Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die 18. Sit zung des 15. Landtags von Baden-Württemberg. Ich darf auch die Mitbürgerinnen und Mitbürger auf der Zuhörertribüne herzlich begrüßen.

Krankgemeldet sind für heute Frau Staatsrätin Erler, Frau Abg. Heberer und Herr Abg. Lusche.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich Herr Minis ter Dr. Schmid von 10:30 bis 12:30 Uhr.

Meine Damen und Herren, auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der CDU für Umbesetzungen in ver schiedenen Ausschüssen und Gremien (Anlage). – Ich stelle fest, dass Sie mit den vorgeschlagenen Umbesetzungen ein verstanden sind. Herzlichen Dank.

Damit treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Mindestlöhne nützen der Wirtschaft in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bit ten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Schließlich, meine Damen und Herren, verweise ich an die ser Stelle immer wieder auf § 60 Abs. 4 der Geschäftsordnung. Ich tue dies in der Hoffnung, Sie immer mehr für die Idee ei ner lebendigen und offenen Aktuellen Debatte zu gewinnen. Deswegen bitte ich Sie, diese in freier Rede zu führen.

Das Wort für die SPD-Fraktion erhält Herr Kollege Hinderer. Bitte schön.

Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen! Weil ich heute der Erste am Pult bin, sage ich Ihnen ein herzliches „Guten Morgen“. Einen besonderen Guten-Morgen-Gruß möchte ich gleich einmal in die Reihen der CDU schicken.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Aufgewacht!)

Es gibt ja eine Mindestlohn-Morgendämmerung in der CDU. Mir dämmert schon: Bis zum Abend dieses Tages wird sich die CDU als Erfinderin des Mindestlohns präsentieren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Claus Schmiedel SPD: Genau! – Abg. Volker Schebesta CDU: Wir glauben nur, was wahr ist! – Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Frau von der Leyen, unsere Bundesministerin der warmen Worte und der kalten Taten, hat die Debatte in der CDU los getreten. Seitdem die Bundeskanzlerin umgefallen ist – aus nahmsweise in die richtige Richtung –,

(Heiterkeit bei der SPD)

steigt die Zahl der Befürworter von Tag zu Tag.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Herr Kollege, der Wahlkampf ist vorbei!)

Das gefällt uns.

Bemerkenswert ist aber schon, welchen Kurs die CDU in der Arbeitsmarktpolitik fährt.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Da bringt Schwarz-Gelb im September zunächst einmal das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Ar beitsmarkt durch – eine Instrumentenreform, die in der Ar beitsmarktpolitik einen Kahlschlag von bisher unbekanntem Ausmaß auslöst.

(Abg. Peter Hauk CDU: Wollten Sie nicht etwas zur Rentenreform sagen?)

Frau von der Leyen war zunächst weg von der Bildfläche. Plötzlich aber tauchte sie dann wieder auf allen Bildschirmen auf, und zwar mit ihrem Ablenkungsmanöver, der Forderung nach einer Frauenquote für Führungspositionen.

Nun kommt also die Forderung nach dem Mindestlohn. Ei gentlich sind das in der Sache ganz positive Entwicklungen. Aber ich möchte doch ein paar Anmerkungen zu diesem ra santen Kurswechsel machen.

Erstens: Meine Damen und Herren von der CDU, Sie sind zu spät dran. Ihr Frühlingserwachen in Sachen Mindestlohn kommt im November, und da ist der Frühling definitiv vor bei.

(Abg. Peter Hauk CDU: Wir glauben an ein längeres Leben!)

Zweitens: Das Kalkül, dass Sie aus diesem Sprung auf den bereits fahrenden Zug politisches Kapital schlagen könnten, wird nicht aufgehen.

(Zuruf von der CDU: Abwarten!)

Die Deutschlandtrend-Umfrage der ARD von vergangener Woche bringt es ans Licht: Zwar sind 86 % aller Deutschen für einen Mindestlohn,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Aber gegen die CDU!)

aber 78 % der Befragten durchschauen den Kurswechsel der CDU als wahltaktisches Manöver und sprechen Ihnen in die ser Frage die Glaubwürdigkeit ab.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Was für eine Wahltak tik?)

Im Jahr 2013 gibt es eine Bundestagswahl, Herr Schebesta.

(Abg. Peter Hauk CDU: 2016 haben wir Landtags wahlen! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: 2021 gibt es dann die übernächste Landtagswahl!)

Drittens: Herr Schebesta, Sie führen diese Debatte nur halb herzig. Es ist nicht nur eine semantische Verwirrung, wenn Sie, um das Wort „Mindestlohn“ nicht in den Mund nehmen zu müssen, von einer „Lohnuntergrenze“ reden. Die Aussage Ihres Landesvorsitzenden Strobl, der die Beschlusslage der Landes-CDU eingeläutet hat, ist doch entlarvend: Er will den Antrag auf dem CDU-Parteitag dahin gehend weiterentwi ckeln – er sagt nicht etwa, 8,50 € pro Stunde seien noch im mer zu wenig, um vernünftig davon zu leben –, dass er sagt, von der allgemein verbindlichen Lohnuntergrenze müsse es flexible Ausnahmen geben. Mit dem Begriff „Ausnahmen“ soll offenbar eine Öffnung nach unten ermöglicht werden. Da zu sagen wir: Eine Lohnuntergrenze taugt nichts, wenn sie nur so etwas wie einen empfehlenden Charakter hat.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Der Mindestlohn – so, wie die SPD ihn bereits seit Jahren for dert, wie wir ihn in unserem Regierungsprogramm verankert und im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben – heißt des halb Mindestlohn, weil es darunter nichts mehr geben darf.

Für uns ist der Mindestlohn zum einen das Fundament, um die Würde der Arbeit zu schützen. Wer in Vollzeit arbeitet, muss davon auch leben können. Übrigens: Gerade Frauen pro fitieren vom Mindestlohn. Rund 70 % der im Niedriglohnsek tor Tätigen sind Frauen.

Für uns, die SPD, ist der Mindestlohn neben dem Tariftreue gesetz zum anderen aber auch die Basis für fairen Wettbewerb. Die vielen mittelständischen Betriebe im Land, die tarifliche Löhne zahlen, aber unter der Billiglohnkonkurrenz leiden, er halten mit einem gesetzlichen Mindestlohn bessere Wettbe werbschancen. Die Mindestlohnregelung trägt dazu bei, dass bei Ausschreibungen kein ruinöser Wettbewerb zugunsten von Dumpinglohnanbietern stattfindet. Deshalb ist mehr Ordnung am Arbeitsmarkt gut für die Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Der Mindestlohn schützt die anständigen Betriebe, die vie len Handwerker, Kaufleute und Dienstleister in unserem Land, die dafür einstehen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von dem, was sie verdienen, auch leben können. Nicht ohne Grund stehen viele Handwerker als wichtige Säu len des Mittelstands und auch als Jobmotor in Deutschland einer Mindestlohnregelung durchaus aufgeschlossen gegen über.

Eine gerade abgeschlossene Evaluierung der bestehenden Branchenmindestlöhne zeigt auf, dass die Mindestlöhne nicht, wie immer behauptet, zu Jobverlusten oder sonstigen Fehlent wicklungen führen, im Gegenteil. So wurde z. B. für das Ma ler- und Lackiererhandwerk festgestellt, dass der Branchen mindestlohn durch das Verdrängen unseriöser Betriebe eine stabilisierende Wirkung entfaltet.

Der Mindestlohn ist gut für die Wirtschaft, und dies beson ders auch vor dem Hintergrund der Öffnung des Arbeitsmarkts in Europa. Da ist der flächendeckende gesetzliche Mindest lohn ein Gebot der Stunde. Andere Länder praktizieren die sen arbeitsmarktpolitischen Standard längst, ohne dass es da durch ökonomischen Schaden gegeben hätte. In 20 von 27 EU-Staaten gibt es bereits einen Mindestlohn.

Ich fasse zusammen: Auch in Deutschland ist die Zeit für den Mindestlohn reif. SPD und Grüne sind von seiner Notwendig keit zutiefst überzeugt. Dabei stehen wir in gutem Einverneh men mit zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern aus Ver bänden, Gewerkschaften und zunehmend auch aus der Wirt schaft.

Aber es gibt auch weitere Bündnispartner: Weil gerade erst gestern die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Magdeburg zu Ende gegangen ist, erlaube ich mir abschlie ßend, den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Präses Dr. Schneider, zu zitieren – Herr Präsident, Sie erlauben –, der in seinem Ratsbericht sagt:

Ich bin dankbar, dass das Thema Mindestlohn wieder auf die politische Tagesordnung gekommen ist. Das Thema erzwingt eine gesellschaftliche Diskussion der Frage, ob Geschäftsmodelle in unserem Land möglich sein sollen, die mit der Aufstockung eines vollen (Tarif-)Lohnes rech nen. Denn das bedeutet: Die... Arbeitgeber kalkulieren damit, zulasten der Sozialkassen gewinnbringende Ge schäfte zu ermöglichen – ein Modell, das der sozialen Marktwirtschaft fremd sein sollte. Grundsätzlich muss un ter sozialethischen Gesichtspunkten gelten: Eine volle Be rufstätigkeit soll so entlohnt werden, dass ein eigenver antwortetes Leben möglich ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abg. Paal.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Endlich einer, der etwas von Wirtschaft versteht! – Gegenruf der Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Sie sagen auch immer das selbe, gell?)