Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Ich verstehe gar nicht, warum Sie den Bürgerinnen und Bür gern das nicht zutrauen. Meine Erfahrung ist eine ganz ande re. Ich gehe nicht so oft in Bahnhofsgaststätten wie Sie,

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Nicole Razavi CDU: Das ist ein Fehler!)

aber man trifft auch außerhalb von Bahnhofsgaststätten hin und wieder Bürgerinnen und Bürger.

(Heiterkeit)

Die Bürgerinnen und Bürger haben in der Regel eine klare Po sition. Sie wollen sich auch einbringen. Es gibt auch welche, die vielleicht noch unentschieden sind; um die muss man kämpfen. Dann gibt es einige, die ein Bauchgefühl haben; auch da kann man argumentativ noch etwas erreichen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Manche sind unerreichbar!)

Das ist doch der richtige Zeitpunkt, sich inhaltlich mit diesen Themen zu beschäftigen. Da geht es um die Frage: „Weshalb wollen wir, dass Stuttgart 21 fortgesetzt wird?“ oder um die Frage: „Weshalb wollen wir, dass Stuttgart 21 gestoppt wird?“ Mit diesen Themen sollten wir jetzt ins Land hinausgehen.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Tun wir!)

Wir sollten nicht so tun, als wäre das noch immer ein Streit thema, über das man hier über Foren und was weiß ich alles miteinander diskutieren müsste. Wir müssen über Pro und Kontra diskutieren, dann aber auch laut und deutlich sagen: Das letzte Wort hat das Volk von Baden-Württemberg. Und dieses Wort gilt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Meine Damen und Her ren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist Tagesordnungspunkt 1 beendet.

(Abg. Peter Hauk und Abg. Nicole Razavi CDU: Schade!)

Bevor ich Tagesordnungspunkt 2 aufrufe, möchte ich etwas nachholen. Kollege Hahn hat heute Geburtstag. Ich möchte Herrn Kollegen Hahn im Namen des Hauses ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

a) Aktuelle Debatte – Chancen und Potenziale der Wind

kraft in Baden-Württemberg – beantragt von der Frak tion GRÜNE und der Fraktion der SPD

b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für

Umwelt, Klima und Energiewirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der CDU und der Stellungnahme des Mi nisteriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft – Ziele und Folgen des Ausbaus der Windkraft in BadenWürttemberg – Drucksachen 15/44 (geänderte Fas sung), 15/661

Berichterstatter: Abg. Johannes Stober

Auch für diese Aktuelle Debatte hat das Präsidium eine Ge samtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner und Redne rinnen in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schoch für die Fraktion GRÜ NE.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rede einen Begriff aufgreifen, den Professor Dr. Goll vorhin verwendet hat, nämlich „Fortschritt oder Still stand“. Diese Thematik ist bei der vorausgegangenen Debat te immer wieder angesprochen worden. Ich denke, das passt genau zu dem Thema, das ich jetzt aufgreife. Ich möchte aber über den Fortschritt reden und deutlich machen, dass wir mit der grün-roten Landesregierung dafür stehen, den Fortschritt – sprich die erneuerbaren Energien – hier in unserem Land, in Baden-Württemberg, zu etablieren und damit eben auch die Windkraft hier zu verorten. Das ist unser Ziel.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, drei Kernbotschaften möch te ich Ihnen mitteilen.

Erstens: Baden-Württemberg ist ein windreiches Bundesland. Der Windatlas der damaligen Landesregierung belegte das erstmalig eindrücklich. Beim Anteil der Windenergie am Strom mix ist Baden-Württemberg aber Schlusslicht unter den Bun desländern. Das muss sich ändern, weil wir den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur wollen, sondern seit dem Atomausstieg auch dazu gezwungen sind. Windenergie ist am wirtschaftlichsten, und die wirtschaftlichste Art der erneuer baren Energien muss natürlich auch entsprechend weiterent wickelt werden. Selbst Länder wie Rheinland-Pfalz haben den Ausbau der Windenergie erfolgreich vorangetrieben.

Die zweite Kernbotschaft: Wir müssen die Windenergie in Ba den-Württemberg ausbauen. Die Energiewende ist dezentral und bürgernah. Mit dem Ausbau der Windenergie in BadenWürttemberg wird auch ein bedarfsgerechter Ausbau der

Stromautobahn möglich sein. Mit dem Ausbau der Windener gie wird Wirtschaftskraft im Land geschaffen und vorhande ne gestärkt. Bis zum Jahr 2020 wollen wir 10 % des Strombe darfs mit heimischer Windkraft decken. Momentan beträgt die installierte Leistung in Baden-Württemberg gerade 467 MW. Wir planen, diesen Anteil bis 2020 auf 3 600 MW installierte Leistung zu erhöhen. Zum Vergleich: Sachsen-Anhalt hat ge genwärtig eine installierte Leistung von 3 500 MW. Wir wol len Arbeitsplätze vor Ort, in der Region und natürlich in Ba den-Württemberg insgesamt sichern. In Deutschland wurden bis 2009 in der Windenergiebranche 102 000 Arbeitsplätze geschaffen, allein 30 000 zwischen 2006 und 2009.

Drittens: Der Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Goldgräberstimmung ist in der baden-württembergischen Windbranche seit dem 27. März vorhanden. Alle scharren mit den Hufen. Baden-Württemberg als Land des Mittelstands hat beste Voraussetzungen, die Ener giewende zu schaffen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Windenergiebetreiber und Investoren versuchen bereits, sich windhöffige Standorte zu sichern. Bürgergenossenschaften schießen allerorts aus dem Boden, weil sich die Bürger an der Energiewende in Baden-Württemberg beteiligen wollen. Hier entsteht Partizipation. Diese Bürgerbeteiligung schafft Akzep tanz. Meist sind auch die örtlichen Banken mit im Boot, die natürlich als Kapitalgeber dienen. Aber auch Bürgermeister und ihre Verwaltungen werden allerorts aktiv. Grund ist zum einen das Hoffen auf Pacht- und Gewerbesteuereinnahmen bei Installationen auf kommunaleigenen Flächen, zum ande ren die Attraktivitätssteigerung der Kommune als Wirtschafts standort. Aber auch eingesessene und neu gegründete Stadt werke werden aktiv, bauen und wollen Geschäftsfelder aus bauen. Das bedeutet, die Wertschöpfung bleibt vor Ort – Si cherung des örtlichen Handwerks, Stärkung regionaler Wirt schaftskreisläufe.

Immerhin, meine Damen und Herren, hat die frühere Regie rung den Windatlas für Baden-Württemberg auf den Weg ge bracht. Das Geschäft fängt aber jetzt erst an, da jetzt die Fein abstimmung losgeht: Wo sind die besten Standorte? Wie hoch ist die Windgeschwindigkeit tatsächlich? Viele Angaben im Windatlas beruhen schließlich nur auf Berechnungen auf der Basis flächendeckend vorhandener Messungen.

Mit der Änderung des Landesplanungsgesetzes wollen wir da rum die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Die einschränkenden Regionalpläne werden aufgehoben. Aus schlussgebiete wird es nicht mehr geben. Dies ist notwendig, da viele bisher ausgewiesene Vorranggebiete für die Investo ren wirtschaftlich uninteressant waren, was die Ansiedlung von Windkraftanlagen verhindert hat.

Die Gestaltung des Landesplanungsgesetzes wird aber dafür sorgen, dass es keinen Wildwuchs geben wird. Näheres wol len wir in einem noch zu erstellenden Windenergieerlass mit zeitgemäßen Ausschlusskriterien regeln.

Der Schwerpunkt liegt für uns auf der Konzentration von Windenergieanlagen.

(Abg. Winfried Mack CDU: Hat die Regierung Ihnen diese Rede geschrieben?)

Wir haben Gemeinsamkeiten. – Die Ausweisung muss na türlich trotzdem durch die Regionalverbände erfolgen. Eine Unterstützung durch die Kommunen ist notwendig. Innovati ve Kommunen werden zögerliche Regionalverbände motivie ren, hier aktiv zu werden. Das war in der Vergangenheit nicht möglich. Die Kommunen werden mehr Entscheidungskom petenzen erhalten. Zögerliche Kommunen und Regionalver bände werden durch die auf den Plan tretenden Investoren mo tiviert, in die Flächenausweisung einzusteigen.

Natürlich erfolgt dies alles nicht ohne die entsprechenden Um weltverträglichkeitsprüfungen und die Beachtung des Um welt-, Natur- und Landschaftsschutzes.

Aber eines ist auch klar: Windenergieanlagen wird man se hen. Sie sollen als Symbol auch weithin sichtbar verkünden: In Baden-Württemberg weht ein anderer Wind. Da dreht sich was, da geht was.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Da brummt was!)

Bei Ihnen brummt etwas.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Windräder kann man nun einmal nicht im Keller aufstellen. Aber Windräder kann man auch wieder abbauen – im Gegen satz zu manchen anderen Technologien.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Glocke der Präsidentin)

Herr Abg. Schoch, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Zimmermann?

Am Schluss.

Am Schluss der Ausfüh rungen, Herr Zimmermann.

(Abg. Paul Nemeth CDU: Jetzt müsste auch bald Schluss sein!)

Wenn die CDU fordert: „Energiewende jetzt, aber richtig“, dann muten Forderungen wie die, Windenergieanlagen auf der Schwäbischen Alb in die „zweite Reihe“ zu stellen, weit entfernt vom Albtrauf, doch etwas seltsam an. Oder fahren Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie auf der Autobahn möglichst schnell von Stuttgart nach Ulm kommen wollen, mit zwei Rädern auf der Stand spur und mit zwei Rädern im Gras?

(Abg. Paul Nemeth CDU: Wir würden gern mit dem ICE fahren, wenn es ihn gäbe!)

Das Landschaftsbild und unsere Wahrnehmung dieses Bildes muss sich anpassen und wird sich auch anpassen. Dies erfährt man überall dort, wo bereits Anlagen entstanden sind: Im ho hen Norden, aber auch bei uns in Südbaden gibt es vereinzelt „gallische Dörfer“, in denen man schon weiter ist als im Land insgesamt. Dort gibt es sogar schon Tourismusangebote zu den Windrädern oder zu den energieautarken Kommunen. Das ist beispielhaft.