Wenn es eine gemeinsame Kraftanstrengung aller gibt, ist das zu schaffen. Dazu gehört auch die sehr schnelle Umsetzung der Beschlüsse des EU-Balkangipfels vom Wochenende. Die 17 Maßnahmen werden dazu beitragen, die gegenwärtigen Schwierigkeiten an der bayerisch-österreichischen Grenze, die wir natürlich auch sehen, ein Stück weit zu verkleinern und im Übrigen eine sich dort abzeichnende humanitäre Ka tastrophe vor dem nächsten Winter unter Umständen abzu wenden. Das muss unser nächstes gemeinsames Ziel sein – und keine Phantomdebatten hier im Landtag von Baden-Würt temberg.
Ich finde, wir stehen vor einer außergewöhnlichen Situation. Wir müssen schon sehr darauf achten – bis hin zur Wortwahl –, dass wir nicht die radikalen Ränder in diesem Land stark machen, meine Damen und Herren.
(Abg. Thomas Blenke CDU: Das sollten Sie sich auch einmal vor Augen halten! Sie treiben denen die Leute zu! – Weitere Zurufe von der CDU)
Ich meine das sehr, sehr ernst. Das ist eine gemeinsame Ver pflichtung für uns alle. Die Debatte muss sein. Die Debatte über das richtige Konzept, über die richtigen Wege zur Lö sung muss in dieser Lage sein.
Aber Debatten, die das Signal hervorrufen: „Die Politik schafft es nicht. Die Politik diskutiert über Lösungen, die gar nicht ausgereift sind, und die Politik macht letztlich den Eindruck von Hilflosigkeit“,
(Abg. Andreas Glück FDP/DVP: Das ist genau Ihre Politik! – Abg. Winfried Mack CDU: Herr Kollege, Sie habe die Lage nicht begriffen!)
Ich finde, bei den Grundfragen dieser Herausforderung und den Antworten darauf müssen wir als Demokraten zusammen stehen. Da haben Sie, meine Damen und Herren, noch Nach holbedarf.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Am Ende dieses Jahres wird die Be völkerungszahl Baden-Württembergs um 100 000, also die Einwohnerzahl einer Großstadt, gewachsen sein. Diese Hoch rechnungen bereiten den Menschen natürlich auch Sorgen und Ängste. Das ist unstreitig.
Deswegen ist es wichtig, dass wir uns einmal die Rahmenbe dingungen anschauen, unter denen das Asylrecht auch in der nächsten Zeit wahrgenommen werden wird. Es ist nämlich so, dass das Grundrecht auf Asyl der Ewigkeitsgarantie unterliegt.
Der Grundsatz des Grundrechts auf Asyl unterliegt nach Ar tikel 79 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 1 des Grundge setzes der Ewigkeitsgarantie. Sie können das Grundrecht auf Asyl nicht abschaffen.
Auf Ewigkeit wird ein Mensch, der politisch verfolgt ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl bekommen, und das ist auch gut so.
Deswegen muss uns klar sein, dass dann, wenn so viele kom men und dieses Grundrecht für sich in Anspruch nehmen und es prüfen lassen wollen, Antworten für die Betroffenen gefun den werden müssen.
Wir brauchen Maßnahmen, damit der Grenzübertritt nicht un kontrolliert geschieht. Darauf müssen wir einen Blick richten. Aber dann stellt sich die Frage: Ist die Transitzone – diese Be grifflichkeit, die jetzt in der Diskussion ist – das richtige Mit tel? Denn seien Sie ehrlich: Kein Mensch weiß, was das ist. Eine Transitzone setzt ja voraus, dass wir ein Niemandsland brauchen.
Das gibt es aber gar nicht. Es gibt kein Niemandsland. Wir sind entweder in Deutschland, oder wir sind in Österreich.
Die EU-Kommission hat festgestellt: Wenn man über so et was wie ein Grenzregime nachdenkt, kann man das aller höchstens an der EU-Außengrenze machen. An der EU-Au ßengrenze kann man solche Überlegungen anstellen,
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Da gibt es Niemandsland, oder was? – Zuruf des Abg. Werner Raab CDU)
Jetzt haben Sie etwas in die Welt gesetzt, was, wenn man das zu Ende denkt, eigentlich nur wie eine Haftzone funktionie ren kann,
die eingezäunt ist. Von unten kommt der Druck von denjeni gen, die Flucht und Verfolgung ausgesetzt sind, und nach draußen ist ein Zaun. Denn wenn ich jemanden nicht auf deut schen Grund und Boden lassen will, damit er erst gar nicht Asyl beantragen kann, muss ich diese Grenze durch Zäune si chern. Aber einen Zaun kann ich nicht durch die Heilsarmee oder durch den ausgestreckten Finger bewachen lassen. Viel mehr müsste ich ihn dann auch konkret womöglich mit be waffnetem Personal besetzen.
Wenn man so etwas in die Diskussion einbringt, was gar nicht umsetzbar ist, und suggeriert, das sei die Lösung, entstehen solche Umfragen, wie Herr Rülke sie vorgelegt hat.
Dann entstehen solche Umfragen, anhand derer die Leute mei nen: „Aha, da hat jemand eine Lösung.“ Diese ist aber nicht umsetzbar. Das ist das Infame.
Wir brauchen Lösungen, die wir auch in Baden-Württemberg umsetzen können. Die Drehkreuzvariante, wie sie in Heidel berg umgesetzt wird – der Innenminister hat sich vor Ort auch angeschaut, wie gut das funktioniert –, ist die richtige Lösung:
die Menschen zusammenführen, gemeinsam überprüfen, dann die Verfahren einleiten und die Leute entsprechend ihrer Be gründung, warum sie hierhergekommen sind, sortieren – so sage ich einmal.
Herr Rülke, die rechtlichen Probleme sind eben da. Ich möch te einfach, weil Sie zitiert haben, Gerhart Baum zitieren.
Deswegen müssen wir prüfen. Wir haben noch keine Antwor ten. Wir werden alles prüfen. Aber diesen Punkt, den der frü here Bundesminister Baum in die Welt gesetzt hat, müssen wir eben prüfen.
Das Infame ist noch zusätzlich – das stört mich –: Diese Dis kussion beendet nicht die Suche nach den Fluchtursachen. Aber dieser Eindruck wird erweckt. 1979 habe ich als 17-Jäh riger ein Buch von Erhard Eppler gelesen –
(Abg. Karl Zimmermann CDU: Oi! – Abg. Thomas Blenke CDU: Das letzte Mal, oder? – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Der erfolgreichste Spitzenkan didat der SPD aller Zeiten!)
„Ende oder Wende“, geschrieben 1974. Ich habe es 1979 in die Hände bekommen. Ich kann Ihnen sagen: Damals stand genau das drin, was wir heute erleben. 1974 hat Erhard Epp ler geschrieben, was heute passieren wird und was jetzt ein getreten ist. Deswegen ist es so schlimm, dass wir im selben Atemzug, in dem wir über Transitzonen fabulieren, die Mit tel für die Ernährungshilfe von 2014 bis 2015 in erheblichem Umfang heruntergeschraubt haben.