Protokoll der Sitzung vom 09.11.2011

(Abg. Thomas Blenke CDU: Gut so!)

weil diese Verfahren zum Teil noch nicht abgeschlossen sind.

Was den Verfassungsschutz anbelangt, Herr Professor Dr. Goll, hat Herr Kollege Blenke entsprechende Ausführungen gemacht. Sie wissen, wie dies bei uns geregelt ist. Der Land tag hat die G-10-Kommission eingesetzt; im Übrigen sitzt die ser Kommission ein Grüner vor. Gehen Sie einfach einmal da von aus, dass das, was Sie sagten, nämlich dass beim Verfas sungsschutz eine Vielzahl von Überwachungen stattgefunden hätten, nicht stimmt. Vielmehr fanden Überwachungen in ei nem sehr überschaubaren Rahmen statt – ohne dass ich dazu wirklich punktgenaue Angaben machen will.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Absolut ausreichend!)

Selbstverständlich – auch das wurde genannt – wird die G-10-Kommission immer zeitnah darüber unterrichtet.

Was die Software anbelangt, ist es so, wie Sie gesagt haben: Den Sicherheitsbehörden stehen für diese Maßnahmen bis lang nur Softwareanwendungen von externen – das heißt pri vaten – Anbietern zur Verfügung. Wir haben, wie einige Bun desbehörden und eine Vielzahl anderer Bundesländer, ein Pro dukt einer hessischen Firma bei uns in Baden-Württemberg eingesetzt. Mit dieser Firma – es ist mir schon wichtig, das zu sagen – hat die vorherige Landesregierung in den vergange nen Jahren auf der Grundlage datenschutzrechtlicher Voraus setzungen richtigerweise entsprechende Vereinbarungen ge troffen. Im Übrigen sind die Mitarbeiter dieser Firma natür lich auch sicherheitsüberprüft.

Die verwendete Software – das ist richtig – erlaubt das ver schlüsselte Ausleiten von Daten und verhindert aber dadurch ausdrücklich eine Kenntnisnahme durch Dritte, Herr Profes

sor Dr. Goll, sofern – dabei will ich schon bleiben – nicht il legale Maßnahmen angewendet werden. Ob man illegale Maß nahmen immer ausschließen kann, vermag ich letztlich nicht zu beurteilen. Aber auf legalem Weg kann man nicht an die se Daten kommen, und zwar gerade deswegen, weil wir – auch das wurde gesagt – den Quellcode nicht kennen. Auch der Bund und die anderen Länder kennen den Quellcode nicht, weil die Firma diesen aus wettbewerblichen Gründen nicht offenlegt. Das kann so nicht bleiben – diese Auffassung tei len wir unisono im ganzen Haus –, weil diese Software auch mit anderen Funktionen programmiert werden kann, wie es vom Chaos Computer Club beschrieben worden ist.

Für uns gilt – ich wiederhole es noch einmal deutlich –: Wir haben die jeweiligen richterlichen Beschlüsse umgesetzt, sind mit der Programmierung und Anwendung nicht darüber hin ausgegangen und haben sie auch nicht zur Onlinedurchsu chung genutzt, was wir im Übrigen in Baden-Württemberg im Gegensatz zum BKA, also zum Bund, aufgrund der Rahmen bedingungen, die sich dieses Haus gegeben hat, einfach nicht tun können und auch nicht tun werden. Wir haben ausschließ lich die Funktionen benutzt, die von den richterlichen Be schlüssen umfasst waren.

Das heißt, Kollege Sckerl, die Aufzeichnung von Bildschirmin halten, wie sie in Bayern in einem Fall gemacht wurde, wur de von uns nicht vorgenommen. Weitere Funktionen standen bei der Software, die wir beauftragt haben, die Sie beauftragt haben, auch nicht zur Verfügung.

Deshalb lege ich schon Wert darauf, dass Behauptungen, die gelegentlich in den Raum gestellt werden – das ist nicht am heutigen Tag geschehen; das will ich ausdrücklich sagen –, die Polizei nutze versteckte, illegale Funktionen, doch etwas populistisch und, meine ich, schlicht und ergreifend falsch sind.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Die kommen aus Ihrem Koalitionsfreundeskreis!)

Ich meine, hier sollte der Polizei, hier sollte den Ermittlungs behörden insgesamt das Vertrauen entgegengebracht werden, das sie auch in anderen Bereichen zu Recht genießen. So wird doch niemand ernsthaft behaupten wollen, dass die badenwürttembergische Polizei etwa bei Wohnungsdurchsuchun gen Beschuldigten Beweise unterschieben würde. Das wäre absurd.

Da wir mit externen Anbietern zusammenarbeiten und den Quellcode nicht kennen, habe ich mich mit meinen Kollegen im Bund und im Land darauf verständigt, die Möglichkeit ei ner Eigenprogrammierung zumindest zu prüfen. Da glaube ich schon, dass bei uns, auch auf der Ebene des BKA, die Sachkompetenz vorhanden wäre. Das wird jetzt überprüft. Es wird ausgelotet, ob dies machbar ist. Wir werden dann auf der Innenministerkonferenz Anfang Dezember darüber abschlie ßend beraten. Ich habe ausdrücklich die Zustimmung des Bun deslands Baden-Württemberg signalisiert, dass wir uns hier an beteiligen,

(Abg. Thomas Blenke CDU: Sehr gut!)

was aber natürlich auch bedeutet, dass Geld in die Hand ge nommen werden muss. Denn Software in diesem Umfang zu

erstellen wird kein billiges Unterfangen sein. Wir sind uns über das ganze Haus hinweg einig,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das Parlament stärkt Ihnen den Rücken, Herr Minister!)

entsprechende Software, ob eigenproduziert oder vielleicht auch zukünftig weiterhin durch Externe produziert, durch ei ne externe, objektive, von uns unabhängige Institution über prüfen zu lassen. Auch das werden wir auf den Weg bringen. Auch da sind sich die Innenminister einig.

Deshalb zum Schluss meine Bitte, meine Damen und Herren, uns, dem Staat, unseren Ermittlungsbehörden ein hohes Maß an Vertrauen entgegenzubringen, denn mit diesen Mechanis men, mit diesem Handwerkszeug, wie ich es vorhin angeführt habe, ist doch nicht beabsichtigt, unschuldige Bürger auszu spähen, sondern ausschließlich Straftäter zu verfolgen und zu künftige Straftaten zu verhindern.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Wir vertrauen Ihnen!)

Meine Damen und Herren, mir lie gen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Antrags Drucksache 15/669. Der Antrag ist ein reiner Be richtsantrag und kann für erledigt erklärt werden. – Sie stim men dieser Vorgehensweise zu.

Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf

(Unruhe)

und bitte Sie wieder um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit:

Aktuelle Debatte – Bericht der Sozialpsychiatrischen Dienste in Baden-Württemberg 2010: Impulse und Schluss folgerungen für die zukünftige Versorgung – beantragt von der Fraktion GRÜNE

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bit ten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf ferner auf § 60 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung hinweisen, wonach im Rah men der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Sehr gut! Guter Hinweis!)

Das macht die Aussprache lockerer und lebendiger, und ich denke, diese Chance sollten wir nicht vergeben. Ich darf Sie

herzlich bitten, dieser Regelung der Geschäftsordnung Rech nung zu tragen.

Das Wort erhält Herr Kollege Lucha für die Fraktion GRÜ NE.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Jetzt! Ran!)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die heutige Debatte am morgigen Tag stattfände – so, wie geplant –, könnte man auch noch einen symbolischen Gehalt mitnehmen: Dann wä re nämlich der Welttag für seelische Gesundheit, der immer am 10. Oktober stattfindet, gerade einmal vier Wochen her. Aber wir können es heute nachholen, uns durch eine parla mentarische Abrundung dieser wichtigen Kultur damit ausei nanderzusetzen, wie es um die seelische Gesundheit, wie es um den Zustand unserer Gesellschaft bestellt ist.

(Unruhe)

Wir freuen uns und bedanken uns auch an dieser Stelle bei den Trägern der Sozialpsychiatrischen Dienste, die nun be reits seit 24 Jahren – von 1982 bis 1986 noch als Modell – die se Dokumentation darlegen. Ich glaube, es ist gerade heute wichtig und für uns auch mit besonderer Freude verbunden, darüber zu diskutieren, denn die Regierung und die Koaliti onsfraktionen haben sich, wie Sie aus der Presse entnehmen konnten, darauf verständigt, dass im Haushalt 2012 eine Null neuverschuldung umgesetzt wird. Gleichzeitig nehmen wir die seinerzeitige Kürzung zurück, die die schwarz-gelbe Re gierung vorgenommen hat, indem sie den Sozialpsychiatri schen Diensten damals die Landesmittel um 50 % – das wa ren 2 Millionen € – gekürzt hat, und stellen den Sozialpsych iatrischen Diensten für diese wichtige Arbeit im nächsten Jahr diesen Betrag wieder zur Verfügung.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Sehr verehrte Damen und Herren, wir tun das gerade recht zeitig, damit diese wichtige Arbeitsstruktur, diese wichtigen Dienste, die durch ihre unbürokratische Herangehensweise, durch ihre Niederschwelligkeit und dadurch, dass sie schnell erreichbar sind und dass sie den Menschen helfen, die in die ser Gesellschaft kaum mehr eine Lobby haben, gekennzeich net sind, Unterstützung erhalten.

Zur Klientel der Sozialpsychiatrischen Dienste zählen zu 75 % Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, einer Erwerbsar beit nachzugehen – Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung berentet wurden oder die aufgrund dieser Erkrankung niemals im aktiven Berufsleben reüssieren konnten.

Vielleicht sollte man es an dieser Stelle einmal erklären: Psy chosen beginnen, wenn Menschen am Beginn ihres Erwach senwerdens stehen, wenn sie sich also in der Adoleszenz be finden. In diesem Zusammenhang ist eine Zahl sehr erschre ckend: Bis zum Jahr 1995, sogar fast bis zum Jahr 2000 wa ren ca. 1 % der Menschen an Psychosen erkrankt. Inzwischen sind es 1,2 %. Wenn man weiß, dass diese Erkrankungen – um mit dem Psychiater Bleuler zu sprechen – „Störungen des Denkens, Fühlens und Handelns“ sind und bereits so früh in der Biografie eines Menschen auftreten, dann weiß man auch, dass daraufhin alles anders wird. Die Teilhabe an der Gesell schaft, die Autonomie und die Selbstorganisation sind nicht

mehr gewährleistet; das Durchlaufen von Ausbildungsgängen ist häufig nicht mehr möglich, Familienverbände sind über fordert, und sehr häufig kommt es zu Armut.

Die Dokumentation hat uns gezeigt, dass von 2006 bis jetzt 44 % mehr Frauen und Männer diese Dienste in Anspruch ge nommen haben, um eigenständig, außerhalb einer Institution ihr Leben mit Unterstützung führen zu können.

Wenn Sie diese Zunahme um über 40 % hochrechnen, sehen Sie, dass in Zukunft mehr junge Menschen Hilfen benötigen. Wir wissen: Da, wo es gute jugendpsychiatrische und gemein depsychiatrische Verbünde gibt, gelangen enorm viele junge Menschen aus der Jugendhilfe in ein weiterführendes, unter stützendes ambulantes System. Es kommt darauf an, dass hier schnell gehandelt wird. Daher müssen wir diese Dienste stär ken.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Mit unserem gemeinsam mit dem Sozialministerium, mit den Fraktionen und mit den Wohlfahrtsverbänden erarbeiteten Vorschlag wollen wir im nächsten Jahr die Sozialpsychiatri schen Dienste wieder in ihre Ausgangslage versetzen. Das be deutet auch, dass wir die Kommunen – die zum Teil ebenfalls gekürzt haben – auffordern, diese Kürzungen ebenfalls zu rückzunehmen. Dies gilt insbesondere angesichts dessen, dass wir am Montag den Startschuss für ein Landespsychiatriege setz für Hilfestellungen für psychisch Kranke gegeben haben, mit dem wir verbindliche Verbundstrukturen – gemeindepsy chiatrische Verbundstrukturen –, ein Miteinander, kooperati ve Stile statt Doppelstrukturen festschreiben. Da haben wir, glaube ich, mit vergleichsweise wenig Geld – es sind 2 Mil lionen € – einen sehr starken Impuls gesetzt. Denn dies alles findet in der Mitte der Gesellschaft statt; seelische Erkrankun gen und Behinderungen sind etwas, was uns alle betrifft.

Mit diesem Beschluss haben wir, meine ich, einen tollen Im puls gezeigt, und das in Zeiten der Haushaltsdisziplin. Ich möchte mich bei allen Beteiligten nochmals herzlich bedan ken. Das ist ein gutes Signal für die Humanität dieser Gesell schaft.

Vielen Dank.