Dieser Staat hat die Verpflichtung, seine Bürgerinnen und Bür ger zu schützen. Dies darf uns nicht zu teuer sein, dies darf uns nicht zu umständlich sein, und dies darf auch nicht an fö deralistischen Fragen scheitern.
Der Kampf gegen Rechts ist für uns gewählte Volksvertreter, aber auch für jeden einzelnen Menschen eine zentrale Aufga be.
Jeder Couleur. Aber jetzt fangen wir in dieser Debatte schon wieder an, dass wir – – Wir hatten in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren zehn Morde.
Hier setzen wir wieder das Unglei che gleich. Es geht doch darum, das, was jetzt passiert ist, auf zuarbeiten und an dieser Stelle keine Nebengefechte zu füh ren.
Dies müssen wir jetzt tun. Dafür brauchen wir Prävention, da für brauchen wir Aufklärung in der Schule. Wir brauchen star ke zivilgesellschaftliche Initiativen, wir brauchen eine konse
quente Strafverfolgung, und wir brauchen, wie es der Kolle ge schon gesagt hat, eine Unterstützung für Aussteiger aus der Szene.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Neonazis ihre menschenver achtenden Ideologien nicht nur an Wände schmieren, sondern auch zu blutiger Realität werden lassen. Dieser Aufgabe müs sen wir alle uns – auch in diesem Haus – stellen.
Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Angesichts der Taten, die passiert sind und die man nicht für möglich gehalten hätte, kann man sich zunächst nur den Worten der tiefen Betroffenheit, der Anteil nahme und des Mitgefühls, die meine Vorredner gefunden ha ben, anschließen.
Es stellen sich natürlich Fragen. Deswegen führen wir diese Debatte. Auf der einen Seite gibt es grundsätzliche Fragen, strukturelle Fragen, z. B. Fragen nach der Struktur der rech ten Szene oder Fragen nach der Struktur der Strafverfolgung und des Verfassungsschutzes. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist: Es wird einem wieder bewusst, dass es auch ein einmaliges Geschehen war, das sich dann wieder ein mal generalisierenden Betrachtungsweisen entzieht. Man muss sich so etwas einmal vorstellen – ich stelle es einfach einmal in den Raum –: Eine Frau, um die sich einige Rätsel ranken, zieht eine Spur von Delikten durch die Republik. Kommt Ihnen eigentlich etwas bekannt vor? So weit waren wir nämlich schon einmal.
Dieser Fall beinhaltet neben vielen anderen wichtigen Aspek ten auch noch den Aspekt, dass es eine reichlich verrückte Ge schichte ist. Nachdem wir durch Wattestäbchen monatelang in die Irre geführt wurden, kommt es jetzt genau so heraus, dass eine Frau, um die sich etliche Rätsel ranken, im Mittel punkt des Geschehens steht und eine Deliktspur durch die gan ze Bundesrepublik zieht. Das zeigt schon die Einmaligkeit dieses Falls.
Auch wenn wir jetzt den redlichen Versuch machen, Regeln für alle Fälle aufzustellen, müssten wir uns klarmachen, dass dieser Fall so, wie er ist, ein Stück weit auch wieder aus dem Rahmen fällt.
Ich sage das auch deswegen: Weil es ein einmaliges Gesche hen ist, darf man daraus natürlich auch keine unerfüllbaren Erwartungen an die Strafverfolgungsbehörden ableiten. Ich nenne dafür nur ein Beispiel: die Klärung der Herkunft der betroffenen Polizeibeamtin.
In der Frage, die jetzt im Raum steht und über die wir täglich etwas Neues in der Zeitung lesen, ob man diesen Hinweisen früher hätte nachgehen müssen, neige ich eher dazu, keinen Vorwurf zu erheben. Denn dem Fall von vornherein anzuse hen, wohin diese Spur führen könnte, ist vielleicht zu viel ver langt.
Auf der anderen Seite ist für mich offenkundig, dass sich ein deutige strukturelle Fragen stellen, z. B.: Sind unsere Behör den richtig aufgestellt? Die Antwort muss eigentlich lauten: offenkundig nicht, denn sonst hätte so etwas nicht passieren können. Man muss zu dem Schluss kommen, dass der not wendige Grad von Wachsamkeit und der notwendige Grad von Zusammenarbeit bei uns in der Vergangenheit nicht er reicht wurden und dadurch solche Taten möglich waren.
Wir müssen auch davon ausgehen, dass es ein Stück weit an Transparenz fehlt, dass wir zu wenig wissen, zu wenig Ein blick haben. Es fehlt an Transparenz, gerade was z. B. den Einsatz von V-Leuten betrifft. Es fehlt natürlich auch an Trans parenz, was die Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungs schutzes generell angeht.
Was allerdings die Vorschläge für ein generelles Verbot der NPD betrifft, möchte ich deutlich machen: Wir stehen einem generellen Verbot, einer Diskussion über ein Verbot der NPD nach wie vor äußerst skeptisch gegenüber. Es gibt die bekann ten Gründe dagegen. Ein Verbot wäre meiner Meinung nach wenig wirkungsvoll. Es würde vielleicht sogar den Anreiz, sich solchen Organisationen anzuschließen, eher noch erhö hen. Es stecken hohe Risiken im Verfahren; auch das ist be kannt. Ein solches Verfahren bindet Kräfte, die wir wahr scheinlich eher einsetzen sollten, um die Strafverfolgung, die Verfolgung überhaupt, den Kampf gegen rechts zu intensivie ren.
Meine Damen und Herren, es ist schwierig, bei dieser Ver botsdiskussion einen Zusammenhang mit dem konkreten Ge schehen zu sehen. Ein Verbot hätte diese Fälle sicher nicht verhindert; darin sind wir uns einig. Auf der anderen Seite müssen wir den Kampf gegen rechts verstärkt aufnehmen; das ist keine Frage.
Es wurde die Frage gestellt, ob die Situation im Land in der Vergangenheit zu positiv dargestellt wurde. Das ist, glaube ich, nicht der Fall. Ich glaube, es ist nichts kleingeredet wor den; diesen Vorwurf kann man sicher nicht erheben. Vielleicht haben wir uns ein bisschen von den in der Tat guten Zahlen, die wir im Land haben, täuschen lassen. Wir stehen im Bun desvergleich wieder einmal sehr gut da, relativ gut da, was die Entwicklung rechtsextremer Gewaltdelikte und auch die Auf klärung angeht. Aber wenn man bei uns die Zeitungen auf merksam liest, merkt man doch, dass an verschiedenen Ecken des Landes immer wieder einmal die Rede davon ist, dass es dort rechte, braune Nester gibt, die vielleicht im Begriff sind, sich auszubreiten.
Deswegen kann das Fazit heute eigentlich nur heißen, dass wir diese Ansätze auch bei uns im Land nicht kleinreden wol len, sondern ernst nehmen wollen. Wir wollen sie so nehmen, wie sie sind. Wir haben keine dramatische Zuspitzung, aber wir haben Anzeichen für rechte, braune Nester im Land.
Meine Damen und Herren, wir sollten mit allen demokrati schen und rechtsstaatlichen Mitteln gemeinsam verhindern, dass sich solche Erscheinungsformen in unserem Land aus breiten können.
Sehr geehrter Präsident, wer te Kolleginnen, werte Kollegen! Ich denke, in der Tat steht es außer Frage – alle Vorredner haben es auch formuliert –: Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten jetzt zu Recht Aufklärung, eine nahezu lückenlose Aufklärung der Ge schehnisse um die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Unter grund“. Die Frage, wie eine solche rechtsextremistische, au ßerordentlich gewaltbereite Gruppe, auf deren Konto zehn Morde, zahlreiche Banküberfälle und Sprengstoffattentate ge hen, untertauchen und jahrelang unentdeckt bleiben konnte, muss natürlich beantwortet werden.
Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu vielen anderen will ich mich aber an keinen vorschnellen Beurteilungen zum Ermittlungsstand in anderen Bundesländern und auch an kei nen diesbezüglichen Spekulationen beteiligen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Völlig richtig!)
Wir handhaben es in diesem Fall wie auch in vergleichbaren Fällen. Wir – das heißt, die Sicherheitsbehörden unseres Lan des sowie das Innenministerium – äußern uns dann, wenn die Fakten geprüft sind und wenn die vielen Puzzleteile, die es gegenwärtig gibt – hinter jedem Puzzleteil steckt ein Frage zeichen; das ist keine Frage –, zusammengeführt werden kön nen oder zumindest ein grobes Bild ergeben.
Wir werden auch nicht auf irgendwelche Gerüchte in den Me dien reagieren, zumal diese – insbesondere wenn ich an den gestrigen Tag denke – häufig im Stundentakt neu an die Öf fentlichkeit kommen und dann Stunden später korrigiert, ge legentlich auch revidiert werden müssen.
(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Dieter Hille brand CDU: So ist es!)
Offensichtlich ist aber, dass in diesen Fällen Fehleinschätzun gen und Fehler auch seitens der Sicherheitsbehörden gemacht wurden. Nach bisherigem Stand – das muss ich einfach beto nen: nach bisherigem Stand – gibt es dazu aber in BadenWürttemberg keine Anhaltspunkte. Ich denke – da sollten wir uns, glaube ich, auch einig sein –, das Thema mit den verun reinigten Wattestäbchen gehört nicht in diese Themenkatego rie.
Deshalb halte ich auch pauschale Angriffe – diese sind nicht in diesem Haus gefallen, sondern außerhalb dieses Hauses; das sage ich ausdrücklich – gegen den Verfassungsschutz und pauschale Angriffe gegen Sicherheitsbehörden für falsch.
Wir sind darauf angewiesen, meine Damen und Herren, dass der Verfassungsschutz extremistische Szenen beobachtet. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen: Ohne den Verfassungs schutz hätten wir in den Bereichen Islamismus, Linksextre mismus, Rechtsextremismus, Scientology sowie im Bereich
Wirtschaftsspionage – dieser Bereich gehört auch zum Ver fassungsschutz – wesentlich weniger Kenntnisse, als wir sie gegenwärtig haben. Das bitte ich einfach bei dieser Diskussi on nicht aus dem Auge zu verlieren.
Meine Damen und Herren, die pauschalen Vorwürfe, die Po litik und die Sicherheitsbehörden hätten die Gefahren des Rechtsextremismus völlig unterschätzt und seien auf dem rechten Auge blind, hätten also nichts gewusst, teile ich im Übrigen auch nicht. Da bitte ich schon um eine sehr sorgfäl tige und differenzierte Wahrnehmung.
Da muss man diejenigen, die man meint – solche gibt es –, schon beim Namen nennen. Aber ich sage deshalb ausdrück lich: Als pauschale Vorwürfe sollten wir dies nicht stehen las sen.
Meine Damen und Herren, wir haben meines Erachtens – dies spricht für unsere Sicherheitsbehörden; man kann es belegen – weder im Bereich des Linksextremismus noch im Bereich des Rechtsextremismus die Entwicklungen aus dem Blick ver loren. Polizei und Verfassungsschutz sind nach wie vor – das lässt sich belegen – mit hohem Kontrolldruck und zahlreichen Aufklärungsmaßnahmen dicht an der rechtsextremistischen Szene dran. Das nehme ich zumindest für unser Bundesland in Anspruch.