Protokoll der Sitzung vom 18.02.2016

Auch nach zahlreichen Zeugenvernehmungen sind Fragen of fengeblieben, z. B. zu möglichen Verbindungen von KKKStrukturen zum NSU. Auch Bezüge von Baden-Württemberg nach Thüringen konnte der Untersuchungsausschuss nicht un tersuchen, weil die dafür erforderliche Zeit schlichtweg ge fehlt hat. Für mich ist auch denkbar, dass sich der neue Land tag auch mit der rechten Musikszene und gewalttätigen mili

tanten Strukturen in der rechtsextremistischen Szene insge samt in Baden-Württemberg beschäftigt und auch diese ins Blickfeld nehmen kann.

Der Untersuchungsausschuss hat deshalb beschlossen – das wurde vorhin auch nochmals erwähnt, und das begrüßen wir auch ausdrücklich und haben wir auch schon lange gefordert –, dass die Arbeit nicht in dieser Wahlperiode zum Ende kommt, sondern dass wir in der nächsten Legislaturperiode einen weiteren Aufschlag machen. Das wurde einstimmig be schlossen. Auch hier haben alle Fraktionen an einem Strang gezogen.

Sicherlich werden sich auch weitere Erkenntnisse mit Bezü gen zu Baden-Württemberg gegebenenfalls auch aus dem lau fenden Prozess in München und aus anderen Untersuchungs ausschüssen ergeben. Deshalb sollte man den Dingen hier nicht unter Zeitdruck nochmals weiter auf den Grund gehen.

Insoweit ist der Abschlussbericht auch ein Zwischenbericht, weil er letztendlich nur den aktuellen Sachstand wiedergibt, was in der jetzigen Situation vorliegt.

Zum Abschluss möchte ich mich ganz herzlich bei meiner Kollegin Petra Häffner und meinem Kollegen Alexander Sa lomon von meiner Fraktion, den parlamentarischen Beratern – Herrn Ellinger, Steffen Becker, Jens Braunewell, Andrea Schäfer, Gaby Schuster – und natürlich auch bei den Obleu ten und Kollegen der anderen Fraktionen dafür bedanken, dass wir hier zu einem entsprechenden Ergebnis kommen konnten und man wirklich sagen kann: Man hat sich hier wirklich be müht, immer gemeinsam die Dinge voranzutreiben.

Ein ganz besonderer Dank gilt dem Vorsitzenden Wolfgang Drexler für die hervorragende Arbeit und sein außergewöhn liches persönliches Engagement auch um die Weihnachtszeit herum. Man muss ja sehen: Es war Weihnachten und Neujahr; das war für alle Obleute eine schwierige Situation, aber ganz besonders natürlich für die parlamentarischen Berater, für das Ausschussbüro und den Ausschussvorsitzenden. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses war wirklich in einem wahn sinnig engen Zeitkorsett gestrickt, damit wir noch die Chan ce hatten, den Bericht rechtzeitig vorzulegen, was wir ja heu te getan haben.

Nicht zuletzt darf ich mich ganz herzlich auch beim Stenogra fischen Dienst bedanken; denn auch dort hat ein immenser Zeitdruck vorgeherrscht, um alle Protokolle erstellen zu kön nen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Redezeit geht zu Ende,

(Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

und dieser Ausschuss hat sein Ende in dieser Konstellation. Aber es geht ja weiter; da sind wir uns sicher.

Ich danke für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Sakellariou.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Eindrücklich ist für mich, dass wir heute einen Abschlussbericht über Verbrechen eines NSU vor legen, begangen von jungen Leuten, die bei Demonstrationen gegen Flüchtlingsheime radikalisiert worden sind. Wenn man noch einmal in das Buch „Heimatschutz“ von Stefan Aust und Dirk Laabs hineinschaut, sieht man, dass damals stellenwei se dieselben Parolen an den Toren skandiert wurden, wie sie heute wieder geschrien werden. Dieselben Parolen, stellen weise wortgleich! Wenn wir wissen, was daraus geworden ist, und uns daran erinnern, dass im Jahr 1992, genau in dem Jahr, in dem sich diese jungen Leute radikalisiert haben, die Repu blikaner in den Landtag von Baden-Württemberg eingezogen sind, wird auch deutlich, dass sich Geschichte wiederholen kann.

Angesichts dessen kann ich nur sagen: Wer ab heute, ab die sem Tag, nicht alles unternimmt, um solche Personengruppen, um solche fehlgeleiteten jungen Leute aus diesem Sumpf he rauszuholen, ist spätestens ab heute bösgläubig. Er ist bös gläubig, weil er weiß, was für eine Gefahr und für ein gefähr liches Potenzial darin steckt und was wir, die Gesellschaft, bei diesem Thema erledigen müssen. Das ist einmal der Rahmen.

Inhaltlich: Es stimmt, es war sehr anstrengend. Aber wie an strengend es wirklich war, wird dann anschaulich, wenn man einmal einen anderen Ausschuss als Vergleich heranzieht. Der FlowTex-Untersuchungsausschuss hat in vier Jahren 48 Sit zungen abgehalten und wir in einem Jahr 39. Wir haben prak tisch in einem Jahr komprimiert leisten müssen, was beim FlowTex-Untersuchungsausschuss in vier Jahren geleistet wurde. Das ist schon gewaltig und gigantisch gewesen. Was haben wir gemacht?

(Abg. Niko Reith FDP/DVP: Der Vergleich hinkt!)

Der Vergleich hinkt nicht.

Noch einmal: Worum ging es? Es ging darum, dass wir in Ba den-Württemberg zwei Straftaten hatten: den Mord an Michèle Kiesewetter und den Mordversuch an ihrem Streifenkollegen. Etwas, was bei einer Tat ohne Geständnis und ohne Tatzeu gen völlig normal ist, dass nämlich viele Fragen offenbleiben, hat hier dazu geführt, dass sowohl die Angehörigen als auch die Öffentlichkeit großes Misstrauen empfunden haben und viel Verunsicherung entstanden ist. Denn die Aufklärung die ses bestialischen Mordes hat über vier Jahre gedauert. Der Mord ist erst durch Zufall am 4. November 2011 aufgedeckt worden – viereinhalb Jahre danach. Obwohl in nahezu jeder Radiosendung über neue Spuren etwa vom Phantom berich tet wurde, ist die Öffentlichkeit ratlos zurückgeblieben, war um man die Dinge nicht hatte früher aufklären können.

Diese lange Zeit hat natürlich zu Fragen geführt: War da Ab sicht im Spiel? Wollte irgendjemand etwas verschleiern – wo möglich absichtlich – und es der Öffentlichkeit nicht zukom men lassen? Ich kann Ihnen sagen: Das Ergebnis aller Befra gungen, Zeugenvernehmungen in dieser hohen Schlagzahl hat jedenfalls dazu geführt, dass wir uns mit allen Theorien, die entwickelt worden sind, befasst haben – mit allen. Wir konn ten die allermeisten aus meiner Sicht abräumen.

Am Ende kann ich vielleicht so viel sagen: Wir haben mit My then aufgeräumt, und dort, wo wir hingeschaut haben, ist es am Ende der Arbeit dieses Ausschusses sehr viel heller ge

worden, als es vorher war. Da gab es viele dunkle Ecken, vie le Verschwörungen, aber am Ende war es heller, als es vorher war.

Im Einzelnen mussten wir drei zentralen Fragen nachgehen:

Erste Frage: Wer hat Michèle Kiesewetter ermordet? Das war zu Beginn des Ausschusses sehr offen. Es gab die Anklage des Oberlandesgerichts; die Generalstaatsanwaltschaft hatte ihre eigene Theorie und hat daran festgehalten. Wir sind dem nach gegangen und können jetzt einvernehmlich feststellen: Wir gehen davon aus, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für die beiden Verbrechen verantwortlich sind. Das war vorher nicht klar.

Warum wissen wir das so sicher? Wir wissen das nicht nur durch die Aussage von Frau Zschäpe, die dabei natürlich ganz eigene Motive hatte. Wir kennen das Motiv nicht, aber wir wissen aus vielen Indizien, wie im Strafverfahren üblich: Es ist wahrscheinlich, dass es so war. Daraus, dass die Waffe des Polizeibeamten A., die ihm im April 2007 weggenommen wurde, im November 2007 in die DVD eingearbeitet wurde – in der Kopie ist auch die Nummer dieser Waffe erkennbar –, die im November 2011 per Post versandt wurde, wird deut lich: Die beiden – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos – hat ten die Waffe schon 2007, ein halbes Jahr nach der Tat. Da mit ist die Theorie, dass sie ihnen erst 2011 untergeschoben wurde, praktisch erledigt. Dieser Mythos ist ausgeräumt.

Zweite große Frage: War Michèle Kiesewetter ein Zufallsop fer, oder ist sie gezielt ausgesucht worden? Ich möchte Folgen des vorwegschicken, weil mir das sehr wichtig ist: Michèle Kiesewetter hatte weder Kontakte zu Rechtsextremisten noch eine rechtsextreme Gesinnung. Bitte so etwas nie mehr erwäh nen! Das wird diesem Opfer Michèle Kiesewetter, die wegen unser aller Sicherheit ihren Dienst verrichtet hat und während dessen umgebracht wurde, nicht gerecht. Michèle Kiesewet ter bitte solchen Verdächtigungen nicht aussetzen!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU und der Grünen)

Zu der Frage „War sie ein Zufallsopfer?“ sind wir zu der Er kenntnis gekommen: Ja, sie muss ein Zufallsopfer gewesen sein. Warum? Sie ist am Mittwoch ermordet worden. Noch am Montag ist sie selbst davon ausgegangen, dass sie erst am Donnerstag Dienst hat. Das muss man sich einmal vorstellen: Am Montag ist sie noch davon ausgegangen, dass sie erst am Donnerstag Dienst hat, und musste vom Kollegen A. darauf hingewiesen werden, dass sie am Mittwoch gemeinsam Dienst haben. Das war alles sehr kurzfristig.

Zum Tagesablauf: An diesem Tag, als Michèle Kiesewetter ermordet wurde, musste sie, nachdem sie mit ihrem Kollegen schon draußen war, außerplanmäßig wieder zurück ins Poli zeipräsidium, ist dann wieder rausgefahren und unmittelbar danach ermordet worden. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn jemand gezielt Michèle Kiesewetter an diesem Tag hät te töten wollen, hätte er sie von morgens bis nachmittags be schatten und ihr hinterherfahren müssen, ohne dass sie es ge merkt hätte.

Was aber ist passiert? Unmittelbar, nachdem sie auf den Park platz gefahren ist, ist sie erschossen worden. Das heißt, die

Täter waren schon da. Sie hätten an diesem Tag jeden ermor det, der dort in einem Polizeiauto gesessen hätte. Das ist un sere Erkenntnis vom Tagesablauf. Deswegen ist es sehr un wahrscheinlich, dass es jemand gezielt auf Michèle Kiesewet ter abgesehen hatte.

Die dritte Frage ist allerdings offengeblieben: Wie sind sie auf die Theresienwiese gekommen, auf der an dieser Stelle im mer einmal wieder Polizeiautos standen? Wir werden dem fol genden Landtag die Aufgabe übergeben, zu untersuchen: Gab es Verflechtungen, Netzwerke zwischen Thüringen und Ba den-Württemberg, aus denen man herauslesen kann, ob es Helferinnen und Helfer gab, die etwa diese beiden Täter an diesen Ort geführt, ihnen die Empfehlung gegeben haben?

Dieser Frage müssen wir noch nachgehen. Denn wenn es Ver knüpfungen gab, dann sind diese Personen immer noch hier, leben sie noch unter uns, und dann gibt es ein ganz massives Interesse auch der Opfer und der Angehörigen, diese Perso nen ausfindig zu machen und ihrer gerechten Strafe zuzufüh ren.

Und ja, der Komplex Florian H. hat uns sehr lange beschäf tigt. Auch hier hat es Ermittlungspannen gegeben. Aber ge nauso wie es Ermittlungspannen gegeben hat, hat die zustän dige Polizei Disziplinarverfahren eröffnet und eine interne Re vision eingeleitet, die sicherstellen kann, dass sich die ange sprochenen Dinge nicht wiederholen werden. Denn die Per sonen, die diese Fehler gemacht haben, sind zur Rechenschaft gezogen worden

(Zuruf: Exzessiv!)

im Rahmen des Beamtenrechts. Da gibt es – keine Frage – nichts zu beschönigen. Es sind Fehler gemacht worden, und diese sind in einem umfangreichen Bericht der internen Re vision aufgearbeitet worden. Wie gesagt, die nächste Stufe, dass sogar Disziplinarverfahren eingeleitet worden sind, ist die höchste Stufe, der man als Beamter, der Fehler macht – niemand ist fehlerlos –, ausgesetzt werden kann.

Zu den weiteren Ergebnissen, nachdem sich die anderen My then, die von uns aufgearbeitet wurden, als nicht zielführend oder als nicht relevant herausgestellt haben: Wir haben hier Personen vernommen, die wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Gefängnis sitzen und uns über den Mossad und sonstige Geheimdienste berichten wollten. Mit solchen Leu ten mussten wir uns befassen, um den Dingen näherzukom men. Wir haben also wirklich keinen Kontakt selbst mit den unangenehmsten Leuten gescheut, um diesen Fragen weiter nachzugehen.

Ich jedenfalls kann für mich sagen: Am Ende ist an den Kom plexen S./O. und Hauskauf Tino B. nichts hängengeblieben. Wir sind wirklich in die Tiefe gegangen. Tino B., den Frau Zschäpe als einen ihrer Mentoren bezeichnet hat, als denjeni gen, der sie nach ihrer Erläuterung in den NSU gebracht ha ben soll, hat in Baden-Württemberg ein Haus gekauft. Natür lich musste man dem nachgehen. Aber wir haben nichts ge funden.

Das gilt auch für die Geschichte mit der Krokus, die behaup tet hat, die rechtsextremistische Szene hätte Herrn A. ausge späht. Auch da war nichts dran; das war wirklich eine Ge

schichte, die nicht richtig war und aus der man nichts ablei ten kann.

Es bleibt natürlich eine offene Wunde, etwas, das sich nie wie derholen darf, dass Polizeibeamte in Baden-Württemberg Mit glied im Ku-Klux-Klan waren. So etwas ist nicht nachvoll ziehbar; es ist absolut unpassend. Ein Polizeibeamter, der in einer freiheitlichen Gesellschaft seinen Dienst tut und oft auch wirklich unangenehme Dinge erledigen muss – Dinge, die er für uns erledigen muss –, der die Sicherheit aufrechterhalten muss, hat im Ku-Klux-Klan nichts verloren. Der Ku-KluxKlan ist eine verbrecherische Organisation, und ein Polizist steht für Recht und Anstand. Deswegen gehören Polizeibeam te nicht in den Ku-Klux-Klan. Die beiden Beamten, die dort Mitglied gewesen sind, waren eine Ausnahme. Es gibt keine weiteren Polizisten beim Ku-Klux-Klan, derer wir habhaft ge worden wären. Das muss klargestellt werden; das ist so.

Zum Abschluss möchte ich noch einmal Wert auf eine Fest stellung legen, die alle schon getroffen haben: Die Einmütig keit in dieser Frage ist ein Wert an sich. Ich verweise hier auf andere Bundesländer; in Hessen beispielsweise ist dies nicht möglich. Es ist in anderen Bundesländern nicht möglich, so einvernehmlich zu agieren. Das ist tatsächlich ein Wert an sich. Denn sowohl die Opfer als auch deren Angehörige ha ben einen Anspruch darauf, dass wir dieses Thema nicht zu parteipolitischen Zwecken missbrauchen.

Um dies jedoch zu erreichen, war das Engagement des Vor sitzenden ebenso wie das Engagement von vier Obleuten er forderlich, die nicht nur einmal, nicht nur zweimal und auch nicht nur dreimal, sondern mindestens viermal über ihren Schatten gesprungen sind. Dafür mein herzlicher Dank.

Sehr glücklich und zufrieden bin ich auch darüber, dass sich dieser Ausschuss dafür entschieden hat, dass alle Protokolle und alle Befragungen, die wir hier durchgeführt haben, öffent lich gemacht werden. Jeder Bürger – das ist ein maximales Zeichen von Transparenz – kann jetzt hergehen und unseren Bericht mit seinen 1 400 Seiten lesen; er kann die Protokolle im Internet hinzuziehen und dann selbst nachvollziehen, ob unsere Schlussfolgerungen aus diesen Befragungen auch für ihn in Ordnung sind oder ob er andere Schlüsse zieht. Dann muss er aber auch sagen, woraus er diese ableitet.

Ich bedanke mich für die Arbeit bei denjenigen, die wissen, dass sie gemeint sind.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Goll.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Dank beginnen und nenne dabei ebenfalls zunächst den Vorsitzenden, der sein Amt mit großer Sachkunde und großem Engagement wahrge nommen hat. Auch nach meiner Meinung hätte man dies gar nicht besser machen können.