gar nicht leicht. Sie können sich vorstellen: Es gab ein breites Spektrum von Mei nungen, von Vorstellungen, wie man eine solche Vertretung ausbaut. Da wir es mit Juristen zu tun haben, können Sie auch sicher sein, dass jedes Wort, jeder Paragraf und jeder Abschnitt entsprechend kontrovers diskutiert wurde und viele Vorschlä ge zusammengefasst werden mussten, damit sie in einen Ge setzentwurf einmünden.

Dabei haben wir natürlich unsere Präsidialverfassung unbe rührt gelassen. Die hat sich bewährt, und die wollen wir bei

behalten. Keines der anderen Bundesländer hat übrigens eine solche Präsidialverfassung; die haben nur wir. Jetzt ist die Fra ge: Wie regeln wir die Vertretung in den übrigen Bereichen?

Ich darf Ihnen unser Konzept dazu vorstellen. Es geht um die Einführung von Stufenvertretungen in der Vertretung der Jus tiz für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, um die allgemeinen und sozialen Angelegen heiten auf den einzelnen Stufen in unserer Justiz zu repräsen tieren.

Ich darf Ihnen das kurz skizzieren. Ein erster wesentlicher Be standteil ist, dass wir auf der Ebene der Obergerichte und der Generalstaatsanwaltschaften eine zusätzliche Mitbestim mungsebene einführen, die bisher nur unten, auf der Ebene der Gerichte, angesiedelt war. Das ist die sogenannte Bezirks ebene. Diese wird als klassische Stufenvertretung ausgestal tet. Wesentliches Element ist dabei u. a. die Errichtung von Einigungsstellen auf dieser Bezirksebene zur Konfliktlösung.

Wir wollen mit diesen Einigungsstellen Dissensfälle auf der Ebene lösen, auf der sie anfallen. Wir wollen, dass im Dis sensfall der Konflikt nicht in der eigenen Dienststelle ausge tragen wird, sondern dann die Bezirksvertretung zuständig ist, die bei Konfliktlösungsbedarf unmittelbar als Einigungsstel le eingeschaltet werden kann. Konflikte können deshalb de zentral gelöst werden.

Wir haben dann auch eine große Sachnähe zu den spezifischen Besonderheiten und Interessenlagen der jeweiligen Geschäfts bereiche – wir haben ja sehr unterschiedliche Gerichte; wir haben eine breite Gerichtslandschaft –, und Problemlösungen können dann gezielt gerichtsintern entwickelt werden und werden nicht durch die Mehrheiten anderer Geschäftsberei che verordnet. Die gerichtsbarkeitsspezifischen Konflikte blei ben also jeweils in der eigenen Gerichtsbarkeit.

Ferner werden wir – ich habe es vorhin schon angedeutet – auf der Ebene des Justizministeriums ein eigenständiges Be teiligungsorgan der Richter- und Staatsanwaltschaft, den so genannten Landesrichter- und -staatsanwaltsrat, schaffen. Die ses Gremium ist dann dafür da, in allen Angelegenheiten grundsätzlicher und justizweiter Bedeutung in unmittelbarem Kontakt auf Augenhöhe mit dem Justizministerium gemein sam Lösungen zu entwickeln.

Die Richterschaft und die Staatsanwälte werden damit bei al len großen Themen, die die Justiz bewegen, auf höchster Ebe ne einbezogen. Ich denke da etwa an die bei uns im Moment sehr stark in der Entwicklung befindliche elektronische Akte, die gerichtsweit im Rahmen des elektronischen Rechtsver kehrs eingeführt wird – ein Thema, das sich durch alle Ge richtsbarkeiten und durch die Staatsanwaltschaften zieht. Das wäre ein Thema, das dort dann adäquat erörtert werden kann, wie es analog der Hauptpersonalrat für seinen Bereich, für die dort vertretenen Laufbahnen, für die von ihm vertretenen Be amtinnen und Beamten und Angestellten schon durchführt.

Wir glauben, dass wir mit einem solchen Gremium alle Ge richtsbarkeiten adäquat abdecken. Es war einmal im Gespräch, für jede Gerichtsbarkeit ein solches Gremium auf höchster Ebene zu schaffen. Davon haben wir abgesehen, weil diese grundsätzlichen Fragen, um die es geht, wie etwa die Einfüh rung einer elektronischen Akte, gerichtsübergreifend für alle gelten. Wir, das Ministerium, wollen auch ein möglichst un

bürokratisches Verfahren. Wir sehen keine Sachnotwendig keit, dass da eine Zersplitterung erfolgt. Vielmehr wollen wir in der Richterschaft, bei den Staatsanwälten einen einheitli chen Ansprechpartner.

Meine Damen und Herren, wir haben ferner in diesem Gesetz ein unmittelbares Beteiligungsrecht zu allen Fragen, die die Justiz betreffen, niedergelegt. Wir werden dieses Recht im Ge setz als Beteiligungsrecht, als Anhörungsrecht im Sinne der Politik des Gehörtwerdens verankern. Wir haben bei unseren Gesetzesvorhaben in diesem Bereich gute Erfahrungen ge macht, wobei sich die Beschäftigten in einer Weise engagiert und eingeschaltet haben, wie wir es uns gar nicht hätten vor stellen können. Das wird jetzt gesetzlich verankert.

Wir werden noch zwei weitere Gesetzesänderungen einflie ßen lassen:

In diesem Jahr muss unsere Beurteilungsrichtlinie für Richter und Staatsanwälte neu in Kraft gesetzt werden. Da gibt uns die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung nunmehr vor, wie das zu erfolgen hat. Deswegen werden wir einen einheitlichen Stichtag für die Regelbeurteilungen vorsehen.

Als Zweites werden wir – auch das im Sinne einer Steigerung der Attraktivität des Berufsbilds in der Justiz, der Richterin nen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte – die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines sogenannten Sabbat jahrs nunmehr auch für Richter eröffnen.

Das sind in aller Kürze die Novellierungen, die wir mit die sem Gesetz vorsehen. Ich bitte Sie, den Prozess der Beratung wohlwollend zu begleiten. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung unserer Justiz in Baden-Württemberg.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Her ren, für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Scheffold.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Landesrichter- und -staatsanwaltsgesetz ist seit 1964 nahezu unverändert geblie ben. Deswegen darf ich für die CDU-Fraktion sagen, Herr Jus tizminister, dass wir es durchaus sehr begrüßen, dass die rich terlichen und staatsanwaltschaftlichen Mitbestimmungsrech te ausgebaut und gestärkt werden. Wir unterstützen dieses Vor haben, das die CDU-Fraktion auch der Sache nach befürwor tet. Ich darf daran erinnern, dass die CDU-Fraktion bereits 2013 das Gesetz zur Änderung des Landesrichtergesetzes mit getragen hat.

Das ist heute der letzte Plenartag vor der Sommerpause, mei ne sehr verehrten Damen und Herren, und nachher haben wir ein gemeinsames Sommerfest. Daher nutze ich die Gelegen heit, um Ihnen, Herr Justizminister, und auch den Damen und Herren der Regierungsfraktionen eine kleine Freude zu ma chen: Wir sagen: Das Gesetz, das Sie hier einbringen, bietet durchaus eine recht brauchbare Grundlage,

(Vereinzelt Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo!)

damit es in den Ausschussberatungen eine gute Fortsetzung finden kann. Ich will natürlich nicht überziehen, Herr Justiz minister und meine Damen und Herren von den Regierungs fraktionen. Sie sollen ja Ihre natürliche Bescheidenheit in den kommenden Monaten, die für Sie und auch für uns wichtig werden, beibehalten können.

Es fällt aber schon auf – das muss ich an dieser Stelle auch sagen –, dass Sie jetzt im Gesetzgebungsverfahren eine er staunliche Eile an den Tag gelegt haben. Nachdem man über das Gesetz und die Änderungen schon seit Jahren diskutiert und debattiert, ging es jetzt eigentlich relativ rasch. Da kann man sich denken, was man will. Sei’s drum.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Gesetze sind dann gut, wenn sie Bewährtes erhalten und um Sinnvolles ergän zen. Wir begrüßen es daher sehr, dass der Erhalt der Präsidi alverfassung in diesem Gesetzentwurf unberührt bleibt, dass die Bestimmungen zu den örtlichen Richter- und Staatsan waltsräten neu gefasst werden und ein Ausbau der Beteili gungsrechte auf der Ebene der Obergerichte, der General staatsanwaltschaften und auch im Justizministerium selbst er folgt. Es wird ein eigenständiges Freistellungsrecht geben. Auch das Freistellungsjahr, das Sabbatjahr, das Sie in diese Regelungen einfügen, wird von uns durchaus begrüßt.

Insgesamt sehen wir den erfolgreichen Versuch, ein effizien tes System der Beteiligung zu schaffen bzw. voranzubringen. Das ist Ihnen also recht gut gelungen. Ich sage aber ganz be wusst: Es ist Ihnen recht ordentlich gelungen. Denn wir ha ben schon einige Kritikpunkte an diesem Gesetzentwurf.

Zunächst einmal werden im Gesetzentwurf der Verwaltungs aufwand und damit auch die finanziellen Auswirkungen als – ich zitiere – „nicht näher bezifferbar“ bezeichnet. Das ist aus unserer Sicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht ganz nachvollziehbar. Bei den entsprechenden Regelungen im Landespersonalvertretungsgesetz haben Sie bereits erhebli che Erfahrungen machen können. Dort sind die entsprechen den Folgekostenabschätzungen möglich gewesen. Deswegen erachten wir es durchaus als möglich, entsprechende Berech nungen auch im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens anzu stellen. Das wäre wahrlich keine Herkulesaufgabe. Im Gegen teil, Herr Justizminister: Sie haben eine gewisse Verpflich tung, Auswirkungen, die ein Gesetz in der Zukunft haben kann oder hat, auch zu berechnen, Vorschläge zu machen und für einen entsprechenden finanziellen Ausgleich zu sorgen. – Das wäre der eine Punkt.

(Beifall des Abg. Thomas Blenke CDU)

Insbesondere das Freistellungsrecht wird zu einem zusätzli chen Bedarf an Personal- und Sachmitteln führen. Da vertre ten Sie meines Erachtens eine etwas merkwürdige Einschät zung, nämlich, dass diese Freistellungen durch Mehrarbeit und durch besser motiviertes Personal ausgeglichen werden könnten. In meiner täglichen Arbeit habe ich mit Staatsanwäl ten und mit Richtern zu tun. Daher kann ich gut beurteilen, dass diese sehr viel und sehr effizient arbeiten. Sie sind hoch motiviert. Deswegen glaube ich, dass Ihre Einschätzung nicht richtig ist.

Der dritte Punkt ist, dass die Freistellungen erst gar nicht zu lasten anderer Mitarbeiter der Justiz gehen. Wir halten es für geboten, auch hier nachzubessern. Freistellungsstaffeln soll ten erarbeitet und entsprechend mit Haushaltsmitteln hinter legt werden.

Sie haben hier also summa summarum die Möglichkeit, ein gutes Gesetz zu formulieren. Es muss nicht dabei bleiben, dass Sie einen ordentlichen Gesetzentwurf vorlegen, den Sie dann in Kürze werden nachbessern müssen.

In diesem Sinn wünsche ich uns in den Ausschussberatungen gute Beratungen über den vorgelegten Entwurf, sodass dann auch die jetzt aufgezeigten Kritikpunkte überwunden werden. Dann kann, wie ich meine, das Gesetz auch zu einem guten Abschluss gebracht werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Filius.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Auch meine Fraktion begrüßt den Entwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Landesrich ter- und -staatsanwaltsgesetzes außerordentlich. Durch das ge plante Gesetz beweist die Regierung, dass sie auch hier pra xisorientiert handelt.

Die Forderung nach einer Stufenvertretung kam aus der Mit te der Justiz, und zwar im Zusammenhang mit der ersten No vellierung des Landesrichtergesetzes im Zeitraum 2012/2013. Es war ein Novum, dass sich über 1 000 Richterinnen und Richter in einer Unterschriftenliste dafür ausgesprochen ha ben. Das hat dann auch eine entsprechende Wirkung gezeigt, unabhängig von dem, was im Koalitionsvertrag festgeschrie ben worden ist.

Die Präsidialverfassung – der Herr Minister hat darauf hinge wiesen – ist einmalig im Vergleich mit den anderen Bundes ländern. Daran soll auch nicht gerüttelt werden. Vielmehr geht es um eine Ergänzung dergestalt, dass die Mitbestimmung der Richterinnen und Richter, Staatsanwälte und Staatsanwältin nen in personellen Angelegenheiten entsprechend weiter um gesetzt wird.

Dies ist ein weiterer Schritt hin zu dem, was viele wünschen, nämlich zu einer größeren Unabhängigkeit der Justiz, also auch ein Schritt auf dem Weg hin zu einer möglicherweise an zustrebenden Selbstverwaltung. Auf diesen Ebenen wird die Mitbestimmung immer weiter gestärkt.

In überörtlichen Angelegenheiten hat es bislang keine Vertre tung gegeben. Das wurde auch vom Herrn Minister bereits entsprechend mitgeteilt. Bei der Einführung der Stufenvertre tungen handelt es sich in allen Bereichen um eine klassische Stufenvertretung: Bei den Obergerichten des Landes sowie bei den Generalstaatsanwaltschaften sollen Stufenvertretun gen und auf der Ebene des Justizministeriums ein Landesrich ter- und -staatsanwaltsrat eingerichtet werden.

Der Landesrichterrat erhält Mitbestimmungsmöglichkeiten, die er bislang noch nicht hat, sei es bei der Einführung und Änderung von Sicherheitskonzepten, bei den Grundsätzen des Gesundheitsmanagements, sei es aber auch – darauf wurde ebenfalls schon hingewiesen – bei der Einführung der E-Ak te, beim Erlass und bei Änderungen von Beurteilungsrichtli nien, bei grundsätzlichen Fragen der Fortbildung und bei der Aufstellung eines Chancengleichheitsplans.

Das sind wichtige Themen, die hier behandelt werden kön nen. Das war bislang nicht gegeben. Deswegen begrüßen wir dies ganz besonders. Langfristig wird es auch zu einer effizi enteren Justiz führen. Mitbestimmung folgt aus dem Demo kratie- und Rechtsstaatsprinzip. Mehr Mitbestimmung dient dem Wohl der Justiz.