Protokoll der Sitzung vom 09.11.2011

die Mischfinanzierung, beispielsweise bei Stuttgart 21, nach Auffassung der Landesregierung verfassungsrechtlich zuläs sig oder nicht?

Der Stellungnahme zu unserem Antrag können wir hierzu kei ne klare Aussage entnehmen. Wir bitten daher einfach noch einmal um die Darlegung einer klaren Rechtsauffassung.

Danke schön.

Für die Landesregie rung antwortet der Herr Verkehrsminister.

Vielen Dank, Herr Abg. Haußmann, für die Frage. Sie berühren damit eine rechtlich und finanzpolitisch außerordent lich schwierige Problematik, wenn man die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland betrachtet. Denn die Geschich te der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung ist eine Geschichte der Mischfinanzierungen.

(Abg. Volker Schebesta CDU: So kompliziert geben Sie die Antwort in Ihren Veranstaltungen aber nicht!)

Dabei sind die unterschiedlichen Bereiche fast alle miteinan der vermischt. Der Bund gibt das Geld an die Länder, die Län der geben das Geld an die Kommunen weiter. Wir haben vie le Projekte, bei denen Bund, Land oder Kommune gemischt finanzieren.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Übrigens hat auch die damalige Landesregierung einzelne Projekte vereinbart, wie beispielsweise einen Deckel auf die A 81 zu bauen, bei denen das Land eigentlich nicht zuständig ist. Die Landesregierung hat aber trotzdem gesagt: Wir geben Geld hinzu, weil es aus ökologischen Gründen sinnvoll ist, ei nen Deckel draufzusetzen – obwohl wir nicht zuständig sind.

Im Zusammenhang mit Stuttgart 21 gab es auch eine Diskus sion darüber, was möglich und was erlaubt ist. Die damalige grüne Fraktion hat aus der Opposition heraus beim Verfas sungsrechtler Professor Meyer ein Gutachten in Auftrag ge geben. Dieser hat die These vertreten, dass es rechtlich nicht zulässig sei, dass sich das Land beispielsweise am Bahnhof oder an einer Neubaustrecke beteilige, und dass es vor allem nicht zulässig sei, dass sich ein Land vom Bund quasi Priori sierungen erkaufe, indem es Mittel anbiete, um den Bund zu einer vorzeitigen Priorisierung einer Bundesmaßnahme zu bringen.

Wie Sie wissen, gibt es darüber eine heftige Diskussion. In Rechtsfragen gibt es immer unterschiedliche Positionen. Es gibt andere Juristen, die eine ganz andere Meinung vertreten und sagen: Die Mischfinanzierung in Deutschland hat eine lange Geschichte; sie ist auch zulässig.

In diesem Streit befinden wir uns. Die Landesregierung hat, wie Sie wissen, vor allem von grüner Seite das erwähnte Gut achten und die darin vertretene Meinung von Professor Mey er für richtig gehalten. Die SPD hat es anders gesehen. Wir – die Landesregierung – haben uns darauf verständigt, dass wir den Streit ruhen lassen und uns daran orientieren, was erstens die Praxis ist und was zweitens auch politisch vernünftig ist.

Im Übrigen ist klar, dass, wenn ein Jurist seine Meinung ver tritt, noch nichts über die Verfassungsmäßigkeit von Maßnah men gesagt ist. Wir bräuchten einen Kläger, beispielsweise Berlin oder Brandenburg, der gegen das Land Baden-Würt temberg klagen müsste, um festzustellen, ob es verfassungs widrig ist, dass sich das Land an der Finanzierung der Neu baustrecke beteiligt. Eine solche Klage ist bisher nicht erfolgt. Deswegen gehen wir jetzt von dem Zustand aus, dass das, so lange es da keine Klarstellung gibt, auch rechtlich in Ordnung ist.

Wir haben übrigens seitens der Koalition sehr eindeutig im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir die Neubaustrecke wol len. Wir haben in Sachen Stuttgart 21 auch nicht gesagt, dass die Finanzierung nicht möglich sei. Ich sage ausdrücklich: Persönlich glaube ich, dass man auch zwischen dem Rechts fall Neubaustrecke und dem Rechtsfall Stuttgart 21 unter scheiden muss. In dem einen Fall handelt es sich um einen nicht geregelten Bereich. Bahnhöfe können in Deutschland von der Bahn, von Privaten und von wem auch immer in Mischformen und anderen Rechtsformen gebaut werden. Das hat die Bahnreform nicht geregelt.

Anders sieht es bei der Infrastruktur aus. Da ist im Prinzip der Bund für die Fernstrecken zuständig, und zwar absolut und prioritär. In diesem Bereich ist es eine Ausnahme, wenn Län der einsteigen. Wenn Länder einsteigen, kann das aus meiner Sicht nur auf der Grundlage dessen erfolgen, dass man sagt: Diese Strecke ist nicht nur für den Fernverkehr von Bedeu tung, sondern auch für den Nahverkehr, oder dieser Bahnhof ist nicht nur für den Fernverkehr, sondern auch für den Nah verkehr von Bedeutung. Das rechtfertigt dann eine auch ju ristisch einwandfreie Beteiligung des Landes.

In diesem Sinn haben wir bisher gehandelt. In diesem Sinn habe ich übrigens auch schon mehrfach hier im Landtag ge sprochen. In diesem Sinn habe ich auch alle Anfragen beant wortet. Dass das Ganze nicht ganz einfach ist und nicht in zwei Sätzen dargelegt werden kann, das habe ich, glaube ich, hiermit bewiesen.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Herr Minister, Sie soll ten am Rednerpult stehen bleiben. Denn sonst laufen Sie dau ernd hin und her.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Er ist ja Verkehrsminister! – Heiterkeit)

Aber hier liegt keine Schiene.

Herr Präsident, ich bin nachhaltig mobil.

Jetzt gibt es eine Zu satzfrage von Frau Kollegin Razavi von der CDU-Fraktion.

Eine Nachfrage: Sie haben auch in der Vergangenheit, noch als Bundestagsabgeordneter, Be zug nehmend auf das Gutachten von Professor Meyer immer wieder betont, dass Sie die Mischfinanzierung für verfas sungswidrig halten. Auch der heutige Ministerpräsident hat in

der Debatte am 25. November 2010 in Bezug auf das Gutach ten als damaliger Fraktionsvorsitzender gesagt – ich zitiere –:

Das ist jetzt von einem renommierten Verfassungsrecht ler noch einmal untermauert worden, und davon gehen wir aus. Wir sind nicht Herr über die Verfassung, und Sie auch nicht. So einfach ist es.

Jetzt einfach meine Nachfrage an Sie: Welche Meinung ha ben Sie denn? Ist jetzt eine Mischfinanzierung verfassungs widrig oder nicht?

(Abg. Jürgen Filius GRÜNE: Das hat er doch deut lich gesagt! Hätten Sie da zugehört!)

Das hat er nicht gesagt.

(Abg. Jürgen Filius GRÜNE: Doch, das hat er ge sagt!)

Es ist einfach etwas ungewöhnlich, dass die Landesregierung auf eine konkrete Frage in einem Antrag antwortet: „Wir ha ben keine Meinung“ – und das bei einem so zentralen Thema. Die Landesregierung muss eine Meinung haben, und wenn sie keine hat, dann muss sie zu einer kommen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Muss sich eine bil den!)

Ich bin mir sicher, dass der Verkehrsminister zu diesem The ma eine Meinung hat.

Bitte, Herr Minister.

Ich habe eigentlich das Gefühl gehabt, dass ich gera de eben eine Rede gehalten habe, in der ich die Position der Landesregierung – auch in der Differenz der unterschiedli chen Teile der Landesregierung – vorgetragen habe. Das ist eine Meinung.

(Beifall bei den Grünen)

Wenn Sie etwa von mir hören wollen, wie ich persönlich

(Zuruf von der CDU: Ja!)

im Unterschied vielleicht zu anderen Mitgliedern der Landes regierung einschätze, ob bei der Finanzierung der Neubaustre cke eine Mischfinanzierung rechtswidrig oder verfassungs widrig ist, sage ich – obwohl ich es bereits gesagt habe, aber ich sage es auch gern noch ein zweites Mal; vielleicht gelingt es mir dann besser, Ihnen klarzumachen, was ich meine –: Ich glaube – das sage ich als Verkehrspolitiker –, obwohl die Fö deralismusreform den Anspruch erhoben hat, die Finanzbe ziehungen der verschiedenen Verfassungsebenen auseinander dröseln zu wollen – deswegen gibt es ja auch ein Entflech tungsgesetz, dem auch die CDU zugestimmt hat; übrigens hat der damalige Ministerpräsident Oettinger sehr viel Wert auf die Entflechtung gelegt –, ist die Geschichte der Bundesrepu blik Deutschland hinsichtlich der Infrastrukturfinanzierung ei ne Mischfinanzierungsgeschichte, und dies wird nach meiner festen Überzeugung auch in den nächsten Jahren nicht aufge löst werden.

Die Mischfinanzierung wird auch in Zukunft anzutreffen sein. So machen wir es etwa im Rheintal, wo Verbesserungsmaß

nahmen beim Lärmschutz auch mit Landesmitteln bezahlt werden. Übrigens wurde das von Ihnen mit beschlossen. Von uns wird verlangt, dass wir das fortsetzen; wir haben auch ge sagt, dass wir das tun.

Die Neubaustrecke – hören Sie jetzt genau zu – ist insofern ein spezieller Fall, als der Bund die Neubaustrecke Stuttgart– Ulm zwar als vordringlich beschlossen hat, jedoch nie gesagt hat, wann er anfängt. Die damalige Landesregierung hat al lergrößten Wert darauf gelegt, dass das Projekt Stuttgart 21 schnell beginnt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Der Bund hat jedoch gesagt: „Das tut uns leid; wir können euch nicht sagen, wann wir die Neubaustrecke beginnen.“

In dieser Situation haben Sie, die damalige Landesregierung, gesagt: Dann gehen wir in die Vorfinanzierung, damit die Neu baustrecke zeitgleich mit Stuttgart 21 fertig wird. Der Bund hat daraufhin erklärt, dass ihm das nicht reiche, und dann ha ben Sie gesagt: „Okay, dann geben wir euch das Geld so; wir wollen es auch nicht wiederhaben; das ist unser Finanzie rungsanteil für die Strecke, begründet und finanziert aus Lan deshaushaltsmitteln und Regionalisierungsmitteln.“ Das war sozusagen Ihr Beitrag.

Dann hat der Bund gesagt: „Wenn ihr für den Zeitraum, in dem wir noch kein Geld haben, die Finanzierung übernehmt, dann können wir anfangen, und zwar zu dem Zeitpunkt, den ihr euch vorstellt.“

Darin liegt die Besonderheit dieses speziellen Falls, und Ju risten können sich sehr wohl darüber streiten, ob damit ein Verfassungsprinzip verletzt wird, indem nämlich ein Land – sagen wir ein reiches Land wie Baden-Württemberg – vom Bund die Priorisierung einer Bundesmaßnahme gewisserma ßen dadurch erkauft, dass ein Teil der Finanzierung übernom men wird, während sich ärmere Länder, die es sich nicht leis ten können, einen Finanzierungsanteil zu übernehmen, damit abfinden müssen, wenn man ihnen sagt: „Ihr müsst noch zehn Jahre warten.“ Dann sagen diese Länder: „Okay, dann geht es nicht.“

(Unruhe bei der CDU)

Das führt dazu, dass der Bund eine Entscheidung, die er aus seiner übergeordneten Sicht einmal getroffen hatte, ändert. Das ist ein Aspekt des Meyer-Gutachtens. Dazu kann man schon sagen, dass es problematisch ist, wenn Bundesländer auf diese Art und Weise Priorisierungen erlangen können.

Das ist meine persönliche Einschätzung; diese wird nicht von allen Mitgliedern der Landesregierung geteilt, ich schätze aber, von der Mehrheit.

Danke schön.