Protokoll der Sitzung vom 18.02.2016

Gefragt ist die Europäische Union, vor allem aber auch die Solidarität der europäischen Länder. Europa ist dabei zwin gend auf die Zusammenarbeit mit den großen außereuropäi schen Transitländern angewiesen. Man kann deren Herrscher mögen oder auch nicht, aber wir müssen mit ihnen zusam menarbeiten.

Der Bundeskanzlerin ist abzunehmen, dass sie alles tut, um auf diesem schwierigen Weg vorwärtszukommen. Wie müh sam und teilweise frustrierend das ist, lesen wir täglich in den Zeitungen, und es ist nicht auszuschließen, dass sie letztlich an den Widerständen in Europa oder sogar in der eigenen Par tei scheitert. Dann wird der Bundesregierung letztlich nichts

anderes übrig bleiben, als an den deutschen Grenzen konse quent zu kontrollieren. Ich erinnere mich noch: Als ich das vor über einem Jahr einmal vorgeschlagen hatte, wurde ich damals – interessanterweise von der CDU-Fraktion – als Anti europäerin beschimpft. Sie alle wissen nämlich: Das wäre möglicherweise auch das Aus für das Schengen-Abkommen.

Deshalb verdient es Respekt, dass sich die Kanzlerin zunächst der Herkulesaufgabe stellt, den europäischen Weg zu gehen. Immerhin geht es, abgesehen von der humanitären Herausfor derung, auch um die Zukunft der Europäischen Union. Was auch immer geschieht: Letztlich muss es gelingen, die Zuwan derung nach Europa und nach Deutschland zu regeln und auch zu begrenzen. Ein Staat oder auch eine Staatenunion, die die se Aufgabe nicht mehr leistet, hat als Völkerrechtssubjekt ver sagt.

Deshalb müssen fünf Ziele erreicht und miteinander verknüpft werden. Sie konnten sie, glaube ich, schon mehrfach nachle sen, aber ich trage sie gern noch einmal vor.

(Glocke des Präsidenten)

Erstens: Wir brauchen neben dem derzeit überstrapazierten Asylrecht ein Einwanderungsrecht mit klaren Voraussetzun gen, und das möglichst EU-weit. Damit lässt sich zumindest der Druck auf das Asylsystem abschwächen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin, gestatten Sie ei ne Zwischenfrage des Kollegen Zimmermann?

Ich würde gern bis zum Ende reden und die Zwischenfrage gern danach zulas sen.

(Zustimmung des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Zweitens: Abschiebung funktioniert leider eben häufig nicht. Das hat aber viele Gründe, rechtsstaatliche Gründe. Asylan träge sollten meiner Meinung nach besser bereits außerhalb der Schengen-Grenzen geprüft werden. Das könnte in Migra tionszentren oder in Transitzentren – etwa in der Türkei oder auch in ausgewählten nordafrikanischen Staaten – geschehen. Sie müssten dann von der EU finanziert und von ihr oder dem UNHCR betrieben werden. Auch das waren Vorschläge, die wir in Brüssel diskutiert haben, als wir vor Kurzem dort wa ren.

Drittens: Wir brauchen anstelle der letztlich gescheiterten Dublin-Regelung einen innereuropäischen Verteilmodus, der ähnlich funktioniert wie der Königsteiner Schlüssel. Asylsu chende dürfen dann nur in dem Staat einen Aufenthaltsstatus bekommen, dem sie zugeteilt werden.

Viertens: Wir müssen im Schengen-Raum möglichst einheit liche Aufnahmestandards schaffen. Denn nur dann, wenn Flüchtlinge überall die gleichen Aufnahmeregularien und Leistungen zu erwarten haben, verhindern wir eine Binnen wanderung, die zulasten Deutschlands geht. Das kann punk tuell eben auch zu Standardabsenkungen in Deutschland füh ren. Das muss uns klar sein; mir ist das klar.

Schließlich fünftens: Wir brauchen eine wirksame Kontrolle der Schengen-Außengrenzen. Nur so lassen sich selbst gesetz te Einwanderungsregeln auch wirksam durchsetzen. Das aber ist nicht die Aufgabe von Griechenland oder Italien, sondern eine Aufgabe der Europäischen Union. Wir müssen die Grenz schutzagentur Frontex in einer europäischen Gemeinschafts aktion so stärken, dass sie lückenlos auch die Seegrenzen des Schengen-Raums kontrollieren kann.

(Zuruf: Sehr richtig, Frau Ministerin!)

Das passiert bislang nicht oder nur sehr unzureichend. Ein sol ches Maßnahmenpaket ist nicht von heute auf morgen um setzbar; aber die Zeit drängt. Es ist meines Erachtens das ein zige Mittel, um Humanität, Zuwanderungssteuerung, eine ge rechtere Lastenverteilung innerhalb der EU und den Erhalt der Freizügigkeit in Europa unter einen Hut zu bekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Frau Ministerin, lassen Sie noch eine Frage zu? – Kollege Zimmermann, bitte.

Frau Ministerin, Sie haben während Ihrer Rede einen für mich bedeutsamen Satz gesagt. Deshalb frage ich noch einmal nach. Sie haben in etwa ge sagt: „Die Mehrheit der Bevölkerung macht nicht mehr mit, wenn dieses Jahr nochmals eine Million Flüchtlinge kom men.“ Können Sie mir erklären, wie sich das Nichtmitmachen dann äußert?

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Ganz vielfältig! – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Das war eine rhe torische Frage!)

Ja, genau. Ich glau be, auf diese rhetorische Frage muss ich nicht antworten. Sie lesen ja täglich Zeitung – ich auch –, und wir wissen, wie sich das äußert und äußern kann.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Ich will das jetzt von Ihnen hören!)

In der zweiten Runde erteile ich für die FDP/DVP-Fraktion noch einmal dem Fraktionsvorsit zenden Dr. Rülke das Wort.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Ihre souverä ne und kenntnisreiche Reaktion auf die Zwischenfrage

(Lachen des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

des Kollegen Zimmermann wirft ein bezeichnendes Licht auf Ihre Einleitungsworte, die da sinngemäß hießen: „Wir bekom men die Flüchtlingspolitik auf dieser Ebene nicht in den Griff. Wenn Sie Antworten wollen, dann dürfte nicht ich hier ste hen.“ Frau Ministerin, ich glaube, genau das ist das Problem: dass Sie einer Regierung angehören, die nicht in der Lage ist, angemessen auf die Probleme zu reagieren.

(Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Wir haben von Ihnen eine Aufzählung von Maßnahmen ge hört, die Sie in die Wege geleitet haben. Es ist aber notwen dig – –

(Glocke des Präsidenten)

Kollege Dr. Rülke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehmann?

Eine Abschlusszwi schenfrage vom Kollegen Lehmann. Gut.

(Abg. Willi Stächele CDU: Heute sind wir gönner haft!)

Vielen Dank, Herr Kol lege. – Ihre Aussage hat mich schon sehr verwundert.

Ist es wahr?

Sind Sie tatsächlich der Ansicht, dass Baden-Württemberg das Flüchtlingsproblem, das wir in Europa und im Nahen Osten haben, lösen kann, nur weil die FDP/DVP meint, das wäre möglich? Welche Instru mente haben wir in Baden-Württemberg, um die Flüchtlings ströme zu beeinflussen?

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Herr Kollege Leh mann, es ist mir eben – –

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE bleibt an einem Saalmikrofon stehen.)

Sie können sich gern wieder hinsetzen. Ich habe die Frage verstanden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Er darf aber auch stehen bleiben!)

Er darf auch stehen bleiben. Ich habe gesagt, er kann sich gern wieder hinsetzen. Ich habe nicht gesagt: „Sitz machen!“

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Sehr gönnerhaft! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Danke, Herr Ober lehrer! – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Arroganz kommt vor dem Fall!)

Die Frage, Herr Kollege Lehmann, ob das Land Baden-Würt temberg einen Beitrag leisten kann, bejahe ich allerdings. Es ist nämlich notwendig, Signale zu setzen.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Das war nicht meine Frage!)

Es ist auch notwendig, Signale im Land Baden-Württemberg zu setzen und hier nicht einfach zu sagen: „Wir können nichts machen.“ Diese Landesregierung muss einen Beitrag leisten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zurufe der Abg. Beate Böhlen GRÜNE und Walter Heiler SPD)

Ich sage Ihnen gleich noch, welchen Beitrag. Das war schon zu Beginn der Debatte. Ich wiederhole es gern, Herr Kollege Heiler. Sie können es gern in Waghäusel weiterverbreiten.

Es geht darum, dass der Ministerpräsident das Asylpaket II nicht blockiert, sondern hilft, dass es durchgesetzt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)