Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Bei einem solchen Bürgerentscheid geht es um komplexe Be schlüsse des Gemeinderats. Deshalb, meine Damen und Her ren, habe ich keine Sorge, dass die Bürgerinnen und Bürger vor Ort – die, glaube ich, mehr Erfahrung mit direkter Demo kratie und Bürgerentscheiden haben – mit dieser Frage nicht zurechtkommen. Dort, wo das nicht der Fall sein sollte, Frau Razavi, dort können Sie in die Bahnhofsgaststätte gehen und es den Bürgern erklären,

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Nicole Razavi CDU: Ja, ich werde gehen! Vielleicht können wir auch einmal zusammen hingehen!)

statt hier zu sagen, die Bürgerinnen und Bürger würden es nicht kapieren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, wer die Volks abstimmung schlechtredet, der sorgt für eine schlechte Wahl beteiligung und wird unserem Ziel, ein klares Pro für Stutt gart 21 zu gewinnen, nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Tanja Gönner CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Goll für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die komplizierte Abstimmungs lage – wenn Sie mit den Menschen reden, stellen Sie fest, dass es sich um eine komplizierte Abstimmungslage handelt – ist ganz einfach der Preis für den zu komplizierten Weg zur Volksabstimmung: von hinten durch die Brust ins Auge. So einfach ist das. Denn es ist zu spät für eine Volksabstimmung. Sie hätten das Ganze rechtzeitig positiv formulieren können. Dann hätten die Bürger dazu Ja oder Nein sagen können.

(Widerspruch bei der SPD – Abg. Helen Heberer SPD: Sie haben es doch verhindert! – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Jetzt gibt es nur noch eine angebliche Möglichkeit – nach mei ner Auffassung existiert diese Möglichkeit gar nicht –, näm lich die Möglichkeit, zu kündigen. Dadurch, dass Verträge vorliegen und nur noch über Kündigungen geredet werden kann, ergibt sich eine Vertauschung der Vorzeichen. Dies ver wirrt die Menschen natürlich; das muss man sagen.

(Zuruf der Abg. Helen Heberer SPD)

Jetzt kann man fragen, wem diese komplizierte Lage am En de nützen könnte. Ich könnte mir vorstellen, dass diese auch den Befürwortern des Projekts nützt.

(Zuruf des Abg. Andreas Stoch SPD)

Das hat einen einfachen Grund: Die Gegner des Projekts wer den wahrscheinlich reflexartig mit Nein stimmen. Damit hät ten sie eigentlich genau richtig gehandelt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Heiterkeit des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Zweitens: Ich setze darauf, dass die Befürworter des Projekts im Schnitt intelligenter sind und daher die Abstimmungslage erkennen.

(Oh-Rufe von Abgeordneten der Grünen – Abg. Muh terem Aras GRÜNE: Was?)

Verzeihung, man darf sich schon öffentlich Gedanken dar über machen, was die Wähler verstehen und was die Wähler nicht verstehen. Gestern habe ich in der Zeitung gelesen, dass dies für den Innenminister, Herrn Gall, ganz einfach ist. Er hat gesagt – ich zitiere –:

Auch bei normalen Wahlen verstehen die Bürger oft nicht, was die Parteien mit ihren Anliegen wollen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Die FDP! – Abg. Tho mas Blenke CDU: Erfahrungsbericht aus der SPD! – Unruhe)

Dazu könnte man sagen: Wo er recht hat, hat er recht. Man könnte sogar versucht sein, die letzte Landtagswahl als Beleg dafür zu verstehen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP/ DVP und der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

So leicht wollen wir es uns nicht machen. Information ist an gesagt. Natürlich haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Information dieser Regierung völlig einseitig ist. Das müssen Sie auf sich sitzen lassen. Ich habe mich diesbezüglich übri gens auch ein bisschen über die SPD-Fraktion gewundert. Die Begründung für diesen Gesetzentwurf hätte man niemals so durchgehen lassen dürfen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das ist zu 100 % aus dem „Parkschützerlatein“ abgeschrie ben. Es gibt keinerlei Abwägung.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Thomas Blenke CDU)

Da sind Eingriffe aufgelistet, ohne dass an irgendeiner Stelle auch nur erwähnt wird, dass ein ganzer Park neu geschaffen wird, oder andere positive Beispiele genannt werden. Es ist völlig einseitig. In der Information bei dieser Volksabstim mung wird unsere Aufgabe liegen.

Lieber Herr Sckerl, ich würde mich gern mit Ihnen über die erste Volksabstimmung in einer solchen Sachfrage in diesem Land freuen. Ich kann Ihnen aber sagen, warum ich mich nicht freue: weil die Bürger bei dieser Volksabstimmung eigentlich mindestens zweimal getäuscht werden.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Erstens ist die Rede von Kündigungsgründen, während jede redliche Prüfung ergeben muss, dass es keine Kündigungs gründe gibt, und zweitens erwecken Sie bis in dieses Haus hi nein – so Herr Hermann in der letzten Debatte – noch immer den Eindruck, als ginge es um den Ausstieg aus dem Projekt und nicht nur um den Ausstieg aus der Finanzierung. Jetzt lau fen die Leute draußen herum und denken, es gebe vielleicht ein Kündigungsrecht, und wir könnten vielleicht aussteigen. Das stimmt alles nicht, und das wissen Sie.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Dass die erste Volksabstimmung so verläuft, finden wir scha de. Wir sehen unsere Aufgabe darin – ich sage es noch einmal –, die Leute zu informieren, aufzuklären und zu erreichen, da mit informierte Bürger bei der Volksabstimmung richtig ent scheiden können.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat nun Herr Innenminister Gall von der SPD.

(Zurufe von der SPD: Für die Landesregierung!)

Werte Frau Präsidentin, mei ne sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon den Eindruck, dass die CDU in ziemlicher Not sein muss, wenn sie eine Aktuelle Debatte nutzt, um sich über die recht lichen Rahmenbedingungen und über die Gestaltung von Ab stimmungsunterlagen zu informieren und darüber zu disku

tieren. Frau Razavi, ein Abgeordnetenbrief hätte genügt, um sich darüber zu informieren.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das können Sie getrost uns überlassen!)

Wenn Sie einen Blick auf die Homepage des Innenministeri ums geworfen hätten, dann hätten Sie auch auf den Abgeord netenbrief verzichten können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Thomas Blenke CDU: Das wäre Ihnen vielleicht lieber gewe sen! – Abg. Winfried Mack CDU: So arrogant sind Sie sonst nicht!)

Meine Damen und Herren, die CDU selbst hat in den zurück liegenden Debatten über Stuttgart 21 auch hier im Hause im mer wieder darauf hingewiesen, dass über das Projekt gar nicht abgestimmt werden kann. Das haben Sie häufiger als Ar gument benutzt. Auch gegen eine Volksabstimmung haben Sie dies letztendlich als Argument benutzt. Wir sollten uns doch darüber einig sein: Es kann nur darum gehen, ob sich das Land finanziell an diesem Projekt beteiligt und in welchem Umfang es dies tut.

Die finanzielle Beteiligung betreffend hat die Landesregie rung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der in diesem Landtag dann keine Mehrheit gefunden hat. Bei der anstehenden Volks abstimmung passiert nun überhaupt nichts anderes, als dass das Volk an die Stelle des Parlaments tritt, wenn man so will – letztendlich als Gesetzgeber. Das Volk entscheidet über das Gesetz, über das hier im Parlament schon diskutiert wurde. Es wird einfach so gefragt, wie auch hier im Landtag gefragt wur de und wie zukünftig gefragt werden wird: Wer für dieses Ge setz ist, der stimme mit Ja, und wer gegen dieses Gesetz ist, der stimme ganz einfach mit Nein.

Im Übrigen – das haben meine Vorredner auch gesagt – ist die Konstellation, dass jemand, der für ein Projekt ist – in diesem Fall für Stuttgart 21 –, mit Nein stimmen muss und umgekehrt, bei Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene nicht unge wöhnlich. Nein, es ist im Prinzip der Regelfall, dass der Bür ger auf einen ein Projekt ablehnenden Gemeinderatsbeschluss hin entscheidet, mit Ja oder mit Nein stimmt, und sich die Fra ge auch bei diesen kommunalen Entscheidungen auf einen entsprechenden Gemeinderatsbeschluss bezieht. Die Unter stellung, die Grünen hätten irgendwelche Einflussnahme vor genommen, ist einfach albern.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Überhaupt nicht! – Abg. Nicole Razavi CDU: Gar nicht!)

Fakt ist: Der Inhalt des Stimmzettels wurde abgestimmt – wie dies auch bei anderen Wahlen üblicherweise immer wieder der Fall ist – mit dem Finanz- und Wirtschaftsministerium, dem Justizministerium, dem Staatsministerium, dem MVI und wurde letztlich in unserem Haus verantwortet.

(Abg. Peter Hauk CDU: Da waren die Grünen mit beteiligt!)

Wir haben uns allein an den Gesetzgebungskompetenzen ori entiert, die wir haben, u. a. am Volksabstimmungsgesetz, wel ches glasklar zum Ausdruck bringt und gar keine andere Mög lichkeit zulässt – ich wiederhole es –, als über einen konkre ten Gesetzentwurf mit Ja oder mit Nein abzustimmen.

Ein Stimmzettel, meine Damen und Herren, ist im Übrigen – im Gegensatz zu dem, was Sie, Frau Razavi, angedeutet ha ben – auch keine Unterlage zur Meinungsbildung. Es werden gar keine Informationen darüber geduldet, ob es andere Plä ne, Pläne für Alternativen und Ähnliches gibt. Der Stimmzet tel ist keine Unterlage zur Meinungsbildung,

(Abg. Nicole Razavi CDU: Aber die Broschüre schon!)

sondern er ist ausschließlich Grundlage zur Bekundung des Willens des Abstimmenden, was dieses Gesetz anlangt.