Dies wäre der Fall, wenn wir hier Erwartungen wecken, die wir, das Land Baden-Württemberg, nicht erfüllen können. Dann würden wir genau das machen, was Sie uns hier in den Mund legen wollen.
Nein, jetzt nicht. Ich muss nämlich noch Rosa Grünstein für ihre letzte Ansprache ein paar Minuten Redezeit übrig lassen. Dieses Mal müssen Sie sich ohne Zwischenfrage begnügen.
Meine Damen und Herren, es ist auch klar: Die Schließung nationaler Grenzen wird es mit uns nicht geben. Nationale Grenzen zu schließen wäre das Ende Europas. Dies kann al so keine Lösung sein.
Herr Rülke, wenn Sie jetzt hier drei Wochen vor der Land tagswahl sagen: „Handeln Sie endlich!“, dann sage ich Ihnen: Vor 40 Jahren ist Erhard Eppler in den Landtag eingezogen, und vor 41 Jahren hat er dieses Buch veröffentlicht,
Lesen Sie das Buch einmal durch. Von dieser Stelle aus ist be reits vor 40 Jahren dazu aufgefordert worden, zu handeln – was wir bereits hätten machen können. Lesen Sie sich noch einmal durch, was Erhard Eppler vor 41 Jahren formuliert hat. Sie hätten handeln können – 40 Jahre lang. Es war vorherseh bar, dass das auf uns zukommen wird. Auch in diesem Land tag von Baden-Württemberg
war dies bekannt. Deswegen werden wir die Fluchtursachen, die Erhard Eppler bereits vor 41 Jahren angesprochen hat, be kämpfen und heute mehr als 1,2 Milliarden € und zusätzlich 700 Millionen € finanzieren, um so zu helfen.
Ein ganz wichtiger Punkt ist die Registrierung. Sie haben voll kommen recht: Wir brauchen die Registrierung, und die Ver netzung muss noch besser laufen. Sie sprechen von „Staats versagen“, obwohl Sie genau wissen, dass jede Regierung vor derselben Herausforderung steht, so viele Flüchtlinge auf ein mal aufzunehmen. Sie erwähnen dann aber nicht, was es in dieser kurzen Zeit an Verbesserungen gegeben hat, wie wir mit der Registrierung vorangekommen sind. Niemand verlässt mehr die LEA, ohne registriert zu werden. Man darf nicht von „Staatsversagen“ reden, wenn man nicht anderen Leuten Fut ter geben will, die kein Futter brauchen. „Staatsversagen“ ist die völlig falsche Formulierung.
Wir brauchen allerdings auch – da gebe ich Ihnen recht – die Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten. Es ist richtig, dass die Erklärung von Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zu Rückgängen bei den Zugangs zahlen insgesamt in Deutschland und damit auch in BadenWürttemberg geführt hat.
Wir brauchen auch die Feststellung, dass Marokko, Tunesien und Algerien sichere Herkunftsstaaten sind. Wir erwarten auch, dass die Zustimmung dazu erteilt wird, weil dadurch das Asylrecht eben nicht ausgehebelt wird. Das muss man immer dazusagen. Auch jemand, der aus einem sicheren Herkunfts staat kommt, hat ein Recht, dass seine individuellen Asylgrün de geprüft werden, wenn er solche vorträgt. Wenn er sagt: „Ich komme aus Tunesien und will Asyl“, reicht das zukünftig nicht aus. Das muss auch von dieser Landesregierung als Si gnal ausgehen, meine Damen und Herren.
Das ist auch richtig. Hören Sie auf, immer wieder diese Zah len aus Bayern zu verwenden, Herr Kollege Mack. Die Per sonen, die jetzt von Ellwangen nach Stuttgart verfrachtet wor den sind und dann nicht mehr auffindbar waren, wären in der Statistik in Bayern unter „freiwillig ausgereist“ aufgetaucht.
In der zweiten Runde wird Rosa Grünstein ihre letzte Rede halten. Da bitte ich um entsprechende Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie will man den Flüchtlingszugang in den Griff bekommen? Das ist eine gute Frage.
Eigentlich sollte aber nicht ich und auch kein anderes Mit glied der Landesregierung hier stehen, sondern eher Kanzle rin Merkel, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker oder auch EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Die Frage, wie man den Flüchtlingszugang in den Griff be kommen kann, sprengt jedenfalls bei Weitem den landespoli tischen Rahmen. Das ist, glaube ich, auch der FDP/DVP-Frak tion bekannt. Die FDP sitzt jetzt leider nicht mehr im Bundes tag und meldet daher die Themen für die Plenarsitzungen hier an. Das ist ihr gutes Recht.
Was eine Landesregierung in dieser Situation tun kann und tut, das haben wir getan – sogar mehr als das. Im Jahr 2015 haben wir etwa 114 000 Flüchtlinge in unseren Erstaufnah meeinrichtungen aufgenommen und registriert. Mehr als 100 000 sind nach dem Königsteiner Schlüssel bei uns geblie ben.
Die Erstaufnahmekapazitäten haben wir innerhalb kurzer Zeit auf 40 000 Plätze aufgestockt, also vervierzigfacht. Nachdem uns die Vorgängerregierung einzig und allein eine „LASt Karlsruhe“ mit gerade einmal 900 Plätzen überlassen hatte, sind wir in der Erstaufnahme inzwischen solide aufgestellt. Wir haben die Zuständigkeiten auf alle vier Regierungspräsi dien ausgeweitet und das Personal für die Aufnahme massiv verstärkt, und zwar auch innerhalb kurzer Zeit. Ich will jetzt nicht die einzelnen EAs und LEAs aufzählen. Das alles ist Ih nen bekannt. Wir haben derzeit auch einen Puffer mit freien Plätzen, den wir mit Blick auf den Frühling in jedem Fall auch brauchen werden.
Wir bieten den Flüchtlingen aber nicht nur ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit, sondern wir haben die gesam te Infrastruktur nachgezogen: medizinische Versorgung, So zialbetreuung, Security, Streetworker, Ehrenamtskoordinati on, Sicherheitsberater, Ombudsstelle, Ombudsleute und poli zeiliche Einsatzkonzepte. Derzeit bauen wir die technische Si cherung der Erstaufnahmeeinrichtungen aus, um ein Maxi mum an Sicherheit zu bieten.
Wir stimmen uns auch intensiv mit dem Bundesamt für Mig ration und Flüchtlinge ab. Ziel sind noch effizientere Abläu fe.
Dabei gibt es leider eben auch noch viel zu tun. Noch immer werden Asylanträge oft erst nach Monaten angenommen, und auch die Asylverfahren dauern im Schnitt noch zu lange.
Inmitten der Krise ist es uns aber gelungen, mit dem ZRZ, dem Zentralen Registrierungszentrum, im Patrick-Henry-Vil lage eine Mustereinrichtung zu schaffen. Dort sind alle Ver fahrensschritte getaktet und miteinander verknüpft. Im Ideal fall hat ein Asylbewerber bereits nach drei Tagen seinen Asyl bescheid. Das hat bundesweit Vorbildcharakter. Deswegen empfiehlt der Bund dieses Konzept auch den anderen Län dern.
Ebenfalls sind uns eine verlässliche Erfassung, Identifizierung und Überprüfung aller Flüchtlinge gleich nach der Ankunft wichtig. Auch hier gibt es klare Fortschritte. Mit der Einmal erfassung in einer zentralen Datenbank und der Ausstellung eines fälschungssicheren Flüchtlingsausweises sind wir, das Land Baden-Württemberg, ebenfalls bundesweit Vorreiter.
Der Ausweis wurde am Donnerstag in Heidelberg vorgestellt, und am Freitag hat die entsprechende Regelung den Bundes rat passiert. Insofern sind wir den Dingen wirklich um eini ges voraus. Mehrfachregistrierungen und unerlaubtes Umher wandern zwischen den Aufnahmeeinrichtungen werden da mit der Vergangenheit angehören.
Kommen wir jetzt zu den Flüchtlingen, die keine Bleibeper spektive haben, namentlich denen aus den sicheren Herkunfts ländern. Sie werden seit einigen Monaten erst gar nicht mehr in die Kreise verteilt. Das hatten wir ohnehin mit den kom munalen Landesverbänden so abgemacht, bevor dazu auch die bundesgesetzliche Änderung erfolgte. Die Menschen blei ben bis zum Ende des Verfahrens in der LEA. Für Asylsuchen de aus den sogenannten Maghreb-Staaten, die ebenfalls kaum Bleibeaussichten haben, haben wir mit dem BAMF beschleu nigte Verfahren vereinbart. Auch sie sollen nach negativem Bescheid bis zur Ausreise oder Abschiebung in den Erstauf nahmeeinrichtungen bleiben. Außerdem sollen alle Asylsu chenden, die nicht sofort in die Kreise verteilt werden kön nen, in den LEAs künftig kein Bargeld mehr bekommen. Da rüber haben wir hier auch schon gesprochen.
Über eines müssten wir uns jedoch klar sein – da bin ich wie der bei der Fragestellung dieser Debatte –: Weder Sachleis tungen noch Hausarrest werden Menschen, die in ihrer Exis tenz bedroht sind, von einer Flucht abhalten. Wir, das Bun desland Baden-Württemberg, werden, wenn wir ehrlich sind, überhaupt niemanden von der Flucht abhalten können. Alles andere ist Augenwischerei oder Wahlkampfrhetorik.
Wir haben es hier insgesamt mit einer Herausforderung zu tun, die nur supranational bewältigt werden kann, und zwar in ers ter Linie dort, wo sie ihre Wurzeln hat, nämlich in den Her kunftsgebieten. Allerdings – das räume ich ein – besteht der zeit leider eben auch kaum Aussicht, in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten Krieg, Armut oder Korruption zu stoppen. Dazu sind die Krisenherde einfach auch zu zahlreich. Ein gemeinsamer Wille von Amerikanern, Europäern, Russen und den Staaten des Vorderen Orients zur Bewältigung dieser Krisen ist ebenfalls kaum zu erkennen.
Gelingt jedoch die Beseitigung der Fluchtursachen auf abseh bare Zeit nicht, dann sollen – das ist, glaube ich, Frau Mer kels Plan – die großen Flüchtlingsströme in Richtung Europa wenigstens besser abgefedert, gesteuert und gerechter verteilt werden. Denn auch die Kanzlerin weiß: Im bisherigen Tem po des Flüchtlingszugangs kommen wir mit einer geordneten Aufnahme und erst recht mit einer Integration der Flüchtlin ge nicht nach. Auch die Mehrheit der Bevölkerung macht ei ne weitere Million Flüchtlinge in einem Jahr vermutlich nicht mehr mit.
Gefragt ist die Europäische Union, vor allem aber auch die Solidarität der europäischen Länder. Europa ist dabei zwin gend auf die Zusammenarbeit mit den großen außereuropäi schen Transitländern angewiesen. Man kann deren Herrscher mögen oder auch nicht, aber wir müssen mit ihnen zusam menarbeiten.