Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Bereits 2013 hat die CDU-Landtagsfraktion in einem umfang reichen Konzept die Förderung gleichwertiger Lebensverhält nisse im ganzen Land Baden-Württemberg sowie des ehren amtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl gefordert. Unser Land Baden-Württemberg lebt in besonderem Maß von bei dem. Zum einen lebt es von der Ausgewogenheit zwischen Stadt und Land. Zentren und ländliche Räume haben sich bei uns gleichmäßiger entwickelt als in anderen Bundesländern, in anderen Staaten. Es ist immer wieder eine Herausforderung, dafür zu sorgen, dass dies weiterhin so bleibt. Deshalb halten wir das Signal mit dem Staatsziel zur Förderung gleichwerti ger Lebensverhältnisse im ganzen Land für wichtig.

Zum anderen lebt es vom Ehrenamt: In Baden-Württemberg engagiert sich fast jeder Zweite freiwillig und unentgeltlich für andere Menschen, Initiativen oder Projekte. Dabei liegen aber auch immer wieder neue Steine im Weg. Deshalb ist für das Ehrenamt Anerkennung wichtig. Diese Anerkennung un terstreichen wir noch deutlicher als bisher mit der Aufnahme der Förderung des Ehrenamts als Staatsziel in der Verfassung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Thomas Reusch-Frey SPD)

Der dritte Punkt ist die Änderung des Namens des Staatsge richtshofs. Wir haben mit der Einführung der Landesverfas sungsbeschwerde den Charakter des Staatsgerichtshofs ver ändert. Dem soll jetzt mit einem neuen Namen Rechnung ge tragen werden, indem wir den Namen in „Verfassungsge richtshof“ ändern. Wir werden außerdem mit dem Gesetzent wurf weitere formale Änderungen für den Staatsgerichtshof umsetzen.

Ich meine, wir werden damit unserer Verantwortung gemein sam gerecht, die Verfassung immer wieder weiterzuentwickeln und auf neue Aufgaben, neue Herausforderungen, neue ge sellschaftliche Entwicklungen einzugehen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich auf Punkt 1 c der Tagesordnung zurückkommen:

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP/ DVP – Fehlanreize abbauen und sichere Herkunftsstaa ten benennen – Drucksache 15/7424

Ich darf das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorlesen:

An der Abstimmung haben sich 131 Abgeordnete beteiligt.

Mit Ja haben 65 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 65 Abgeordnete gestimmt; enthalten hat sich ein Abgeordneter.

Damit ist der Antrag bei Stimmengleichheit abgelehnt.

(Vereinzelt Heiterkeit – Unruhe)

Mit J a haben gestimmt:

CDU: Norbert Beck, Thomas Blenke, Elke Brunnemer, Klaus Burger, Andreas Deuschle, Dr. Marianne Engeser, Konrad Epple, Arnulf Frei herr von Eyb, Friedlinde Gurr-Hirsch, Peter Hauk, Klaus Herrmann, Die ter Hillebrand, Bernd Hitzler, Manfred Hollenbach, Karl-Wolfgang Jä gel, Karl Klein, Wilfried Klenk, Rudolf Köberle, Joachim Kößler, Thad däus Kunzmann, Sabine Kurtz, Dr. Bernhard Lasotta, Paul Locherer, Dr. Reinhard Löffler, Ulrich Lusche, Winfried Mack, Bettina Meier-Augen stein, Ulrich Müller, Paul Nemeth, Matthias Pröfrock, Werner Raab, Dr. Patrick Rapp, Helmut Rau, Nicole Razavi, Heribert Rech, Dr. Wolfgang Reinhart, Wolfgang Reuther, Karl-Wilhelm Röhm, Karl Rombach, Hel mut Walter Rüeck, Volker Schebesta, Dr. Stefan Scheffold, Jutta Schil ler, Viktoria Schmid, Peter Schneider, Felix Schreiner, Katrin Schütz, Marcel Schwehr, Willi Stächele, Dr. Monika Stolz, Gerhard Stratthaus, Stefan Teufel, Alexander Throm, Karl Traub, Georg Wacker, Tobias Wald, Guido Wolf, Karl Zimmermann.

FDP/DVP: Dr. Friedrich Bullinger, Andreas Glück, Dr. Ulrich Goll, Jo chen Haußmann, Dr. Timm Kern, Niko Reith, Dr. Hans-Ulrich Rülke.

Mit N e i n haben gestimmt:

GRÜNE: Theresia Bauer, Beate Böhlen, Sandra Boser, Jürgen Filius, Jo sef Frey, Jörg Fritz, Petra Häffner, Martin Hahn, Wilhelm Halder, Man fred Kern, Winfried Kretschmann, Daniel Andreas Lede Abal, Siegfried Lehmann, Andrea Lindlohr, Brigitte Lösch, Manfred Lucha, Thomas Marwein, Bärbl Mielich, Dr. Bernd Murschel, Reinhold Pix, Thomas Po reski, Wolfgang Raufelder, Daniel Renkonen, Dr. Markus Rösler, Alex ander Salomon, Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Andreas Schwarz, Hans-Ulrich Sckerl, Edith Sitzmann, Dr. Gisela Splett, Nikolaus Tschenk, Franz Untersteller, Jürgen Walter.

SPD: Katrin Altpeter, Sascha Binder, Hans Heribert Blättgen, Wolfgang Drexler, Dr. Stefan Fulst-Blei, Thomas Funk, Reinhold Gall, Rosa Grün stein, Hidir Gürakar, Hans-Martin Haller, Rita Haller-Haid, Helen He berer, Walter Heiler, Rainer Hinderer, Peter Hofelich, Klaus Käppeler, Gerhard Kleinböck, Ernst Kopp, Klaus Maier, Georg Nelius, Thomas Reusch-Frey, Martin Rivoir, Gabi Rolland, Nikolaos Sakellariou, Dr. Nils Schmid, Claus Schmiedel, Rainer Stickelberger, Johannes Stober, Andreas Stoch, Hans-Peter Storz, Florian Wahl, Sabine Wölfle.

Der Stimme e n t h a l t e n hat sich:

SPD: Gernot Gruber.

Jetzt setzen wir Tagesordnungspunkt 3 fort:

a) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der

CDU, der Fraktion GRÜNE, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP/DVP – Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg – Druck sache 15/7178

b) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregie

rung – Gesetz zur Änderung der Verfassung des Lan des Baden-Württemberg und des Gesetzes über den Staatsgerichtshof sowie anderer Gesetze – Drucksache 15/7378

c) Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der

CDU, der Fraktion GRÜNE, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP/DVP – Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg – Druck sache 15/7412

Ich gebe Herrn Abg. Sckerl das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will von meiner Rede zeit von zehn Minuten nicht vollständig Gebrauch machen und mich im Interesse einer zeitlich etwas unter Druck gera tenen Sitzungsökonomie deutlich kürzer fassen. Ich glaube, der großen Aussprache zum Thema Flüchtlingspolitik war die notwendige Zeit zu geben. Vielleicht können wir in der zwei ten Lesung dieser Verfassungsänderung einiges von grund sätzlicher Natur nachholen. Ich will mich daher auf das We sentliche beschränken.

Am Anfang steht auch mein Dank für eine sehr gute interfrak tionelle Verständigung. Es war ein konstruktiver Prozess zwi schen den Fraktionen. Er hat etwas lang gedauert; das räumen wir uns gegenseitig sicher ein. Es hätte natürlich etwas schnel ler gehen können, aber Verfassungsänderungen lassen sich auch nicht gerade vom Baum schütteln; sie müssen sorgfältig diskutiert und gewogen werden.

Wir haben im ersten Paket die Reform von Volksbegehren und Volksentscheiden und haben in einer zweiten Runde eine Ver ständigung über neue Staatsziele erreicht. Ich glaube, dass sich das Paket im Gesamtergebnis sehr wohl sehen lassen kann. Jede Fraktion kann sagen: „Ich habe meinen Anteil dazu bei getragen.“ Gemeinsam modernisieren wir unsere Landesver fassung und schnüren wir für die Bürgerinnen und Bürger ein attraktives Angebot. Das kann man wirklich so sagen. Man muss nicht davor zurückschrecken, diesen Satz zu sagen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Der für uns wichtige Punkt für diesen gemeinsamen Reform prozess war die dringliche Reform von Bürgerbeteiligung auf Landesebene. Es ist nun einmal objektiv so, dass Baden-Würt temberg, nachdem es einst für viele Jahre, von 1956 bis in die Neunzigerjahre, die Vorreiterfunktion eingenommen hatte – Baden-Württemberg war das einzige Land, in dem es die Möglichkeit der Durchführung eines Bürgerbegehrens auf kommunaler Ebene gab; das war tatsächlich so; das gab es da mals nur in Baden-Württemberg –, als das Thema in der Ge sellschaft aufkam, sehr schnell ins Hintertreffen geraten ist.

Zu meinem Bedauern – das darf ich sagen – hat uns die si cherlich nicht unwichtige bundesweite Bürgervereinigung

„Mehr Demokratie“ in ihrem jährlichen Ranking des Jahres 2014 den letzten Platz im Bundesländervergleich bei der Be urteilung der Beteiligungsmöglichkeiten auf Landes- und auch auf Kommunalebene attestiert. Wir alle sind natürlich schon so ehrgeizig, dass wir nicht nur bei der Wirtschaftsleistung, bei der Bildung, bei den Lebensverhältnissen, sondern auch bei den direktdemokratischen Beteiligungsstrukturen spitze sein wollen. Dass wir da Bedarf haben, haben wir alle zusam men in dieser Arbeitsgruppe relativ rasch gemerkt.

Die Geschichte von Volksbegehren und Volksentscheiden in Baden-Württemberg zeigt dies auch. Wir hatten in der Ver gangenheit so hohe Hürden, dass es kein einziges erfolgrei ches Volksbegehren gegeben hat, das anschließend zu einem wirksamen Volksentscheid geführt hätte.

Auch die Debatte und die Durchführung des Volksentscheids zu Stuttgart 21 haben das ganze Land – jedenfalls zum dama ligen Zeitpunkt – in Atem gehalten und mobilisiert. Dabei ha ben wir wiederum gemerkt, dass wir sehr hohe Hürden haben, die überwunden werden müssen, um zu einer verfassungs rechtlich gültigen Abstimmung zu kommen. Es war also höchste Zeit für eine Änderung.

Die Geschichte der Volksbegehren in Baden-Württemberg steht auf einer halben Seite geschrieben. Es gab damals die große Auseinandersetzung und die Durchführung eines Volks begehrens zum Thema „Auflösung des Landtags“, aber auch zum Thema Gebietsreform; das war in den früheren Jahren ein großes Thema. Dann gab es noch das Thema Stuttgart 21. Aber ansonsten ist Fehlanzeige.

Auch große Organisationen im Land wie z. B. der Deutsche Gewerkschaftsbund haben trotz starker Organisationskraft an gesichts der hohen Hürden davon abgesehen, ein Begehren zu versuchen.

Wir sind schon der Meinung: Egal, ob es ein uns genehmes oder ein uns weniger genehmes Thema ist: Bürgerinnen und Bürger müssen die Möglichkeit haben, sich zu organisieren, wenn sie mit Landespolitik oder Landesgesetzgebung nicht einverstanden sind, und müssen die Möglichkeit haben, dazu auch auf demokratischem Weg eine Alternative zu formulie ren und eine Mehrheit dafür zustande zu bringen.

Deshalb war das Fazit immer klar: Die Regelungen sind nicht sehr bürgerfreundlich, sie sind im Ergebnis geradezu prohibi tiv. Das musste reformiert werden.

Wir haben jetzt, glaube ich, einen Weg der Mitte gefunden; es können alle mitgehen. Kollege Schebesta hat die wesentlichen Regelungen beschrieben. Es ist uns auch ein wichtiges Anlie gen, Ängste zu zerstreuen. Es gibt immer die Angst, auf kom munaler Ebene würde der Gemeinderat „entmachtet“ und auf Landesebene würde dies der Landtag. Ich glaube, wenn man einen Blick auf Volksentscheide in den 16 Bundesländern un serer Republik wirft, muss man sagen: Selbst dort, wo die Hürden noch niedriger sind, z. B. in Bayern – Bayern ist mit Sicherheit das Bundesland mit den niedrigsten Hürden, den niedrigsten Quoren –, gibt es keine inflationäre Entwicklung von Volksbegehren oder Volksentscheiden. Bayern hatte sechs große Entscheide, die aufgrund eines Begehrens zustande ge kommen sind. Volksabstimmungen gab es dort häufiger. Das zieht sich so durch die Republik. Das ist in der Regel eine ein stellige Zahl, die da zustande gekommen ist.

Das lässt den Schluss zu: Der Weg „Volksbegehren und Volks entscheid“ ist kein Instrument zum Ersatz einer repräsentati ven parlamentarischen Demokratie, sondern ist offensichtlich ein geeignetes Instrument, Streitfragen in der Demokratie zu klären, bei denen es einen Widerspruch zwischen der Mehr heit eines Parlaments und zumindest großen Teilen der Bevöl kerung gibt, die dann vielleicht nach einer Mehrheit bei einer Abstimmung streben kann. In solchen Konfliktsituationen, die in einer Demokratie unvermeidlich sind, ist es sehr gut, ein solches korrigierendes und im Ergebnis dann auch konflikt befriedendes Instrument zu haben.

Deswegen glaube ich, dass wir uns jetzt auf einen guten Weg machen. Bürgerinnen und Bürger können davon auch in un serem Land Gebrauch machen. Aber wir werden erleben: Der Landtag wird sich nicht in jeder zweiten Sitzung mit einer Volksinitiative oder einem Volksbegehren beschäftigen.

Unterm Strich ist das also ein Ergebnis, das uns bei diesem Thema unter die sechs besten Bundesländer im Bundesver gleich bringt. Ich finde, das ist eine Zahl, die man auch ein mal nennen kann. Wir haben uns angeschaut: Was machen die anderen? Wir kommen vom letzten Platz weg, wir geben die rote Laterne ab und gehen ins obere Drittel. Ich finde, darauf können wir gemeinsam auch stolz sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Ulrich Goll FDP/DVP)

Der Erweiterung der Staatsziele stimmen wir zu. Es ist uns gemeinsam gelungen – das ist schon gesagt worden –, schlan ke Formulierungen zu finden. Ich finde es immer richtig, dass sich eine Verfassung auf wesentliche Staatsziele besinnt und konzentriert. Das ist mit diesen Formulierungen gut gelungen.

Das gilt auch für die Kinder- und Jugendrechte; es ist einfach an der Zeit, sie in der Landesverfassung stärker zu berücksich tigen und auch dem Schutzgedanken, den wir damit verfol gen, stärker Ausdruck zu geben. Das heißt natürlich auch, dass wir Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen stär ken. Das werden wir in der nächsten Woche diskutieren, wenn es um die Reform der Gemeindeordnung und dabei um die stärkere Partizipation von Kindern und Jugendlichen auf kom munaler Ebene geht.

Es ist wichtig, die Förderung des Ehrenamts zum Staatsziel zu erheben. Wir erleben – darüber haben wir heute Morgen diskutiert – gerade in diesen Tagen, wie wichtig und unver zichtbar ehrenamtliche Betätigung von Bürgerinnen und Bür gern insbesondere dann wird, wenn der Staat mit seinen haupt amtlichen Kräften und mit seinen Strukturen an Grenzen stößt und es unbedingt der Ergänzung durch die Bürgerschaft be darf. Aber Baden-Württemberg braucht sich auch insgesamt in seiner Geschichte nicht zu verstecken. Baden-Württemberg ist in Deutschland d a s Land der Bürgerbeteiligung. Das hat uns immer ausgezeichnet.