Protokoll der Sitzung vom 23.11.2011

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Aber die heutige von den Grünen beantragte Aktuelle Debat te ist, wie ich meine, nicht allein unter sicherheitspolitischen Aspekten zu führen, sondern ganz überwiegend – so haben es die Redner auch angelegt – aus einer gesamtgesellschaftspo litischen Perspektive. Es ist zwar richtig – auch dies wurde heute genannt –, dass die Zahl der Straftaten, auch der Ge waltdelikte, im Bereich des Rechtsextremismus in BadenWürttemberg rückläufig ist; das sind Fakten. Allerdings – das ist ein entscheidendes Moment in dieser Entwicklung – haben wir ein zunehmendes Potenzial an gewaltbereiten Rechtsext remisten. Von insgesamt 2 200 Personen, die wir diesem La ger zuordnen, sind rund 670 gewaltbereit. Hier stellen wir ei ne deutliche Steigerung fest. Die Fälle in Winterbach im Ap ril dieses Jahres und der Fall des sogenannten Bombenbauers von Weil am Rhein aus dem Jahr 2009 zeigen, dass die Ge fahr von gewaltbereiten Rechtsextremen auch in Baden-Würt temberg latent vorhanden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

In Baden-Württemberg gehen wir allerdings konsequent und – juristisch führt dies gelegentlich zu Problemen – mit einer niedrigen Einschreitschwelle gegen Rechtsextremismus vor. Neben repressiven Maßnahmen wird bei uns – das sollten wir auch angesichts der gegenwärtigen Diskussion gelegentlich schon deutlich sagen – auch ein Schwerpunkt auf präventive Angebote und Aussteigerprogramme gesetzt.

Die Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextre mismus – BIG Rex – besteht seit zehn Jahren und ist beim

Landeskriminalamt angesiedelt. Diese Gruppe besteht aus er fahrenen Polizeibeamten und Pädagogen. Sie hat in den ver gangenen zehn Jahren nicht darauf gewartet, dass jemand kommt und um Hilfe beim Ausstieg bittet. Vielmehr hat die se Gruppe gezielt rund 2 000 Menschen aus diesen Gruppie rungen angesprochen.

Ich finde es beachtenswert, dass 379 Menschen dazu bewo gen werden konnten, Abstand von diesem Milieu zu nehmen. Das bewerte ich als einen Erfolg.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP/DVP so wie Abgeordneten der Grünen)

Jeder, der aussteigt – ich füge „jede“ hinzu; denn Frauen spie len im rechtsextremen Spektrum eine große Rolle –, ist ein Gewinn, wenn nicht gar ein doppelter Gewinn für unsere Zi vilgesellschaft. Die rechte Szene verliert einen Mitläufer oder gar einen Mittäter. Unsere Zivilgesellschaft erhält jemanden zurück, der das Rückgrat besaß, sich von rechten Umtrieben zu lösen.

Meine Damen und Herren, das Landesamt für Verfassungs schutz leistet seit Jahren umfangreiche Aufklärungsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit. Es bietet Vorträge im Rahmen von Wei terbildungen für Multiplikatoren usw. an. Das macht unser Landesverfassungsschutz. Aufklärung – ich denke, darüber sind wir uns einig – ist zumindest in diesem Fall der beste Ver fassungsschutz, den man sich wünschen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Deshalb arbeiten unsere Behörden eng z. B. mit der Landes zentrale für politische Bildung zusammen. Kollege Mack, des halb werden diese Programme fortgeführt. Gegenwärtig wird darüber diskutiert, was zusätzlich zu tun ist.

Nehmen wir als Beispiel das Projekt „Mit Zivilcourage gegen Rechtsextremismus“. In rund eineinhalb Jahren – das sollte man bei diesen Diskussionen auch sagen dürfen, finde ich – haben 200 Projekttage gegen Rechtsextremismus und rund 40 Veranstaltungen für Multiplikatoren stattgefunden. Verschie dene Internetangebote ergänzen diese Aktivitäten.

Ich denke, dass sich auch unsere Schulen diesem Thema stel len. Ansonsten wäre das Unterrichtsmaterial, das es dazu gibt, z. B. die Publikation „Einstiege – Gegenstrategien – Ausstie ge“, nicht fast vergriffen. Es ist völlig klar, dass diese Projek te fortgeführt werden.

Auch Gewerkschaften, Kirchen und Kommunen sind eine Bank gegen Rechtsextremismus.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich will in diesem Zusammenhang an die große Demonstra tion am 1. Mai dieses Jahres in Heilbronn erinnern, als sich ein großes Bündnis über alle Schichten hinweg, über alle re levanten Gruppen in unserer Gesellschaft hinweg gegen ei nen Aufmarsch der Neonazis gestemmt hat.

Natürlich will ich in diesem Zusammenhang nicht die demo kratischen Parteien vergessen. Ich denke, auch wir tragen das Unsere dazu bei, dass sich dieses Gedankengut nicht weiter verbreiten kann.

Meine Damen und Herren, ich will damit zum Ausdruck brin gen: So notwendig und so unverzichtbar meines Erachtens – ich denke, dabei sind wir uns quer durch das Parlament einig – die Arbeit der Sicherheitsbehörden ist, die natürlich über die entsprechende personelle und sächliche Ausstattung verfügen müssen, so notwendig und unverzichtbar die konsequente Ver folgung von Straf- und Gewalttaten auch ist, sie kann nicht allein das rechtsextremistische Gedankengut in den Köpfen der Menschen, die davon betroffen sind, beseitigen. Ich will deshalb die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes darauf hinweisen, dass die Bekämpfung von Rechtsextremismus ei ne Aufgabe für jede und für jeden sein muss.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir brauchen die Stimmen aller in unserem Land, die sich lautstark erheben, wenn Ausländer angepöbelt werden, wenn Kinder am Rande stehen, weil sie aus einem anderen Kultur kreis stammen, wenn Menschen anderer Hautfarbe keine Chance auf eine Wohnung haben. Wir brauchen die Stimmen aller, wenn undemokratisches Gedankengut an Hauswände geschmiert wird. Wir brauchen die Stimmen aller, wenn je mand ein anderes Taxi nimmt, weil ein Ausländer am Lenk rad sitzt. Wir brauchen die Stimmen aller, wenn Ausländer nicht in bestimmte Kneipen und Diskotheken gelassen wer den, wenn Schwule und Lesben auf das Übelste beschimpft werden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Kurzum: Es ist jedermanns Stimme gefragt, wenn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Kultur, ihrer Religion oder ih rer sexuellen Orientierung in unserem Land diskriminiert wer den. Deshalb wünsche ich mir ein breites bürgerliches Lager, das gegen rechts Flagge zeigt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU)

Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass es in Deutschland eine breite demokratische, wehrhafte Mitte in der Politik – von der SPD, den Grünen und der FDP bis hin zur CDU – gibt.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Wir alle sind eingeschlos sen! – Abg. Thomas Blenke CDU: Falsche Reihen folge! Das geht normalerweise nach d’Hondt! – Hei terkeit – Unruhe)

Herr Kollege Blenke, ich bin mir sicher, dass es eine breite demokratische Mitte in der Politik – von der CDU über die FDP und die Grünen bis hin zur SPD – gibt.

(Heiterkeit – Beifall bei der CDU und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau so ist es! Sehr gut! – Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr- Hirsch CDU)

Meines Erachtens, meine Damen und Herren, sind wir aufge fordert, dies gerade bei diesem Thema gemeinsam deutlich zu machen und uns nicht im Parteienstreit oder mit Vorschlägen aus der Hüfte zu verzetteln.

Nach meiner Auffassung müssen wir in die Gesellschaft hin eintragen, dass wir zwar nicht unfehlbar sind – wie man bei

diesen schrecklichen Fällen sieht –, aber der Staat nach wie vor wehrhaft ist. Auch das halte ich für wichtig.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Ich weiß, meine Damen und Herren, dass dies für die Hinter bliebenen der Mordopfer und für die durch die Anschläge Ver letzten kein Trost sein kann. Das ist völlig klar. Ja, man könn te sogar sagen: Es ist eine bittere Erkenntnis, dass eine freie, eine offene Gesellschaft, wie es die unsere ist, dass eine Ge sellschaft, die immer auch darum ringt, die Balance zwischen der Gewährleistung von Sicherheit und der Bewahrung von Freiheitsrechten zu halten, angreifbar und verletzbar ist.

Gerade deshalb, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht hinnehmen, dass es Strukturen gibt, die sich weiterentwickeln, die versuchen, sich auszubreiten, die zur Verletzung von Bür gerrechten von Menschen führen, die einen anderen Glauben, ein anderes Aussehen oder eine andere Herkunft haben. Es darf schon gar nicht dazu führen, dass Menschen verletzt oder gar getötet werden.

Deswegen unterstütze ich und unterstützt die Landesregierung alle Bemühungen, die dazu führen können, ein erneutes Ver fahren für ein Verbot der NPD auf den Weg zu bringen, wohl wissend, Herr Professor Dr. Goll, dass dies schwierig sein wird; das ist keine Frage. Aber ich denke, dass in Zeiten wie diesen sowohl im Hinblick auf unsere ausländischen Mitbür ger, die Bürger mit Migrationshintergrund, als auch mit Blick auf das Ausland symbolhaft gezeigt werden muss, dass wir uns wehren wollen. Ein solches Verbotsverfahren taugt mei nes Erachtens hierzu.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Es taugt deshalb dazu, Herr Kollege Blenke, weil offensicht lich ist, dass gerade die NPD häufig ein ideologischer Nähr boden für die extremistischen Entwicklungen bestimmter Menschen ist. Verstrickungen in entsprechende Verbrechen und Gewalttaten sind auch bei den besagten Fällen offensicht lich zutage getreten.

Deshalb werde ich, meine Damen und Herren, auch nach er folgter Aufarbeitung der schrecklichen Vorkommnisse erfolg versprechende Maßnahmen, die die Zusammenarbeit der Si cherheitsbehörden verbessern, in Angriff nehmen. Ich werbe dann auch um eine entsprechende Finanzierung.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Zum Schluss: Die Politik allein wird dies alles nicht richten können. Die Politik wird das Extremismusproblem nicht al lein beseitigen können. Wir brauchen dazu eine Gesellschaft, die den demokratischen Rechtsstaat, wenn man so will, jeden Tag aufs Neue auch im Kleinen verteidigt. Ich glaube, die Bür gerinnen und Bürger Baden-Württembergs sind dazu bereit. Ich gehe davon aus, dass uns dies auch gelingen wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

In der zweiten Runde hat Herr Abg. Sckerl für die Fraktion GRÜNE das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte macht deutlich, dass es auch um unbequeme Fragen geht, dass es um die Auf klärung und die Beantwortung unbequemer Fragen geht. Ich meine, die alten Rituale und die alten Reflexe funktionieren in dieser Situation nicht mehr. Wir sollten uns abgewöhnen, auf die alte Art und Weise zu reagieren nach dem Motto „Wir haben alles richtig gemacht, wir haben alles im Blick gehabt, wir haben uns nichts vorzuwerfen“. Wenn das so gewesen wä re, hätten wir nicht die Situation, in der wir stehen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Natürlich ist der Extremismus in all seinen Schattierungen ei ne Herausforderung. Das ist überhaupt keine Frage und wird auch in der Resolution richtig betont. Aber es ist auch richtig, dass es der Rechtsextremismus ist, der jetzt nicht nur zehn Morde oder vielleicht mehr zu verantworten hat, sondern der seit 1990 für 180 Mordtaten in diesem Land verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang kommt man natürlich zu der Feststellung: Diese Herausforderung wurde ganz offensicht lich unterschätzt, politisch kleingeredet, und man hat sich nicht mit der notwendigen Energie diesem Thema gestellt.

(Abg. Winfried Mack CDU: Ihr Innenminister sagt etwas anderes!)

Das gilt für die ganze Republik.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Thomas Blenke CDU: Haben Sie dem Innenminister eben zugehört?)

Deswegen ist es auch völlig falsch, jetzt schon wieder von Einmaligkeit und Einzeltätern zu reden. Diese Frage können wir nicht beantworten; die Antwort kennen wir nicht. Im In nenausschuss des Bundestags konnte vorgestern, am Montag, die Frage nicht beantwortet werden, ob es weitere Rechtsex tremisten gibt, die in den Untergrund abgetaucht sind,

(Abg. Winfried Mack CDU: Er kann es nicht lassen!)