Protokoll der Sitzung vom 29.10.2015

Wir brauchen klare Entscheidungsräume und schnelle Verfah ren etwa dann, wenn Asylanträge eben unzulässig oder offen sichtlich unbegründet sind. Transitzonen an unseren nationa len Grenzen können helfen, weil in diesen Fällen die Einrei se zunächst einmal verweigert werden kann, bis das Verfah ren geprüft ist. Seit der grundlegenden Verschärfung des Asyl rechts Anfang der Neunzigerjahre im letzten Jahrhundert kann sich nicht darauf berufen, wer aus einem EU-Staat oder einem sicheren Drittstaat einreist oder dessen Antrag offensichtlich missbräuchlich oder unbegründet ist.

Wir alle wissen, wie hoch die Hürden für Änderungen des Grundgesetzes sind: Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Meine Damen und Herren, wenn ein solch gro ßes Einvernehmen für die Änderung der Verfassung vorhan den war, dann sollte man doch eigentlich auch erwarten, dass ein ähnlich hohes Einvernehmen da ist, um dieses Recht auch umzusetzen, also auch für die Umsetzung dieser Rechtsvor schriften.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

In der Tat hatten wir bis vor Kurzem auch den Eindruck, dass es hier im Hohen Haus dafür ein sehr großes Einvernehmen, eine sehr große Einigkeit zwischen Union und FDP/DVP so wie – wie wir nach den unwidersprochenen Äußerungen des Innenministers dachten – auch der SPD gäbe. Laut SWR – Kollege Rülke hat das vorhin auch schon zitiert – sagt Innen minister Gall, er sei offen für die Einrichtung solcher Transit zonen. Zitat:

Transitzonen sind ein Baustein der vielfältigen Maßnah men, die erforderlich sind.

Herr Minister Gall, mit dieser Einschätzung haben Sie völlig recht. Ich danke Ihnen für Ihre Ankündigung, die Einrichtung von Transitzonen zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Bei der gestrigen Debatte zur Bewältigung der Flüchtlings krise aus europapolitischer Sicht rieben wir uns aber etwas die Augen; denn wenn ich es richtig verstanden habe, hat der Red ner von der SPD – Kollege Blättgen war das – gesagt – Mi nister Gall war zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend –, mit der SPD werde es keine Transitzonen geben. Also, was gilt jetzt?

(Zuruf des Abg. Josef Frey GRÜNE)

So habe ich das gestern verstanden: Mit der SPD wird es keine Transitzonen geben. Und Gall sagt: Das ist ein wichti ger Baustein.

Was ist mit der SPD, und was ist auch mit der SPD im Bund? Ihr Parteivorsitzender und auch Ihr Fraktionsvorsitzender im Bundestag sind ebenfalls nicht mit an Bord. Hat Sie die Bun despartei da jetzt vielleicht zurückgepfiffen? Und wie sieht es hier im Land bei Grün-Rot aus?

In der Stellungnahme zu dem Antrag der FDP/DVP klingt das ja verhalten positiv, und diese Stellungnahme ist im Einver nehmen mit dem Staatsministerium, Herr Ministerpräsident, erfolgt. Aber laut dpa vom 15. Oktober hält der Ministerprä sident nicht viel von Transitzonen. Was gilt jetzt eigentlich hier innerhalb der Landesregierung und innerhalb der grünroten Koalition?

Der Innenminister, Herr Gall, nimmt zwar eine vernünftige und der Situation angepasste Haltung ein. Kann er sich aber – wieder einmal – innerhalb der eigenen Partei und erst recht gegenüber dem grünen Koalitionspartner nicht durchsetzen? Es scheint so zu sein.

Wo steht der Herr Ministerpräsident? Herr Ministerpräsident, wir würden das jetzt gern einmal wissen. Sie tragen die Ver antwortung. Die Menschen hier im Land erwarten von der Landesregierung Lösungen. Sie erwarten, unterstützt zu wer den,

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Wie ist denn der kon krete Vorschlag vom Bund? – Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Was will denn der Bund genau?)

und sie erwarten, dass Sie sich nicht hinter Koalitionsstreit und -knatsch verstecken. Wir brauchen Lösungen, meine Da men und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Glocke des Präsidenten)

Kollege Blenke, gestatten Sie ei ne Zwischenfrage des Kollegen Schmiedel?

Nein. Ich bin ja fertig.

Dann erteile ich für die Fraktion GRÜNE dem Kollegen Sckerl das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was ist das für eine Debatte hier?

(Abg. Matthias Pröfrock CDU: Eine Aktuelle!)

Nein, das ist keine Aktuelle Debatte, das ist eine Debatte über einen Antrag. – Wir haben immer gesagt – das gilt in der Flüchtlingskrise besonders –, wir prüfen jeden Vorschlag auf Tauglichkeit – jeden Vorschlag.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Genau!)

Das müssen wir auch. Das gilt für die Koalition: Wir prüfen jeden Vorschlag.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Genau!)

Nur, es gibt keinen Vorschlag. Es gibt kein Konzept. Es gibt nichts.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wenn das so weitergeht, hat der Begriff „Transitzone“ gute Chancen, zum Phantom des Jahres zu werden. Es gibt bis zum heutigen Tag kein Konzept, das man auf Tauglichkeit, auf Ver einbarkeit mit EU-Recht, mit Verfassungsrecht seriös prüfen kann.

Das, was Sie seitens des Bundes in einem ersten Referenten entwurf im Zusammenhang mit dem Asylpaket II vorgelegt hatten, ist aus gutem Grund zurückgezogen worden, weil näm lich die Anlehnung an das Flughafenverfahren und die 1:1-Um setzung hier aus Fristgründen und aus vielen anderen Grün den erkennbar nicht tauglich ist. Ein neuer Vorschlag liegt bis zum heutigen Tag nicht vor. Legen Sie ihn vor, dann werden wir uns damit konstruktiv auseinandersetzen. Das ist über haupt keine Frage. Aber Phantomdebatten helfen bei der Lö sung der Flüchtlingskrise in Baden-Württemberg nicht wei ter, sondern tragen nur zur Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger bei, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Sckerl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Bitte, Kollege Müller.

Herr Kollege Sckerl, ist Ihnen be wusst, dass Sie Angehöriger einer Regierungsfraktion sind und sich Ihnen diese Frage genauso stellt und Sie einen In nenminister haben, der diese Frage vielleicht einmal konzep tionell bearbeiten könnte?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Lachen bei Ab geordneten der Grünen und der SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das war ein Offenbarungseid, dass es nichts gibt! – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Le de Abal GRÜNE)

Herr Kollege Müller, bei allem Verständnis: Noch gelten der Föderalismus und die Zu ständigkeit des Bundes.

(Zuruf des Abg. Matthias Pröfrock CDU)

Bei aller Liebe für die Bodenseeregion: Wir gehen nicht da von aus, dass zwischen Friedrichshafen und Bregenz in ab sehbarer Zeit eine Transitzone eingerichtet wird.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die Wege der Flüchtlinge sind andere.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sie gehen mit dem Thema sehr flapsig um! – Gegenrufe von den Grünen und der SPD)

Deswegen muss man sich damit auseinandersetzen.

Ich schlage Ihnen vor: Legen Sie ein Konzept auf den Tisch. Dann diskutieren wir darüber, ob es umsetzbar ist, ob es ein sinnvoller Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen ist, vor denen wir stehen.

Meine Damen und Herren, konzentrieren wir uns auf das, was wir haben. Das ist doch der entscheidende Punkt.

Es gibt Bund-Länder-Beschlüsse, die in großem Einverneh men gefasst worden sind. Diese Beschlüsse sind eine Woche alt; sie stehen seit wenigen Tagen im Bundesgesetzblatt. Auch die Landesregierung von Baden-Württemberg ist im Begriff, diese Beschlüsse umzusetzen, und zwar in all ihren Facetten. Wir sind sicher, dass diese Beschlüsse wirken und dazu bei tragen werden, das, was in Baden-Württemberg schon bisher an erfolgreicher Flüchtlingspolitik gemacht worden ist, wei ter zu verstetigen.

(Zuruf des Abg. Karl Klein CDU)

Wir machen das, und zwar – darauf kommt es auch an –

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

tatsächlich mit der Haltung: „Wir schaffen das“, ohne aber blauäugig zu sein. Vielmehr schaffen wir das natürlich nur, wenn alle Partner in Europa und im nationalen Verbund ihre Hausaufgaben machen. Das haben wir immer gesagt, das hat der Ministerpräsident gesagt, und das gilt.

Wenn es eine gemeinsame Kraftanstrengung aller gibt, ist das zu schaffen. Dazu gehört auch die sehr schnelle Umsetzung der Beschlüsse des EU-Balkangipfels vom Wochenende. Die 17 Maßnahmen werden dazu beitragen, die gegenwärtigen Schwierigkeiten an der bayerisch-österreichischen Grenze, die wir natürlich auch sehen, ein Stück weit zu verkleinern und im Übrigen eine sich dort abzeichnende humanitäre Ka tastrophe vor dem nächsten Winter unter Umständen abzu wenden. Das muss unser nächstes gemeinsames Ziel sein – und keine Phantomdebatten hier im Landtag von Baden-Würt temberg.